Griechenland: Deutschland profitiert von Krise – Verhandlungen vor Abschluss
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Von REDAKTION, 10. August 2015 –
Die Finanzminister der Euro-Staaten könnten Ende der Woche zusammenkommen, um den Weg für ein neues „Hilfspaket“ für Griechenland zu bereiten. Ein Treffen der Eurogruppe am Freitag in Brüssel gilt als wahrscheinlich, wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag erfuhr. Auch das griechische Parlament, der Bundestag und einige andere Volksvertretungen müssten zustimmen.
Die Unterhändler arbeiteten „Tag und Nacht“, um eine Übereinkunft zu erzielen, sagte eine Sprecherin der Brüsseler EU-Kommission. Geld soll Athen wie schon in der Vergangenheit nur gegen konkrete Spar- und Reformzusagen erhalten. Die Vertreter der Geldgeber arbeiteten „Hand in Hand“ mit den griechischen Behörden. „Wir erwarten den Tag über und danach weitere Fortschritte.“ Eine Einigung könne noch im laufenden Monat erreicht werden, vorzugsweise bis zum 20. August – dann wird eine Zahlung Griechenlands in Höhe von 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) fällig. Gelingt die Einigung nicht, wären Vorbereitungen für eine weitere Brückenfinanzierung voranzutreiben.
Aus Athener Regierungskreisen kamen indes positive Signale. Das Dokument mit den Grundrissen des Programms sei bereits „fast fertig“, hieß es. Finanzminister Euklid Tsakalotos verhandelte fast die ganze Nacht über mit Experten der Gläubiger. In Brüssel hieß es am Mittag, eine Einigung werde in den nächsten 24 bis 36 Stunden erwartet.
Die Bundesregierung äußerte sich diesbezüglich jedoch zurückhaltend. „Warten wir ab, wie die Verhandlungen weiter laufen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Eine Einigung müsse zuverlässige Grundlage für das auf drei Jahre angelegte neue „Hilfsprogramm“ sein. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, so Seibert.
Das dritte Kreditprogramm soll bis zu 86 Milliarden Euro umfassen und den Finanzbedarf Griechenlands von Juli 2015 bis 2018 decken. Die Neuverschuldung dient vor allem der Tilgung alter Schulden.
35 Milliarden Euro Schulden soll Athen in diesem Zeitraum an seine Gläubiger zurückzahlen. Der Großteil davon geht an den IWF sowie an die EZB und einige nationale Zentralbanken, die griechische Anleihen in ihren Bilanzen halten – mit diesen Anleihen erzielten sie 2014 und 2015 insgesamt 3,2 Milliarden Euro Gewinn. Zudem haben die Gläubiger knapp 18 Milliarden Euro als Zinszahlungen für die griechischen Schulden veranschlagt. Das Gros der Zinsgewinne geht an IWF und EZB.
Noch vor zwei Monaten sprachen Experten von bis zu 50 Milliarden Euro, die nötig seien, um das südeuropäische Land über die kommenden drei Jahre zu bringen. Ende Juni fror die EZB jedoch die Notkredite für griechische Banken ein und förderte damit die Kapitalflucht ins Ausland und den Ansturm von verunsicherten Kunden, die ihr Geld von ihren Bankkonten abhoben. Athen war gezwungen, Kapitalkontrollen einzuführen, Banken mussten wochenlang schließen. Daher rechnen Griechenlands Kreditgeber mit zusätzlichen 25 Milliarden Euro, die für die Rekapitalisierung der griechischen Banken nun notwendig sind. Die Gelder aus dem dritten „Hilfspaket“ fließen somit fast ausschließlich in den Finanzsektor und dienen vor allem der Schuldentilgung.
Deutscher Fiskus profitiert von Schuldenkrise
Selbst bei einem kompletten Zahlungsausfall Griechenlands sei der deutsche Fiskus Gewinner der Schuldenkrise, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). (1) Von 2010 bis heute habe der deutsche Staat wegen der durch die Krise gesunkenen Zinslasten mehr als 100 Milliarden Euro gespart. Dies seien mehr als die rund 90 Milliarden Euro, die Griechenland Deutschland direkt und indirekt zum Beispiel über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) schulde.
„Diese Einsparungen übertreffen die Kosten der Krise – selbst dann, wenn Griechenland seine Schulden komplett nicht bedienen würde“, heißt es in einer Mitteilung des Leibniz-Instituts. „Deutschland hat also in jedem Fall von der Griechenlandkrise profitiert.“
Mit der Krise hätten Anleger aus aller Welt besonders sichere Anlagen gesucht. Dabei standen die deutschen Staatsschulden ganz vorne auf der Liste der sicheren Häfen. Außerdem pumpte die EZB Milliarden in den Markt. Die hohe Nachfrage drückte dann die Rendite der Anleihen. Die Folge: Deutschland konnte auslaufende Staatsanleihen mit Anleihen ersetzen, für die viel niedrigere Zinsen als üblich fällig werden.
Die Forscher aus Halle untersuchte im Fall Griechenland, wie sich positive und negative Nachrichten zur Verschuldung Griechenlands in den Renditen deutscher Anleihen niederschlugen. Dabei erkannten sie einen direkten Zusammenhang. „Schlechte Nachrichten in Griechenland waren gute Nachrichten in Deutschland und umgekehrt“, heißt es in der Studie. Voraussichtlich werde der Zinsvorteil Deutschlands auch in Zukunft noch anhalten.
Diese positive Nachricht für Finanzminister Wolfgang Schäuble ist gleichzeitig eine schlechte Nachricht für deutsche Sparer, deren Einkommen durch negative Zinseffekte sinken. Solche und andere Auswirkungen der Krise auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bleiben in der Studie jedoch unberücksichtigt.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) Siehe: http://www.iwh-halle.de/d/publik/presse/30-15.pdf