Echte Demokratie und viel Spaß dabei. Wie Spaniens Protestbewegung nun auch Berlin aufmischt
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von REDAKTION, 25. Mai 2011 –
Seit knapp zwei Wochen demonstrieren immer mehr überwiegend junge Spanier für echte Demokratie in ihrem Land, gegen die Macht der großen Banken, die rigorose Sparpolitik ihrer Regierung und für die Zukunft einer Generation, deren Angehörige kaum noch eine Chance haben, eine anständige Arbeit zu finden.
Nun ist die Bewegung „Democracia Real YA“ („Echte Demokratie JETZT“) nach Deutschland übergesprungen. Zunächst hatten sich am vergangenen Donnerstag, den 19. Mai, vor der Spanischen Botschaft rund 300 Menschen spontan versammelt. Am Sonnabend waren es dann schon mehr als 1.000, die auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor zum Erstaunen internationaler Touristen und der Mitarbeiter der gegenüberliegenden Akademie der Künste von 19.00 Uhr bis 22.00 Uhr und mit Gesang, Sprechparolen und verschiedenen Aktionen fröhlich protestierten.
Die Demonstrierenden versammelten sich dazu ringförmig. In der Mitte wurde mit dem Megaphon über die Anliegen des Protestes informiert. Wer wollte, durfte etwas sagen und erhielt dafür viel Beifall. Eine Kopftuchtragende Frau aus Syrien bestellte Grüße der arabischen Revolution, eine bejahrte spanische Touristin erklärte ihre Solidarität. Die mitgeführten Transparente zeigten Sprüche wie: „Wir wollen arbeiten, nicht auswandern.“ Oder: „Wir sind nicht gegen das System, das System ist gegen uns.“”
Die meisten Ansagen waren in Spanisch, einige wurden für die wenigen deutschen Teilnehmer, die Presse und Passanten übersetzt. Auch nach den spanischen Regional- und Kommunalwahlen werden die Proteste noch mindestens bis zum Wochenende weitergehen. Nicht nur in Madrid und in immer mehr spanischen Städten – auch in Berlin. Am Montag beratschlagten die in der deutschen Hauptstadt engagierten Teilnehmer der Bewegung im Lustgarten am Berliner Dom über das weitere Vorgehen. (1) Für Donnerstag ist eine Kundgebung auf dem Alexanderplatz geplant, für Samstagnachmittag wieder eine Vollversammlung im Lustgarten. Aktuelle Informationen stellen die basisdemokratisch arbeitenden Organisatoren auf einer Homepage bereit. (2)
Dort findet man auch das Manifest der Bewegung. Die deutsche Übersetzung wird hier dokumentiert:
„Wir sind normale Menschen. Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu bieten.
Einige von uns bezeichnen sich als aufklärerisch, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht. Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.
Und diese Situation ist mittlerweile zur Normalität geworden – tägliches Leid, ohne jegliche Hoffnung. Doch wenn wir uns zusammentun, können wir das ändern. Es ist an der Zeit, Dinge zu verändern. Zeit, miteinander eine bessere Gesellschaft aufzubauen.
Deswegen treten wir eindringlich hierfür ein:
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- Gleichheit, Fortschritt, Solidarität, kulturelle Freiheit, Nachhaltigkeit und Entwicklung, sowie das Wohl und Glück der Menschen müssen als Prioritäten einer jeden modernen Gesellschaft gelten.
- Das Recht auf Behausung, Arbeit, Kultur, Gesundheit, Bildung, politische Teilhabe, freie persönliche Entwicklung und Verbraucherrechte im Sinne einer gesunden und glücklichen Existenz sind unverzichtbare Wahrheiten, die unsere Gesellschaft zu befolgen hat.
- In ihrem momentanen Zustand sorgen unsere Regierung und das Wirtschaftssystem nicht dafür, sondern stellen sogar auf vielerlei Weise ein Hindernis für menschlichen Fortschritt dar.
- Die Demokratie gehört den Menschen (demos = Menschen, krátos = Regierung), wobei die Regierung aus jedem Einzelnen von uns besteht. Dennoch hört uns in Spanien der Großteil der Politiker überhaupt nicht zu. Politiker sollten unsere Stimmen in die Institutionen bringen, die politische Teilhabe von Bürgern mit Hilfe direkter Kommunikationskanäle erleichtern, um der gesamten Gesellschaft den größten Nutzen zu erbringen, sie sollten sich nicht auf unsere Kosten bereichern und deswegen vorankommen, sie sollten sich nicht nur um die Herrschaft der Wirtschaftsgroßmächte kümmern und diese durch ein Zweiparteiensystem erhalten, welches vom unerschütterlichen Akronym PP & PSOE angeführt wird.
- Die Gier nach Macht und deren Beschränkung auf einige wenige Menschen bringt Ungleichheit, Spannung und Ungerechtigkeit mit sich, was wiederum zu Gewalt führt, die wir jedoch ablehnen. Das veraltete und unnatürliche Wirtschaftsmodell treibt die gesellschaftliche Maschinerie an, einer immerfort wachsenden Spirale gleich, die sich selbst vernichtet indem sie nur wenigen Menschen Reichtum bringt und den Rest in Armut stürzt. Bis zum völligen Kollaps.
- Ziel und Absicht des derzeitigen Systems sind die Anhäufung von Geld, ohne dabei auf Wirtschaftlichkeit oder den Wohlstand der Gesellschaft zu achten. Ressourcen werden verschwendet, der Planet wird zerstört und Arbeitslosigkeit sowie Unzufriedenheit unter den Verbrauchern entsteht.
- Die Bürger bilden das Getriebe dieser Maschinerie, welche nur dazu entwickelt wurde, um einer Minderheit zu Reichtum zu verhelfen, die sich nicht um unsere Bedürfnisse kümmert. Wir sind anonym, doch ohne uns würde dergleichen nicht existieren können, denn am Ende bewegen wir die Welt.
- Wenn wir es als Gesellschaft lernen, unsere Zukunft nicht mehr einem abstrakten Wirtschaftssystem anzuvertrauen, das den meisten ohnehin keine Vorteile erbringt, können wir den Missbrauch abschaffen, unter dem wir alle leiden.
- Wir brauchen eine ethische Revolution. Anstatt das Geld über Menschen zu stellen, sollten wir es wieder in unsere Dienste stellen. Wir sind Menschen, keine Produkte. (…)“
(1) http://www.demotix.com/news/701580/general-meeting-protesting-spaniards-berlin
(2) http://democraciarealyaberlin.com/wordpress/lang/en-us/manifesto-german/