EU-Politik

Berliner Großmachtpoker

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Von TOMASZ KONICZ, 15. Dezember 2011 –

Das neue „Deutsche Europa“ steht auf tönernen Füßen. Viele der auf dem jüngsten Krisengipfel beschlossenen Regelungen werden die kommende Rezession vertiefen und zum Auseinanderbrechen der Eurozone beitragen.

Wieder einmal soll Europa am deutschen Wesen genesen. Nach dem jüngsten EU-Gipfel brachen insbesondere die regierungsnahen deutschen Medien in offene Jubelstürme aus: „Jetzt regiert Angela Merkels harte Hand in Europa,“ titelte etwa Welt Online, um sogleich die neuen Grundsätze des neuen „Deutschen Europa“ zusammenzufassen: „Mehr Kontrolle, mehr Disziplin und härtere Strafen.“ (1) Das Handelsblatt verwies darauf, dass sich Großbritannien dem Dominanzstreben Berlins verweigerte: „Merkels Wort gilt – aber nur auf dem Festland.“ (2) Die Konsequenzen dieser Verweigerung Londons deutete die führende deutsche Wirtschaftszeitung in Anlehnung an ein berüchtigtes Zitat George W. Bushs ebenfalls sogleich an: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Tatsächlich konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel sich in nahezu allen Streitpunkten durchsetzen und die vor Gipfelbeginn ausgegebene Line, wonach es diesmal „keine faulen Kompromisse“ geben werde, nahezu vollständig einhalten. Im Endeffekt fand auf dem Gipfel kein Verhandlungsprozess mehr statt – es wurde letztendlich ein Diktat durchgesetzt, das von Merkel und ihrem Juniorpartner Sarkozy vorformuliert wurde.

Doch inzwischen kommt Gegenwind zu Merkels „deutschem Europa“ auf. Der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, François Hollande, erklärte am Dienstag, bei einem Wahlsieg gegen den konservativen Amtsinhaber Sarkozy im kommenden Mai die Umgestaltung der EU entlang deutscher Vorstellungen nicht mitzutragen und den entsprechenden multilateralen Vertrag nicht zu ratifizieren: „Wenn ich zum Präsidenten der Republik gewählt werde, verhandele ich die Vereinbarung neu“, so Hollande wörtlich. (3) Der aussichtsreiche Präsidentschaftsanwärter kritisierte die von Merkel durchgesetzte Einführung einer „Schuldenbremse“ in den neuen EU-Verträgen, er sprach sich ebenfalls für die Etablierung gemeinsamer europäischer Staatsanleihen – sogenannter Eurobonds – und für Aufkäufe von Staatsanleihen durch die Europäischen Zentralbank EZB aus. „Ich werde dafür sorgen, dass wir die Vereinbarung um das Fehlende ergänzen, nämlich die Intervention der EZB, Eurobonds und einen Rettungsfonds“, so Hollande. Hiermit geht der sozialistische Präsidentschaftskandidat auf direkten Konfrontationskurs zur Bundesregierung, die sich in all diesen Streitpunkten gegenüber Sarkozy durchgesetzt hat.

Eine zunehmend deutschlandkritische Berichterstattung in den meinungsführenden US-amerikanischen Medien lässt auch die wachsenden Spannungen zwischen Berlin und Washington offenbar werden. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Neewsweek fand sich ein vernichtendes Porträt von Bundeskanzlerin Merkel, die als eine kalte und emotionslose Machtpolitikerin dargestellt wurde. Merkel würde aus purem „Eigennutz“ berechnend agieren und eine sonderbare Vorliebe für „glatt rasierte, unzerknautschte, oft blonde Höflinge“ an den Tag legen. Neewsweek nannte in diesem Zusammenhang unter anderem den monetaristischen Hardliner und Bundesbankchef Jens Weidmann sowie Bundespräsident Christian Wulff. (4) Die New York Times (NYT) spricht inzwischen offen von einem „taktischen Kampf“ zwischen Deutschland und den USA, der aufgrund der Differenzen bei der Bewältigung der Eurokrise tobe. (5) Merkel habe Europa zu „deutscher Fiskaldisziplin“ gezwungen, während die US-Administration schnelle und umfassende Staatsanleihenaufkäufe der EZB fordert. Die Einsätze bei diesem Machtkampf seien „sehr hoch“, so die NYT, „mit der Gesundheit der Weltwirtschaft, der Europäischen Union und vielleicht Mr. Obamas präsidialen Hoffnungen.“ Das Weiße Haus befürchtet aufgrund der Blockadehaltung Merkels einen globalen Wirtschaftseinbruch im Wahljahr 2012, was die Chancen von US-Präsident Obama minimieren würde.

Die größten Hindernisse für die Errichtung eines „deutschen Europa“ hat aber Deutschland selbst errichtet. Die repressive, auf strikte Haushaltsdisziplin ausgerichtete Umformung der Europäischen Union wird den Währungsraum mittelfristig sprengen, sollten keine Gegenmaßnahmen zur Linderung der Schuldenlast der südeuropäischen Staaten ergriffen werden. Berlin konnte sich damit durchsetzen, die Einführung europäischer Staatsanleihen und die massive Ausweitung von Eurobonds zu verhindern. Die Bundesregierung begründet ihre Blockadehaltung vor allem damit, dass massive Aufkäufe von Anleihen zur Hyperinflation führen könnten und gemeinsame Eurobonds den südeuropäischen Ländern die „Motivation“ zum Sparen nehmen würden. Ohne einer dieser Maßnahmen – oder auch einer Kombination beider Ansätze – droht aber der Eurozone der baldige Zerfall, der katastrophale ökonomische Verwerfungen nach sich ziehen dürfte. Die südeuropäischen Staaten werden das hohe Zinsniveau ihrer Staatsanleihen nicht mehr lange schultern können. Ohne umfassende Anleiheaufkäufe durch die EZB oder den ESM, die das Zinsniveau nachhaltig absenken, wird die Zinslast der südeuropäischen Schuldenstaaten bald untragbar sein. Diese massive Gelddruckerei der EZB dürfte tatsächlich die Inflation befeuern, aber dies ist der einzige Weg, einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch zumindest mittelfristig hinauszuzögern. Diese Notwendigkeit der „Inflationierung“ der Schuldenkrise ist den USA und nahezu allen Regierungen in der EU klar – mit Ausnahme der in Berlin. Diese dramatische Konstellation, bei der Berlin aus machtpolitischem Kalkül und ideologischer Verblendung eine globale Depression provoziert, bildet auch den Hintergrund der Spannungen zwischen Deutschland und den USA.

Im Vorfeld des Krisengipfels gingen Analysen davon aus, dass die EZB zu umfangreichen Aufkaufprogrammen für Staatsanleihen übergehen werde, sobald Deutschland seine dominante Position in der EU institutionell gefestigt hat. Thorsten Polleit von Barclays Capital sprach etwa davon, dass die EZB den „Anleihenkauf verstärken“ und einen wahren „Geldsegen“ über der EU niedergehen lassen werde. (6) Solche Einschätzungen ruhten auf der Annahme, dass Berlin seine eigene Propaganda selbst nicht glauben und diese nur zur Durchsetzung seiner Ziele instrumentalisieren würde – um hiernach pragmatisch zu handeln und die notwendigen Schritte zur vorläufigen Stabilisierung der Eurozone einzuleiten.

Tatsächlich gingen die Anleihekäufe der EZB in der Woche vor dem Gipfel aber drastisch zurück, sie erreichten mit 635 Millionen Euro den niedrigsten Umfang seit März 2011. Im August kaufte die EZB wöchentlich Anleihen im Wert von mehreren Milliarden Euro auf dem Sekundärmarkt auf. Sollten auf dem vergangenen Gipfeltreffen keine informellen Absprachen getroffen worden sein, denen zufolge die „unabhängige“ EZB bald mittels massiver Anleiheaufkäufe die Zinslast der vom Staatsbankrott bedrohten Eurostaaten absenkt, dann wird dieser Gipfel als ein entscheidender Markstein bei der Desintegration der Eurozone in die Geschichte eingehen.

Ähnlich verhält es sich mit den rabiaten Sparprogrammen, die von Berlin in ganz Europa durchgesetzt wurden und die bereits jetzt den Kontinent in die Rezession führen. Die Sparmaßnahmen entziehen den Volkswirtschaften Europas private und staatliche Nachfrage, was den Abwärtssog bestärkt und zu steigender Massenarbeitslosigkeit sowie fallenden Steuereinnahmen führt. Bei einer schweren Rezessionen – wie sie etwa Griechenland erschüttert – kann das zur Folge haben, dass die Mehrausgaben für Arbeitslosengeld und die steuerlichen Mindereinnahmen die ursprünglichen Einsparungen übersteigen und die Schuldenlast immer weiter anschwillt. Gerade dieser Teufelskreis aus sinkender Wirtschaftsleistung und anschwellender Schuldenlast kündigt sich offenbar in Europa an. „Inzwischen scheint der Euro-Raum in der Rezession. Und schuld daran sind die Europäer selbst, die sich von den Märkten zu immer hektischeren Sparaktionen mitten in einer ohnehin schon labilen Konjunktur treiben lassen. Ein Trend, zu dem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bedenklich beigetragen hat,“ so kommentierte die Financial Times Deutschland die Auswirkungen der Politik der „harten Hand“ Merkels treffend. „Wenn Europa in die Rezession rutscht, sind die Sparprogramme vieler Staaten bald Makulatur. Dann werden weitere Einsparungen nötig, um die Ziele zu erreichen. Griechenland erlebt diese Abwärtsspirale seit zwei Jahren, jetzt sind auch Italien und Frankreich bedroht. Merkel erreicht mit ihrer Politik der eisernen Hand das Gegenteil von dem, was sie will.“ (7)

Dieser sich abzeichnende Wirtschaftseinbruch wird auch das derzeit noch im imperialen Rausch taumelnde Deutschland hart treffen, wie der jüngste extreme Rückgang der deutschen Exporte im Oktober um 3,6 Prozent bereits andeutet. Rund 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone. An die 60 Prozent ihrer Exportüberschüsse erzielt die deutsche Industrie im europäischen Währungsraum. Deutschland ist zwar dominant in der EU, aber es hat aufgrund seines rabiaten Vorgehens keine Hegemonie erringen können, die erst dann gegeben wäre, wenn andere Staaten die Vorherrschaft Deutschlands akzeptieren, weil sie daraus ebenfalls Vorteile schöpfen. Die Staaten Europas folgten Merkel bei der Schaffung des „Deutschen Europa“ nur deswegen, weil sie mit dem drohenden Kollaps der EU von Berlin erpresst wurden. Sollte die von Merkel geformte Strategie scheitern, werden auch die politischen Kosten für Berlin sehr hoch ausfallen. Dieses deutsche Vabanque Spiel um die Vorherrschaft in Europa kommentierte die New York Times folgendermaßen: „Wenn der Euro erhalten wird und sich Europa in Richtung zu mehr Einigkeit bewegt, wird Frau Merkel vermutlich der Löwenanteil des Verdienstes daran zuerkannt … Aber wenn sich ihr Rezept als unzureichend entpuppt, könnte ihr die Schuld dafür zugesprochen werden, über den Kollaps des Euro präsidiert zu haben.“ (8)

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Quellen:

1. http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13738318/Jetzt-regiert-Angela-Merkels-harte-Hand-in-Europa.html
2. http://www.handelsblatt.com/politik/international/merkels-wort-gilt-aber-nur-auf-dem-festland/5939954.html
3. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/frankreich-hollande-will-ueber-bruesseler-beschluesse-neu-verhandeln-11559958.html
4. http://www.welt.de/politik/deutschland/article13764760/US-Magazin-warnt-die-EU-vor-Bundeskanzlerin-Merkel.html
5. http://www.nytimes.com/2011/12/11/world/europe/euro-crisis-pits-germany-and-us-in-tactical-fight.html?_r=1&scp=4&sq=germany&st=cse
6. http://www.handelsblatt.com/video/video-news/wirtschaft/ezb-wird-anleihenkauf-verstaerken/5941112.html
7. http://www.ftd.de/politik/international/:rezession-merkels-wuergegriff-schadet-statt-zu-nuetzen/60139141.html
8. http://www.welt.de/politik/ausland/article13765880/USA-zittern-vor-dem-Tempo-der-Eisernen-Kanzlerin.html

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