Nach dem Aus der Ampel: Außenpolitische Bilanzposten
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am 16. Dezember 2024 im Bundestag die lange verzögerte Vertrauensfrage gestellt. Für ihn stimmten 207 Abgeordnete, gegen ihn 394. 116 Abgeordnete enthielten sich der Stimme, 16 nahmen an der namentlichen Abstimmung nicht teil. Der Weg für vorgezogene Neuwahlen war freigemacht. Eine Analyse der Außenpolitik.

Gescheitert ist das Konzept einer „Ampel“-Koalition, für längere Zeit verbrannt, auch wenn angesichts der Ausdifferenzierung des Parteiensystems Drei-Parteien-Koalitionen wahrscheinlicher werden. An der Oberfläche waren für das Scheitern SPD und FDP hauptverantwortlich. Dabei kamen die Grünen erstaunlich gut weg, obwohl das „Heizungsgesetz“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck den größten Unmut der Bevölkerung hervorgerufen hatte. Zugleich wird die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer „wertegeleiteten“ Außenpolitik in der Welt kaum noch ernst genommen. Der internationale Ruf Deutschlands wurde ruiniert.
Vollmundige Ausgangspunkte
„Mehr Fortschritt wagen“, wurde der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vom 7. Dezember 2021 überschrieben. Für die Außenpolitik galt das von Anfang an nicht. Hier bestätigte er die Faustregel: je größer der Staat, desto geringer das öffentliche Interesse an der Außenpolitik. Es sei denn, es ist „Krieg in Sicht“. Nicht zuletzt durch westliche Politik wurden die Kriegs- gefahren im 21. Jahrhundert größer. Als gefährlich galt das 2021 nicht. Das zeigte sich bereits am Personal. War Außenminister der BRD in Zeiten des Kalten Krieges und der Herbeiführung der Entspannung Willy Brandt, bei der Übernahme der DDR Hans-Dietrich Genscher, nach dem Kalten Krieg immerhin noch ein Frank-Walter Steinmeier, so war zuletzt Heiko Maas (SPD) der Mann zum Abgewöhnen. Die Ampel-Regierung schaffte es, dies mit Baerbock noch zu unterbieten.
Im Koalitionsvertrag rangierte die Außenpolitik weit hinten, hinter „digitalem Aufbruch“, Klimaschutz, Arbeitswelt, Kinder und Familie, Demokratie. Titel: „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“. Russische Betrachter hatten angemerkt, Russland nehme gemessen an der Textlänge im Kapitel „Bilaterale und regionale Beziehungen“ mit 13,43 Prozent den meisten Raum ein, gefolgt von China mit 11,48 Prozent, der „transatlantischen Partnerschaft“ mit 7,4, Belarus mit 4 und der Ukraine mit 2,23 Prozent. In China wurde diskutiert, ob sich das Land in seiner Entwicklung überhaupt noch davon beeinflussen lassen sollte, was im Westen darüber gedacht wird. Im Kern stehe, so Professor Shen Yi von der Fudan Universität (Shanghai), dass die westlichen Mächte den Aufstieg Chinas nicht hinnehmen wollen, solange es nicht westlichen Modellen folgt.
So war wieder die Rede von „verschärftem globalem Wettbewerb“ und „internationalem Systemwettstreit“, in dem Deutschland und die EU „ihre ökonomische Stärke“ neu begründen sollten und ihre „Werte“ entschlossen verteidigen. Es gehe um „Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten“ und „eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern“. Antworten darauf, weshalb sich die Welt in einem „Systemwettstreit“ befinde und gegen wen diese „Werte“ verteidigt werden müssten, blieb das Papier schuldig. Mit dem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 war Russland in die „zweite Brzeziński-Falle“ des Westens getappt 1 und erfüllte fortan die Erwartung, der beschworene Feind zu sein.
Im Koalitionsvertrag wurde Deutschland als „verlässlicher Partner in Systemen kollektiver Sicherheit“ deklariert. Wären UNO oder OSZE gemeint, wäre das richtig. Das findet sich jedoch unter „Verteidigung und Bundeswehr“. Kontext ist die NATO; die aber ist keine Einrichtung der „kollektiven Sicherheit“, sondern eine Organisation zum gemeinsamen Militäreinsatz. Ein System kollektiver Sicherheit schließt den tatsächlichen oder angenommenen Gegner mit ein, ein System kollektiver Verteidigung richtet sich gegen Dritte.
Ähnlich beim Thema Atomwaffen: „Unser Ziel bleibt eine atomwaffenfreie Welt (Global Zero) und damit einhergehend ein Deutschland frei von Atomwaffen.“ Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen von deutschem Boden war eine Forderung der FDP unter Guido Westerwelle und Gegenstand des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und FDP von 2009. Angela Merkel hatte das später kassiert. Der Ampel-Vertrag bekräftigte die Aufhebung. Schlimmer noch, Kanzler Scholz vereinbarte 2024 mit den USA, wieder US-amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, die in kürzester Zeit Moskau erreichen können. Damit würde die Bedrohungslage wiederhergestellt, wie sie Mitte der 1980er Jahre bestand. Scholz hat Deutschland zum exklusiven Ziel russischer Atomschläge gemacht – und den eigenen Koalitionsvertrag zerrissen.
Die NATO wurde zur „unverzichtbare[n] Grundlage unserer Sicherheit“ erklärt, das Bekenntnis „zur Stärkung des transatlantischen Bündnisses“ erneuert. Das sollte eine weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben einschließen. Zu Atomwaffen weiter: „Solange Kernwaffen im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“
Meint, Deutschland unterstützt die NATO-Position der Beibehaltung der Atomwaffen und will auch künftig bei der „Nuklearen Teilhabe“ mitreden. Das schließt die Beteiligung an den NATO-Befehlsstrukturen und das Vorhalten entsprechender Träger-Kapazitäten der Bundeswehr mit ein. Das Lippenbekenntnis zur atomwaffenfreien Welt war nicht das Papier wert.
Die Ampel-Regierung setze sich auch „für den Schutz der Unabhängigkeit und autonomen Handlungsfähigkeit der Menschenrechtsinstitutionen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)“ ein, hieß es. Die OSZE hätte nach dem Kalten Krieg zu einer echten Regionalorganisation der kollektiven Sicherheit im Sinne der UNO-Charta – ohne NATO – werden sollen. Da deren Auflösung verhindert wurde, wurde die OSZE eine nachrangige Einrichtung zur Beaufsichtigung der Menschenrechtslage in Europa. Auch dies wurde mit dem Koalitionsvertrag erneut fortgeschrieben.
In Bezug auf die Europäische Union wurde Deutschlands „besondere Verantwortung“ als größter Mitgliedsstaat hervorgehoben. Es müsse „als Stabilitätsanker weiterhin seiner Vorreiterrolle in Europa gerecht werden“. Zur Zukunft der EU hieß es, sie solle „zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ weiterentwickelt werden. Abgesehen davon, ob dies je das Bundesverfassungsgericht passieren würde, was nach dem Urteil zum Maastricht-Vertrag von 1993 zu bezweifeln ist, wird auch hier deutlich, dass die Herrschenden in Deutschland und der ab 2021 regierende vergrünte Teil ihrer politischen Klasse in der Auseinandersetzung mit den USA und China eine einheitlichere Handlungsfähigkeit der EU anstreben. Dazu dienten auch die anvisierte Stärkung des „EU-Außenministers“, die weitere Abschaffung der Einstimmigkeit von EU-Beschlüssen und die Stärkung des „Europäischen Auswärtigen Dienstes“.
Waren die Passagen zu Bundeswehr und Militär recht lang, hatten die Koalitionäre für „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“ ganze fünf Zeilen übrig. Die Ukraine, Georgien und Moldawien sowie der Westbalkan sollten stärker an die EU gebunden werden. Bei Lippenbekenntnissen „für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967“ war klare Aussage zu Israel, seine Sicherheit sei „für uns Staatsräson“. Das wurde seit 2023 trotz aller Kriegsverbrechen Israels hart durchgezogen. Zu Afghanistan, Afrika und Lateinamerika gab es nur warme Worte, zu China die bekannten Leerformeln von „Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität“.
Am Tage der Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler am 8. Dezember 2021 warnte Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor der neuen Außenministerin Baerbock, insbesondere vor Konfrontationen mit China und Russland. Beide seien ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates; die Vorstellung, Deutschland könnte sie isolieren, sei absurd. Man müsse in der Sicherheitspolitik europäischer denken und zugleich „vernünftige Beziehungen zu China, zu Russland aufrechterhalten“.
Wendische Wandlung
Mit „Zeitenwende“ beschrieb Bundeskanzler Scholz am 27. Februar 2022 in einer Regierungserklärung die Zäsur, die der russische Angriff auf die Ukraine für Deutschland bedeute. Was hier als Drohung artikuliert wurde, war eine rasante Anpassung an die Konfrontationsstrategie der USA und der NATO gegenüber Russland (und China).
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ERHARD CROME (Jg. 1951) hat am Institut für Internationale Beziehungen in Potsdam-Babelsberg studiert. 1987 Habilitation. Von 2002 bis 2016 Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Geschäftsführender Direktor des WeltTrends-Instituts für Internationale Politik, Potsdam. Der Politikwissenschaftler publizierte in Verlagen der Eulenspiegel-Verlagsgruppe mehrere Bücher.
1 Erhard Crome, Russlands ukrainischer Krieg. Die Ursachen und die Folgen, Berlin 2022, S. 20