Innenpolitik

Zug der Erinnerung – Gedenken an NS-Kinderdeportationen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1187172577

von Elke Groß, 13. August 2007:

Zum Gedenken an die Deportation von über 12.000 jüdischen Kindern und an die Verschleppung von Kindern und Jugendlichern aus zahlreichen anderen Opfergruppen während des Faschismus soll ab diesem Herbst ein sogenannter Zug der Erinnerung durch Deutschland fahren. Die als Zugstafette organisierte Fahrt wird von einem gemeinnützigen Bürgerverein koordiniert (1). Während seiner mehrmonatigen Reise soll der Zug teilweise dieselben Strecken befahren, auf denen damals auch die Deportationszüge rollten; dabei werden die Heimatorte der verschollenen Kinder angesteuert. Als Haltebahnhöfe sind bisher über 20 Städte in den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen vorgesehen (2). Weitere Stationen sind laut den Veranstaltern möglich (3).

Der „Zug der Erinnerung“ enthält eine mobile Ausstellung über das – in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet gebliebene – Schicksal der deportierten Kinder. Wie viele der etwa drei Millionen Deportierten Kinder waren, ist unbekannt. Über 12.000 deportierte deutsche Kinder und Jugendliche hat der Bürgerverein, der sich ebenfalls „Zug der Erinnerung“ nennt, bisher identifiziert. Die meisten der jugendlichen NS-Opfer kamen aus jüdischen Elternhäusern. Aber auch Kinder von Sinti und Roma und Kinder von politisch Verfolgten wurden verschleppt. Während in den Bahnhöfen auf den Nachbargleisen damals der alltägliche Zugverkehr rollte, ließ das NS-Regime die Kinder mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager im Osten bringen – oft am hellichten Tage. Wie viele der Kinder die Deportation überlebten, ist ebenfalls bis heute unerforscht geblieben, Tausende gelten als vermißt. Schätzungen gehen laut dem Bürgerverein davon aus, daß „über eine Million Kinder und Jugendliche aus fast sämtlichen Staaten Europas mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager befördert wurden“. (4)

Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Dreßen ist bei mehreren Wissenschaftsprojekten über die sogenannte Arisierung jüdischen Vermögens auf die Spuren verschleppter Kinder gestoßen. So wurde nach der Vertreibung deutscher Juden aus ihren Wohnungen und der Plünderung und anschließenden Versteigerung des jüdischen Eigentums sogar Spielzeug der gerade verschleppten Kinder versteigert. Es waren nicht selten die deutschen Nachbarn, die das Kinderspielzeug dann ersteigerten. „Der ‚Zug der Erinnerung’“, so Prof. Wolfgang Dreßen, „wäre ein geeigneter Ort, um auf die Plünderung der letzten Lebenszeugnisse dieser Kinder aufmerksam zu machen.“ (5)

Fotos, Archivbelege und mündliche Berichte über die betroffenen Kinder sollen in mehreren Waggons des Zuges ausgestellt werden. Mit dieser Ausstellung wollen die Organisatoren insbesondere junge Menschen dazu anregen, sich an der Spurensuche nach örtlichen Lebenszeugnissen der jugendlichen NS-Opfer zu beteiligen. Die Ergebnisse der Spurensuche sollen dann am Ende der Reise zur Gedenkstätte Auschwitz gebracht werden, dorthin, wo die meisten der Deportierten ihr Leben verloren. Den letzten Abschnitt der Fahrt – zwischen dem Grenzbahnhof Görlitz und dem polnischen Oswiecim (Auschwitz) – können Teilnehmer der bundesweiten Spurensuche begleiten. Der Zug wird die Gedenkstätte am 27. Januar 2008, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers, erreichen.

Der „Zug der Erinnerung“ ist die Fortsetzung der Bemühungen engagierter Bürgerinitiativen, eine auf französischen Bahnhöfen gezeigte Ausstellung über deportierte Kinder und Jugendliche auch auf deutschen Bahnhöfen zu präsentieren. Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, hatte sich mehr als zwei Jahre lang geweigert, deutsche Bahnhöfe für die Ausstellung zu öffnen (6). Nach zahlreichen öffentlichen Protesten, der für sein Unternehmen schlechten Auslandspresse und des Drucks von Seiten der Bundesregierung sah sich Mehdorn schließlich zu Zugeständnissen gezwungen. Ende vergangenen Jahres kündigte die Bahn AG dann an, gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium, eine eigene Ausstellung zu zeigen, mit dem Ziel, die Rolle der Reichsbahn im Holocaust aufzuzeigen (7). Im Mittelpunkt stehe dabei – wie die Bahn-Veranstalter angeben – ebenfalls das unermeßliche Leid der deportierten Kinder (8). Eröffnet werden soll diese Wanderausstellung in Berlin am 27. Januar 2008, dem offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Es ist derselbe Tag, an dem in Auschwitz der „Zug der Erinnerung“ sein Ziel erreichen wird. Dabei soll das Gedenken an die im Faschismus deportierten jungen Menschen kein Schlußpunkt sein, so die Initiatoren des Projekts, die damit insbesondere Jugendlichen Mut machen wollen, sich politisch gegen die neuerliche Verbreitung faschistischer Ideen und die Verklärung der Geschichte des Holocaust zu engagieren.
Denn, so die Initiatoren des Projekts:
„Auschwitz war nicht für alle (deportierten Kinder) das Ende. Hunderte konnten gerettet werden, weil ihnen Zufälle und Menschen halfen. Wenn der Zug der Erinnerung von dort zurückkehren wird, dann mit dieser Botschaft: Dass der Plan der Vernichtung, der umfassend sein sollte, gescheitert ist: Wegen der Kinder, die dem Morden entkamen und wegen der Namen, der vielen Gesichter, die (…)aus dem Vergessen in die Gegenwart zurückgeholt“ werden (9).

(1) http://www.zug-der-erinnerung.eu/
(2) http://www.zug-der-erinnerung.eu/strecke.html
(3) Um der deportierten Kinder zu gedenken und die Suche nach ihren Spuren vor Ort anzuregen, können Initiativgruppen, Organisationen und auch Netzwerke einzelner Interessierter den „Zug der Erinnerung“ anfordern (Kontakt: info@zugde.eu ). Das Projekt wird organisatorisch und finanziell von Initiativen in zahlreichen deutschen Städten getragen, unter finanzieller Beteiligung auch von Gewerkschaftsverbänden, Stiftungen und Gedenkstätten. Nach Berechungen der Veranstalter entstehen Kosten in Höhe von 90 Euro pro Kilometer. Streckenpatenschaften können übernommen werden. Weitere Informationen unter: http://www.zug-der-erinnerung.eu/spenden.html
(4) http://www.zug-der-erinnerung.eu/presse.html
(5) http://www.zug-der-erinnerung.eu/erinnerung.html
(6) http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EC9D2BBB00B974F89BE9A035FEFA90363~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(7) http://www.faz.net/s/RubF7538E273FAA4006925CC36BB8AFE338/Doc~EADE591498019425E9C217A3E836F5A58~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(8) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,451973,00.html
(9) Zug der Erinnerung. Konzept eines europäischen Projekts, 2007; vgl.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56942

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Innenpolitik „Freiheit statt Angst“ – Verfassungsbeschwerde gegen Datenspeicherung auf Vorrat
Nächster Artikel Innenpolitik Ministerien verweigern Auskünfte – SPD-Abgeordnete klagen gegen eigene Regierung