Innenpolitik

Wohin geht die SPD?

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Der Niedergang der Sozialdemokratie und die Arbeiterklasse –

Von ULRICH RIPPERT, 2. Oktober 2009 –

Der Absturz der SPD auf 23 Prozent bei der Bundestagswahl hat vielfältige Reaktionen und Debatten ausgelöst. Viele Kommentare schüren die Hoffnung, die SPD möge sich in der Opposition regenerieren und wieder an Stärke gewinnen.

Linksparteichef Gregor Gysi hat die SPD aufgefordert, die Oppositionsrolle zu nutzen, um sich zu "resozialdemokratisieren". Sein Parteifreund Oskar Lafontaine schlägt eine sozialdemokratische Erneuerung der SPD vor.

Auffallend an dieser Diskussion ist das Hantieren mit abstrakten Begriffen und Phrasen. Es wird so getan, als sei die SPD von ihrer ganzen Geschichte und Tradition her eine Interessensvertretung der Arbeiterklasse, die in den vergangenen Jahren bedauerlicherweise vom Pfad der sozialdemokratischen Tugenden abgekommen sei, nun aber auf diesen zurückfinden könne und werde.

Niemand wagt es, der Realität ins Auge zu blicken und die Frage zu beantworten: Was ist die SPD? Denn eine gewissenhafte Untersuchung ihres Programms, ihrer Politik und ihrer sozialen Orientierung macht deutlich: Die SPD ist eine rechte, bürgerliche Partei. Sie hat in den vergangenen elf Regierungsjahren soziale Angriffe durchgeführt und demokratische Rechte abgebaut wie keine konservative, das heißt unionsgeführte Regierung vor ihr. Sie brüstet sich auch heute damit, dass sie im Bündnis mit den Grünen die "Sozialreformen" – sprich den Sozialabbau – verwirklicht hat, die von den Wirtschaftsverbänden gefordert wurden und zu denen die Kohl-Regierung am Ende ihrer Amtszeit nicht mehr fähig war.

Rot-Grün hat mit den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 Billiglohnarbeit im großen Stil eingeführt, die Tariflöhne untergraben, eine Spirale der Lohnsenkung und des Sozialdumping in Gang gesetzt und damit Massenarmut und Elend erzeugt. Auf der anderen Seite hat sie die Steuern für Unternehmen und Reiche stark gesenkt und damit die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben beschleunigt. In den sieben Jahren der Schröder-Regierung sank der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent.

Der sozialdemokratische Finanzminister, der unter Verweis auf die leere Staatskasse ein Sparprogramm nach dem anderen verwirklichte, stellte den Banken 480 Milliarden Euro zur Absicherung ihrer riskanten und teilweise kriminellen Spekulationsgeschäfte zur Verfügung. Nicht ein einziger Bankmanager ist für die Verluste und den gesellschaftlichen Schaden, den er angerichtet hat, zur Verantwortung gezogen worden. Das Willy-Brandt-Haus rühmt sich stattdessen seiner guten Beziehungen zur Finanzaristokratie.

Gleichzeitig hat die SPD im Bündnis mit Grünen und Union die Bürgerrechte drastisch eingeschränkt und die Bundeswehr in internationale Kriegseinsätze geschickt. Seit acht Jahren unterstützt sie den Krieg in Afghanistan und bemüht sich, den imperialistischen Charakter dieses Kriegs mit humanitären Phrasen zu verschleiern. Der ehemalige sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck hat erst kürzlich in einer Parlamentsrede erklärt, er könne den anhalten Widerstand der Bevölkerung gegen diesen Krieg nicht länger ertragen.

Bedeutet diese rechte Politik der SPD, dass zwischen ihr und der FDP kein Unterschied besteht und der Wahlsieg der schwarz-gelben Koalition am vergangenen Sonntag sogar begrüßt werden sollte? Keineswegs.

SPD und FDP sind ebenso wie CDU und CSU rechte bürgerliche Parteien, doch sie haben eine unterschiedliche Geschichte und erfüllen unterschiedliche Funktionen. Die SPD war und ist bemüht, die Politik des Sozialabbaus so zu gestalten, dass sie den Widerstand der Arbeiterklasse unter Kontrolle halten kann. Sie stützt sich dabei auf die Gewerkschaften, deren betriebliche Strukturen jede ernsthafte Opposition von unten im Keim ersticken. Auf diese Weise ist sie in Zeiten der Krise ein ausgesprochen wichtiges Instrument zur Sicherung der bürgerlichen Herrschaft.

Die wesentlich kleinere FDP stützt sich auf einen Teil der gehobenen Mittelschicht. Sie hat sich vor einigen Jahren nicht zufällig als "Partei der Besserverdienenden" bezeichnet. Entstanden nach dem Krieg aus den Resten der Nationalliberalen Partei und der Deutschen Volkspartei hatte sie immer einen starken deutsch-nationalen Flügel. In der Ära von Willy Brandt dominierten die sozial-liberalen Kräfte in der FDP. Doch unter der Führung von Parteichef Guido Westerwelle und Generalsekretär Dirk Niebel hat die Partei ein ausgesprochen wirtschaftsliberales Profil entwickelt und ist zum Sprachrohr der egoistischsten und arrogantesten Teile der gehobenen Mittelklasse geworden.

Am Sonntag hat nun die Westerwelle-FDP im Bündnis mit dem rechten Wirtschaftsflügel der Union deutlich an Einfluss gewonnen und bereitet mit ihren Forderungen nach Deregulierung, Privatisierung und Steuersenkungen eine Regierung vor, die den Sozialabbau dramatisch verschärfen wird.

Die politische Verantwortung für diesen Rechtsruck liegt in vollem Umfang bei der SPD. Die kommende Regierung der sozialen Konfrontation ist das Ergebnis der jahrelangen sozialen Angriffe, die unter sozialdemokratischer Verantwortung durchgeführt wurden. Die reaktionäre Politik der SPD hat den rechtesten politischen Kräften den Weg geebnet.

Die SPD wusste das, und darauf basierte ihr politisches Kalkül. In einem zynischen Wahlkampf betonte sie immer wieder, an der "Agenda-Politik" werde nicht gerüttelt. Allerdings hoffte die SPD, am Ende werde es für die Fortsetzung der Großen Koalition reichen, um in gewohnter Weise durch Zusammenarbeit der beiden größten Parteien und gestützt auf die Gewerkschaften den Sozialabbau durchzusetzen.

Am Wahlabend zeigte sich aber, dass der rechte Kurs der SPD noch ein weiteres Ergebnis hatte. Millionen Wähler verweigerten ihr die Stimme. Vor allem in den traditionell sozialdemokratischen Hochburgen verlor die Partei massiv. Auf der anderen Seite sind Teile der gehobenen Mittelklasse in Bewegung geraten. Beunruhigt durch die Wirtschaftskrise, fürchten sie um ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung. Sie unterstützten die FDP in der Hoffnung, die Last der Krise auf die unteren gesellschaftlichen Schichten abzuwälzen.

Die Wirtschaftsverbände nutzen diese Wechselstimmung in Richtung Schwarz-Gelb, um eine Regierung zu installieren, deren sozialen Angriffe sehr viel weiter gehen als die der bisherigen Großen Koalition. Sie betrachten die Wirtschaftskrise als Chance, mit den Überbleibseln des Sozialstaats aufzuräumen und den Begriff "sozial" ein für allemal aus der Marktwirtschaft zu streichen.

Mit dem Regierungswechsel beginnt damit ein neues Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung. Große Klassenkämpfe stehen jetzt auf der Tagesordnung. Der CDU/CSU-Wirtschaftsflügel macht ebenso wenig einen Hehl daraus wie die FDP, dass die neue Regierung dem Diktat der Wirtschaftselite folgen wird.

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Viele Beobachter in Politik und Wirtschaft sind beunruhigt und warnen vor großen gesellschaftlichen Erschütterungen. Einige klammern sich an Merkels Äußerung am Wahlabend, sie wolle "die Kanzlerin aller Deutschen" sein. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Angela Merkel den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sozialen Ausgleich erhalten soll, ist grotesk. Die Kanzlerin hat schon 2003 ihre Wendigkeit unter Beweis gestellt, als sie auf dem Leipziger Parteitag mit den Marktliberalen um Friedrich Merz paktierte und für die Einführung einer Kopfpauschale in der Krankenversicherung eintrat.

Quelle:  http://www.wsws.org

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