„Wir stehen für eine radikale Kritik“
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Ein Gespräch mit JONAS SCHIESSER, 25. April 2013 –
Am 1. Mai findet in Berlin-Kreuzberg die „revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ statt. Sie gilt als der größte regelmäßige Protestmarsch der Linken der Bundesrepublik, im letzten Jahr sprachen die Veranstalter von etwa 25 000 Teilnehmern. In den Fokus der Mainstreammedien gerät sie dabei meistens nur als „Krawalldemo“. Thomas Eipeldauer sprach mit Jonas Schiesser, dem Sprecher der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB), über Inhalt und Form der Grußkundgebung.
Hintergrund: Pünktlich zur Kreuzberger Demonstration am 1.Mai hat die Medienberichterstattung der Hauptstadtpresse begonnen. Springers Bild schreibt von einem „Kampfplan der 1.-Mai-Chaoten“, die Polizei meint, sich auf „gewalttätige Zwischenfälle“ einstellen zu müssen. Von den Inhalten ist dagegen wenig die Rede. Wogegen und wofür gehen Sie auf die Straße?
Jonas Schiesser: Der revolutionäre 1. Mai in Berlin-Kreuzberg steht seit 26 Jahren für eine radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Die Zehntausenden Menschen, die sich seit Jahren trotz Pressehetze und Polizeigewalt an der Demonstration beteiligen, tragen ihre Überzeugung auf die Straße, dass die grundlegenden Probleme, vor denen wir stehen, ohne Überwindung des Kapitalismus nicht zu lösen sind. Umweltzerstörung, Armut, Krise und Kriege bekommen wir nicht weg ohne revolutionären Bruch.
Hintergrund: Das klingt sehr allgemein. Wo liegen dieses Jahr konkret die Schwerpunkte?
Jonas Schiesser: Im Mittelpunkt steht der Protest gegen das vor allem von der deutschen Bundesregierung vorangetriebene Austeritätsregime, das die Bevölkerung der südeuropäischen Peripherieländer in die Armut treibt. Wenn man sich ansieht, was hier durchgesetzt wird, darf man nicht schweigen: Lohnkürzungen, Massenarbeitslosigkeit, eine faschistoide Flüchtlingspolitik. Auch Gewerkschaftsaktivisten, Kollegen und Kolleginnen aus Griechenland werden sich dieses Jahr an der Demonstration beteiligen. Ein zweiter Schwerpunkt werden die Proteste der Flüchtlinge sein. Hier hat sich in den vergangenen Monaten eine breite Bewegung entwickelt, die Flüchtlinge wollen die rassistische und diskriminierende Behandlung, der sie in Deutschland ausgesetzt sind, nicht mehr länger hinnehmen.
Drittens wird es um Mieten gehen. Auch hier gab es in den letzten Wochen eine Reihe von Auseinandersetzungen, wenn man zum Beispiel an den wachsenden Widerstand gegen Zwangsräumungen denkt. Natürlich gibt es daneben noch andere Themen: Antimilitarismus, Geschlechterdiskriminierung und der Kampf gegen Überwachung und staatliche Repression. All diese Initiativen beteiligen sich mit eigenen Blöcken an der Demonstration, sie haben ihre eigenen Gründe, auf die Straße zu gehen. Was alle eint, ist, dass wir genug haben von jenen Zuständen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, um´s mit Marx zu sagen.
Hintergrund: Diskussionen gab es dieses Jahr vor allem wieder um die Route der Demonstration. Diese soll ja wie 2012 nach Mitte gehen. Was versprechen Sie sich davon?
Jonas Schiesser: Für uns macht es Sinn nach Mitte zu gehen, weil es zu den Themen passt, die wir ins öffentliche Bewußtsein rücken wollen. Wir wollen den Protest ins „Herz der Bestie“ tragen, dies vor allem in Solidarität mit den gegen die deutsch-europäischen Spardiktate kämpfenden Bevölkerungen Spaniens, Griechenlands, Portugals. Deswegen planen wir, unsere Abschlusskundgebung vor dem Büro der EU-Kommission am Brandenburger Tor zu machen. Außerdem ist es ja so, dass das politische Zentrum der autoritären Krisenpolitik in Europa hier in Berlin liegt, deshalb finden wir es sinnvoll, unsere Wut und unseren Widerstand dahin zu tragen, wo die Entscheidungen zur Verarmung der Menschen in den Peripheriestaaten und hierzulande getroffen werden. Außerdem sehen wir die Demonstration in einem Zusammenhang mit der Frankfurter Blockupy-Aktion Ende Mai, wo wir dann mit der EZB ja sozusagen das finanzpolitische Zentrum des Krisenregimes ins Visier nehmen.
Hintergrund: Meinen Sie, dass man im Unterschied zum letzten Jahr, als die Demonstration nach Auseinandersetzungen mit der Polizei auf der Hälfte der Strecke aufgelöst wurde, auch tatsächlich dort ankommen wird?
Jonas Schiesser: Es scheint ein starkes Interesse zu geben, die Demonstration nicht dorthin gehen zu lassen. Das konnten wir schon letztes Jahr beobachten, als die Polizei entschied 25 000 Menschen gewaltsam daran zu hindern, ihre Demonstration bis zum Ende durchzuführen. Das Komitee für Grundrechte hat uns bescheinigt, dass es ihrer Meinung nach eine politische Entscheidung war, die Demonstration aufzulösen und das ganze in keinem Verhältnis zu angeblichen Straftaten aus der Demonstration stand. Die Demospitze wurde angegriffen, es gab viele Verletzte, zur Legitimation wurden dann irgendwelche vermeintlichen Rohrbomben aus dem Hut gezaubert, die sich Wochen später als harmlose Pyrotechnik entpuppten.
Ob das dieses Jahr ähnlich laufen wird, wird davon abhängen, wie groß und entschlossen die Demonstration ist. Fest steht, dass Senat, Regierung und Polizei auch in diesem Jahr die Demonstration lieber in Kreuzberg festhalten, als vor ihrer eigenen Haustür haben wollen. Und insgesamt wird das Verhalten Demonstranten gegenüber immer repressiver, wenn wir zum Beispiel an Blockupy letztes Jahr denken, wo tausenden Menschen verboten wurde, Frankfurt überhaupt zu betreten. Klar ist aber auch, dass es sicherlich eine Menge Frustration geben wird, wenn dasselbe wie letztes Jahr geschieht, und man sich danach nicht aufregen sollte, falls diese Frustration sich auch Wege und Mittel sucht, um sich zu artikulieren.
Hintergrund: Wenn Sie davon sprechen, dass sich die Behörden immer repressiver verhalten, was bedeutet das dann für die Route dieses Jahr? Haben Sie sie genehmigt bekommen?
Jonas Schiesser: Teile der Route hat uns die Polizei jetzt schon verboten. Wir werden gegen diese Einschränkungen politisch und juristisch vorgehen. Abgesehen davon bemerken wir bereits jetzt eine Zunahme der Überwachung unserer Gruppe. Leute werden vom Verfassungsschutz angequatscht, es gibt sogenannte Gefährderansprachen, um die Leute einzuschüchtern. Jedes Jahr werden Dutzende Menschen nach dem 1. Mai mit Anzeigen überzogen. Man will ihnen so die Möglichkeit nehmen, als politische Subjekte zu handeln.
Das hat System: Seit 26 Jahren ist der 1. Mai so wie er für uns widerständige Praxis ist, für die Behörden Experimentierfeld für die Aufstandsbekämpfung. Was da jedes Jahr an Polizeiaufgebot auffährt, erinnert schon fast an Bürgerkriegsszenarien. Tausende Uniformierte, die ganz Kreuzberg einen Tag lang besetzen, eine Unmengen an Zivilpolizei, über 500 verdeckte Ermittler letztes Jahr, flächendeckende Kameraüberwachung, Wasserwerfer, Hubschrauber – das volle Programm.
Wie gereizt die Stimmung bei der Polizei ist, wird einem klar, wenn man bedenkt, dass letztes Jahr ein Uniformierter einen Zivilpolizisten verdroschen hat, einfach so, weil er nicht wusste, dass der andere auch einer ist. Eigentlich prügeln sie ständig auf irgendjemanden ein und erzählen danach, es seien irgendwelche Straftaten passiert.
Hintergrund: Sie sprechen viel über die Gewalt des Repressionsapparats. Wie halten Sie es selbst mit der Anwendung von Gewalt?
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Jonas Schiesser: Wenn Sie die Frage so stellen, kann ich nur sagen, dass ich die ganze Gewaltdebatte für verlogen halte. Wer übt denn wirklich Gewalt aus? Die, die in Griechenland die Leben hunderttausender Menschen zerstören, oder die, die dann am Syntagma-Platz versuchen die Polizeireihen vor dem Parlament zu durchbrechen? Die, die zehntausende an den EU-Außengrenzen krepieren lassen, oder die, die mal einen Stein in eine Bank werfen? In erster Linie sind die Verhältnisse gewalttätig, in denen wir leben. Und ob sich dann Menschen mit Gewalt wehren, hängt davon ab, ob es in der jeweiligen Situation Sinn macht. Keine Gewalt ist eben manchmal auch keine Lösung.
Konkret auf die Demo bezogen kann ich nur sagen, dass wir uns auf keinen Fall spalten lassen werden, in gute Friedliche auf der einen und böse Militante auf der anderen Seite. Im übrigen sind die einzigen, die auf dieser Demonstration in den letzten Jahren durch Gewalttaten geglänzt haben, die Beamten der deutschen Polizei.