„Wir haben genug von den Spielchen“
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Immer noch harren Flüchtlinge auf dem Dach der Berliner Gerhart-Hauptmann-Schule aus. Sie wollen ihre Rechte durchsetzen, auch gegen die Teile-und-Herrsche-Strategie der Grünen Bezirksverwaltung und ein martialisches Polizeiaufgebot –
Von THOMAS EIPELDAUER, 26. Juni 2014 –
„Wir kommen nicht runter, bis sie uns unsere Rechte geben. Wir haben genug von den Spielchen der Berliner Politiker.“ Flüchtlinge halten das Dach der Schule besetzt. |
Monatelang haben Flüchtlinge in Berlin einen politischen Kampf geführt. Mit Hungerstreiks, Demonstrationen und Erklärungen. Und auch durch die Besetzung der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule sowie des Kreuzberger Oranienplatzes. Beide Orte dienten nicht nur als selbstorganisierte Unterkunft, sondern erfüllten auch den Zweck, das von den politisch Verantwortlichen unsichtbar Gehaltene sichtbar zu machen. Abschiebungen, Lagerunterbringung, Diskriminierung und Residenzpflicht – dagegen wehren sich die Refugees und ihre Unterstützer.
Nachdem der Oranienplatz schon vor einigen Wochen geräumt worden war, ist nun seit Montagvormittag die Gerhart-Hauptmann-Schule umkämpft. Wie bei der Beseitigung des Protestcamps am Oranienplatz kommt auch hier eine Teile-und-Herrsche-Strategie zur Anwendung. Die Bezirksbürgermeisterin, Monika Herrmann von den Grünen, machte in Kooperation mit dem Berliner Senat den Flüchtlingen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Sie sollten weg, anderswohin. Das sei auch alles ganz freiwillig, um eine Räumung handle es sich nicht, sondern eher um einen „Umzug“.
900 Umzugshelfer
Um zu „helfen“, bei diesem „freiwilligen Umzug“, sind dann auch 900 Polizisten angefordert worden. Die Ohlauer Straße, in der sich die Schule befindet, wurde weiträumig mit Gittern abgeriegelt, einige der aus verschiedenen Bundesländern kommenden Beamten waren mit scharfen Maschinenpistolen ausgerüstet, andere griffen schon wenige Stunden nach Beginn der „Sicherungsmaßnahme“ zum Pfefferspray, um unliebsame Demonstranten zu vertreiben. Die Presse wurde ausgesperrt oder nur äußerst selektiv zur Schule gelassen, insgesamt vermittelte man den Eindruck, als habe man sich schon gedacht, dass der Umzug so „freiwillig“ dann doch nicht sein würde.
Die Gründe dafür sind nicht schwer zu erraten: Bereits im Falle der Oranienplatz-Räumung hatte man den Flüchtlingen Versprechungen gemacht, die in der Folge schamlos gebrochen wurden. „Der Oranienplatz war kein Selbstzweck, niemand hat dort gern gewohnt – ebenso wenig wie in der Schule. Entscheidend ist, was letztlich mit den Leuten geschieht. Und nach allem, was bisher absehbar ist, wird von der Vereinbarung mit Sozialsenatorin Dilek Kolat am Ende rein gar nichts für die Flüchtlinge vom Oranienplatz übrig bleiben. Die von Innensenator Henkel vorgegebene Generallinie ‚keine Sonderbehandlung’ heißt für die Flüchtlinge oft schlicht: Abschiebung“, kommentierte Christian Jakob in der taz. (1)
Und genauso wie im Fall des Oranienplatzes erweist sich auch jetzt wieder die Verhandlungsbereitschaft von Bezirk und Senat als Heuchelei. Schon kurz nach Anlaufen der Aktion wurde klar, dass keineswegs alle Flüchtlinge gewillt waren, die Fahrt ins Ungewisse in den bereitgestellten Bussen anzutreten. Verschiedenen Angaben zufolge sind es zwischen 40 und 90 Menschen, die in der Schule ausharren. Sie begannen, sich im Haus zu verschanzen und das Dach zu besetzen. „Wir kommen nicht runter, bis sie uns unsere Rechte geben. Wir haben genug von den Spielchen der Berliner Politiker“, sagte einer der Besetzer bei einer improvisierten Pressekonferenz per Telefon. „Wir vertrauen denen nicht, wir kommen nicht raus! Sie werden dasselbe mit uns machen wie am Oranienplatz“, ergänzte eine andere Geflüchtete. (2)
Kriminalisierung der Besetzer
„Wenn die Polizei das Haus betritt, sind wir bereit, uns selbst zu töten.“ |
Was nun begann, hat Tradition. Diejenigen, die das „Angebot“ des Bezirks nicht annehmen wollten, werden kriminalisiert. „Wir hatten kein Problem mit den Flüchtlingen, nur mit den Aktivisten“, teilt Sozialsenator Mario Czaja (CDU) mit. Diejenigen, die geblieben sind, seien ohnehin nur von „Linksextremisten“ instrumentalisierte Marionetten, so der Tenor der Verantwortlichen. „Linke, krawallorientierte Radikale“ seien dabei, die Flüchtlinge zu instrumentalisieren, hetzt Czaja im Interview mit dem rbb. (3) Abgesehen davon, dass Czaja den Flüchtlingen in bester Kolonialmanier jedwede Eigenständigkeit abspricht, sollen derartige Formulierungen die Öffentlichkeit offensichtlich auf eine zu erwartende Eskalation vorbereiten.
Bilder von Flüchtlingen mit vermeintlichen Molotow-Cocktails gehen durch die Presse, der Sprecher des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Sascha Langenbach, soll Twitter-Berichten zufolge während einer Pressekonferenz die Besetzung der Schule mit dem Geiseldrama von Gladbeck 1988 verglichen haben. Dazu kommt, dass Monika Herrmann die Forderungen der Flüchtlinge – unter anderem die Gewährung eines Bleiberechts – ohnehin bereits für unerfüllbar erklärt hat. Es ginge nur noch darum, einen „Weg“ zu finden, wie man die Situation beende. Die Forderungen fallen großteils nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, meint sie.
Das lässt erwarten, dass sich der Bezirk entweder auf eine lange dauernde Belagerung einstellt, bei der versucht werden soll, die in der Schule Verbliebenen zu zermürben. Oder das eine gewaltsame Räumung durch die Polizei bevorsteht. Diese könnte dramatisch enden. In einem kurzen Brief erklären die Besetzer, sie wollten zwar niemand anderen verletzen, seien aber bereit, im Fall einer Räumung ihr eigenes Leben in die Waagschale zu werfen: „Wenn die Polizei das Haus betritt, sind wir bereit, uns selbst zu töten.“
Grüne stellen sich bloß
All das wertete Monika Herrmann gegenüber der Berliner Zeitung zunächst als „Erfolg“. (4) Dass ein Teil jener Bewohner der Schule, die von der Polizeiaktion überrascht und dann aus der Schule ausgesperrt wurde, die Nacht im Freien verbringen musste, dass es Verhaftungen von Unterstützern und Verletzte durch Pfefferspray gab, dass traumatisierte Menschen in einem von vermummten Bewaffneten belagerten Haus eingeschlossen werden – für die Bewertung durch die Berufspolitikerin, die im Verlauf ihrer Karriere ihren Weg von der Jungen Union über die SPD zu den Grünen fand, spielt das offenbar eine untergeordnete Rolle.
Der konsequente Widerstand der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer hat eines schon jetzt erreicht. Das politische Konzept der Grünen ist ein weiteres Mal vor einer breiten Öffentlichkeit bloßgestellt worden. Die Partei hat sich seit Jahrzehnten von ehemals linken Positionen weg entwickelt, zunächst außenpolitisch. Kriege wurden „normaler“ Bestandteil grünen Politikverständnisses, selbstverständlich immer hübsch bemäntelt in emphatischer Menschenrechtsrhetorik. Zugutehalten konnte man sich ja immerhin noch, innenpolitisch für jene einzutreten, die diskriminiert, ausgegrenzt und erniedrigt werden – zumindest solange man in der Opposition ist. Was passiert, sobald man „Verantwortung“ trägt, zeigt die laufende Räumung. Unter der dünnen Decke wohlfeiler Worte verbirgt sich auch bei den Grünen nichts weiter als die notfalls brutale Durchsetzung der Staatsräson. Monika Herrmann hat sich und ihre Partei entblößt. Das ist das einzige, was man ihr zugutehalten kann.
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Impressionen vor der Gerhart-Hauptmann-Schule: Der Sprecher des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg hatte am 26. Juni 2014 eigentlich zu einer Pressekonferenz vor der von Flüchtlingen besetzten Schule an der Ohlauer Straße geladen. Während er versucht zu erklären, warum es nicht möglich sei mit den Flüchtlingen zu sprechen, wird ein Unterstützer der Refugees, der den Journalisten Auskunft geben will, von der Polizei überwältigt und festgenommen. |
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Anmerkungen
(1) http://taz.de/Kommentar-Fluechtlingsraeumung-in-Berlin/!141081/
(2) http://www.vice.com/de/read/gruene-zermuerben-die-letzten-fluechtlinge-durch-polizeibelagerung
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(4) http://www.berliner-zeitung.de/berlin/besetzte-gerhart-hauptmann-schule-in-kreuzberg-senat-und-bezirk-wollen-mit-fluechtlingen-sprechen,10809148,27610944.html