Vertuschungsverdacht: Das Verschwinden eines Beweismittels macht aus dem Fall Uwe Barschel einen Justizskandal
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Von THOMAS WAGNER, 29. September 2011 –
Manchmal klingen reale Vorgänge so, als stammten sie direkt aus der Phantasie eines Thriller-Autors. Just in dem Moment, als sich die Anzeichen verdichteten, dass der mysteriöse Todesfall Uwe Barschel wieder ins Rollen kommen würde, verschwindet plötzlich ausgerechnet jenes Beweismittel, von dem man sich die meiste Aufklärung versprach.
Dabei handelt es sich um ein Haar, das 1987 nach dem Tod des früheren Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins in dessen Hotelzimmer in Genf sichergestellt worden war. Das nach Auskunft des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich eindeutig nicht von Barschel stammende Haar sollte im Landeskriminalamt Kiel einer DNA-Analyse unterzogen werden. Nach dieser Untersuchung wollte die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie das Verfahren wegen des Verdachts des Mordes an Barschel wieder aufnehmen will. Der Gerichtsmediziner Professor Michael Tsokos hatte zuvor erklärt: „Ein einzelnes Haar kann auch nach Jahrzehnten noch ausreichen, um die DNA eines Menschen zu bestimmen. Im Fall Barschel ist es auf jeden Fall einen Versuch wert.“ (1)
Neben der Vermutung, Barschel habe sich selbst vom Leben zum Tode befördert, sind ernst zu nehmende Theorien im Umlauf, dass Geheimdienste ihre Finger im Spiel gehabt haben könnten. Auch der frühere Chefermittler im Fall Barschel, Heinrich Wille, hält es für möglich, dass der Politiker von einem professionellen Killerkommando getötet wurde. Der ehemalige leitende Oberstaatsanwalt von Lübeck hatte nach jahrelangem Rechtsstreit im September 2011 unter dem Titel „Ein Mord, der keiner sein durfte: Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates“ im Schweizer Rotpunktverlag ein Buch über seine Einblicke in den Fall Barschel veröffentlicht.
Eine frühere Veröffentlichung war auf Betreiben von Schleswig-Holsteins Generalstaatsanwalt Erhard Rex verhindert worden. Dieser hatte im Oktober 2007 in einem Bericht zu den Thesen und Indizien der Befürworter der Mordthese Stellung genommen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die meisten Mordtheorien sich bei den Ermittlungen als haltlos herausgestellt hätten (2)
Freilich endet auch sein Bericht mit dem Satz: „Der Tod von Dr. Barschel bleibt rätselhaft.“
Nun erhalten die Mordtheorien unerwartet neues Gewicht. Denn schließlich handelt es sich bei der Manipulation von Beweismaterial um eine typische Methode verdeckt arbeitender Dienste.
Der heute zuständigen Justiz ist der haarige Vorgang sichtlich peinlich. Der Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft, Günter Möller, sagte am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Das Verschwinden ist sehr unangenehm und wir haben interne Ermittlungen eingeleitet, um herauszufinden, wann und wo das Asservat abhandengekommen ist.“ Der Oberstaatsanwalt sagte gegenüber der Tageszeitung Die Welt: „Derzeit prüfen wir, wer Zugang zu den Asservaten hatte.“
Das Verschwinden des Beweisstücks eröffne einer Verschwörungstheorie Tür und Tor, sagte Möller gegenüber NDR1 Welle Nord. (3) Die Welt spricht unterdessen von einem Justizskandal. (4) Der CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka, der die DNA-Untersuchungen in einem Brief an den parteilosen Justizminister Emil Schmalfuß angemahnt hatte, forderte Aufklärung über das Verschwinden des Haares. (5)
Nach Angaben von Möller war die Tüte mit dem einzelnen schwarzen Haar 1997 in Lübeck auf einer Asservatenliste erfasst und zusammen mit anderen Beweismitteln zum Fall Barschel in einem verschlossenen Raum verwahrt worden. Als sie im Sommer dieses Jahres zur Untersuchung nach Kiel geschickt wurde, war die Tüte aber leer.
Barschel war nach einem politischen Skandal und seinem Rücktritt am 11. Oktober 1987 tot in seinem Zimmer im Genfer Hotel „Beau Rivage“ gefunden worden. Die Todesumstände sind bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Sicher ist nur, dass er an einer Medikamentenvergiftung starb.
Der Schweizer Toxikologe Prof. Hans Brandenberger, der als einer der wichtigsten Gutachter im Fall Uwe Barschel gilt, vermutete in einem Beitrag für die Welt am Sonntag, dass der israelische Geheimdienst Mossad den CDU-Politiker ermordet haben könnte. Die chemischen Analysedaten stimmten bis in Details mit einem Mordablauf überein, den der ehemalige Agent des israelischen Geheimdienstes, Victor Ostrovsky, in seinem Buch „Geheimakte Mossad“ schildere.
Ostrovsky hatte behauptet, „Barschel sei Opfer eines Mossad-Tötungskommandos gewesen, weil er sich 1987 der Abwicklung geheimer Waffengeschäfte zwischen Israel und dem Iran im Transit über Schleswig-Holstein widersetzt habe und mit seinem Wissen über die Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu gehen drohte.“ (6) Der Toxikologe Brandenberger sieht in den chemischen Befunden Indizien für einen Mord. Es sei davon auszugehen, dass ein Profiteam am Werk gewesen sei. Ex-Agent Ostrovsky wiederum erklärte, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Tod Barschels überraschten ihn nicht. Er stehe den deutschen Strafverfolgungsbehörden jederzeit als Zeuge zur Verfügung, solange er dabei in den USA bleiben könne.
Auch Abū l-Hasan Banīsadr, ein ehemaliger Präsident des Iran, ist davon überzeugt, dass der CDU-Politiker Barschel „eine wichtige Rolle im Waffenhandel mit dem Iran gespielt“ habe.(7) Der südafrikanische Waffenhändler Dirk Stoffberg soll 1994 in einem Entwurf einer eidesstattlichen Versicherung angegeben haben, „Barschel sei vom späteren CIA-Direktor und heutigen amerikanischen Verteidigungsminister Robert Gates nach Genf bestellt worden. Barschel habe mit Enthüllungen gedroht, die mehrere Regierungen und Waffenhändler in Verlegenheit gebracht hätten. Ein psychologisches Gutachten kam zu dem Urteil, dass Stoffberg glaubwürdig sei. Seine eidesstattliche Erklärung konnte er allerdings nicht mehr abgeben. Er starb kurz davor, im Juni 1994. Offizielle Todesursache: Er und seine Freundin haben Doppelselbstmord begangen. Für den Verdacht, wonach der damalige CIA-Mann Gates am fraglichen Wochenende in Genf war, spricht noch eine andere Passage in der Ermittlungsakte. Dort heißt es, dass im Flugzeug, mit dem Barschel am 10. Oktober 1987 von Frankfurt nach Genf flog, auch ein Mister Gates gesessen habe. Sein Ticket erhielten die Lübecker Ermittler vom Kapitän der betreffenden Lufthansa-Maschine. Der inzwischen pensionierte Pilot will sich zu dem Thema nicht mehr äußern. Seine Frau sagte der Zeitung Die Welt, sie und ihr Mann seien bedroht worden.“ (8)
Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) könnte in den Fall verwickelt sein. Der Schweizer Privatdetektiv Jean-Jacques Griessen, der für den deutschen Agenten Werner Mauss gearbeitet hat, sagte aus, am Vormittag nach Barschels Tod mit Mauss telefoniert zu haben. Der Agent habe ihn aufgefordert, sich bereitzuhalten, „da etwas passiert sei“. Griessen habe dann nicht mehr befragt werden können, da er am 9. November 1992 in Zürich beim Zusammensein mit einer Prostituierten an einem Herzversagen verstarb. Am selben Tag habe er sich mit einem BKA-Mann und einem Mossad-Agenten treffen wollen. (9)
Nicht allzu verwegen erscheint vor diesem Hintergrund die Vermutung, dass eine ganze Reihe von Personen und Institutionen kein Interesse an einer wirklichen Aufklärung im Fall Uwe Barschel haben könnten. Freya Barschel, die Witwe des Politikers, scheint das jedenfalls so zu sehen. Sie will Strafanzeige gegen die Lübecker Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt stellen. Ihr Anwalt Justus Warburg bestätigte der Nachrichtenagentur dpa einen entsprechenden Bericht der Tageszeitung Die Welt vom Donnerstag.
Die Anzeige im Auftrag der Familie gehe noch am Mittwoch raus, sagte der Hamburger Rechtsanwalt. Die Welt zitiert ihn mit den Worten: „Das Verschwinden eines möglicherweise entscheidenden Beweisstücks ist weder ein Zufall noch eine Panne der Justiz. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass maßgebliche Kräfte, die seit Beginn des Todes an Dr. Uwe Barschel eine Aufklärung verhindern wollten, offenbar noch immer aktiv an der Vertuschung arbeiten.“ (10)
(1) http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13629871/Schwere-Justizpanne-im-Fall-Barschel.html
(2) http://www.schleswig-holstein.de/cae/servlet/contentblob/428688/publicationFile/doku_teil1_rex.pdf
(3) http://www.ndr.de/regional/schleswig-holstein/barschel127.html
(4) http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13629855/Fall-Barschel-Beweisstueck-verschwunden.html
(5) Vgl. http://www.ln-online.de/nachrichten/3248779/in-barschels-hotelzimmer-sichergestelltes-haar-verschwunden
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Barschel#cite_note-welt-zimmer-20
(7) http://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Barschel#cite_note-welt-zimmer-20
(8) Ebd.
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(9) Ebd.
(10) http://www.welt.de/politik/deutschland/article13631305/Witwe-stellt-Strafanzeige-gegen-Luebecker-Behoerde.html