Umbruch im linken Parteienspektrum: Das BSW als letzter Ausweg?
Mit der Spaltung der Linksfraktion im Bundestag, der Gründung des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) als politische Partei am 27. Januar 2024 und der Konstituierung von zwei linken Zusammenschlüssen im Bundestag mit Gruppenstatus (Die Linke mit 28 Abgeordneten und die Gruppe BSW mit 10 Abgeordneten) am 2. Februar 2024 ist der Umbruch im linken Parteienspektrum unübersehbar geworden
Erkennbar ist, dass die Trennung vom Wagenknecht-Lager weder den weiteren Niedergang der Linkspartei noch deren Mitgliederschwund noch die politische Zerstrittenheit in der Partei beendet hat. Es gibt vor allem erhebliche Differenzen zwischen dem Vorstand der Bundestagsgruppe Die Linke und dem Parteivorstand. Wohin die Dinge sich entwickeln, ist ungewiss. Antworten auf Wahlumfragen sehen Ende März die Partei Die Linke (PDL) zwischen zwei bis drei Prozent – Werte einer Kleinpartei; das »Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit« (BSW) zwischen vier bis sieben Prozent. Beide Parteien werden an den 2024 stattfindenden Wahlen teilnehmen. Vier kleinere linke Parteien werden bei den Europawahlen am 9. Juni dabei sein: Die Partei, die DKP, die Basisdemokratische Partei und die MLPD. Für die Europawahlen hatte das BSW bereits Ende Februar 18.000 Unterstützerstimmen gesammelt; 2000 waren notwendig. Nach den Europawahlen und den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September und in Brandenburg am 22. September werden wir sicherlich klarer sehen.
Ostpartei PDS wird zur PDL
Das in den Jahren 1989/1990 mit der deutschen Vereinigung begonnene Projekt einer kämpferischen sozialistischen Partei hatte eine feste soziale und politische Grundlage, zunächst nur im Osten Deutschlands. Die PDS verurteilte das im Zuge der Vereinigung an den Ostdeutschen begangene Unrecht. Sie vertrat die Interessen der Lohnabhängigen, setzte sich für einen demokratischen Sozialismus ein und bot im Bundestag der Militarisierung der Außenpolitik Paroli. 1994 und 1998 zog sie in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. 2002 bei den Bundestagswahlen erhielt sie nur noch vier Prozent der Zweitstimmen. Sie war und blieb eine »Ostpartei«.
Unter den Bedingungen der Volksbewegung gegen die neoliberale Agenda 2010 unter Gerhard Schröder (SPD), die mit einer tiefen Vertrauenskrise der SPD-Anhänger gegenüber der sozialdemokratischen Führung einherging (die SPD verlor 2009 allein 2 Millionen Wähler an die Nichtwähler und 1,1 Millionen an die Linkspartei), gelang dann der Aufbau einer gesamtdeutschen linken Partei mit Masseneinfluss.
2007 vereinigte sich die PDS mit der aus dieser Protestbewegung hervorgegangenen Partei WASG zur Partei Die Linke (PDL – auch: Linkspartei). Aus der Bundestagswahl 2009 ging diese als gesamtdeutsche Partei mit einem beachtlichen Ergebnis hervor: Mit den damaligen Vorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine erhielt sie bundesweit 11,9 Prozent der Zweitstimmen und selbst in Bayern 6,5 Prozent. Das waren mehr als 50 Prozent der Zweitstimmen der SPD. 18 Prozent der berufstätigen Arbeiter und 25 Prozent der Arbeitslosen stimmten für sie. Ihr Parteiprogramm von 2011 stand ganz im Zeichen der Strategie einer Gesellschaftsveränderung hin zu einem demokratischen Sozialismus: »Wir halten an dem Menschheitstraum fest, dass eine bessere Welt möglich ist. Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander zu unterscheiden sind.«
Es bekam der Linkspartei allerdings gar nicht, dass sie dann zunehmend auf Regierungsbeteiligung setzte und ihr Profil als Systemopposition sukzessive bis zur Unkenntlichkeit abschwächte. Sie wurde »jenen Parteien« immer ähnlicher, zu denen sie laut ihrem Programm gar nicht gehören wollte. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern setzte sie die seit 2001 beziehungsweise 2002 bestehende Regierungsteilnahme der PDS fort. In Brandenburg trat sie 2009 in die Landesregierung ein. In Thüringen stellt sie seit 2014 mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. In Bremen beteiligte sie sich 2019 an der Landesregierung. Sie verlor an Ansehen als systemoppositionelle und als Protest-Partei. 2017 trat sie dann auch bei der Bundestagswahl als »Regierungspartei im Wartestand« an. Es ist kein Zufall, dass etwa zu diesem Zeitpunkt auch ihr Ansehen als erste Adresse des politischen Protestes bei Wahlen verloren ging. Die rechtspopulistische AfD übernahm diese Rolle und zog 2017 mit 12,6 Prozent der Zweitstimmen in den Bundestag ein. Die Linke erhielt immerhin noch 9,2 Prozent der Zweitstimmen.
Überlebensuntergrenze unterschritten
Mit der Bundestagswahl vom 26. September 2021 nahm die Krise der Linkspartei einen existenziellen Charakter an. Mit bundesweit 4,9 Prozent der Zweitstimmen unterschritt sie die vom Bundesgesetzgeber festgelegte Überlebensuntergrenze von fünf Prozent. Dank der drei Direktmandate von Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin sowie Sören Pellmann in Leipzig zog sie dennoch mit 39 Abgeordneten und Fraktionsstärke in den Bundestag ein. In Westdeutschland hatte sich ihr Stimmenanteil gegenüber 2017 von 7,4 auf 3,7 Prozent halbiert. In Ostdeutschland rutschte sie von 17,8 auf 10,4 Prozent ab. Von den berufstätigen Arbeitern und den Arbeitslosen stimmten noch 5 bzw. 12 Prozent für sie. Dramatische Wählerbewegungen weg von der Linkspartei machten das ganze Ausmaß des Niedergangs deutlich. Sie verlor rund zwei Millionen Zweitstimmen: 590.000 gingen an die SPD, 470.000 an die Grünen, 370.000 zu den Nichtwählern und 110.000 zur AfD. Eine kritische Wahlanalyse des Anfang 2021 neu gewählten Vorsitzenden-Duos Janine Wissler und Martin Schirdewan blieb aus.
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