Innenpolitik

TV-Duell Merkel-Steinmeier

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Werben für die große Koalition –

Von PETER SCHWARZ, 15. September 2009 –

Das so genannte Fernsehduell zwischen den Spitzenkandidaten von CDU und SPD, das am Sonntagabend von vier großen Fernsehsendern gleichzeitig übertragen wurde, erwies sich als Werbeveranstaltung für eine Fortsetzung der großen Koalition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Stellvertreter Frank-Walter Steinmeier (SPD) verbrachten die meiste Zeit damit, die gemeinsame Politik der letzten vier Jahre als Erfolg zu verkaufen. "Wir haben vieles gut gemacht, aber das Gute kann noch besser werden", erklärte Merkel. Und Steinmeier wiederholte nahezu wortgleich: "Wir haben vieles gemeinsam erreicht, aber wir haben nicht alles erreicht."

Immer wieder verteidigten beide zusammen ihre gemeinsame Politik gegen kritische Fragen der vier Moderatoren. Die politischen Meinungsverschiedenheiten beschränkten sich auf Randfragen und blieben minimal. Im Vordergrund standen Allgemeinplätze, ohne dass sich einer der beiden Teilnehmer konkret auf etwas festgelegt hätte. Merkel erklärte den Staat zum "Hüter der Ordnung" und pries die "soziale Marktwirtschaft". Steinmeier beschwor die soziale Gerechtigkeit und eine neue Ethik in der Wirtschaft. Wichtige Themen wie Bildung, Familie, Umwelt und Außenpolitik blieben ausgespart.

Steinmeier erklärte zwar allgemein, die Große Koalition müsse in der Demokratie die Ausnahme bleiben, und beteuerte seinen Anspruch, die Regierung zu bilden, sagte aber nicht, mit welchem Koalitionspartner er dies tun wolle. Merkel bekannte sich pflichtgemäß zu einer Koalition mit der FDP. Doch inhaltlich untermauerte sie dies nicht. Sie erwähnte die FDP kaum und deren Vorsitzenden Guido Westerwelle überhaupt nicht. Auch FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wertete daher die 90-minütige Debatte "als Plädoyer für eine Fortsetzung der großen Koalition".

Ähnlich sahen es die meisten Zeitungskommentare. Laut Süddeutscher Zeitung war die Sendung "über weite Strecken eher eine Werbeveranstaltung für die Arbeit der großen Koalition in den vergangenen Jahren als ein ‘Duell’." Die Frankfurter Rundschau meinte: "Einen wirklich überzeugenden Grund, weshalb Merkel und Steinmeier nicht erneut in einer großen Koalition regieren können, erfährt man nicht." Und die Rheinische Post verglich Merkel und Steinmeier mit einem "Ehepaar, das sich scheiden lassen will, aber nicht so genau weiß, warum".

Ansonsten machten sich die meisten Kommentare über die gähnende Langeweile lustig, die Merkel und Steinmeier verbreiteten, und spotteten über ihren "Kuschelkurs". Nach einer ernsthaften Analyse, warum sie die große Koalition fortsetzen wollen, suchte man dagegen vergeblich.

Tatsächlich liegt hier der Schlüssel zum Verständnis der Debatte. Sowohl Merkel wie Steinmeier versuchten sorgfältig zu verschweigen, was nach dem 27. September auf die Wähler zukommt. Ihre Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Lage erinnerte an ein Luftschloss. Sie taten, als seien die schwersten Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise bereits überwunden, während sie in Wirklichkeit noch bevorstehen.

So hielten sie sich zugute, dass die Arbeitslosenzahl seit dem Amtsantritt der großen Koalition von knapp 5 Millionen auf 3 Millionen im vergangenen Jahr gesunken sei. Inzwischen liegt die Zahl der Arbeitslosen aber bereits wieder bei 3,5 Millionen und sie wird nach der Bundestagswahl aufgrund des Auslaufens von Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie rasant in die Höhe schnellen. Laut Voraussage der OECD wird sie im kommenden Jahr wieder über fünf Millionen liegen. Hinzukommen weitere Millionen, die aus den offiziellen Statistiken hinausgerechnet wurden oder ihre Existenz in prekären Arbeitsverhältnissen fristen.

Auch der Verkauf von Opel an den Zulieferer Magna, den sich sowohl Merkel wie Steinmeier als großen Erfolg zuschrieben, ist kennzeichnend für die Verlogenheit der Debatte. Inzwischen werden immer mehr Details darüber bekannt, dass die "Rettung" des Autokonzerns auf Kosten der Belegschaft erfolgt. So sollen in Deutschland 4.500 statt wie bisher behauptet 3.000 Stellen gestrichen werden. In England, Belgien und Spanien wird die Zahl der Entlassungen noch höher sein. Die Einzelheiten des Verkaufs sind zudem nicht geregelt, so dass er nach der Bundestagswahl leicht wieder platzen kann.

Auch die internationale Finanzkrise ist nicht überwunden. Der Spiegel gelangt in seiner jüngsten Ausgabe zum Schluss: "Der Krankheitserreger steckt weiter im System. Die staatlichen Hilfsgelder wirken wie Antibiotika. Sie unterdrücken die zerstörerische Wirkung des Erregers. Aber sie heilen nicht."

So haben die Banken nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erst ein Drittel ihrer wertlosen Papiere aus den Bilanzen entfernt. Die scheinbare Erholung vieler Banken ist vor allem darauf zurückzuführen, dass geltende Bilanzierungsregeln außer Kraft gesetzt wurden. In den USA werden inzwischen 416 Finanzhäuser von der staatlichen Einlagenversicherung als "Problembanken" eingeschätzt, 111 mehr als im letzten Quartal.

Kommt es zu einer weiteren Welle von Bankenpleiten, würden hunderte Milliarden Euro fällig, die die große Koalition in Form von Kapitaleinlagen, Krediten und Bürgschaften in marode Banken gesteckt hat. Durch die Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz hat sie bereits sichergestellt, dass die gigantischen Schulden der öffentlichen Haushalte auf Rentner, Kranke, Bedürftige und die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden.

Die kommende Regierung wird soziale Angriffe durchführen, die alles in den Schatten stellen, was die rot-grüne Koalition Gerhard Schröders mit der Agenda 2010 und die große Koalition Angela Merkels bisher in dieser Hinsicht unternommen haben. Merkels und Steinmeiers Geschwätz über Gerechtigkeit, soziale Marktwirtschaft und Wachstum hatte die Aufgabe, diese Pläne zu verschleiern.

Die vier Moderatoren des TV-Duells machten dieses Versteckspiel mit. Sie fielen Merkel und Steinmeier zwar immer wieder ins Wort, versuchten sie zu Ausrutschern zu verleiten und künstlich Kampfstimmung zu erzeugen. Doch den entscheidenden Fragen wichen sie ebenso aus wie die beiden Kandidaten. Lediglich Maybrit Illner stellte Steinmeier die Frage: "Müssten Sie nicht sagen, dass es härter wird als bei der Agenda 2010?" – um sie dann gleich wieder fallen zu lassen.

Steinmeier und Merkel verzichteten auf gegenseitige Attacken, weil sie die große Koalition für die sicherste Regierungsform halten, um die bevorstehenden sozialen Angriffe durchzuführen. Eine Regierungsbeteiligung der FDP mit ihrem Bekenntnis zum Neoliberalismus würde auf breite Bevölkerungsschichten wie ein rotes Tuch wirken. Vor allem den Gewerkschaften fiele es dann schwerer, der Regierung wie bisher uneingeschränkt den Rücken frei zu halten. Allerdings schließen weder CDU/CSU noch SPD eine Koalition mit der FDP aus.

Die Grünen und die Linkspartei stehen inzwischen bereit, die soziale Opposition aufzufangen und, sollte sich die politische Krise verschärfen, selbst einer Regierungskoalition beizutreten. Beide Parteien haben ihre Verlässlichkeit bewiesen, wenn es darum geht, das Haushaltsdefizit auf die Bevölkerung abzuwälzen – die Grünen in der Bundesregierung Gerhard Schröders und die Linkspartei im Berliner Senat.

Eine weitere Frage, die im TV-Duell völlig ausgeklammert wurde, ist der Krieg in Afghanistan. Keine zehn Tage vor dem Duell waren in der Nähe von Kundus bei einem von einem Bundeswehroffizier angeordneten Luftangriff über 100 Menschen getötet worden, darunter zahlreiche Zivilisten. Das Massaker von Kundus hat den Mythos zerstört, die Bundeswehr leite in Afghanistan Aufbauarbeit und führe keinen Krieg. In Wirklichkeit agiert sie als Besatzungsarmee und gerät dabei in wachsenden Konflikt mit dem Widerstand vor Ort.

SPD und CDU/CSU haben das Massaker von Kundus uneingeschränkt verteidigt. Inzwischen häufen sich die Forderungen, die Schlussfolgerungen zu ziehen und in Afghanistan "richtig" Krieg zu führen. So forderte die Süddeutsche Zeitung am Samstag, man müsse "die Bedingungen für den Einsatz grundlegend verändern". Die bisher erlaubten 4.500 Soldaten reichten nicht aus, die Bundeswehr müsse selbst Luftangriffe fliegen und die Soldaten bräuchten "mehr Rechtssicherheit" – sprich: sie sollen in Zukunft töten dürfen, ohne den Staatsanwalt zu fürchten.

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Kein Zweifel, dass solche Forderungen nach der Bundestagswahl in der Regierung Gehör finden. Aber auch darüber soll vor der Wahl nicht gesprochen werden.

Quelle: WSWS

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