Innenpolitik

Transitzonen light

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Die SPD stimmt zum dritten Mal in diesem Jahr einem Maßnahmenpaket zu, das massive Verschlechterungen für Flüchtlinge bedeutet –

Von THOMAS EIPELDAUER, 6. November 2015 – 

Die Unionsparteien hatten sich zuvor auf einen Plan zur Reduktion der Flüchtlingszahlen geeinigt, der unter anderem sogenannte Transitzonen vorsieht. Diese lehnen sich an bereits bestehenden Einrichtungen in Flughäfen an. Wenn eine Person ohne gültige Passdokumente per Flieger einreist, kann sie in den Transitzonen festgehalten werden, wo geprüft wird, ob ein Anspruch auf Flüchtlingsstatus oder Asyl besteht. In den Flughafenverfahren, die im Zuge der massiven Aushöhlung des Asylrechts 1993 eingeführt wurden, muss der Antragsteller direkt am Flughafen sein Gesuch gegenüber der Bundespolizei begründen. Bis über den Antrag entschieden ist, darf er die jeweilige Unterkunft nicht verlassen.

CDU und CSU hatten sich bereits Ende Oktober – auf Drängen vor allem des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer – geeinigt, ähnliche Transitzonen nun auch an den Landesgrenzen Deutschlands einführen zu wollen. Kritiker des Vorhabens sprechen von „Haftzonen“, da die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge eingeschränkt wird. Zudem sei unklar, wie überhaupt bei der hohen Anzahl an zu bearbeitenden Fällen gewährleistet werden soll, dass die jeweiligen Verfahren „zügig“ abgewickelt werden können.

Die Zonen könnten sich also rasch als unwirksam erweisen, was allerdings weniger dramatisch wäre. Wirklich problematisch würden sie, wenn sie den verfolgten Zweck erfüllen. Der schien immer wieder durch, als CSU-Urgestein Edmund Stoiber, die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner und der Politikberater Michael Spreng in der ARD bei Günther Jauch zu Gast waren. Spreng wies mehrfach darauf hin, dass in den Transitzonen ja festgestellt würde, dass schlechthin alle Einreisenden über „sichere“ Länder einreisen, einfach weil per definitionem alle Deutschland umgebenden Staaten als solche gelten.

Man müsste also schlichtweg alle wieder in das Land schicken, aus dem sie gerade kommen. Diese Länder, also im Falle Bayerns etwa Österreich, würden dann wahrscheinlich beginnen, ähnlich zu handeln und das gleiche Prinzip an ihren Grenzen durchexerzieren. Die entscheidende Frage stellte der selbst konservative ehemalige Journalist Michael Spreng: „Wollen Sie eine Rückschiebelawine bis nach Lesbos?“ Deutlich verneint wurde die Frage nicht. Von Julia Klöckner nicht, und von Edmund Stoiber, der inhaltlich auch als Sprecher der AfD hätte durchgehen können, schon gar nicht.

Aufnahmeeinrichtungen mit Residenzpflicht

Das von zahlreichen Menschenrechtsgruppen, Oppositionspolitikern und Flüchtlingsaktivisten scharf kritisierte Vorhaben der Unionsparteien lehnte nun zunächst auch der Koalitionspartner SPD ab. „Transitzonen sind unsinnig, rechtswidrig und unnötig“, kommentierte Partei-Chef Sigmar Gabriel. „Es wird mit uns keine Transitzonen geben“, beschwor Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die schon kurz, bevor ihre Partei die jüngste Asylrechtsverschärfung absegnete, versprochen hatte: „Eine Verschärfung des Asylrechts wird es mit der SPD nicht geben.“

So sicher, wie es „mit der SPD“ keine Vorratsdatenspeicherung oder Asylrechtsverschärfung geben konnte, gibt es nun also keine Transitzonen. Durchgesetzt hat sich die SPD jedenfalls bei der Namensgebung für das, was nun beschlossen wurde, denn es heißt nicht „Transitzone“, sondern „Registrierungszentren“ oder „Aufnahmeeinrichtungen mit Residenzpflicht“, letztere als „verschärfte Residenzpflicht“ ein Euphemismus für den Haftaspekt der Transitzonen. Allerdings geht es offenbar nicht mehr um die direkte Inhaftierung, sondern um eine soziale Form der Einschränkung der Bewegungsfreiheit: Wer gegen die „verschärfte Residenzpflicht“ verstößt, bekommt keine Leistungen und wird illegalisiert, es drohen Obdachlosigkeit und Unterversorgung. Vereinbart wurde die Schaffung von zunächst bis zu fünf solcher Einrichtungen, die ersten in Bayern. Ebenfalls ein „Sieg“ der SPD: Die Einrichtungen müssen nun nicht mehr in Grenznähe liegen.

Untergebracht werden sollen in diesen Zentren nun Flüchtlinge mit „geringer Bleibeperspektive“, wie viele Menschen insgesamt betroffen sein werden, ist bislang völlig offen. Die Asylverfahren sollen dann in den Einrichtungen stark beschleunigt ablaufen: eine Woche für den Verwaltungsakt, zwei Wochen für das juristische Prozedere bei einem möglichen Einspruch. Wer keinen Erfolg mit seinem Asylantrag hat, wird direkt aus diesen Einrichtungen in seine Heimat zurückgeschickt.

Von Seehofer bis Gabriel – Das Ziel heißt Abschottung

In der gemeinsamen Pressekonferenz mit Seehofer und Merkel spricht Sigmar Gabriel dann den wahren Kern des gesamten Schauspiels offen aus: Im Grundsätzlichen, in den Zielen, habe es  „zwischen uns Dreien niemals eine Differenz gegeben“. Das ist wahrer, als ihm eigentlich lieb sein kann. Es bedeutet schlichtweg, dass auch die Sozialdemokraten am Ende kein anderes Projekt verfolgen als der mit PEGIDA-Parolen hantierende Horst Seehofer. Es geht um die Reduktion von ankommenden Flüchtlingen ohne die Reduktion von Fluchtgründen. In anderen Worten: Es geht um Abschottungspolitik.

Das ganze mit Verbalinjurien ausgetragene Theater zwischen CDU, CSU und SPD dreht sich letztlich um nichts anderes als Wahlpolitik. Wer kann ein Bild vermitteln, dass den potentiellen Stimmgebern suggeriert, man habe sich „durchgesetzt“. Dieses Spektakel zu bedienen, scheint denn auch das Hauptaugenmerk der „schweren Konflikte“ innerhalb der Koalition gewesen zu sein, nicht irgendeine reale Differenz im Prinzipiellen.

Dementsprechend wurden neben den Transitzonen light auch weitere Maßnahmen verabschiedet, die darauf abzielen, es Flüchtlingen schwerer zu machen, in Deutschland Schutz zu suchen oder ihn gar zu finden. Abschiebungen sollen erleichtert werden, die Möglichkeit durch ärztliche Atteste eine „Rückführung“ zu verhindern, soll eingeschränkt werden.

Was wir derzeit beobachten, ist eine umfassende und in vielen Teilbereichen stattfindende Abschottungspolitik, die trotz aller freundlichen Rhetorik von Sozial- wie Christdemokraten gemeinsam getragen wird.

Während sich Seehofer, Gabriel und Merkel über die Transitzonen verständigten, reisten Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach Luxemburg, um sich mit Vertretern Pakistans über die Rückführung von pakistanischen Flüchtlingen zu verständigen. Steinmeier hatte angekündigt, er wolle das Treffen nutzen, „um mit den Staaten zu sprechen, bei denen wir die Erwartung haben, dass sie abgelehnte Asylbewerber (…), die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland oder anderen europäischen Staaten haben, auch zurücknehmen.“

Pakistan ist seit Jahren einer der Hotspots des durch die Vereinigten Staaten weltweit geführten Drohnenkriegs gegen den „Terror“. Die Sicherheitslage im Land ist äußerst angespannt, das Auswärtige Amt schätzt in einer Reisewarnung ein: „Landesweit besteht eine Gefährdung durch politisch-religiös motivierte Gewalttaten.“ Um Pressefreiheit und Menschenrechte ist es in Pakistan schlecht bestellt. Gleichwohl verfolgt die Bundesregierung das Ziel, Menschen, die aus diesem Land fliehen, „reibungsloser“ abschieben zu können.

Ähnlich ist es um Afghanistan bestellt. Auch dort ist die Sicherheitslage schlecht wie eh und je. Und auch dieses Land wurde von einer westlichen Militärintervention, an der auch Deutschland beteiligt war und ist, endgültig verheert. Und auch dorthin soll künftig „rückgeführt“ werden.

Fortschreitende Verrohung

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Die Dynamik, die sich in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte abzeichnet, erinnert stark an die 1990er Jahre. In Teilen der Bevölkerung entstehen oder entfalten sich starke Ressentiments gegen Flüchtlinge, fremdenfeindliche Demonstrationen finden nahezu täglich irgendwo in Deutschland statt. Die Begleitmusik zu den Aufmärschen liefern Übergriffe auf Ausländer und Brandanschläge auf Asylunterkünnfte.

Die Große Koalition setzt dem kaum etwas entgegen. Die ohnehin angesichts der realen Politik von CDU, CSU und SPD recht heuchlerische Willkommensrhetorik klingt ab und weicht einer Debatte über „Obergrenzen“, „Abschreckung“ und „Rückführung“. Der Diskurs, der von Horst Seehofer und Co. betrieben wird, unterscheidet sich kaum noch von dem der PEGIDA-Bewegung. Und unter dem Druck von Stammtisch und bayerischer Beharrlichkeit dürfen dann auch selbsternannte Politiker der Mitte peu à peu nach rechts rücken. „Das war heute ein guter Tag: Wer nicht verfolgt wird und aus einem sicheren Land kommt, wird künftig schneller unser Land verlassen müssen“, twitterte Peter Altmaier kurz nach der gestrigen Einigung.

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