Innenpolitik

Terroristen in Deutschland: Phantome der Geheimdienste

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REGINE NAECKEL, 10. März 2009 –

Das BKA feiert sich und seine Ermittlungsergebnisse in Sachen Terrorismus bei regelmäßigen Auftritten vor laufenden Fernsehkameras. Schnell ist man dabei, einen „Fall“ gelöst zu haben und nicht selten verkündet BKA-Präsident Jörg Ziercke einen Fahndungserfolg, der Deutschland vor einem „Anschlag ungeahnten Ausmaßes“ geschützt habe.

Schaut man sich das Geflecht mutmaßlicher Terroristen und die sie umgebenden Hintermänner einmal genauer an, fällt vor allem eines auf: fast immer haben die Geheimdienste ihre Finger im Spiel gehabt und schlimmer noch – nicht selten stecken hinter den Verdächtigten oder mutmaßlichen Tätern V-Leute oder sogar CIA-Agenten als Strippenzieher. Gerade in den letzen Wochen werden in einer Reihe von Fällen die Hintergründe und Verstrickungen immer mysteriöser.

Propaganda statt Aufklärung

Doch statt Licht in das Dunkel der Geheimdienste und ihrer Rolle bei „Terroranschlägen“ zu bringen, stimmte am vergangenen Montag (2. März) die ARD ihre Zuschauer auf die angeblich drohende Gefahr durch islamistische Gotteskrieger in Deutschland ein. Unter dem Titel „Terroristenjagd im Sauerland“ lieferten die Autoren Peter Gerhardt und Ahmet Senyurt ein Propagandawerk ab, das vorgab, „den größten geplanten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik“ vom September 2007 nachzuzeichnen.

Dass man dabei die Beschuldigten präjudizierend als Täter darstellte, ist nur eine der – vermutlich beabsichtigten – Unzulänglichkeiten. Erst im April 2009 wird der Prozess gegen die Drei von der „Sauerland-Zelle“ in Düsseldorf beginnen. Aufgabe des Gerichts wäre es dann eigentlich, den genauen Tathergang im Falle von Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Adem Yilmaz bis zur Verhaftung am 4. September 2007 durch Polizei und GSG9 zu rekonstruieren. Das haben die Autoren zur öffentlichen Einstimmung auf das Gerichtsverfahren nun schon „erledigt“.

Tenor: Ein idyllisches Dorf im Sauerland wird in Angst und Schrecken versetzt, nachdem sich die „Täter“ zum Bombenbau in ein Ferienhaus einquartiert hatten, dort mit 700 kg Wasserstoffperoxid hantierten, aus dem sie Bomben mit der Sprengkraft einer halben Tonne herstellen wollten. Was die Sache laut ARD noch schlimmer macht: Die Köpfe der Gruppe sind deutsche Konvertiten, die in afghanischen Terrorcamps dafür ausgebildet worden waren. al Qaeda und die Islamische Jihad Union (IJU) seien ihre organisatorische Heimat.

Der bestürzte Zuschauer begreift schnell: die Gefahr lauert im kleinsten Dorf und jeder deutsche Islam-Konvertit könnte ein mutmaßlicher Terrorist sein.

BKA-Präsident Ziercke beruft sich auf CIA-Erkenntnisse und tönt vor laufender Kamera überzeugt ins Mikrofon: „Das ist die aktuelle Strategie von al Qaeda, die auch mit der IJU eng vernetzt sind, dass man junge Konvertiten aus westlichen Ländern sucht, weil man sich hier dann in der Umgebung besser auskennt, weil man das westliche Aussehen dann auch hat, die Infrastruktur besser kennt – das ist die aktuelle Strategie, um auch im Westen Europas Anschläge zu begehen.“

Überhaupt wurde die enge Zusammenarbeit zwischen deutschen Ermittlern und US-amerikanischem Geheimdienst CIA wiederholt in dem Film als segensreich beschworen. Die tatsächliche Rolle der Geheimdienste hingegen wurde genauso wenig erwähnt wie die Fülle der Widersprüche bei den BKA-„Ermittlungen“ im Falle der „Sauerland-Zelle“.

Zünder kamen von CIA-Kontaktmann

Bereits am 4. Februar dieses Jahres berichtete der Stern, dass sich der Fall „zunehmend als Agenten-Stück“ erweist. Wegen des Verdachts, bei der Beschaffung und Übergabe von 26 Sprengzündern an die "Sauerland-Gruppe" eine zentrale Rolle gespielt zu haben, ermittelt das BKA gegen Mevlüt K., einen 29-jährigen Türken aus Ludwigshafen. Er soll „zudem Kontakte zu hochrangigen al-Kaida-Mitgliedern und tschetschenischen sowie iranischen Mudschahidin haben. Doch seine Rolle ist noch in anderer Hinsicht interessant: Nach Informationen aus Sicherheitskreisen soll es sich bei Mevlüt K. um einen Kontaktmann des türkischen Geheimdienstes MIT und der amerikanischen CIA handeln.“ (1)

Als Kontaktmann der CIA soll er auch im Falle der „Sauerland-Gruppe“ fungiert haben und bei den Attentatsvorbereitungen eine zentrale Rolle gespielt haben, wie aus Ermittlungsunterlagen des BKA hervorgeht. Unter dem Tarnnamen „sut“ hatte er konspirativen Kontakt zu Fritz Gelowicz, „sut“ war für die Beschaffung der 26 Sprengzünder maßgeblich verantwortlich. Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, dass der mutmaßliche CIA-Informant Mevlüt K. für die Sauerland-Gruppe „der Chef“ war, von dem die Anweisungen kamen.

Doch es wird noch verworrener: der wichtigste Kontaktmann von Mevlüt K. in Deutschland war nach BKA-Erkenntnissen der 26-jährige Somalier Ahmed H. aus Ludwigshafen. Er wurde Mitte Februar dieses Jahres vom Landgericht Frankenthal erstinstanzlich wegen Mittäterschaft am Mord von drei georgischen Autohändlern zu lebenslanger Haft verurteilt – gemeinsam mit dem hauptbeschuldigten Deutsch-Iraker Talib O., der wiederum jahrelang als V-Mann für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz gearbeitet hat und ausgerechnet auf Ahmed H. angesetzt war.

Laut BKA-Ermittlungen telefonierte Achmed H. während der Anschlagsvorbereitungen der Sauerland-Zelle regelmäßig wegen der Zünder mit dem V-Mann-„Chef“ der Gruppe Mevlüt K., der sich damals in der Türkei aufhielt, mittlerweile aber als „untergetaucht“ gilt. Die Übergabe von sechs Sprengzündern soll dann am 3. August 2007 durch den Somalier Achmed H. an Fritz Gelowicz. in Mannheim erfolgt sein.

Das „Phantom von Heilbronn“ und ein Leichentransport im LKA-Wagen

Doch seit Neuestem wird das „Terrorgeflecht“ noch mysteriöser und die Schlüsselfigur ist wieder Achmed H.

Ein Fall, der bislang zwar für viel Aufsehen gesorgt hatte, jedoch weder mit Geheimdiensten noch mit Terroristen in Verbindung gebracht worden war, ist der Mord an einer jungen Polizistin in Baden-Württemberg im Frühjahr 2007. Damals war die 22-jährige Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter auf einem Parkplatz in Heilbronn mit einem Kopfschuss getötet und ihr Kollege Martin A. schwer verletzt worden.

DNA-Spuren im Streifenwagen der Polizei führten die Ermittler schließlich zu dem berüchtigten „Phantom“ – einer mutmaßlich weiblichen Täterin, die im Zusammenhang mit 39 Straftaten – darunter mehrere Mordfälle – seit Jahren gesucht wird. (2) Nach Angaben der Polizei zieht seit 1993 diese unbekannte Frau ihre „blutige Spur durch Österreich, Frankreich, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und das Saarland“. (3)

Nun fand die Polizei an der Innenseite der Windschutzscheibe jenes Autos, mit dem Talib O. und Achmed H. die Leichen der georgischen Autohändler transportiert haben sollen, die DNA des „Phantoms“. „Die Entdeckung dieser Spur birgt noch in einer anderen Hinsicht Brisanz: Denn das Auto, ein weißer Ford Escort Kombi, gehörte zur Tatzeit dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, wie die Staatsanwaltschaft Frankenthal auf Anfrage bestätigte. Das LKA hatte es seinem V-Mann Talib O. zur Verfügung gestellt, schreibt die Berliner Morgenpost am vergangenen Sonnabend. (4)

Unklar ist allerdings, wann das „Phantom“ in dem Ford gesessen hat. Mit wissenschaftlichen Methoden lässt sich das Alter einer DNA-Spur nicht bestimmen. Aufschlussreich hingegen mag sein, dass das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz das Fahrzeug genau in jenem April 2007 erworben hat – also zu der Zeit, als der Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter (+ 23.0407) geschah.

Ob und wieweit das „Phantom“ selbst in Geheimdienste verstrickt ist, bleibt vorerst ein Rätsel. Tatsache ist, dass nach der Frau seit Jahren eine der größten Polizeifahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik läuft – bislang ohne Erfolg. Und dass, obwohl für Hinweise, die zur Aufklärung führen, eine Belohnung von 300.000,- Euro ausgesetzt wurde.

ARD – „Terror“ als Doku-Soup

Fernab der Realität passte dagegen die ARD-„Dokumentation“ ins Terrorszenario von Bundesinnenminister Schäuble. Zwar wurde hier und da erwähnt, dass die drei potentiellen Terroristen der Sauerland-Zelle geheimdienstlich überwacht worden seinen, welch perfides Netzwerk von internationalen Diensten offensichtlich jedoch im Hintergrund die Fäden zieht, blieb bewusst unerwähnt.

So hielt die Dokumentation während der ersten 40 Minuten Laufzeit die Zuschauer in dem Glauben, in der Garage des sauerländischen Ferienhauses stünden 700 kg hochexplosives Material. Am Herd einer kleinen Küche versuchten schattenhafte Figuren vergeblich, aus dem Wasserstoffperoxid ein teuflisches Gebräu zu mischen.

Tatsache war im Fall der Sauerland-Gruppe vielmehr, dass das BKA den Inhalt der Kanister bereits im Vorfeld gegen eine harmlose Chemikalie ausgetauscht hatte. Genauso hatten die Ermittler bereits vor dem Einzug der vermeintlichen Bombenbastler das gesamte Haus verwanzt und hörten jedes Wort, was dort gesprochen wurde, mit. Das 900-Seelen-Dorf Oberschlehdorn war zu einer BKA-Festung ausgebaut schon bevor die Drei das Haus bezogen. Aus angemieteten Ferienwohnungen und einem in der Nähe postierten Wohnwagen wurde jeder Schritt und Ton des Trios überwacht.

Kein Wort verliert der Film darüber, dass Wasserstoffperoxid selbst keinerlei Sprengkraft besitzt und man allenfalls durch das Hinzumischen von Aceton und Säuren daraus das sogenannte Apex (Acetonperoxid) gewinnen könnte.

Ein Chemiker und ein Physiker hatten gleich in der Folge der spektakulären Verhaftung im September 2007 das „Rezept zum Bombenbau“ aus den BKA-Angaben theoretisch nachgebaut und kamen zu dem verheerenden Resultat: „Das Rezept ist so bescheuert, ich vermute, es stammt auch vom Verfassungsschutz. Falls die Sauerland-Terroristen es nichtsdestoweniger in einem Ausbildungscamp gelernt haben sollten, müssten sie ihr Schulgeld zurückfordern.” Selbst wenn sie bis zum Endprodukt Apex alles richtig gemacht hätten, würde das Pulver bereits durch eine mäßige Erschütterung gezündet werden – also zum Beispiel bereits beim Abpacken.

Gerade die letzte Eigenschaft mache Acetonperoxid für professionelle Anwendungen völlig unbrauchbar. Größere Mengen würden regelmäßig detonieren, bevor sie an die gewünschte Stelle gebracht werden könnten. Experten bezweifeln, dass jemals irgendein größerer Anschlag mit Acetonperoxid verübt wurde. (5)

Genauso wenig haben sich die Filmautoren die Mühe gemacht, dem Phantom der Islamischen Jihad Union – der stets von Generalbundesanwältin Monika Harms ins Feld geführten angeblichen Terrororganisation – nachzugehen. Vielmehr behaupten sie, bei der IJU sei das Trio ausgebildet worden und in der IJU seien die Drahtzieher zu suchen. Das kann möglich sein, doch gerade dann wären die Sauerland-„Terroristen“ in bester Gesellschaft der Geheimdienste gewesen: Bereits im Jahre 2004 bezeichnete der damalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, die IJU als ein Gespenst, das von der korrupten usbekischen Regierung mit Unterstützung der CIA ins Leben gerufen und nach Bedarf instrumentalisiert worden war. (6)

Geflissentlich verharmlost wurde auch die Rolle von Yehia Yousif. Der Ägypter wurde als Hassprediger dargestellt, der vor allem Fritz Gelowicz auf den Weg des Dschihad gebracht hätte. Tatsache ist jedoch vielmehr, dass Dr. Yousif über mindest sechs Jahre als verlässlicher Partner und Informant des Baden-Württembergischen Verfassungsschutzes fungierte. (7)

Egal, wohin man im Umfeld vermeintlicher „Terroristen“ schaut: Die Dienste hatten und haben ihre Hände im Spiel. Wie die Richter im kommenden Prozess die Fülle der mysteriösen Verstrickungen bewerten, ob sie ihnen überhaupt nachgehen, ob es ihnen gelingt, Licht ins Dunkel der geheimdienstlichen Tätigkeiten im Umkreis der Sauerland-Gruppe zu bringen, ist fraglich. In vergleichbaren Prozessen wurde über geheimdienstliche Verstrickungen meist einvernehmlich der Mantel des Schweigens gelegt.

(1) http://www.stern.de/panorama/:Sauerland-Zelle-Mutma%DFlicher-CIA-Mann-der-Chef/653678.html

(2) http://www.polizeien-bw.de/servlet/PB/show/1280438/Flyer%20 Soko%20Parkplatz%20-%20deutsch%2013.01.2009.pdf

(3) http://www.sol.de/news/Mord-Heilbronn-Polizistin;art26205,2677526

(4) http://www.morgenpost.de/printarchiv/seite3/article1049398/Das_Phantom_und_die_Terrorzelle.html

(5) http://blog.hintergrund.de/?p=221

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(6) http://www.craigmurray.org.uk/archives/2007/10/islamic_jihad_u_1.html

(7) http://www.hintergrund.de/20070928124/globales/terrorismus/die-spur-der-dienste.html

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