Innenpolitik

Soll die Bundeswehr schon bald im Inland operieren dürfen?

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Von REDAKTION, 11. Februar 2010 –

Nach jahrelangem politischen Streit erörtert das Bundesverfassungsgericht den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr vermeintlicher Terroranschläge. Der Zweite Senat wolle die schwierige Frage zumindest nochmals grundsätzlich einer Prüfung unterziehen, kündigte Vize-Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch in Karlsruhe an. Denkbar ist dabei, dass der Zweite Senat – anders als der Erste Senat bei seinem Urteil von 2006 – den Waffeneinsatz im Inland zulässt.

„Der verfassungspolitischen Brisanz des Themas sind wir uns durchaus bewusst“, betonte Voßkuhle zum Auftakt der Anhörung. Verschiedene Initiativen, das Grundgesetz zu ändern, seien bislang gescheitert. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, Grundgesetzänderungen im Wege der „Interpretation“ herbeizuführen. Das Gericht müsse aber die Grenzen in der Verfassung vollständig ausloten. Eine Entscheidung wird erst in einigen Monaten erwartet.

Die Karlsruher Richter waren schon einmal im Jahr 2006 mit dem von Rot-Grün auf den Weg gebrachten Luftsicherheitsgesetz befasst. Damals erklärte der Erste Senat die Erlaubnis zum Abschuss entführter Flugzeuge mit Passagieren an Bord für verfassungswidrig und die entsprechende Vorschrift im Gesetz für nichtig.

Offen blieb damals aber der Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern. Die Entscheidung liegt in der Zuständigkeit des Zweiten Senats. Dieser nutzt die Normenkontrollklage der Länder Bayern und Hessen, um die Sache nochmals grundsätzlich zu betrachten.

Die Länder hatten die Angelegenheit zunächst ruhen lassen. Nun nutzen sie das Verfahren, um sich erneut für eine Grundgesetzänderung stark zu machen. Die Bundesrepublik könne auf den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr von Terrorgefahren aus der Luft nicht verzichten, betonten Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und sein hessischer Amtskollege Volker Bouffier (CDU). Die Frage sei nur, wer das Sagen habe.

Dem Einsatz der Bundeswehr im Inland waren ursprünglich enge Grenzen gesetzt. Das Grundgesetz erlaubt die Hilfe der Streitkräfte nur bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücken. Wenn in solchen Fällen etwa die Polizei Unterstützung braucht, kann eine Landesregierung Soldaten anfordern. Ist mehr als ein Bundesland betroffen, kann die Bundesregierung den Einsatz anordnen. Artikel 35 legt fest, dass sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Amtshilfe leisten müssen.

Im Sommer 2002 nahm man – auch als willkommenen „Testfall“ – die gesetzliche Möglichkeit eines Bundeswehreinsatzes im Inneren nach den schweren Überschwemmungen entlang der Elbe wahr, damals waren rund 40 000 Soldaten in Ostdeutschland im Einsatz. Auch bei der Suche nach Vermissten hat die Bundeswehr mehrfach geholfen. Dabei wurden auch Tornado-Aufklärungsflugzeuge eingesetzt. Sie sind mit Wärmebildkameras ausgestattet, mit deren Hilfe Menschen auf dem Boden gefunden werden können – eine Möglichkeit, die jedoch nicht nur für friedlich–humanitäre Zwecke eingesetzt wird.

Doch über die Auslegung des Artikels 35 wird seit Jahren gestritten. Denn die Bundeswehr hilft der Polizei nicht nur bei Unglücksfällen, sondern zum Beispiel auch bei großen Veranstaltungen. So nahm das Verteidigungsministerium die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zum Anlass, 7.000 Soldaten für die „innere Sicherheit“ zur Verfügung zu stellen , im Jahr 2007 war die Bundeswehr beim G8-Gipfel in Heiligendamm mit Marine und Luftwaffe im Einsatz, überwachte mit Spähwagen und Aufklärungstornados die Demonstranten.

Immer wieder forderten Politiker, wie z.B. der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung oder Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister, eine Grundgesetzänderung, um die Bundeswehr stärker im Inland einsetzen zu können.

Für eine entsprechende Grundgesetzänderung fehlte bislang die erforderliche Mehrheit im Bundestag. Ermöglicht nun das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den militärischen Einsatz? Der Zweite Senat will die „schwierige Frage“ zumindest noch einmal einer grundsätzlichen Prüfung unterziehen, kündigte Vize-Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch in Karlsruhe an. Denkbar scheint, dass der Zweite Senat – anders als der Erste Senat bei seinem Urteil von 2006 – den Waffeneinsatz im Inland zulässt.

Nachdem es bis heute keine Grundgesetzänderung gibt, wollen die Länder Klarheit in zwei Fragen: Hatte der Bund überhaupt die Gesetzeskompetenz, eine solche Frage zu regeln. Und bedurfte dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrats?

Der Ausgangspunkt: Nach dem Luftsicherheitsgesetz dürfen Streitkräfte Flugzeuge im Notfall abdrängen, zur Landung zwingen oder Waffengewalt androhen sowie Warnschüsse abgeben. Über diese Mittel verfügt aber nicht die Polizei des jeweiligen Landes, über deren Luftraum ein vermeintlich von „Terroristen“ entführtes Flugzeug gerade kreist. Diese Mittel stehen nur der Bundeswehr zur Verfügung – die gesetzliche Zuständigkeit hat sie aber nicht.

Aus Sicht der Bundesregierung ist die Sache klar: Die Gefahr ist nicht aus der Luft gegriffen – kommt aber aus der Luft. Das habe der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Zierke, in der Anhörung eindruckvoll bestätigt, so Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche. Derartige Gefahren könne nur der Bund mit Hilfe der Streitkräfte abwehren.

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Die angebliche terroristische Bedrohung dient bei der Debatte um das Luftsicherheitsgesetz und bei dem erneuten Verfahren in Karlsruhe als Vorwand, um ein weiteres Einfallstor für die Aushebelung des Grundgesetztes und zur zunehmenden Militarisierung Deutschlands in die Hand zu bekommen.

Quelle: dpa

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