Serbien: Umkämpfte Meinungsfreiheit auf der Leipziger Buchmesse
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Gesellschaft für bedrohte Völker scheitert mit dem Versuch, vier Veranstaltungen zu verbieten –
Von HELGE BUTTKEREIT, 22. März 2011 –
Leipzig. „Das ist keine Frage der Interpretation“, sagt Jasna Causevic, Südosteuropa-Expertin der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) im Gespräch mit hintergrund.de. Dass in Srebrenica 1995 ein Massaker stattgefunden habe, sei durch internationale Gerichte bewiesen. Deswegen habe ihre Gesellschaft versucht, im Vorfeld der am Wochenende beendeten Leipziger Buchmesse vier Veranstaltungen zum Messeschwerpunkt Serbien und insbesondere zu den Hintergründen der Ereignisse im bosnischen Srebrenica im Jahr 1995 verbieten zu lassen. Ohne Erfolg. Messedirektor Oliver Zille schrieb in einer Antwort auf das Anliegen der GfbV, dass die Messe der Meinungsfreiheit verpflichtet sei und eine polizeiliche Prüfung keinen Anlass für ein Einschreiten von seiner Seite habe notwendig erscheinen lassen (1).
Das Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse erregte so schon im Vorfeld die Gemüter, denn die betroffenen Verlage reagierten ihrerseits. Hannes Hofbauer vom Wiener Promedia Verlag berichtet, dass er über einen Kollegen von dem Appell an die Messe erfahren habe. „Mit uns ist nicht gesprochen worden“, so Hofbauer im Interview. Weder die GfbV noch die Messeleitung habe sich an die betroffenen Verlage gewandt. Hofbauer sagt zunächst: „Ich habe keine Idee, weswegen die gegen das Buch zum Jugoslawien-Tribunal vorgehen wollten.“ Im nächsten Satz gibt sich der österreichische Verleger dann doch selber eine Antwort: Srebrenica sei der Gründungsmythos von Bosnien Herzegowina, es gehe um die Tötung von 8.000 Zivilisten, mit der die Luftschläge der NATO begründet worden seien. Peter Priskil, Herausgeber eines jüngst im Ahriman-Verlag erschienenen Buches, das über „unterdrückte Tatsachen über die an Serben begangenen Massaker“ (2) in der Region um Srebrenica aufklären will, sieht es ähnlich: „Srebrenica ist eine blutrünstige Metapher.“ Es stelle sich die Frage, ob diese Chiffre für Rassismus, Faschismus und ethnische Vertreibung stimme. Priskil stellt fest: Wenn sie der Wahrheit nicht standhält und sich als Lüge herausstellt, dann versteht jeder das System der Lüge.
Aufgeschnappt: Das Zitat zum Messeschwerpunkt
Neben serbischer Literatur und den Konflikten über die Deutung der Ereignisse von Srebrenica, ging es in Leipzig am Rande auch um das Kosovo. Erich Rathfelder, einst für die taz auf dem Balkan im Einsatz und damals von vielen Kritikern als einseitiger Kriegshetzer beschuldigt, stellte sein Buch zum Konflikt vor. Ein kritisches Wort zum völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien unter Beteiligung der Bundeswehr fiel nicht. Natürlich. Dafür ein bedenkliches Zitat. Jeton Neziraj, künstlerischer Leiter des kosovarischen Nationaltheater, beschrieb die Reaktion der Serben auf die Unabhängigkeitserklärung seines Landes so: „Jetzt haben wir das Gefühl, dass die Serben eine Niere weniger haben.“ Nachdem jüngst bekannt wurde, dass die UCK als wichtigste Kraft im Bürgerkrieg von kosovarischer Seite offenbar in den Organhandel verstrickt war, ein geschmackloser Vergleich. Auf den reagierten aber weder Moderator György Dalos noch der serbische Journalist Sasa Ilic, der ebenso auf dem Podium saß. Von Erich Rathfelder, der während der ganzen Veranstaltung selbstgefällig in die Runde nach dem Motto „Mission erfüllt“ schaute, war eine Reaktion gar nicht zu erwarten gewesen. |
Hannes Hofbauer fügt hinzu, dass alles was an dem Gründungsmythos Bosniens und damit an Srebrenica rühre, für die Vertreter der offiziellen Version gefährlich sei. Und sein Autor Germinal Civikov, ehemals Journalist der Deutschen Welle, rührt an genau dieser Frage. Sein Buch „Der Kronzeuge“ (3) über den Zeugen Drazen Erdemovic vor dem Jugoslawien-Tribunal von Den Haag zeigt an vielen Punkten auf, dass dieser Zeuge der Anklage sich vor Gericht immer wieder in Widersprüche verwickelt habe. Am Gemeinschaftsstand der linken Verlage „Die Bühne“ erzählt der pensionierte Journalist vor vielen Zuhörern von seinen Beobachtungen beim Tribunal. Wäre es nach der GfbV gegangen, hätte diese ebenso wie zuvor sein zweiter Vortrag über den Prozess gegen Slobodan Milosevic (4) nicht stattfinden sollen. Am Morgen des zweiten Tags der Buchmesse hatte die GfbV noch versucht, direkt auf dieser Veranstaltung zu Civikovs Milosevic-Buch Flugblätter mit der Überschrift „Völkermord in Bosnien – posthumer Sieg für Hitler“ zu verteilen. Jetzt halten sich die Aktivisten im Hintergrund. Civikov kann ungestört von den Ungereimtheiten des Prozesses berichten und Fragen aufwerfen. Warum beispielsweise habe das Tribunal keine Anstrengungen unternommen, die Mittäter des Kronzeugen zu verfolgen? Sie seien mit Namen bekannt, aber das Gericht hat nie die Auslieferung verlangt. Liege das vielleicht daran, dass die Aussagen des Kronzeugen so nicht stimmen können, fragt Civikov. Und er ergänzt; „Mit seiner Aussage hat das Gericht den Haftbefehl gegen Radovan Karadzic und Ratko Mladic wegen Völkermord begründet.“
Jasna Causevic hält das Vorgehen von Civikov für unzulässig. „Man kann nicht einen Fall herausstellen“, sagt sie. Dass Leute wie Civikov oder auch die Vertreter des Ahriman-Verlags von Siegerjustiz sprechen, sei nicht zulässig. In der viel beworbenen Ahriman-Veranstaltung trat sie selber auf und verwies darauf, dass nicht nur ihre Organisation die Verbrechen dokumentiert hätten. Auch Amnesty International und andere hätten die Ergebnisse bestätigt. Sie spricht von über 6.000 Toten, die durch DNA-Analysen identifiziert seien. Autor Alexander Dorin, der das Srebrenica-Buch recherchiert hat, hält entgegen, dass es dafür keine zugänglichen Dokumente gebe. Als Karadzics Anwalt vor dem Den Haager Tribunal die Herausgabe gefordert habe, sei dies mit der Begründung verweigert worden, das könne man wegen Rücksichtnahme auf die Angehörigen nicht tun. Dorin verweist seinerseits auf Wahllisten, auf denen in Srebrenica angeblich Ermordete nach 1995 verzeichnet seien. Die Begründung der bosnischen Behörden, die Listen seien von 1991, halte der Überprüfung nicht stand: „Da stehen einige drauf, die 1991 nicht wahlberechtigt gewesen sind.“
Zu einer einvernehmlichen Position kann es so nicht kommen. Während die GfbV Plakate des Ahriman-Verlags mit ihren Plakaten überklebt und während der Vorsitzende der Regionalgruppe Leipzig von einer „Hetzrede“ und von einem Skandal spricht, die die Veranstaltung des Ahriman-Verlags darstelle, argumentiert die Gegenseite gegen die Gesellschaft selbst. Giuseppe Zambon, Verleger eines Buches über „Die Zerstörung Jugoslawiens“ (5) berichtet darüber, wie die GfbV nach dem Sieg der Sandinisten in Nicaragua über Diktator Somoza 1979 die neue Regierung angriff, weil sie die Misquitos unterdrückten. Damals sei es darum gegangen, dass die Sandinisten in der Alphabetierungskampagne in ihrem revolutionären Eifer vergessen hätten, dass diese kleine schwarze Minderheit an der Küste nicht Spanisch sondern Englisch spräche. Gegen diese Unterdrückung der Identität habe sich die GfbV mit Tausenden Plakaten in Deutschland gewandt, gegen den verordneten Analphabetismus unter Somoza habe er den Gründer der Gesellschaft, Tilman Zülich, nie protestieren hören.
Heute wiederum gebe es Aktionen gegen die Russen in Tschetschenien und die Chinesen in Tibet, gegen die Ermordung von Hunderttausenden im Irak habe er hingegen nichts von der GfbV gehört, so Zambon im Interview mit hintergrund.de. „Sie sind so sicher, dass die die Macht des herrschenden Kapitals hinter sich haben.“ Die Gesellschaft habe so auch lange auf den Einsatz der NATO gegen Jugoslawien gedrängt. Nach Srebrenica beispielsweise baute die Gesellschaft 1995 in Bonn einen bosnischen Friedhof auf und hängte ein Plakat mit der Aufschrift „Können Sie noch schlafen, wenn die KZ-Rampe in Bosnien wieder arbeitet? Nichts gelernt, Herr Kohl?“ auf (6).
Für Hannes Hofbauer steht die Aktion der GfbV im Zusammenhang mit dem Völkermordparagrafen im deutschen Strafrecht. Leugnung von Völkermord sei auf Drängen der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries in ganz Europa mittlerweile verboten. „In Italien und Frankreich gab es unter liberalen Historikern einen Aufschrei“, berichtet Hofbauer, denn was Völkermord sei, bestimme ein Gericht. Welches sei nicht genauer festgehalten, so Hofbauer, der selber Journalist ist und ein Buch zum Kosovo-Krieg geschrieben hat (7). Angesichts der Ungereimtheiten um den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, die Civikov herausgestellt hat, zeige sich besonders die Problematik dieses Paragraphen. Hofbauer sieht eine direkte Verbindung zwischen den Gesetzesänderungen und dem Vorgehen der GfbV. In einem früheren Artikel zum Thema in der Zeitschrift Ossietzky hat er von der Gefahr verordneter Wahrheiten gesprochen: „Wenn demnächst die Leugnung von im Krieg zu erwartender Desinformation, namentlich die Leugnung eines als Völkermord ausgegebenen Interventionsgrundes strafbar ist, wird linke Kritik an imperialistischer Politik juristisch mundtot gemacht.“ (8) Schließlich agiere die EU immer aggressiver und unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Völkermord – ob im Kosovo, in Afghanistan oder im Tschad.
„Es gibt noch keine Rechtspraxis“, sagt Hofbauer zum Paragraphen 130 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches, nach dem nunmehr nicht nur die Leugnung des Holocausts, sondern auch generell die des Völkermords strafbar ist. Die Ereignisse in Leipzig zeigen, dass dies bald anders sein könnte.
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Anmerkungen:
(1) http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=2165%20&PHPSESSID=63a02c9fad798128ca713d9777d59a22
(2) Alexander Dorin, Zoran Jovanovic: Srebrenica wie es wirklich war, Ahriman Verlag Freiburg 2010
(3) Germinal Civikov: Srebrenica. Der Kronzeuge, Promedia Verlag, Wien 2009
(4) Germinal Civikov: Der Milosevic-Prozess. Bericht eines Beobachters, Promedia Verlag, Wien 2006
(5) Klaus Hartmann: Die Zerstörung Jugoslawiens. Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern, Zambon Verlag, Frankfurt am Mai 2008
(6) Siehe beispielsweise auf S. 37 von pogrom 262/263, der Zeitschrift der GfbV.
(7) Hannes Hofbauer: Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus, Promedia Verlag, Wien 2008
(8) Hannes Hofbauer: Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung, in Ossietzky 9/2009 (http://www.sopos.org/aufsaetze/4a361e3f46747/1.phtml)