Selbsttötung oder Mossad-Mord: Nach 25 Jahren kommt der Fall Uwe Barschel wieder ins Rollen
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Von THOMAS WAGNER, 16. Juni 2011 –
Der letzte Fernsehauftritt des Uwe Barschel war eine Botschaft aus dem Totenreich. Auf die Frage einer RTL-Moderatorin, ob er denn ermordet worden sei, verkündete er: „Ja, sicher.“ So wollte es jedenfalls der Kölner Privatsender, der den in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober 1987 verstorbenen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein zwar nicht leibhaftig als Zombie wiederauferstehen ließ, sondern den Mund des „Mediums“ Kim-Anne Jannes die angebliche Selbstauskunft des damals tot in einer Badewanne des Genfer Luxushotels Beau Rivage aufgefunden Politikers verkünden ließ. Das Foto mit der bekleideten Leiche ging damals um die Welt.
Er befinde sich in einem neutralen Zimmer, erzählte Jannes in der Reality-Polit-Spuksendung „Das Medium“, an der auch Freya Barschel, die Witwe des Verblichenen mitwirkte. Durch ein Lüftungsgitter, so die selbsterklärte Geisterversteherin, ströme ein Gas, das durch die Haut dringe und das Bewusstsein ausschalte. Auf dem Flur habe er noch Schritte vernehmen können. In die Badewanne sei er gelangt, weil das Gift abgewaschen werden sollte, wusste das „Medium“ weiter zu berichten. Wer dahinter steckte, konnte Jannes aber nicht sagen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa Anfang November 2010.
Am 11. Oktober 1987, einen Tag bevor Uwe Barschel vor dem Untersuchungsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages aussagen sollte, wurde der CDU-Politiker um 12:43 Uhr vom Stern-Reporter Sebastian Knauer, der Barschel zusammen mit dem Fotografen Hanns-Jörg Anders aufsuchen wollte, tot und vollständig bekleidet in der Badewanne seines Zimmers 317 im Hotel Beau-Rivage in Genf aufgefunden. (Quelle: Wikipedia) |
Die gespenstische Inszenierung, die am Ende viel weniger Quote brachte, als RTL es sich erhofft hatte, machte sich den Umstand zunutze, dass die Todesumstände im Fall Barschel bis heute nicht zweifelsfrei geklärt sind. Sicher ist nur, dass er an einer Medikamentenvergiftung starb.
Vorausgegangen war dem Todesfall ein Skandal im Landtagswahlkampf 1987. Barschels Rivale, der damalige SPD-Spitzenkandidat Björn Engholm, war von Reiner Pfeiffer, dem Medienreferenten des CDU-Politikers bespitzelt und auf vielfältige Weise drangsaliert worden. Er stellte Barschel später als Mitwisser und sogar Initiator dar. Barschel beteuerte bei einer vom Fernsehen live übertragenen Pressekonferenz am 18. September 1987 seine Unschuld. Dabei gab er „der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind“. Dennoch sah er sich zum Rücktritt gezwungen. Zwei Untersuchungsausschüsse des Landtags beschäftigten sich mit der Affäre. Der zweite stellte 1995 in seinem Abschlussbericht fest, dass es keine Beweise für eine Mittäterschaft Barschels an Pfeiffers Aktivitäten gibt.
Neben der Vermutung, Barschel habe sich selbst vom Leben zum Tode befördert, sind ernstzunehmende Mordtheorien im Umlauf. Wenige Wochen nach der Ausstrahlung der Fernsehsendung schien sich der Verdacht zu erhärten, dass der israelische Geheimdienst Mossad den CDU-Politiker vom Leben zum Tode befördert haben könnte. Das jedenfalls vermutete der Schweizer Toxikologe Prof. Hans Brandenberger, der als einer der wichtigsten Gutachter im Fall Uwe Barschel gilt, in einem von ihm geschriebenen Beitrag für die Welt am Sonntag. Die chemischen Analysedaten stimmten bis in Details mit einem Mordablauf überein, den der ehemalige Agent des israelischen Geheimdienstes, Victor Ostrovsky, in seinem Buch „Geheimakte Mossad“ schildere, schrieb Brandenberger.
Ostrovsky hatte behauptet, „Barschel sei Opfer eines Mossad-Tötungskommandos gewesen, weil er sich 1987 der Abwicklung geheimer Waffengeschäfte zwischen Israel und dem Iran im Transit über Schleswig-Holstein widersetzt habe und mit seinem Wissen über die Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu gehen drohte.“ (1)
Auffällige Details in Ostrovskys Bericht, zum Beispiel die rektale Zufuhr von Beruhigungsmitteln und die zeitlich versetzte Verabreichung von Medikamenten, spiegelten sich im chemischen Befund wider, so der Toxikologe Brandenberger. Nach seiner Einschätzung belegen toxikologische Untersuchungen des Barschel-Leichnams, dass der CDU-Spitzenpolitiker weder durch Selbstmord noch durch Sterbehilfe ums Leben gekommen sein könne. Die chemischen Befunde indizierten einen Mord. Es sei davon auszugehen, dass ein Profiteam am Werk gewesen sei. Ex-Agent Ostrovsky erklärte, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Tod Barschels überraschten ihn nicht. „Ich weiß ja, dass es so war“, wurde Ostrovsky zitiert. Der Autor, der bis heute nie offiziell von deutschen Ermittlern zum Geschehen von Genf befragt wurde, zeigte sich bereit zu einer Aussage: „Ich stehe den deutschen Strafverfolgungsbehörden jederzeit als Zeuge zur Verfügung, solange ich dabei in den USA bleiben kann.“
Auch Abū l-Hasan Banīsadr, ein ehemaliger Präsident des Iran, ist davon überzeugt, dass der CDU-Politiker „eine wichtige Rolle im Waffenhandel mit dem Iran gespielt“ habe.(2)
Außerdem soll der südafrikanische Waffenhändler Dirk Stoffberg 1994 in einem Entwurf einer eidesstattlichen Versicherung angegeben haben, „Barschel sei vom späteren CIA-Direktor und heutigen amerikanischen Verteidigungsminister Robert Gates nach Genf bestellt worden. Barschel habe mit Enthüllungen gedroht, die mehrere Regierungen und Waffenhändler in Verlegenheit gebracht hätten. Ein psychologisches Gutachten kam zu dem Urteil, dass Stoffberg glaubwürdig sei. Seine eidesstattliche Erklärung konnte er allerdings nicht mehr abgeben. Er starb kurz davor, im Juni 1994. Offizielle Todesursache: Er und seine Freundin haben Doppelselbstmord begangen. Für den Verdacht, wonach der damalige CIA-Mann Gates am fraglichen Wochenende in Genf war, spricht noch eine andere Passage in der Ermittlungsakte. Dort heißt es, dass im Flugzeug, mit dem Barschel am 10. Oktober 1987 von Frankfurt nach Genf flog, auch ein Mister Gates gesessen habe. Sein Ticket erhielten die Lübecker Ermittler vom Kapitän der betreffenden Lufthansa-Maschine. Der inzwischen pensionierte Pilot will sich zu dem Thema nicht mehr äußern. Seine Frau sagte der Zeitung Die Welt, sie und ihr Mann seien bedroht worden.“ (3)
Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) könnte in den Fall verwickelt sein. Der Schweizer Privatdetektiv Jean-Jacques Griessen, der für den deutschen Agenten Werner Mauss gearbeitet hat, sagte aus, am Vormittag nach Barschels Tod mit Mauss telefoniert zu haben. Der Agent habe ihn aufgefordert, sich bereitzuhalten, „da etwas passiert sei“. Griessen habe dann nicht mehr befragt werden können, da er am 9. November 1992 in Zürich beim Zusammensein mit einer Prostituierten an einem Herzversagen verstarb. Am selben Tag habe er sich mit einem BKA-Mann und einem Mossad-Agenten treffen wollen. (4)
Während Israels Außenamtssprecher Jigal Palmor die Vermutungen im November 2010 umgehend zurückwies, sah der frühere Chefermittler im Fall Barschel, Heinrich Wille, seinen Verdacht erhärtet, dass Barschel von einem professionellen Killerkommando getötet wurde. Brandenbergers Aufsatz enthalte neue Erkenntnisse, die geprüft werden sollten, wurde der ehemalige Leitende Oberstaatsanwalt von Lübeck zitiert, der nach jahrelangem Streit im September 2011 unter dem Titel „Ein Mord, der keiner sein durfte: Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates“ im Schweizer Rotpunktverlag ein Buch über seine Einblicke in den Fall Barschel veröffentlichen will.(5)
Schon 2007 hatte er es veröffentlichen wollen, doch war ihm die Publikation vom Generalstaatsanwalt in Schleswig verboten worden. „Es ist bedauerlich, dass es erst meiner Pensionierung bedurfte, um die Meinungsfreiheit zur Geltung zu bringen“, sagte Wille gegenüber Welt-online. (6)
Im Anschluss an Brandenbergers Befunde hatten der Kieler Landtagsabgeordnete Werner Kalinka (CDU) und der Anwalt der Familie Barschel, Justus Warburg, neue Untersuchungen gefordert. Nun mehren sich die Anzeichen, dass der Fall Uwe Barschel wieder aufgerollt werde könnte. Zumindest hat die Lübecker Staatsanwaltschaft erste Schritte unternommen, um den Todesfall mit neuen DNA-Untersuchungs-Methoden zu untersuchen. Derzeit würden unter anderem Schuhe, Socken, Barschels Anzug und ein Badvorleger zusammengesucht, die das Landeskriminalamt in Kiel überprüfen solle, sagte Oberstaatsanwalt Günter Möller am 15. Juni 2011. Die DNA-Analyse ermöglicht den Ermittlern noch Jahrzehnte nach einer Tat aus winzigen Spuren mit Erbinformationen wie Blut, Sperma, Schuppen oder Haaren den genetischen Fingerabdruck eines Menschen zu erstellen und abzugleichen. (mit dpa)
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Barschel#cite_note-welt-zimmer-20
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Barschel#cite_note-welt-zimmer-20
(3) Ebd.
(4) Ebd.
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(5) http://www.rotpunktverlag.ch/cgibib/germinal_shop.exe/VOLL?session_id=80917&titel_nummer=47748&titel_id=47748&caller=rotpunkt
(6) http://www.welt.de/politik/deutschland/article13405989/Jurist-veroeffentlicht-Buch-ueber-Barschel-Mord.html