Schweinerei in der Fleischindustrie
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von HELMUT LORSCHEID, 14. September 2007:
An „Schweinereien“ in der Fleischindustrie haben wir uns fast schon gewöhnt. Abwechselnd geben hemmungslose Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in deutschen Schlachthöfen (1), katastrophale Zustände in der Puten- oder Hähnchenzucht oder der Verkauf von Gammelfleisch an Dönerbuden, Anlaß zur kritischen und manchmal auch skandalisierenden Berichterstattung. „Tönnies Fleisch …worauf du dich verlassen kannst“ (2) entsprach nach Auffassung des Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek nicht immer ihrem eigenen Werbespruch. Vielmehr besteht „der Verdacht des Betruges zum Nachteil von Lieferanten und Abnehmern von Endprodukten sowie der illegalen Arbeitnehmerüberlassung.“ (3)
Am vergangenen Mittwoch, dem 12.9.07, durchsuchten Beamte des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes und der Steuerfahndung Bielefeld unter Leitung der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität Bochum den Hauptsitz der Firma Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück sowie weitere Tönnies-Niederlassungen und Privaträume in NRW, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und auf Zypern. Betrugsvorwürfe gegen Tönnies gab es bereits vor Jahren. Ein Unternehmenssprecher erklärte gegenüber der Presse, das Unternehmen werde mit den Behörden kooperieren und: "Wir sind der Ansicht, daß wir die Vorwürfe ausräumen können." (4)
Das dürfte dieses Mal wohl schwieriger werden als in der Vergangenheit, als Tönnies sich auch auf einflußreiche politische Freunde verlassen konnte. Über sein Engagement beim Fußballclub Schalke 04 gab es nach Recherchen von Hintergrund.de enge Verbindungen zu Politikern wie Jürgen W. Möllemann (FDP) und auch bei der NRW-Landesregierung unter Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) fand Tönnies offene Ohren.
Betrugsvorwürfe gegen Tönnies und mit ihm verbundene Exportunternehmen gab es schon früher. So beschwerte sich 2003 ein rumänischer Abnehmer, die Firma Diana Impex über angeblich verdorbenes Fleisch von Tönnies und über Betrügereien mit doppelten Rechnungen. Tönnies wies die Vorwürfe zurück. (5) Dabei sprechen interne Korrespondenzen eine andere Sprache. In einem Schreiben des damaligen Exportmanagers von Tönnies Fleisch an eine von Tönnies beauftragte Rechtsanwaltskanzlei heißt es wörtlich bezogen auf eine im Exportverfahren zwischengeschaltete Firma: „…Weiterhin soll es ein zollrechtliches Verfahren gegen D. geben, im dem ihr Zollbetrug vorgeworfen und eine Geldstrafe vollstreckt wurde. Herr M. versucht, über einen rumänischen Anwalt, an diese Akte zu kommen. Ich hoffe, wir haben genug ‚Munition’, um weitere Angriffe abzuschlagen…“ (6)
Bei den derzeit laufenden Ermittlungen geht es u.a. auch um die Frage, ob dem Endverbraucher wirklich die Waren geliefert wurden, für die er bezahlt hat. Bei den umfangreichen und langwierigen Ermittlungen geht es um Details ob möglicherweise der Rinderfleischanteil in einer Wurst geringer war, als vereinbart, und statt dessen mehr vom preiswerteren Schweinefleisch verarbeitet wurde. Die Ermittlungen beziehen sich aber auch auf den Verdacht der illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Dabei ist Tönnies kein Einzelfall. Längst arbeiten in den deutschen Schlachthöfen kaum noch Deutsche oder hier lebende Ausländer. (7) Im Zusammenhang mit Vorwürfen des Lohndumping und der illegalen Beschäftigung wird seit Jahren auch gegen Verantwortliche der Firma Westfleisch und deren wichtigsten Subunternehmer Hintzen ermittelt. (8)
Als der Subunternehmer Wilfried I. Ende 2003 nachts „seine“ rumänischen Arbeiter verprügelte, weil sie für ihren noch ausstehenden, ohnehin kargen Lohn streikten, kam in Oldenburg ein Verfahren ins Rollen, an dessen Ende die Suspendierung der Anfang der 90er Jahre geschlossenen Werkarbeitsverträge mit Rumänien im Bereich der Fleischindustrie stand. Vor einigen Jahren wurden, Wilfried I. und die beiden Geschäftsführer des
Schlachthofes D+S Herbert D. und Joachim S. zu mehrjährigen Haft bzw. zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Über Jahre hin hatten die Schlachthofbetreiber und ihr Anwerber über tausend rumänische Arbeiter ebenso gewerbsmäßig wie illegal und systematisch ausgebeutet. Doch D+S ist nur ein Beispiel von vielen. (9)
Zwar wurden unter dem Eindruck des Oldenburger Verfahrens die Werkarbeitsverträge mit Rumänien und Bulgarien ausgesetzt, – doch die Branche reagierte gelassen. Statt der Rumänen schufteten fortan Arbeiter aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten in den Schlachthöfen rund um Oldenburg. Fast wöchentlich wurden weitere, bisher gut bezahlte Schlachter arbeitslos und durch Arbeitskolonnen aus Polen, Ungarn, der Slowakei oder Litauen ersetzt. Diese Menschen wurden und werden auch weiterhin – wie zuvor die Rumänen mit falschen Versprechen in ihrer Heimat angeworben. (10)
Sie freuen sich auf eine gutbezahlte Arbeit in Deutschland und müssen nicht selten erfahren, wie erbarmungslos hemmungsloser Kapitalismus sein kann.
Oft erhalten sie einen Hungerlohn zwischen 2,50 Euro und 6 Euro in der Stunde. Hinzu kommt, daß die einheimischen Vertragspartner sie nur gemäß dem heimischen Mindestlohn sozialversichern. Viele der Arbeiter aus Polen, Tschechen, Slowaken oder Litauer merken diesen Betrug viel zu spät. Denn die (Briefkasten)-firmen kommen und gehen. Ermittler berichten, daß die gleichen Personen, die zuvor als Subunternehmer rumänische Arbeitskräfte beschäftigten, nun Arbeiter aus den neuen EU-Mitgliedsländer in die Schlachthöfe vermitteln.(11) Dabei stehen EU-Behörden und sogar oberste Gerichte auch noch hilfreich zur Seite. Seit einigen Monaten dürfen deutsche Schwarzarbeitskontrolleure nicht mehr überprüfen, ob die vorgelegte Bescheinigung über die angeblich bestehende Sozialversicherung im Herkunftsland zurecht ausgestellt wurde. (12) Sie müssen die sogenannte „E 101“-Bescheinigung auch dann akzeptieren, wenn begründeter Verdacht besteht, das sie erschwindelt wurde (13). Die Bescheinigung selbst kann bequem im Internet herunter geladen werden (14).
So wie mit Menschen wird in der Fleischindustrie auch mit den Tieren und den Produkten hemmungslos Schindluder getrieben. In der Berichterstattung werden „Einzelfälle“ oft als solche skandalisiert, ohne daß eine Gesamtschau auf die Nahrungsmittelindustrie ermöglicht wird.
Dabei dürfte jedem, der ein wenig überlegt, klar sein, daß ein guter Döner mit ordentlichem Fleisch nicht für 99 Cent angeboten werden kann. Da kann etwas nicht stimmen – entweder bekommt der Dönermann keinen Lohn oder es handelt sich bei dieser Mahlzeit eher um eine bedenkliche Art der Sondermüllentsorgung.
Obwohl gerade Döner mehrfach als Entsorgungsvariante für fleischlichen Müll herhalten mußte, werden bis heute staatlicherseits die diesem Verbrechen zugrunde liegenden Handelswege verheimlicht. Der Döner-Esser in Berlin-Kreuzberg erfährt nur, daß er Monate zuvor möglicherweise seinen Beitrag zur Schlachtabfallentsorgung geleitet hat.
Die Anfragen des Autors, wieso das verantwortliche Bundesministerium für Verbraucherschutz nicht Namen und Fakten nennt, blieben bis heute unbeantwortet.
Die Lebensmittelkontrolleure sind hoffnungslos überlastet, personell unterbesetzt und materiell unzureichend ausgestattet. (15)
Statt Gelder für unsinnige Werbekampagnen der CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH) (16) und ihrer Tochter „QS“ (Qualität und Sicherheit) (17) auszugeben, sollten die staatliche Kontrolle der Lebensmittel- und hier besonders der Fleischindustrie verstärkt werden. Dies zumal das QS-Zeichen weder Qualität noch Sicherheit garantiert, wie an den Beispielen aus der Futterproduktion (18) von Foodwatch und aus der Tierhaltung (19) von der NDR-Sendung Panorama eindrucksvoll dargestellt wurde.
Allerdings bezweifelt QS – wie von einem PR- und Lobbyverein nicht anders zu erwarten – öffentlich die Authentizität des in Panorama verwandten Filmmaterials. (20)
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Da von der derzeitigen Bundesregierung aber eine Stärkung der Lebensmittelkontrolle nicht zu erwarten ist, bleibt nur die Selbsthilfe der Bürger.
Während QS sich mit Abwiegeln beschäftigt, führt Foodwatch eine öffentliche Kampagne durch, um endlich die farbliche Kennzeichnung von Schlachtabfällen zu erreichen. Im Internet kann jeder eine entsprechende Unterschriftenkampagne unterstützen (21)
(1) http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/538042.html?p=2&nv=ct_cb
(2) http://www.toennies.de/
(3) http://www.wz-newsline.de/?redid=174694
(4) http://www.ftd.de/unternehmen/handel_dienstleister/:Durchsuchung%20T%F6nnies%20Fleisch/251902.html
(5) Recherche des Autors
(6) Schreiben TönniesFleisch an S.M & Collegen, 22.12.03
(7) http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/538042.html?p=2&nv=ct_cb
(8) http://linkszeitung.de/content/view/961/51/
(8) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19629/1.html
(9) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14880/1.html
(10) nach eigenen Recherchen des Autors
(11) nach eigenen Recherchen des Autors
(12) http://www.otto-schmidt.de/strafrecht/news_4705.html
(13) http://imdb.mmk.de/rechts-auskunft/txt/data/7051.html
(14) http://www.dvka.de/oeffentlicheSeiten/Antrag.html
(15) http://www.lebensmittelkontrolle.de/presse/20060904103135.pdf
(16) http://www.cma-marketing.de/content/index.php
(17) http://www.q-s.info/
(18) http://foodwatch.de/kampagnen__themen/qualitaetssiegel/qs_im_test/dioxin/index_ger.html
und http://foodwatch.de/kampagnen__themen/dioxine_und_pcb/futtermittel/fall_hessen/details/index_ger.html
(19) http://daserste.ndr.de/container/file/t_cid-4161538_.pdf
(20) http://www.q-s.info/uploads/media/PM_070801_Verstoesse_gegen_Tierschutz_02.pdf
(21) http://foodwatch.de/kampagnen__themen/fleisch/tiermehl_schmuggel/mitmach_aktion/index_ger.html