Schleichende Militarisierung
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Bundesregierung will künftige Einsätze der Bundeswehr gegen Streikende und Demonstrierende nicht ausschließen –
Von THOMAS WAGNER, 2. September 2009 –
Ein Tag in naher Zukunft. Die Wirtschaftskrise eskaliert. Die Beschäftigten von Bahn und Post warten seit Monaten auf ihre Löhne und Gehälter. Es kommt zu Monate dauernden Streiks, die den Güterverkehr lahm zu legen drohen. Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Schließlich entscheiden die Krisenstäbe verschiedener Landesregierungen, Einheiten der Bundeswehr als Drohkulisse vor Betrieben und Gewerkschaftshäusern aufmarschieren zu lassen.
Ein Szenario wie dieses schien in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit ausgeschlossen. Doch nun haben sich die Zeiten geändert. Jedenfalls will uns das die Bundesregierung Glauben machen. Denn in ihren Augen ist der Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende und Demonstrierende im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) heute nicht mehr völlig auszuschließen. Das geht aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag hervor. (1)
Ob "Großereignisse (Staatsbesuche, Gipfel) sowie damit in Zusammenhang stehende Demonstrationen Anlässe für die Zusammenkunft der Katastrophenschutzstäbe sein" können, obliege den für die örtliche polizeiliche und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr zuständigen Landesbehörden, heißt es darin. Es bleibe "dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten", ob "Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der ZMZ-Strukturen herangezogen werden können".
So ein konkreter Einzelfall war anscheinend die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006. In Frankfurt am Main "waren Soldaten während der WM aktiv – als zusätzliche Sanitäter und Schutzkräfte für terroristische Angriffe mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen", berichtete die Frankfurter Rundschau. (13.08.2009 )
Heute stehen flächendeckend Strukturen bereit, um die Bundeswehr im Inneren tätig werden zu lassen. Seit 2007 haben die Streitkräfte ein Netz von 441 Kommandos der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit Inland (ZMZ/I) in sämtlichen Regierungsbezirken sowie Kreisen und kreisfreien Städten aufgebaut.
Laut Bundeswehrpublikationen gehe es bei den Bundeswehreinsätzen im Innern nicht nur um die Bekämpfung von Naturkatastrophen und die Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch um den Kampf gegen den Terrorismus und "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner", schreibt Ulrich Sander.(2)
Die Vermischung von zivilen und militärischen Bereichen geht schleichend vor sich. Scheinbar harmlose Sportveranstaltungen verschaffen die notwendige Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung. Ein Beispiel dafür war der 6. Westmünsterländer Vergleichswettkampf, der am 22. August unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters Karl-Heinz Holtwisch von der Reservistenkameradschaft Westmünsterland in Gronau durchgeführt wurde.
"Absicht des Wettkampfes ist ein Vergleich der Kenntnisse und körperlichen Fähigkeiten der Organisationen im Rahmen der Zivil-MilitärischenZusammenarbeit (ZMZ), die Förderung der Kameradschaft und die Darstellung der Arbeit in der Öffentlichkeit", schrieb die Ahlener Zeitung am 09.08.2009.
Deshalb verlief die Laufstrecke auch mitten durch die Innenstadt von Gronau. Unter den Teilnehmern waren die Feuerwehr Bocholt, die Polizei Borken, das Team der Reservistenkameradschaft München-Nord, private Mannschaften, Damenteams und Jugendgruppen.
Die Wettkämpfe beinhalteten Disziplinen, die auch auf militärische Einsätze vorbereiten: Schlauchbootfahren, das Überwinden von Hindernissen, Schießen, Bogenschießen, Klettern, Erste Hilfe, Feuerlöschen und einen Orientierungsmarsch. (3)
Eine ständige Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Behörden gibt es nicht nur in der Körperertüchtigung sondern auch im Bereich der Ausbildung. So bildet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenpläne (BBK) auch Angehörige der Streitkräfte im Rahmen der ZMZ aus. (4)
Die Militarisierung der Gesellschaft hat bereits heute institutionelle Züge angenommen. Daher kann das Bundeswehrmagazin "Y" in seiner Maiausgabe 2009 wohl zurecht befinden: "Auch wenn es noch Betonköpfe vergangener Zeiten gibt, kann man feststellen, dass die Transformation der deutschen Gesellschaft gelungen ist." (5)
"Die von der Bundeswehr entwickelte Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) zielt auf die Militarisierung der Innenpolitik und muss beendet werden", forderte daher Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in einer Presseerklärung vom 01.09.2009: "Die neue Militärstruktur droht zum Sprungbrett für Inlandseinsätze zu werden." Für Jelpke sind die ZMZ-Kommandos "militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern." Das Konzept der ZMZ laufe damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus. Daher fordert Die Linke, "die ZMZ-Strukturen aufzulösen."
Quellen:
(1) Die betreffende Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion Die Linke lautet: "Beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, die ausschließen, dass die ZMZ-Strukturen zur Unterstützung polizeilicher Repressivmaßnahmen gegen Streikende und/oder Demonstrantinnen und Demonstranten herangezogen werden, um eine Wiederholung von Szenarien wie anlässlich des G8-Gipfels 2007 zu verhindern, und wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant oder bereits eingeleitet?" (DB Drucksache 16/13847) Die Antwort der Bundesregierung vom 26. August begnügt sich mit einem Wort: "Nein." (Quelle: Büro Ulla Jelpke)
(2) Zitiert nach Sander: ,http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0537_vortrag_sander.htm
(3) http://www.ahlener-zeitung.de/lokales/kreis_borken/gronau/1102869_Hindernislauf_durch_City.html
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(5) Zitiert aus einem Vortrag von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, auf der 3. Sommerakademie des Friedensratschlag am 17.Juli 2009 in Fuldatal,http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0537_vortrag_sander.htm