Deutschland

Schattenarmeen

Rechte Netzwerke in Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten sind brandgefährlich – und haben Tradition

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Im Juli 2017 berichtete ein früherer Luftwaffenoffizier und Major der Reserve dem Bundeskriminalamt von einer «Schattenarmee» innerhalb der Bundeswehr. Ihm zufolge bereitete sich eine Gruppe von Elitesoldaten darauf vor, Zielpersonen, die in einem «Ordner mit Adressen und Lichtbildern» gesammelt worden seien, zu ermorden. «Kann es sein, dass ein Zirkel aktiver und ehemaliger Elitekämpfer tatsächlich Gewalttaten plant? Dass sie sich mit Waffen ausgestattet haben, für einen ‹Tag X› trainieren? Politiker und ‹linke Aktivisten› töten wollen?», fragte im November 2018 der Focus. 1 Aus ermittlungstaktischen Gründen hatten die Behörden die ersten Erkenntnisse bis dahin geheim gehalten. Der Grund: Zahlreiche Angehörige des Netzwerkes waren Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), ausgebildet für Terrorbekämpfung, Geiselbefreiungen und gezielte Tötungen. 2 Trotz aller Geheimhaltungsversuche wurden in der Vergangenheit jedoch immer wieder Berichte über rechte Vorfälle in der Truppe bekannt. 3 Bei einer Feier im April 2017 beispielsweise, bei der auf einer Schießanlage in der Nähe von Stuttgart der Chef einer KSKKompanie verabschiedet wurde, lief Rechtsrock der Neonazi-Band «Sturmwehr», KSKSoldaten zeigten den Hitlergruß. 4

«Hannibal-Komplex»

Was seit dem Jahr 2017 sukzessive aufgedeckt wurde, ist nichts weniger als ein militantes rechtsradikales Netzwerk. Dessen Mitglieder pflegen nicht nur Verbindungen zum KSK, sondern operieren auch in weiteren Strukturen der Bundeswehr und in Polizeieinheiten. Verbindungen gibt es außerdem zum Verfassungsschutz und zu anderen Sicherheitsbehörden, bis in die Justiz und in die Parlamente hinein. Eine zentrale Rolle für die Struktur spielte die Organisation UNITER, ein Verein, der im Jahr 2012 von ehemaligen KSK-Soldaten gegründet wurde. «Was zunächst als Zusammenschluss von aktiven oder ehemaligen Angehörigen von Spezialeinheiten aus Bund, Ländern und der Polizei entstand, ist heute ein Netzwerk für Menschen auch außerhalb dieser Spezialisierungen. Mitglieder von UNITER e. V. finden sich sowohl in der Wissenschaft, dem privaten Sicherheitsbereich, als auch unter Ärzten, Anwälten, Handwerkern oder im Sport», heißt es auf der Website. 5 UNITER wurde bekannt durch Ermittlungen gegen den stellvertretenden Vorsitzenden André S., der unter dem Pseudonym «Hannibal» Chatgruppen leitete, in denen sich Mitglieder unter anderem über das Szenario eines Zusammenbruches der politischen Ordnung in Deutschland austauschten. Gegenüber Focus und dem SWR äußerte ein ehemaliger KSK-Soldat, André S. habe ihn zu seiner aktiven Zeit anwerben wollen, und es gebe bei UNITER einen «harten Kern von 80 bis 100 Personen », die Waffendepots angelegt hätten. 6

Laut Auskunft der Bundesregierung wurden bei André S. «Hinweise auf Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz» gefunden. 7 Wie Zeugen vor dem Kölner Amtsgericht aussagten, soll «Hannibal» aber vor der Razzia im September 2017, vermutlich durch einen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) – André S. war «Auskunftsperson» des MAD, also eine Art V-Mann 8 –, gewarnt worden sein und mögliches Beweismaterial beiseite geschafft haben. Dass er gewarnt worden war, gab er vor Gericht auch zu – als er gefragt wurde, ob er Kenntnis von den bevorstehenden Durchsuchungen gehabt habe, antwortete er: «Die Kenntnis hatte ich.» Auch bei einer Razzia in Calw, wo das KSK stationiert ist, wurden die Beamten nicht fündig; stattdessen stellten sie fest, dass auch diese Soldaten offenbar bereits gewarnt worden waren. 9

Im Jahr 2017 trat UNITER der Lazarus-Union (Corps Saint Lazarus International, CSLI) bei, einer Hilfsorganisation aus Österreich, die weltweit aktiv ist, sich «auf Tugenden des alten Rittertums beruft und verdienten Mitgliedern mittels symbolischen Ritterschlags durch den Großmeister eine ‹CSLI Ehrenritterschaft› verleiht», wie es in einer Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) zum Thema heißt. Etwa fünf Monate nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen André S. habe sich die Lazarus-Union von UNITER getrennt. Die IMI vermutet, dass André S. UNITER «zu einer Art bewaffnetem Arm der Lazarus-Union» machen wollte: Er baute eine «Defence Unit» auf und organisierte militärtaktische Trainings im In- und Ausland, bei denen die Beteiligten etwa das Schießen aus einem Helikopter lernen konnten. 10 Der Verein plane außerdem, Sicherheitskräfte anderer Staaten auszubilden; entsprechende Dienste biete er beispielsweise auf den Philippinen, in Iran oder in Libyen an, und es sei zu befürchten, dass UNITER zu einer international agierenden Truppe von Söldnern ausgebaut werden solle – «wenn man so will: eine Art deutsches Blackwater ». 11 UNITER selbst schreibt, «jedes Unternehmen im Sicherheitsbereich» könne bestätigen, dass es sich nicht um einen «rechten Verein» handle. «Führende Konzerne» wüssten, «entgegen der Medienberichterstattung», warum sie bevorzugt UNITER-Mitglieder einstellten, da die Zugehörigkeit zu diesem Verein inzwischen «zu einem anerkannten Qualitätsmerkmal» geworden sei. 12

Todeslisten, Ätzkalk, Leichensäcke

Die Namen der von André S. gemeinsam mit dem KSK-Soldaten Robert P., der unter dem Decknamen «Petrus» agierte, eingerichteten Chatgruppen waren an die Unterteilung in verschiedene Distrikte, wie sie auch UNITER pflegt, angelehnt. Sie lauteten Vier Gewinnt, Nordkreuz, Nord.Com, Nord, Ost, Süd, West, Österreich und Schweiz. Im Juni deckte das Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, dass es neben Nordkreuz auch noch die Chatgruppen Westkreuz und Südkreuz gegeben hatte. 13 Dort tauschten sich sogenannte Prepper aus – Menschen, die sich auf Katastrophenfälle vorbereiten, etwa durch die Einlagerung von Lebensmittelvorräten, die Errichtung von Schutzbauten oder die Hortung von Waffen. An sie gab André S. Interna der Bundeswehr, zum Beispiel Lagepläne, weiter. In den Anfang 2017 aufgelösten Gruppen waren unter anderem aktive und ehemalige Soldaten, Reservisten, Anwälte, Personenschützer und Polizisten zugange; in der Chatgruppe Süd auch Franco Albrecht, dem rechte Terrorpläne vorgeworfen werden. Als Albrecht, jener Soldat, der sich als falscher syrischer Flüchtling registriert hatte,14 am 3. Februar 2017 am Wiener Flughafen eine Waffe deponierte, brachte er damit sich und das rechte Netzwerk um UNITER auf den Radar der Behörden. Im Zuge von Razzien wurden bei ihm unter anderem zwei Gewehre, eine Pistole und fünfzig Sprengkörper gefunden, bei seinem Komplizen Mathias F., einem Studenten aus Offenbach, 1 083 Schuss Munition und Zünder für Handgranaten. Auch die Wohnung von Maximilian T., Offizier beim Jägerbataillon 291 in Illkirch, wurde durchsucht. Er ist AfD-Mitglied und inzwischen Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte, der im Verteidigungsausschuss des Bundestages sitzt – er verfügt also nun über einen Hausausweis für den Bundestag. Ihm wird vorgeworfen, bei der Erstellung von Listen mit Anschlagszielen, die bei Albrecht gefunden wurden, mitgewirkt zu haben. Auf den Papieren fanden sich handschriftlich notierte konkrete Anschlagspläne, es heißt dort beispielsweise: «Gruppe Antifa: Granate Asylant werfen lassen, filmen» oder «Sprengung Rothschild-Stein in Frankfurt». Es gab zudem Pläne, die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aus dem Gefängnis zu befreien. 15

Bei Mitgliedern der Gruppen Nord, Nordkreuz, Vier Gewinnt, Süd und Südkreuz konnten Listen mit politischen Gegnernsichergestellt werden, die als «Todeslisten»durch die Presse gingen. 16 Unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei hatteetwa Nordkreuz, eine Gruppe mit rund vierzigMitgliedern, die Daten von etwa 25 000 Personen, überwiegend aus dem linken politischenSpektrum, gesammelt. Es gab zudemkonkrete Pläne, politische Gegner – in Uniformenund Fahrzeugen der Bundeswehr, umpolizeiliche oder militärische Checkpointsleichter passieren zu können – am «Tag X» gefangen zu nehmen und zu ermorden. Der Gründer der rechten Prepper-Gruppe, der SEK-Beamte Marko G., hatte Munition aus Polizeibeständen entwendet und Tausende Patronen gehortet. Außerdem wurde bei ihm eine Maschinenpistole aus Bundeswehrbeständen sichergestellt. 17 Wie Anfang Juli bekannt wurde, wollte Nordkreuz für Angriffe auf politische Gegner rund 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellen. «Die meisten Personen der Chat-Gruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter sind mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von ‹Nordkreuz› haben Zugang zu Waffen, verfügen über Zehntausende Schuss Munition und sind geübte Schützen», so ein Zeitungsbericht. 18

Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523 der baden-württembergischen Bereitschaftspolizei etwa, bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2014 in Böblingen untergebracht, war durchsetzt von Personen aus dem Netzwerk und weiteren Neonazis; zwei Polizisten der BFE 523 waren auch Mitglieder einer Ku-Klux-Klan-Zelle. In der Studie Der Hannibal-Komplex: Ein militantes, rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten gibt die IMI zu bedenken: «Auch die im April 2007 mutmaßlich vom NSU ermordete Polizistin Michele Kiesewetter war Teil der BFE 523. Der Mord an ihr fällt dadurch auf, dass er am stärksten von den übrigen Morden des NSU abweicht.» Es gebe Hinweise auf eine Beteiligung von mehr als zwei Personen, was gegen die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als einzige Täter spreche: «So wurden mehrere Personen – z. T. mit blutverspritzter Kleidung – in Tatortnähe gesichtet, deren Phantombilder keine Ähnlichkeit mit dem NSU-Kerntrio hatten.» Darüber, ob der Mord an Michele Kiesewetter in direkter Verbindung zum «Hannibal-Komplex» stehe, lasse sich letztendlich nur spekulieren – bemerkenswert sei der Umstand jedoch allemal. 19

Unterwanderte Sicherheitsbehörden

Betrachte man, so die IMI, das gesamte Netzwerk, so werde deutlich, wie gefährlich und gut vernetzt dessen Mitglieder seien. Offenbar hätten sie ihre Pläne noch nicht umsetzen können – dies aber dürfte eher der Leichtsinnigkeit Franco Albrechts und der intensiven Recherche von Journalisten zu verdanken sein als der Arbeit deutscher Ermittlungsbehörden. Nach wie vor sei davon auszugehen, dass noch immer größere Bestände an Waffen und Munition existierten: Keines der in den Chats erwähnten Munitionsdepots sei bislang ausgehoben worden – man habe lediglich Waffen beschlagnahmt, die Einzelne bei sich zuhause gelagert hatten. Dass das Netzwerk bestens in alle Teile der Staatsgewalt vernetzt sei, mache es so brandgefährlich: Es gibt Verbindungen zur Polizei im gesamten Bundesgebiet, zur Bundeswehr, zum MAD sowie zu den Verfassungsschutzbehörden in Baden-Württemberg und Bayern – und das könnte «nur die Spitze des Eisbergs sein». UNITER bezeichnet sich selbst als Netzwerk für «SOF and Intelligence», also Spezialkräfte und Geheimdienste. Gute Verbindungen bestünden auch zur AfD, die «das Bindeglied zwischen dem Hannibal- Komplex und verschiedenen Parlamenten» darstelle. 20 Tobias L., welcher der Zelle um Franco Albrecht zuzuordnen ist, wurde von den Behörden zudem als führender Aktivist der rechtsradikalen Identitären Bewegung identifiziert. Er soll einen Anschlag auf die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geplant haben. Seit dem 9. März ist L. stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative Ostbayern und engagiert sich auch anderweitig für die AfD. 21

Besonders bedenklich sei, dass die Bundesregierung nicht an einer umfassenden Aufklärung des Komplexes interessiert sei – außer den Hausdurchsuchungen hatten die Beteiligten bislang kaum Konsequenzen zu fürchten, sie befinden sich nach wie vor auf freiem Fuß. Der deutsche Staat hat traditionellerweise kein großes Interesse daran, publik zu machen, inwieweit die Sicherheitsstrukturen rechts unterwandert sind. Dass diesbezüglich eher vertuscht als aufgeklärt wird, zeige sich etwa auch «deutlich an der mangelhaften Aufarbeitung der Verbrechen des NSU und der Verstrickung der Verfassungsschutzbehörden. In dieser Logik ist es nur plausibel, dass nur ermittelt und zugegeben wird, was entweder nicht zu leugnen ist oder sich gegen den Staat selbst richtet. Der Rest – und vor allem der Netzwerkcharakter – wird geleugnet.» 22 Es ist historisch hinreichend belegt, dass es rechtsradikale staatliche Strukturen, zum Teil aufgebaut und koordiniert durch die Geheimdienste, in Westdeutschland schon immer gab. Beispiele hierfür sind der Zusammenschluss von rund 2 000 ehemaligen Offizieren, die ab 1949 – vor dem Beschluss der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik – unter Leitung der Organisation Gehlen (ORG), dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND), den Aufbau einer deutschen Armee aus Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS betrieben, 23 sowie der von den Geheimdiensten koordinierte Aufbau der NATO-Geheimarmeen in ganz Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich ebenfalls zum großen Teil aus alten und neuen Nazis rekrutierten.

Rechter Terror im Staatsauftrag

«Das Personal, das unterm Hakenkreuz der Barbarei diente, überlebte nicht nur das Tausendjährige Reich. Es machte ungebrochen weiter. Schließlich gab es ja auch noch immer ‹den Marxismus›. Der Nazistaat war gegangen, der Feind geblieben. Nicht weniger als 75 bis 80 Prozent aller Beamten der Bundesrepublik in den 50er Jahren hatten bereits auf Adolf Hitler einen Amtseid geleistet », stellen Klaus Eichner und Gotthold Schramm, ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, in ihrer Untersuchung Angriff und Abwehr: Die deutschen Geheimdienste nach 1945 fest. 24 Seit Frühjahr 1945 hatten sich Einheiten der alliierten Geheimdienste in Deutschland niedergelassen und rekrutierten Nazis für ihre eigenen Zwecke. «Es war der Anfang jener unheiligen Allianzen zwischen Nachrichtendienst-Organen der Besatzungsmächte und den geheimdienstlich-polizeilichen Machtträgern des untergegangenen NS-Regimes», schreibt der Journalist und Sachbuchautor Heinz Höhne. 25 Dass die Gründergeneration des bundesdeutschen Geheimdienstsystems von ehemaligen Mitarbeitern des faschistischen Sicherheitsapparates geprägt war, rechtfertigte Harry Rositzke, der für die Central Intelligence Agency (CIA) ein operatives Referat gegen die Sowjetunion aufgebaut hatte, später mit den Worten: «Es war unbedingt notwendig, dass wir jeden Schweinehund verwendeten, Hauptsache er war Antikommunist.» 26

Einer von diesen «Schweinehunden» war Reinhard Gehlen. Er hatte seine Geheimdienstkarriere unter Hitler begonnen, als Chef der Fremde Heere Ost. Seine durch Folter, Verhöre und Mord gewonnenen Daten über die UdSSR erschienen den USA so nützlich, dass er im Jahr 1946 zum Chef des ersten westdeutschen Geheimdienstes gemacht wurde, der nach ihm benannt wurde: Organisation Gehlen (ORG). Im Sommer 1949 kamen 400 der 4 000 Mitarbeiter in der ORG aus der SS, dem SD oder der Gestapo, fast alle hatten leitende Positionen inne. Die ORG sei «weniger ein von amerikanischen Diensten unterstützter Geheimdienst als vielmehr eine potentielle Widerstandsgruppe geworden, die von der US-Regierung unterstützt und finanziert wird», hieß es schon 1947 in einer Untersuchung der Central Intelligence Group, einer Vorläuferin der CIA. 27 Im Jahr 1956 trat Gehlen offiziell in den Dienst der BRD: Aus der ORG wurde der BND. Der Dienst wurde dem Bundeskanzleramt unterstellt und «einer vermeintlichen parlamentarischen Kontrolle unterworfen», wie der Historiker Daniele Ganser in seiner Untersuchung NATO-Geheimarmeen in Europa schreibt. 28

Das von CIA und MI6 in Kooperation mit den jeweiligen nationalen Geheimdiensten entwickelte und durch NATO-Strukturen koordinierte Netzwerk antikommunistischer Geheimarmeen wurde in ganz Westeuropa aufgebaut. Überall wurden geheime Waffendepots eingerichtet. Die Verbindungen zu Rechtsradikalen führten in verschiedenen Ländern zu Gewalttaten mit Hunderten von Toten. Angehörige der Netzwerke wurden in den USA und England ausgebildet, ausgewählte Offiziere in der berüchtigten «School of the Americas», wo sie nach dem Field Manual 30-31 geschult wurden. Das Handbuch gibt Ratschläge für Aktionen in den Bereichen Sabotage, Bombardierung, Tötung, Folter, Terror und Wahlfälschung. Außerdem beinhaltet es die Anordnung an die Geheimsoldaten, in Friedenszeiten Gewaltakte zu verüben und diese dann Kommunisten anzulasten, sowie Unterrichtungen darüber, wie linke Bewegungen unterwandert und zur Gewaltanwendung gedrängt werden können. «Indem die Geheimarmeen zusammen mit überzeugten rechtsradikalen Terroristen unschuldige Bürger auf Marktplätzen oder in Supermärkten töteten und die Verbrechen dann den Kommunisten in die Schuhe schoben, machten sie die Ängste der Strategen des Pentagons zu den Ängsten der europäischen Bürger», erklärt Ganser.29

In der Bundesrepublik wurden schon im Jahr 1952 eines dieser Netzwerke, der «Bund Deutscher Jugend» (BDJ), und sein Stay-behind «Technischer Dienst» (TD) aufgedeckt. Der BDJ zählte offiziell 17 000, der TD etwa 200 Mitglieder. Ein CIA-Verbindungsmann sorgte für Geld und Ausrüstung. Der CIA war auch durchaus bewusst, dass Listen von Personen existierten, die im Falle einer sowjetischen Invasion liquidiert werden sollten. Deutsche Kommunisten standen auf der Todesliste ganz oben, gefolgt von den führenden Vertretern der westdeutschen SPD. Es gab ausgebildete Agenten, welche «die SPD infiltrierten und die Parteiführung ausspionierten, so dass sie schneller töten konnten, wenn die Zeit gekommen war». 30 Nach langen Diskussionen mit den Amerikanern vertuschte die Regierung Adenauer die Angelegenheit und unterband deren Untersuchung. Alle verhafteten TD-Mitglieder wurden freigelassen.

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Kontinuitäten

Lutz Stavenhagen, Staatsminister in der Regierung Kohl, log, als er im Jahr 1990, nachdem das gesamte Netzwerk der NATO-Geheimarmeen in Westeuropa aufgedeckt worden war, behauptete, dass die Waffendepots bis 1972 aufgelöst worden seien: Noch 1981 wurde in der Nähe von Uelzen ein Waffenlager entdeckt, woraufhin der Rechtsradikale Heinz Lembke verhaftet wurde; es war Teil eines großen vernetzten Arsenals, das aus 33 unterirdischen Verstecken bestand. Ganser vermutet, dass es benutzt worden war, um die Wehrsportgruppe Hoffmann auszustatten – für den Terroranschlag auf dem Münchner Oktoberfest am Abend des 26. September 1980, bei dem 13 Menschen starben. Ob dieser Anschlag Staatsterror war, ist nicht bewiesen. In einem Verfahren vor einem Luxemburger Gericht belastete der Zeuge Andreas Kramer seinen verstorbenen Vater, den offenbar für den BND tätigen Johannes Karl Kramer, Drahtzieher scheinbarer linksterroristischer Anschläge in Bologna, beim Münchner Oktoberfest und in Luxemburg gewesen zu sein. 31 Unklar ist auch, ob die Rote Armee Fraktion (RAF) zum Zweck der Verübung von Morden und Anschlägen von Rechtsradikalen im Auftrag der Geheimdienste unterwandert und instrumentalisiert wurde, wie es in Italien für die Stadtguerilla der Roten Brigaden bewiesen ist. Zur RAF gibt es Akten, die im Stuttgarter Staatsarchiv bis zum Jahr 2060 – oder «für unbegrenzte Zeit» – unter Verschluss stehen, weil das Bekanntwerden ihres Inhaltes «dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde». 32 Die NATO und die Geheimdienste schweigen – obschon das EUParlament bereits im Jahr 1990 eine Aufklärung forderte. Nur in drei Ländern befassten sich parlamentarische Untersuchungskommissionen mit den Aktionen der Einheiten: in Belgien, der Schweiz und Italien. 33

Nach der «Wende» behauptete die deutsche Regierung, dass nach Vereinbarungen mit den Verbündeten die Auflösung des Netzwerkes bis zum April 1991 vollzogen werde – offenbar eine weitere Lüge: Noch 1995 führte Peter Naumann, ein Freund Lembkes, die Polizei zu insgesamt 13 Waffenverstecken in Niedersachsen und Hessen. Es gibt also nicht nur historische Vorbilder für militante rechte Netzwerke in der Armee und den Sicherheitsbehörden – womöglich besteht sogar eine gewisse Kontinuität. «Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Stay-behind-Verbände offiziell aufgelöst. Es wäre aber durchaus möglich, dass der BND diese Pläne in Zeiten einer neuen Konfrontation zwischen der NATO und Russland wiederaufleben lässt und jetzt neue paramilitärische Gruppen gegründet und gefördert werden», so die IMI. 34

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