Rezepte gegen Terror gesucht
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Politiker suchen nach Antworten auf die Anschläge der vergangenen Tage
Nach den Anschlägen von Würzburg, München und Ansbach ist die Debatte um politische Konsequenzen voll entbrannt. Das Spektrum derjenigen, die sagen, es könne nicht weiter gehen wie bisher, reicht von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bis hin zur Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Sie sagte gestern: „Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt.“
Viele Vorschläge und Forderungen werden derzeit ins Spiel gebracht. Einige davon sind alt, einige neu, andere vermutlich wenig hilfreich.
Da sind erstens diejenigen Vorschläge, die die Innere Sicherheit verbessern sollen. So fordert die Union seit Langem, die Bundeswehr auch im Inneren des Landes einzusetzen. Die Forderung, dazu das Grundgesetz zu ändern, ist von der SPD abgelehnt worden, deren Unterstützung für eine Zweidrittelmehrheit notwendig wäre. Nun gilt die Sprachregelung, dass das Grundgesetz in der heutigen Form bereits den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erlaube. Demnach darf die Bundeswehr von der Polizei angefordert werden, aber nicht selbstständig aktiv werden.
Was das Grundgesetz sagt
Artikel 35 des Grundgesetzes regelt, dass der Einsatz der Streitkräfte im Innern zur Hilfe bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen – im sogenannten Katastrophennotstand – auf Anforderung eines Bundeslandes oder auf Anordnung der Bundesregierung möglich ist. „Das Vorliegen eines besonders schweren Unglücksfalls kommt auch bei terroristischen Großlagen in Betracht“, heißt es im neuen Weißbuch Verteidigung. Hier könnten die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte „unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen“. In München war vergangene Woche eine Einheit Militärpolizei in Bereitschaft versetzt worden.
Bayerns Innenminister Herrmann forderte nun ausdrücklich den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Vorbehalte dagegen seien heute überholt. Kritik daran kommt vor allem aus den Reihen der SPD: Die Bundeswehr sei dazu gar nicht ausgebildet und ausgerüstet, sagte Johannes Kahrs, SPD- Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsausschusses.
Im neuen Weißbuch, das am 13. Juli 2016 veröffentlicht und vom Kabinett beschlossen wurde, heißt es dazu: „Innere und äußere Sicherheit sind nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen“. Die Bundeswehr habe daher die Aufgabe „zur Terrorabwehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Voraussetzungen“ beizutragen.
Freiwilligenarmee
Nun gibt es einen neuen Vorschlag. Wie die BILD-Zeitung berichtet, denkt die Bundesregierung über eine Reservisten-Armee nach ausländischem Vorbild nach. Diese könnte aus Freiwilligen bestehen, die Berufserfahrungen bei der Polizei oder beim Militär gesammelt haben. In den USA, Frankeich und Großbritannien gibt es solche Modelle seit Langem. Diese unterstützen allerdings die offizielle Armee bei ihren eigentlichen Aufgaben der Landesverteidigung.
Mehr Polizei auf den Straßen überhaupt plant der Bundesinnenminister. Thomas de Maizière sagte mehr Polizeistreifen insbesondere auf Flughäfen und Bahnhöfen zu. Zudem denkt er über eine Verschärfung des Waffenrechtes nach.
Ein Rucksackverbot bei Großveranstaltungen wurde vom Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter ins Spiel gebracht. Auch mehr Videoüberwachung wurde gefordert – eine relativ einfache und billige Maßnahme, die aber im Ernstfall wenig bringt.
Mehr Kontrolle von Flüchtlingen
Eine zweite Gruppe von Vorschlägen richtet sich gegen diejenigen, die für Personen mit höherem Täterrisiko gehalten werden. Dazu zählen nach den Anschlägen der vergangenen Tage nach Ansicht einiger Politiker insbesondere Flüchtlinge. Vor allem aus der CSU wird nun eine Verschärfung der Kontrolle von Flüchtlingen gefordert.
„Sicherheitsüberprüfungen aller Flüchtlinge“ seien daher nötig. Flüchtlingsunterkünfte sollten kontrolliert werden. „Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wer sich in unserem Land aufhält“, sagte Bayerns Innenminister Herrmann. Schon bei der Erstkontrolle müsse die „Identität der Flüchtlinge so gut es geht geklärt werden“.
Wenn das nicht möglich sei, etwa wenn keine Ausweispapiere vorlägen, müsse der Betroffene zunächst an der Grenze bleiben. Bei bereits eingereisten Flüchtlingen, die noch nicht identifiziert wurden, müsse dies rasch nachgeholt werden, forderte Herrmann. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte gar eine „Registrierungsrevision aller Flüchtlinge“. Dazu reiche die Selbsterklärung nicht aus. Jeder müsse „persönlich gehört und genau geprüft werden, um einen Generalverdacht zu verhindern“.
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Bundesinnenminister de Maizière ist von dieser Forderung nicht überzeugt. Es habe ja bereits eine Sicherheitsüberprüfung der Flüchtlinge gegeben. Das Problem sei, dass es keine vollständige Datei möglicher Gefährder aus Syrien und dem Irak gebe.
Alles in allem verraten die nun vorgebrachten Vorschläge und Forderungen eine hohe Ratlosigkeit. So dürfte die Feststellung der Identität eines Flüchtlings alleine in den wenigsten Fällen weiterhelfen. Die von Sahra Wagenknecht geforderte Diskussion über „Gefahrenpotentiale“ ist bislang noch nicht sehr weit gekommen – im Gegenteil: Die schärftste Kritik ihrer Äußerungen kommt aus ihrer eigenen Partei.