Patienteninformation durch Hersteller? EU-Kommission als Büttel der Pharmaindustrie
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von JÖRG SCHAABER, März 2008:
Die Europäische Union will der Pharmaindustrie erlauben, Patienten direkt über rezeptpflichtige Arzneimittel zu „informieren“. Das ist ihr einziger Vorschlag zur Verbesserung der Aufklärung von Kranken. Setzt sich die Industrielobby durch, wird das vor allem auch für arme Länder gravierende Folgen haben.
Bislang erlauben nur die USA und Neuseeland solche direkte Werbung bei Konsumenten. Wenn die EU freie Bahn für die Beeinflussung von Patienten durch die Industrie gibt, wird das einen weltweiten Dammbruch zur Folge haben. Denn welches arme Land wollte sich dann noch gegen die Begehrlichkeiten der Pharmaindustrie zur Wehr setzen, auch in Bombay, Nairobi oder sonst wo in der Welt die Patienten direkt zu beeinflussen? Die Folgen wären dort noch gravierender als in Europa. Neben den relativ wenigen Wohlhabenden würden auch die Armen mehr Geld für überteuerte und oft wenig sinnvolle Präparate ausgeben. Angesichts des in diesen Ländern oft extrem dünnen Angebots an verlässlichen Informationen über Arzneimittel ist kaum ein Korrektiv denkbar. Ein wahrer Alptraum für die Betroffenen, aber der Traum von Big Pharma.
EU-Kommission versagt
Patienten-Information ist eine wichtige Sache und nicht immer steht es zum Besten um sie. Einem beinahe unüberschaubaren Angebot von oft zweifelhafter Information, das vor allem im Internet verbreitete wird, stehen wenige gute Informationen gegenüber. Für Laien ist es meist schwer zu entscheiden, welche Informationen vertrauenswürdig sind.
Doch was die EU-Kommission für Unternehmen und die Industrie jetzt vorschlägt, hat mit besserer Information nichts, mit Pharmawerbung dafür um so mehr zu tun. Als das Europäische Parlament die EU-Kommission beauftragte, 2007 einen Bericht über Zugänglichkeit von Arzneimittelinformationen für Patienten vorzulegen, hatte es die Qualität und Brauchbarkeit der Information im Sinn. Doch die zuständige Generaldirektion für Unternehmen und Industrie hat aus diesem Auftrag etwas völlig anderes gemacht. Statt gründlich zu recherchieren, was es schon alles an brauchbaren Informationen gibt und wie diese Informationsquellen besser gefördert werden können, wird Klientelpolitik für die Pharmaindustrie betrieben. Aufgrund entschiedener Proteste wurde lediglich der plumpe Vorschlag, unbeschränkte Direktwerbung für rezeptpflichtige Arzneimittel zu erlauben, nicht weiter verfolgt.
Stattdessen setzt die Kommission jetzt auf „Information“ durch die Industrie. Das macht eine öffentliche Anhörung deutlich, bei der alle EU-BürgerInnen und Organisationen jetzt aufgefordert sind, zu dem Gesetzesvorschlag der Kommission Stellung zu nehmen (1). Eigentlich handelt es sich nur um einen einzigen Vorschlag: nämlich der Industrie zu erlauben, PatientInnen direkt über Krankheiten und deren Behandlung zu „informieren“. Die einzige Option, die noch offen gelassen wird, ist, ob die Industrie sich dabei selbst kontrollieren darf oder vielleicht doch ein bisschen staatliche Aufsicht noch sein muss.
Das will die EU-Kommission:
„[…] es sollte für die Pharmaindustrie möglich sein, Informationen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten zu verbreiten in Fernseh- und Radioprogrammen, durch Verteilung von gedrucktem Material, durch Informationen in Print-Medien oder durch audiovisuelles und gedrucktes Material, das durch Ärzte an Patienten verteilt wird.“ (1) |
„Soft pull“ oder harte Werbung?
Der ganze Kommissionsvorschlag ist von Werbesprache und Werbedenken geprägt. Da ist von „Pushed information“ (das, was man dem Kunden aufdrängt wie Werbungen, Fernsehbeiträge usw.) und „Pull information“ (wo der Patient selbst nach Informationen nachfragt) die Rede. Dann gibt es aber Weiterentwicklungen wie „Soft pull“, damit sind dann Internetseiten der Firmen gemeint, weil der Patient die ja selbst aufsuche. Dass Firmen bewußt und massiv auf solche Seiten hinlenken, davon ist nicht die Rede (siehe Bildbeispiel). In der Branche ist diese Werbestrategie längst eigene Untersuchungen wert. So führt Manhattan Research eine Hitliste der am meisten von europäischen Verbrauchern besuchten Pharma-Webseiten und befragt Verbraucher zur Akzeptanz solcher Angebote (2). „Da europäische Verbraucher dazu neigen, das Internet für Gesundheits- und Medikamenteninformation zu nutzen, hat Manhattan Research drei Schlüsseltrends im Pharmamarkt beschrieben, deren sich jeder Gesundheits- und Medikamentenmarkt[-teilnehmer] bewusst sein und die er noch heute in seine Planungen einbeziehen muß.“ (3) Verbraucher suchten auf Firmen-Webseiten Informationen und das beeinflusse ihre Entscheidungen, deshalb seien Firmenseiten in Landessprache wichtig. Suchmaschinen und Nachschlagewerke seinen eine wichtige Informationsquelle. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass Firmen auf die „Vollständigkeit“ der Wikipedia-Einträge zu ihren Medikamenten achten. Schließlich wirkten die Informationen aus dem Internet auf andere, wenn die Verbraucher beim Arzt oder Bekannten von neuen „erfolgreichen Therapien“ berichteten.
Industrie manipuliert
Warum die Industrie jetzt im großen Maßstab Laien berieseln dürfen soll, ist unerfindlich. Denn es gibt überzeugende Belege, dass direkte „Information“ der Fachleute durch die Industrie nicht zu besserer Therapie führt. Ärztinnen und Ärzte lassen sich durch Pharmavertreter beeinflussen, obwohl diese angeblich auch nur informieren wollen. Industriegesponserte Fortbildungen geben unvollständige und irreführende Botschaften. Selbst die Fachpresse wird durch die Industrie kräftig beeinflußt (4). So schaffen es Firmen immer wieder, selbst dort negative Ergebnisse in Erfolge umzudeuten (5). Ganz zu schweigen davon, dass die Industrie negative Studien gern ganz unter den Tisch fallen läßt, damit ihre Mittel besser aussehen (6) (7).
Bereits jetzt berieseln Pharmafirmen Verbraucher im Internet mit „Gesundheitsinformationen“. Das geschieht oft am Rande und jenseits der Legalität und von ausgewogener Information kann nicht die Rede sein. Wenn die Beeinflussung bei Ärztinnen und Ärzten schon so gut funktioniert, warum sollen ausgerechnet Patienten dagegen immun sein?
Es gilt, diesen Dammbruch für eine praktisch ungezügelte Beeinflussung der Warenanbieter in Europa zu verhindern, nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern auch im Interesse der Patienten in armen Ländern.
Quellen:
(1) European Commission. Legal proposal on information to patients. Brussels 5th Feb. 2008 http://ec.europa.eu/enterprise/pharmaceuticals/pharmacos/docs/doc2008/2008_02/info_to_patients_
consult_200802.pdf Ende der Stellungnahmefrist 7. April 2008
(2) www.manhattanresearch.com/files/PRESS/Cybercitizen_Health_Europe_072307.pdf
(3) Manhattan research. European Consumers Seeking Health Information. White paper 10/2007 www.manhattanresearch.com/files/Cybercitizen_Health_(clients)/CCH_EUROPE/Version_7.0/
European_Consumers_Seeking_Health_Information_by_Manhattan_Research.pdf
(4) Veronica Yank, Lisa A Bero, Drummond Rennie. Financial ties and concordance between results and conclusions in meta-analyses: retrospective cohort study. British Medical Journal 335, p 1202-1205, Dec 2007
(5) Friedberg et al. Evaluation of Conflict of Interest in Economic Analyses of New Drugs Used in Oncology. Journal of the American Medical Association (JAMA) 2o Oct 1999
(6) Hans Melander, Jane Ahlqvist-Rastad, Gertie Meijer and Björn Beermann. Evidence b(i)ased medicine—selective reporting from studies sponsored by pharmaceutical industry: review of studies in new drug applications British Medical Journal 2003;326;1171-1173
(7) Erick H. Turner et al. Selective Publication of Antidepressant Trials and Its Influence on Apparent Efficacy. New England Journal of Medicine 358;3 January 17, 2008
Unübersehbar: Werbung für die Internetseite zu einem Potenzmittel auf dem Berliner Hauptbahnhof im Februar 2008. Firmenwebseiten sind auch jetzt schon ein wichtiges Werbeinstrument, das sich oft am Rande des Legalen bewegt. Foto: Jörg Schaaber
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