Innenpolitik

Offenbarungseid: Die Linke und die Wahl des Bundespräsidenten

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Von SEBASTIAN RANGE, 28. Februar 2012 –

Das Kandidaten-Tohuwabohu der Linken zur Bundespräsidentenwahl hat gestern mit der einstimmigen Wahl der 73 Jahre alte Deutsch-Französin Beate Klarsfeld durch den geschäftsführenden Parteivorstand sein Ende gefunden.

Zuvor hatten der Politikprofessor Christoph Butterwegge und die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen abgesagt. Der Entscheidung ging eine tagelange Hängepartie voraus, weil sich die Parteiführung zunächst nicht auf einen der drei Anwärter einigen konnte.

Linken-Chef Klaus Ernst betonte, Klarsfeld werde am 18. März in der Bundesversammlung nicht nur als Kandidatin der Partei antreten. „Alle Demokratinnen und Demokraten, die nicht Herrn Gauck wählen wollen, haben damit eine echte Alternative.“ Die in Paris lebende Journalistin stehe für Antifaschismus, Gerechtigkeit, soziale Verantwortung und Aufbegehren gegen herrschende Verhältnisse.

Was Ernst nicht sagte: Beate Klarsfeld steht auch und vor allem für einen parteiinternen Machtkampf und für die Aufweichung linker Positionen zugunsten einer möglichen zukünftigen Regierungsbeteiligung.

Die Jägerin

Mit einem Handstreich wurde Klarsfeld berühmt: Auf dem CDU-Parteitag 1968 hatte sie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen dessen Nazivergangenheit eine schallende Ohrfeige verpasst. Ihr größter Coup gelang ihr jedoch, als sie den als „Schlächter von Lyon“ berüchtigten Gestapochef Klaus Barbie in Bolivien aufspürte. Barbie wurde 1982 nach Frankreich ausgeliefert und in dem anschließenden Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die in den Medien seitdem als „Nazi-Jägerin“ bezeichnete gebürtige Berlinerin nahm ihre Nominierung „begeistert auf“, so die Nachrichtenagentur dpa. Sie verstehe sich nicht nur als Antifaschistin, sondern auch generell als Anwältin der Menschenrechte. „Ich setze mich ein für die Völkerverständigung und sehe mich immer auf der Seite der Opfer.“

Es sei denn, es handelt sich um Oper der israelischen Besatzung oder um Opfer der militärischen Interventionen im Irak oder in Afghanistan. Denn Klarsfeld übt sich in bedingungsloser Solidarität mit Israel und seiner Besatzungspolitik. Sie gilt ebenfalls als Unterstützerin des Irakkrieges und des Einsatzes in Afghanistan. In den vergangenen Jahren agierte sie darüber hinaus an vorderer Front  bei der Mobilmachung gegen den Iran.

So gehört sie zu den Erstunterzeichnern der Kampagne Stop the Bomb, in der sich Neokonservative und sogenannte Antideutsche zusammengeschlossen haben, um für einen militärischen Einsatz gegen den Iran zu werben. (1)

In Zusammenhang mit einem Geschäftsabkommen des in Wien ansässigen Öl- und Gas-Unternehmens OMV mit dem Iran protestierte sie im Jahr 2008 mit den Worten: „Will Österreich sich, nachdem es in den letzten Jahren zaghaft begonnen hat, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, schon wieder schuldig machen, indem es die Judenmörder von heute und morgen unterstützt?“ (2)

Sie steht damit für die Zäsur, die der Antifaschismus in der Bundesrepublik unter der rot-grünen Regierung erlebt hat. Bis dahin manifestierte sich für Antifaschisten die Lehre aus der NS-Vergangenheit in der Formel „Nie wieder Krieg! Nie wieder Auschwitz!“ Beschrieb dieser Appell  noch deutlich den Zusammenhang zwischen dem Krieg der Nationalsozialisten und den von ihnen im Schatten des Krieges errichteten Vernichtungslagern, so stellte der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer die beiden Elemente gegeneinander. „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“ Damit begründete er 1999 den Angriff auf Jugoslawien und den erstmaligen Kriegseinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg – schließlich sollte ein vermeintlich drohendes neues Auschwitz im Kosovo verhindert werden.

Spätestens als Kanzler Gerhard Schröder im Sommer 2000 den „Aufstand der Anständigen“ verkündete, war der „alte“, historische Antifaschismus in einen „modernen“, staatstragenden überführt worden. Seitdem ist Antifaschismus Konsens in der Politik – auch und vor allem, weil er sich historisch mit dem Ableben der alten Nazis erledigt hat und kaum mehr gesellschaftspolitische Sprengkraft besitzt. Es boten sich ihm keine Wangen mehr an, die es zu Ohrfeigen galt.

Aber sein Erbe besteht in einer Position der moralischen Überlegenheit, die sich gerne zu eigen gemacht wird. Die Bemühung antifaschistischer Rhetorik gehört seit dieser Zäsur zum guten Ton wenn es gilt, die Öffentlichkeit von einem weiteren Angriffskrieg zu überzeugen. Ob im Kampf gegen den „Wiedergänger Hitlers“ aus Bagdad, den „Islamfaschisten“ in Afghanistan oder den „neuen Judenmörder“ aus Teheran, die vergangenen Verbrechen der Nazis und das in Hitler personifizierte Böse wurden und werden fleißig instrumentalisiert, um zukünftige Verbrechen – nämlich im Kampf gegen das „Böse“ – zu legitimieren.

Solche Vergleiche karikieren vor allem die simultan geltende These von der Singularität der Naziverbrechen – eine Relativierung des Holocaust, wie sie von den neo-antifaschistischen Kriegstrommlern bereitwillig in Kauf genommen wird.

Macht macht opportun

Was aber treibt die Linke, die bislang als einzige Partei im Bundestag sämtliche Kriegseinsätze ablehnte, dazu, ausgerechnet Klarsfeld zu nominieren?

Mit unkritischem Blick könnte man zu der Auffassung gelangen, hinter ihrer Kandidatenkür stünde nichts weiter als die Absicht, in Zeiten des NSU-Terrors ein klares Signal gegen die Ewiggestrigen setzen zu wollen – Klarsfelds Ansichten zum Thema Krieg und Frieden seien dagegen zweitrangig. Diese Lesart legt Ulrich Mauer,  Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, nahe: „Angesichts des derzeitigen Wirkens der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU und der Ermordung von zehn Menschen ist Klarsfeld die richtige Antwort auf dieses Treiben, dem die anderen Parteien im Bundestag viel zu lange untätig zugesehen haben.“ (3)  

Noch naiver wäre es allerdings, der Erklärung Glauben zu schenken, wonach ihre Nominierung ganz zufällig zustande kam. In einer dpa-Meldung liest sich das so: „Beate Klarsfeld war schon am vorletzten Wochenende eher zufällig in das Rennen um die Kandidatur gestartet. „Wenn ich mir eine Bundespräsidentin wünschen dürfte, dann wäre es eine Frau wie Beate Klarsfeld“, hatte Linke-Chefin Gesine Lötzsch auf einem Parteitag in Brandenburg gesagt. (…) Der Satz entwickelte aber eine gewisse Eigendynamik. Durch einen Zeitungsartikel erfuhr Klarsfeld von der Lötzsch-Äußerung, meldete sich prompt telefonisch bei der Linken-Chefin und erklärte sich zu einer Kandidatur bereit. Anschließend gab die 73-Jährige reihenweise Interviews, die sich so lasen, als wäre sie längst gekürt.“

Wurde Klarsfeld also von den Medien aufgrund einer unbedachten Äußerung der Parteivorsitzenden zur Präsidentschaftskandidatin? Die Süddeutsche Zeitung vermutet wohl nicht zu unrecht, dass mehr – nämlich ein parteiinterner Machtkampf – dahintersteckt. Unter der Überschrift „Ganz schön link“ macht die Zeitung darauf aufmerksam, wie Gesine Lötzsch Fakten schuf, „an denen weder Lafontaine noch der Vorsitzende seines Vertrauens, Klaus Ernst, vorbeikamen“, indem sie Klarfelds Namen „unabgestimmt ins Gespräch brachte“ und sie anschließend „durchboxte“. (4)

Lafontaine hatte bereits einen Wunschkandidaten in der Person des Armutsforschers Christoph Butterwegge. Er gilt als „knallharter Hartz-IV-Gegner, der in Talkshows gerne mal vom „schweinischen Kapitalismus“ statt vom „rheinischen Kapitalismus“ spricht“, schreibt dpa.

Butterwegge zog seine Kandidatur zurück, da er nicht gegen eine Frau mit ihren zweifellosen Verdiensten im Kampf gegen NS-Verbrecher in einer Kampfabstimmung antreten wollte. Dabei hätte Butterwegge es vermocht, in der öffentlichen Debatte einen deutlichen Kontrapunkt zu Joachim Gaucks elitär-neoliberale Philosophie zu setzen. Die Linke hätte damit die hinter Gauck stehende Fünf-Parteien-Koalition entzaubern können. Schließlich ist der designierte Bundespräsident ein kaltschnäuziger Vertreter der Interessen der Elite, dessen Freiheitsbegriff vor allem die unternehmerische Freiheit des Kapitals meint. Sein Desavouieren nicht nur antikapitalistischer sondern auch bürgerlicher Proteste wie Stuttgart 21 oder der Anti-AKW-Bewegung unterstreicht, dass er kein Präsident für das Volk, sondern gegen das Volk sein wird. „Bisher stand er immer dann, wenn gefordert wurde, die unkontrollierte Macht der Konzerne zu beschneiden, verlässlich auf der Seite des Kapitals und nicht auf der Seite demokratisch engagierter Bürger.“ (5)

Die Linke hat die Chance leichtfertig vertan, ihr Profil in Abgrenzung zu den Gauck-Parteien zu schärfen. Im Gegensatz zu einer Nominierung Butterwegges steht jene von Klarsfeld für eine Anbiederung an die anderen Parteien und zielt auf einen möglichst großen Konsens.

Klarsfelds eigene Äußerung, in der sie ihre Überparteilichkeit hervorhebt, unterstreicht das. „Ich hoffe, dass ich jetzt auch bei der CDU und der CSU einige Stimmen bekommen kann“, so die 73-
Jährige.

Bezeichnenderweise stand ihre Position zu Israel, dem Nahostkonflikt und den Kriegen der USA einer Nominierung nicht nur nicht im Wege, laut Parteichef Klaus Ernst befindet sie sich damit sogar in Einklang mit der Linken. Kein Punkt sei nennbar, in dem sie nicht affin zur Linie der Linkspartei sei, so Ernst. (6)

Klarsfelds Nominierung ist als Signal der Linken an etwaige zukünftige Koalitionspartner – vornehmlich SPD und Grüne – zu werten, in Sachen „Regierungsfähigkeit“ den Ansprüchen ihrer Partner in spe Genüge zu tun. Dazu zählt vor allem die Aufgabe von Anti-Kriegs-Positionen. Seit Jahren agiert in der Linken ein Netzwerk, das gegen Mitglieder, die antiimperialistische bzw. antimilitaristische Positionen vertreten, mit Verleumdungen vorgeht und sie – unter williger Mithilfe der Massenmedien – aus der Partei auszugrenzen versucht. Am extremsten gebärdet sich dabei der neokonservativ-„antideutsche“ Bundesarbeitskreis Shalom in der Linksjugend, der die Kriege der USA unterstützt und die bedingungslose Solidarität mit Israel einfordert. In einer Reihe prominenter Parteimitglieder hat der Denunzianten-Arbeitskreis Fürsprecher und Unterstützer gefunden, darunter Bodo Ramelow, Petra Pau und die stellvertretenden Vorsitzenden Halina Wawzyniak und Katja Kipping. (7)

Etwas behutsamer im Vorgehen gegen antiimperialistische und dem Frieden verpflichtete Positionen agiert die Parteiströmung Ema.Li (Emanzipatorische Linke). Der linke Autor Peter Nowak schrieb über sie: „So könnte man den BAK Shalom als junge Wilde betrachten, die ihre Anliegen ohne wenig verbands- und parteiinterne Rücksichtnahme vertreten, während die schon gesetzteren Vertreter der emanzipatorischen Linken die Thesen dann geglätteter und parteiverträglicher in konkrete Politik umsetzen.“ (8)

Und so überraschte es auch kaum, als die Emanzipatorische Linke am Wochenende mit einer Unterschriftenaktion für die Nominierung Klarsfelds warb, um so Druck auf den Parteivorstand auszuüben.

Die jahrelange Wühlarbeit der „Reformer“, „Pragmatiker“, „Emanzipierten“ und „Antideutschen“ hat Früchte getragen. Nicht nur, weil der Parteivorstand einstimmig eine Befürworterin von Angriffskriegen in das höchste Amt der Republik setzen will. Sondern auch, weil damit die Position von Oskar Lafontaine als größtem Widersacher der Aufgabe linker Positionen zugunsten pragmatischer Regierungsfähigkeit untergraben wurde. Der entscheidenden Sitzung am Montagabend blieb er dann auch trotz gegenteiliger Ankündigung fern – er hätte ohnehin nichts mehr an der Kür der Kandidatin ändern können.

Eliten – hört die Signale

Das mit der Nominierung Klarsfelds verbundene Signal wurde erhört. Zumindest von Grünen-Chef Cem Özdemir, der seinen Wiederaufstieg in der Politik nach dem Absturz aufgrund der „Bonus-Meilen-Affäre“ seiner transatlantischen Nibelungentreue zu verdanken hat.

Özdemir ist Mitbegründer der Denkfabrik European Council on Foreign Relations und teilt sich seine Mitgliedschaft in der proamerikanischen Atlantik-Brücke mit so honorigen Persönlichkeiten wie Kai Diekman (Herausgeber Bild), Otto Graf Lambsdorff (verurteilter Steuerhinterzieher), Karl-Theodor zu Guttenberg (ehemaliger Doktor) oder Birgit Breuel (verwandelte als Treuhandchefin ostdeutsche Industrien in blühende Landschaften).

Özdemir scheute sich auch nicht, einen Offenen Brief der neokonservativen Kriegstreiber vom Project for a New American Century (PNAC) zu unterzeichnen. (9) Er ist also genau der falsche Mann, von dem sich die Linke Lob einheimsen sollte. Das bekam sie aber nun dank der Aufstellung Klarsfelds zum Amt der Bundespräsidentin. Angesichts dessen hält Özdemir eine Klärung der Position der Linken zu Israel für möglich: „Ich hoffe, dass die Nominierung von Beate Klarsfeld dazu führt, dass die Linkspartei ihre krude antiisraelische Politik und verworrenen Positionen zum Nahost-Konflikt überdenkt“, sagte Özdemir am Montag in Berlin gegenüber dpa.

Sollte der Parteivorstand der Linken tatsächlich Klarsfeld in der Absicht nominiert haben, von der politischen Konkurrenz nicht mehr als „krude“ und „verworren“ wahrgenommen zu werden, so hat sie einen Etappensieg erreicht. Der „Endsieg“ bei den nächsten Bundestagswahlen wird ihr dafür verwehrt bleiben. Denn nichts ist überflüssiger als eine Linke, die in entscheidenden Fragen wie Krieg und Frieden keine linken Positionen vertritt.



Anmerkungen

(1) http://de.stopthebomb.net/petition-unterschreiben/erstunterzeichner-innen.html#c324

(2) http://de.stopthebomb.net/de/termine/newsdetails.html?tx_ttnews[tt_news]=14&tx_ttnews[backPid]=88&tx_ttnews[calendarYear]=2008&tx_ttnews[calendarMonth]=3&cHash=b16919478df745b8b035d0513d4b87c5

(3) http://www.stern.de/politik/deutschland/praesidentschaftskandidatin-beate-klarsfeld-linke-plaudert-zu-frueh-und-palavert-zu-lange-1792594.html

(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesidentenwahl-ganz-schoen-link-1.1295084

(5) http://www.hintergrund.de/201202211934/politik/inland/der-bundespraesident-des-kapitals-die-bevorstehende-wahl-joachim-gaucks-ist-ausdruck-eines-eliten-konsens.html

(6) http://www.stern.de/politik/deutschland/praesidentschaftskandidatin-beate-klarsfeld-linke-plaudert-zu-frueh-und-palavert-zu-lange-1792594.html

(7) http://www.hintergrund.de/20100317759/politik/inland/die-linke-von-innen-umzingelt.html

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(8) http://www.heise.de/tp/artikel/28/28145/1.html

(9) http://www.newamericancentury.org/russia-20040928.htm

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