NSU: Noch mehr Unterstützer – noch mehr Widersprüche
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Von SEBASTIAN RANGE, 25. März 2013 –
Wie am Wochenende bekannt wurde, gehörten laut einer geheimen Liste der Sicherheitsbehörden 129 Personen aus der rechtsextremen Szene zum engeren und weiteren Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Bisher war nur von etwa 100 Personen die Rede gewesen.
Der Ausschussvorsitzende des NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Sebastian Edathy (SPD), sagte, der Ausschuss habe Bund und Länder bereits aufgefordert, Informationen dazu zu liefern, ob unter den 29 weiteren Personen Informanten von Polizei oder Verfassungsschutz seien. Das Gremium warte den Rücklauf nun ab und werde dann über das weitere Vorgehen beraten. „Es ist nicht erstaunlich, dass es eine Aktualisierung der Liste gibt“, betonte Edathy. „Es ist auch davon auszugehen, dass es nicht bei 129 Personen bleiben wird.“
Der Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss, Wolfgang Wieland, sagte Spiegel online: „Es handelt sich um eine Liste der Personen, die mit den drei in Kontakt standen, sie wird stetig erweitert, ursprünglich hieß sie mal Hunderter-Liste.“
Angeführt wird die NSU-Liste von dem mutmaßlichen Terrortrio selbst – Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Hinzu kommt ein engerer Kreis von Unterstützern, die etwa Wohnungen oder Ausweispapiere organisiert haben sollen. Zum Umfeld zählen aber auch Personen, die nur indirekt mit dem Trio in Kontakt standen.
Am 17. April soll vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche NSU-Unterstützer beginnen. In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft vom November 2012 wird Zschäpe als „Finanzverwalterin des Nationalsozialistischen Untergrunds“ bezeichnet. Geldsorgen kannte das Zwickauer Trio offenbar nicht, denn es pflegte „einen mehr als durchschnittlichen Lebensstil“. (1) Dazu zählen über 50 Anmietungen teurer Wohnwagen, die zum Teil für wochenlange Ausflüge an die Ostsee verwendet wurden.
Laut Anklageschrift wurde das Luxusleben durch bewaffnete Raubüberfälle finanziert. „Von Dezember 1998 bis zum 4. November 2011 verübten sie 15 Überfälle auf Post- und Sparkassenfilialen sowie einen Einkaufsmarkt in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern“, so die Anklageschrift. (2)
Anfang 2012 sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft noch, dass tatsächlich nur drei Banküberfälle Gegenstand des Ermittlungsverfahrens seien. Neben den 2011 begangenen Überfällen in Arnstadt und Eisenach war es ein 2006 in Zwickau verübter Raubüberfall, der dem NSU zur Last gelegt wird. Dabei erlitt ein Bankangestellter während eines Handgemenges mit dem Räuber eine Schusswunde. Die Tatwaffe soll in dem ausgebrannten Wohnmobil, in dem die Leichen von Böhnhardt und Mundlos gefunden wurden, sichergestellt worden sein.
Doch der Überfall in Zwickau 2006 will nicht so Recht in das Bild passen, das offizielle Stellen von dem NSU zeichnen. Es handelte sich um einen Einzeltäter, der von der Polizei damals als „unerfahren und dilettantisch“ und unter „psychischer Beeinflussung“ stehend beschrieben wurde.
„Auch die Vorgehensweise des Täters passt nicht ganz zum bisherigen Bild von den kaltblütig mordenden Neonazis“, schrieb das Hamburger Abendblatt. „So warf (…) der mit einer Pistole bewaffnete Mann mit einem Ventilator nach einer Bankangestellten, weil diese sich seinen Anweisungen widersetzte.“ „Zeugen beschrieben den Täter als fahrig und sehr aufgeregt“, so der damalige Polizeisprecher. (3)
Nachdem sich ein Schuss aus seiner Waffe im Handgemenge gelöst hatte, flüchtete der Täter ohne Beute. Ergiebiger waren da schon zwei in den Folgemonaten in Stralsund verübte Banküberfälle. Am 7. November 2006 und am 18. Januar 2007 wurde dort dieselbe Sparkassen-Filiale Ziel zweier Räuber, die mit einem sechsstelligen Betrag flüchten konnten. Folgt man der Darstellung der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, dann war die NSU-Kriegskasse Anfang 2007 prall gefüllt.
Warum nur nahm die „Managerin des Geldes“ – so die Beschreibung Zschäpes seitens einer Zeugin (4) – dann im selben Jahr eine geregelte Arbeit an? Wie die Bild am Sonntag Anfang März schrieb, „arbeitete sie während ihrer Flucht bei einem Medien-Unternehmen, verkaufte in Zwickau an Haustüren Zeitungs-Abos“. (5) Laut ihrem damaligen Arbeitgeber habe sie einen „sympathischen“ und „zuverlässigen“ Eindruck gemacht.
Eine im Untergrund agierende Terroristin, die sich trotz mangelnder finanzieller Notwendigkeit als „Drückerin“ verdingt und von Haus zu Haus geht, um Menschen Abos aufzuschwatzen? Der NSU-Komplex wird damit um eine skurrile Facette erweitert. Ohnehin hatten die mutmaßlichen NSU-Mitglieder das eine um das andere Mal Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die absolut unüblich sind für Menschen, die aus dem Untergrund heraus einen bewaffneten Kampf führen.
Auch die Einlassung der Bundesanwaltschaft kann diese Widersprüche nicht aus der Welt schaffen. Zschäpe habe arbeitsteilig „die unverzichtbare Aufgabe“ gehabt, „dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben“, heißt es in der Anklageschrift. Und weiter: „Dazu gehörte es, ihren Nachbarn und Bekannten die mit der Ausspähung möglicher Anschlagsziele und der Begehung der Taten verbundene häufige Abwesenheit von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unverfänglich zu erklären.“
Eine Legende für den Nachbarn parat zu haben ist etwas ganz anderes, als von Haus zu Haus zu ziehen oder Urlaubsbekanntschaften zu pflegen. Das lässt sich nicht mit der Behauptung der Bundesanwaltschaft vereinen, das Trio hätte sich „hochkonspirativ verhalten“. Wie man die einzelnen Puzzleteile des NSU-Komplexes auch dreht und wendet, ein stimmiges Gesamtbild will dabei nicht herauskommen.
Anmerkungen
(1) http://www.fr-online.de/neonazi-terror/zwickauer-terrorzelle-wie-hat-die-nsu-ihre-taten-finanziert-,1477338,11551692.html
(2) http://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=14&newsid=460
(3) http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2099610/Verdaechtiger-aus-Zwickau-veruebte-2006-missglueckten-Bankueberfall.html
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(4) http://www.taz.de/!105777/
(5) http://www.bild.de/news/inland/nsu/gesuchte-nazi-braut-zschaepe-hatte-festen-job-29324436.bild.html