Innenpolitik

„Neue Normalität“: Alter Kapitalismus in neuen Formen?

Was ist die „Neue Normalität“ und wie zeigt sie sich? Ist sie nur verbunden mit der „Corona-Krise“? Was hat sie zu tun mit dem sich digital wandelnden Kapitalismus? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich ein dreitägiger Kongress kritischer Psychologen vom 23. bis 25. November in Berlin.

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Die “neue Normalität” ist geprägt vom digitalen Kapitalismus.
Illustration: Gert Altmann, , Mehr Infos

Die größte Gefahr geht nicht von der Anziehungskraft nationaler und rassistischer Ideologien aus, hat Hannah Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt. Die Gefahr geht laut ihr dagegen vom Verlust der Wirklichkeit aus: „Wenn der Widerstand durch Wirklichkeit fehlt, dann wird prinzipiell alles möglich.“

An diese Warnung der Philosophin und Publizistin erinnerte der Schriftsteller und Theatermacher Michael Schneider am Donnerstag in Berlin. Er eröffnete damit den Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) zum Thema „Neue Normalität“, der bis Samstag andauerte. Die NGfP hat sich der kritischen Psychologie verschrieben.

Schneider sprach über die „Neue Normalität als Orwell’sches Szenario“. Die freie Debatte zu unterdrücken sei eine der Grundvoraussetzungen des Totalitarismus, der sich oft schleichend entwickelt, sagte er mit Verweis auf Arendt. Dabei geht es aus seiner Sicht vor allem um das Verleugnen der Wirklichkeit. Das habe sich in den letzten drei Jahren während der „Corona-Krise“ bei den westlichen Regierungen, der Mehrheit der Parlamente und Parteien, den Gerichten sowie den tonangebenden Medien gezeigt. Die Wirklichkeit werde „regelrecht bekämpft, indem sie versuchen, die freie öffentliche Debatte darüber zu verhindern, bis hin zu offener Zensur, Diffamierung und Verleugnung der kritischen Stimmen“.

Orwell’sches Szenario

Michael Schneider.
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Das geschieht auch bei den aktuellen Konflikten und Kriegen wie denen in der Ukraine und im Nahen Osten, so Schneider. Er setzte gegen die offiziellen Erzählungen darüber, die Narrative, die weggelassenen und verschwiegenen Fakten und Zusammenhänge. Bereits mit der „Corona-Krise“ hätten die von Orwell in „1984“ beschriebenen Techniken Doppeldenk und Neusprech die Oberhand gewonnen. Es sei eine Umkehr der Werte erfolgt, bis dahin, dass jeder Mensch zum nicht überprüften Verdachtsfall wurde und seine Unschuld beweisen musste, keine vermeintliche Gefahr für andere zu sein. Schneider bezeichnete das als „Totalausfall jeglicher Realitätsprüfung“.

Der politische Theatermacher und Schriftsteller zeichnete nach, wie die Corona-Politik Menschen in Angst und Schrecken versetzte und so voneinander isolierte. Ebenso verwies er auf die zahlreichen Fakten, die die offiziellen Behauptungen zur angeblichen Gefahr durch ein vermeintliches Killervirus widerlegten. Die Frage, vor was die Welt gerettet werden sollte, beantwortete er mit Verweis auf die Erkenntnisse des Philosophen Fabio Vighi. Dieser hatte die Zusammenhänge zwischen dem modernen, vom Finanzsektor bestimmten Kapitalismus und der politisch erzeugten „Corona-Krise“ analysiert und beschrieben.

Der Kapitalismus befinde sich heute in einer ausweglosen strukturellen Sackgasse, fasste Schneider das zusammen. Das verschwiegene sozio-ökonomische Motiv des Politkrimis „Corona-Krise“ und auch des Ukrainekrieges müsse „im Kontext dieses epochalen Umbruchs gesehen und verstanden werden, der vor unseren Augen abläuft“. Am Ende seines Vortrages zeigte er sich optimistisch: „So gefährlich beängstigend in vieler Hinsicht dystopisch die Zeitläufte auch sind, vielleicht stehen wir gerade am Beginn einer neuen weltgeschichtlichen Epoche.“

Kontrolle des Verhaltens

Klaus-Jürgen Bruder
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Der klaren und vor allem kapitalismuskritischen Analyse des politischen Schriftstellers folgte ein Versuch, „Das permanente Verbrechen als Neue Normalität“ zu beschreiben. Der kam vom Mathematiker Werner Meixner, der zeigen wollte, wie eine „satanische Clique“ die Menschheit in den „Faschismus kommunistischer Prägung“ führen will.

Der Psychologe und Psychoanalytiker Klaus-Jürgen Bruder, einer der Gründer der NGfP, sprach über die Mittel und Methoden, mit denen menschliches Verhalten vorhergesagt und kontrolliert wird. Dabei ging er auch auf die Rolle der Psychologie als Magd der Macht ein, insbesondere auf die Schule des „Behaviorismus“. Diese Versuche, Menschen zu beeinflussen und zu steuern, hätten sich nicht als erfolgreich erwiesen. Die „Corona-Krise“ habe gezeigt, dass Angst und Strafe weiterhin wichtige und wirksame Mittel für Macht und Herrschaft sind. Die Psychologie helfe als Herrschaftsinstrument, die notwendigen Narrative zu erfinden, mit denen die Mächtigen die Gesellschaft beherrschen und ihre Interessen durchsetzen.

Die Medien sind laut dem Psychoanalytiker „der Ort der Verbreitung und Produktion dieser Narrative“. Mit ihrer Hilfe seien in der „Corona-Krise“ die von der Politik gezielt geschürte Angst und Einschüchterung verbreitet worden. Ziel sei auch hier gewesen, das Verhalten der Menschen zu normieren. Das sei mit formal demokratischen Mitteln geschehen, so Bruder. „Und nur im Grenzfall arbeiten sie mit Gewalt. Aber dieser Grenzfall ist immer im Hintergrund, muss immer mit bedacht werden.“ Doch nicht nur das werde in den Hintergrund gedrängt. Das treffe ebenso für die Wahrheit und die Möglichkeiten des Widerstandes zu, „unsere Möglichkeit, dieser Herrschaft zu widerstehen, zu widersprechen und gegen diese Herrschaft uns selbst zu ermächtigen“. Das ist aus seiner Sicht „Sinn dieser Inszenierung und dieser wissenschaftlichen Agitation“.

Psychopathen an der Macht

Wolfgang Bittner.
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Mit der Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde der Kongress am zweiten Tag fortgesetzt. „Es hat den Anschein, als hätten wir es in vielen Bereichen mit ideologisch verwirrten Fanatikern und Verbrechern zu tun, deren höchste Instanz aus Washington die westliche Welt im Zangengriff hält.“ Das sagte der Jurist und Publizist Wolfgang Bittner und fügte hinzu: „Es scheint so, als würde die Menschheit von Psychopathen in den Abgrund getrieben und die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit hält still.“

Bittner sprach über die Teilung der Gesellschaft in Gut und Böse. Das gelte nicht nur für Deutschland, sondern auch global: „Schon seit einigen Jahren erleben wir zunehmend eine Teilung der Welt in die angeblich Guten und die angeblich Bösen.“ Der Publizist ging weit über psychologische Fragen der Entwicklung hinaus. „Wo wir hinschauen, herrschen Konfusion, Chaos und Krieg. Und es ist festzustellen, dass in fast allen Fällen die USA dafür verantwortlich sind.“ Die USA hätten weltweit Krisenherde geschaffen und Europa gespalten.

Den zum Krieg zugespitzten Konflikt in und um die Ukraine haben aus Bittners Sicht die USA zu verantworten, wie sie auch die Entwicklung in Europa seit etwa 100 Jahren bis heute bestimmen. Dabei würden die Berliner Politiker die Vorgaben aus Washington befolgen, auf Kosten der eigenen Bevölkerung, und anstatt die deutschen Interessen zu vertreten. Der Publizist nahm bei seiner Kritik kein Blatt vor den Mund und scheute sich nicht, davor zu warnen, „dass Deutschland systematisch destabilisiert und ruiniert wird“. Dahinter steht für ihn eine „gut durchdachte anglo-amerikanische Strategie“, die er seit 2014 in seinen Büchern zu geopolitischen Themen beschreibt.

Indoktrination verhindert Protest

Der Ukraine-Krieg werde enden, „wenn die USA feststellen werden, dass Russland nicht aufgibt und gewinnen wird“. Der bis dahin fortgesetzte Stellvertreterkrieg berge aber die Gefahr eines provozierten Zwischenfalls, der zu einem „großen Krieg“ führen könne. Der Publizist wies auch auf die möglichen Folgen für Deutschland hin, das dann „endgültig von der Landkarte verschwinden“ werde. Die US-Stützpunkte auf deutschem Territorium seien im Visier russischer Raketen.

Es werde hierzulande „gegen alles Mögliche“ demonstriert: „Die Menschen werden hierhin und dorthin geschickt, aber nur vereinzelt wird gegen Aufrüstung, Krieg und Verbreitung von Völkerhass demonstriert. Merkwürdigerweise. Die Indoktrination der Bevölkerung hat also gewirkt und nur wenige nehmen wahr, dass die Bombe bereits über ihnen schwebt.“

Die Bundesregierung folgt aus Bittners Sicht den Instruktionen aus Washington. „Die Haltung der Berliner Politiker ist an Inkompetenz und Devotion kaum zu überbieten.“ Hinzu kämen als grundlegende Probleme mangelnde geschichtliche Kenntnisse und fehlender geopolitischer Überblick bei führenden deutschen Politikern und Journalisten. Sie stünden unter dem bestimmenden Einfluss der USA und der Nato. „Dabei liegt die Strategie der USA seit langem offen: 2015 hatte der Direktor des einflussreichen Washingtoner Think Tanks Stratfor, George Friedman, in einer Rede gesagt, für die Vereinigten Staaten sei seit einem Jahrhundert die Hauptsorge, dass sich deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoffressourcen und russischer Arbeitskraft verbinden.“

Aber wer die offiziellen Erklärungen in Frage stelle, werde angegriffen und diffamiert, sagte er auch auf Grund eigener Erfahrungen. Die Lügen und Hetzkampagnen, an denen sich Politiker und Journalisten beteiligen, zeugen für ihn „von der Verkommenheit in der politischen und medialen Szene“. Die aktuellen Konflikte und Kriege seien nicht durch Zufall entstanden, stellte er klar. „Sie sind von gewissenlosen Psychopathen – anders kann man sie hier wohl nicht nennen – in Politik, Wirtschaft und Militär geplant worden, und die Medien machen mit.“ Neben Kriegshandlungen seien ökonomische Sanktionen zu einer Waffe für die Durchsetzung der globalen Vorherrschaft geworden. „Die weitaus große Mehrheit der Bevölkerung nimmt das alles widerspruchslos hin“, beklagte der Publizist. „Die inzwischen seit mehreren Jahren erfolgte Indoktrinierung hat gewirkt.“ Er fügte hinzu: „Aktuell stehen sich zwei Atommächte in einem Stellvertreterkrieg gegenüber, der jede Minute ausufern kann. Damit uns das erspart bleibt, müssen wir alles tun, was in unseren Kräften steht. Und das tun wir.“

Monopole und Proteste

Vor Bittners Vortrag hatte unter anderem die Historikerin Tove Soiland über den „postideologischen Totalitarismus und die Linke“ gesprochen. Nach dem Publizisten stellte der Medienpsychologe Mark Galliker Ergebnisse einer Studie vor. In dieser geht es um den Wandel des medialen Bildes von Soldaten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der Neuen Zürcher Zeitung von 1994 bis heute. Galliker äußerte sich auch zu grundlegenden Entwicklungen im Medienbereich. Dort macht er eine zunehmende Monopolisierung aus, die Folgen für die Berichterstattung habe. Das schränke den freien Meinungsaustausch ein, wofür nicht „böse Politiker“ verantwortlich seien. Ursache sei stattdessen die Entwicklung hin zu einer „monopolisierten Marktwirtschaft“.

Die beiden Pädagoginnen Annemarie Jost und Magda von Garrel setzten sich am zweiten Kongresstag zudem mit den Folgen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen für die Kinder auseinander. In der anschließenden Diskussion sagte eine Teilnehmerin: „Wenn wir in dieser Gesellschaft noch etwas bewegen wollen, auch politisch, dann müssen wir an erster Stelle Stopp machen bei der systematischen Verblödung unserer Kinder seit über 30 Jahren.“

Almuth Bruder-Bezzel
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

„Aus dem Protest gegen die Corona-Politik als Demokratiebewegung ist inzwischen auch ein Protest gegen die Kriegspolitik als Teil der Friedensbewegung geworden.“ Diesen Befund stellte die Psychoanalytikerin Almuth Bruder-Bezzel am Samstag, dem dritten Tag des Kongresses, vor. Sie nahm die drei Jahre Protest in den Blick, seit im März 2020 die „Corona-Krise“ von der Politik ausgelöst wurde.

Bruder-Bezzel gehörte wie ihr Mann Klaus-Jürgen Bruder selbst zu jenen Wissenschaftlern, die die offiziellen Corona-Narrative wie auch die damit begründeten Maßnahmen hinterfragten und kritisch begleiteten. Beide erlebten wie andere deshalb Diffamierung und Ausgrenzung, vor allem in ihrer Berufsgruppe. Und sie beteiligten sich am Protest gegen eine Politik, die die Interessen der Pharma-Industrie durchsetzte und ihre Machtgelüste gegenüber den Bürgern austobte. Mit Blick auf den Beginn vor mehr als drei Jahren und die Motivation zum Protest sagte sie: „Wichtig war für uns, sich nicht blind der Angst hinzugeben, wichtig war, sich zu informieren, nachzufragen, hier war ein gesundes Misstrauen gegen jede Hysterie, gegen unsinnige Anordnungen hilfreich. Ich glaube, niemand hat geahnt, in welchem Ausmaß aber die propagandistischen Einflüsse, die Angstmacher und vor allem die Ausgrenzung stattfinden wird.“

Heterogene Bewegung und fehlende Linke

Die Psychoanalytikerin beschrieb die Entwicklung der Protestbewegung, deren heterogene Zusammensetzung, ihre Ziele sowie ihre Mittel und Methoden. Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges sei die Bewegung erfreulicherweise „ziemlich geschlossen und mit einem einheitlichen Tenor in eine Friedensbewegung übergegangen“, stellte sie fest. Rechte Kräfte hätten sich am Protest beteiligt, diesen aber nie dominiert. „Es scheint so zu sein, dass tatsächlich Rechte auf unseren Demonstrationen immer sichtbarer werden“, so Bruder-Bezzel. Das sei aber nur der Fall, weil die organisierte Linke fehle. „Warum fehlt die Linke? Weil die Linke angepasst, staatsmännisch geworden ist und an ihren Parlamentssesseln klebt.“

Aufklärung, Demonstrationen und Kultur – das sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Formen des Protestes gegen die Corona- und auch die Kriegspolitik. Es bleibe aber die Frage, „ob wir es angesichts der massiven, drohenden und bereits an Fahrt aufnehmenden ‘Neuen Normalität’ schaffen, qualitativ und quantitativ wieder mächtiger zu werden“. Dazu sei aber die Parole „Friede – Freiheit – Selbstbestimmung“ zu vage und defensiv.

Die Proteste sind „nur sehr eingeschränkt erfolgreich“ gewesen, schätzte sie mit Blick auf die massiven Einschränkungen der Grundrechte und der Maßnahmen sowie deren Folgen ein. Die Opposition sei nicht zur Mehrheit geworden, auch wenn sie „keineswegs die kleine Minderheit“ sei: „Sie ist den Herrschenden in der Tat eine Bedrohung, daher hatten die Herrschenden einen Krieg gegen die Bevölkerung entfacht (mit den Maßnahmen), und einen Krieg gegen uns, als Feinde.“

Zu den Erfolgen der Protestbewegung zählt für die Psychoanalytikerin, dass die allgemeine Impfpflicht in Deutschland verhindert werden konnte. Die Gesellschaft habe sich verändert, weil viele begonnen hätten, sich zu wehren, die vorher nie oppositionell aktiv geworden sind. Ihr Fazit: „Die Bewegungen müssen weitergehen, und sie werden weitergehen, wir müssen angehen gegen die drohende Umsetzung der Neuen Normalität.“

WHO entmachtet Nationalstaaten

Wie Letzteres geschieht, das beschrieb der Journalist Thomas Oysmüller am Beispiel der Weltgesundheitsorganisation WHO als „Zentrale der Neuen Normalität“. Er zeigte das anhand des geplanten Pandemievertrages sowie der vorgesehenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV; englisch: IHR). Während der Pandemievertrag in der Öffentlichkeit beachtet und kritisiert werde, sei das bei den IGV kaum der Fall. Deren Änderung der Öffentlichkeit vorzuenthalten könne Absicht sein, so der Journalist.

Während der Vertrag von den beteiligten Nationen ratifiziert werden muss, treten die Gesundheitsvorschriften zwölf Monate nach der Einigung für alle Staaten verbindlich in Kraft. „Die IHR sind völkerrechtlich bindend“, so Oysmüller. „Ein Staat, der diese missachtet oder ignoriert, dem könnten Sanktionen drohen.“

Die geplanten Reformen basieren auf den Erfahrungen der herrschenden Elite mit der Covid-Politik, hob er hervor. Und: „Die WHO-Reform treibt die Militarisierung und die Etablierung einer Orwell’schen Doppeldenk-Wirklichkeit. Darin ist der permanente Kriegs- und Krisenzustand der Normalfall und ‹Gesundheit› wird zu permanenter Krankheit.“ Die WHO werde damit zur „Weltkrankheitsorganisation“, sowie zu einer weiteren internationalen Organisation, „die jeglichem demokratischen Prozess entzogen wird, aber echte politische Exekutivmacht erhält und somit die ohnehin kaum mehr vorhandene nationalstaatliche Souveränität weiter abbaut“. Oysmüller machte auf die führende Rolle der deutschen Regierung bei den Reformen aufmerksam.

Übergang zum kybernetischen Kapitalismus

Andrea Komlosy
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Zuvor hatte die österreichische Historikerin Andrea Komlosy die wirtschaftlichen Hintergründe der Entwicklungen beschrieben. Die „Corona-Krise“ gehöre zum „großen Übergang“ erklärte sie, es handele sich um den „Übergang vom industriellen Prinzip zur kybernetischen Selbstregulierung“ des Kapitalismus. Die Digitalisierung sei ein weiterer Entwicklungsschub in der zyklischen Erneuerung der kapitalistischen Sektoren, so Komlosy. Sie bezeichnete den Kapitalismus als „sehr kompetent im Überwinden von Krisen“, was auch derzeit wieder zu beobachten sei.

Die Corona-Maßnahmen seien „ein Anschub für diesen Übergang“, mit der gezielt erzeugten Angst als „Beschleuniger“. Das Ziel: „die Regeneration des globalen Kapitalismus dadurch voranzubringen“. Die Maßnahmen beschleunigen nach Meinung der Historikerin den „Anbruch dieses neuen menschheitsgeschichtlichen Zeitalters des kybernetischen Kapitalismus“. Sie geht „nicht davon aus, dass der Kapitalismus dadurch außer Kraft gesetzt wird, sondern quasi neue Nahrung, neues Blut erhält, wenn man so will, neue Nachfrage, neue Akkumulationsmöglichkeiten.“

Das Gesundheitswesen sieht sie als die „zentrale Transformationsbranche des kybernetischen Kapitalismus“. Es diene zudem dazu, die Überwachung der Gesellschaft auszubauen. Die Digitalisierung weist laut Komlosy in die Richtung des Transhumanismus, der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Der Treibstoff des kybernetischen Kapitalismus seien die Daten, die von Unternehmen wie Google Economics als „herrenloser Rohstoff“ bezeichnet werden. Die IT-Konzerne würden seit Jahren in den Gesundheitsbereich vordringen, um Daten abzuschöpfen und für individualisierte Produkte zu verarbeiten.

Neue Normalität global

Mit alldem geht laut der Historikerin eine „Normalisierung der Überwachung“ einher. Sie werde von der Mehrheit der Menschen als selbstverständlich akzeptiert, weil „dadurch das Leben eben einfacher und bequemer wird“. Der digitale Kapitalismus ist ein „Überwachungskapitalismus“, stellte Komlosy klar.

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Hannes Hofbauer
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Zum Programm des dritten Tages des Kongresses gehörte außerdem ein Vortrag des österreichischen Publizisten Hannes Hofbauer. Er sprach über die Folgen der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland. Die Frage der Ursachen und Wirkungen der Sanktionen passe sehr gut zum Kongressthema, erklärte Hofbauer. Er begründete das damit, „weil wir ja nicht nur eine neue Normalität dem Einzelnen und dem sozialen Gefüge haben in den einzelnen Gesellschaften, sondern eben auch geopolitisch und weltwirtschaftspolitisch“. Die westlichen Sanktionen hätten keinerlei völkerrechtliche Grundlage, stellte er auf eine Publikumsfrage hin klar. Sie seien Ausdruck des Prinzips des Rechts des wirtschaftlich und auch militärischen Stärkeren, nach dem die immer noch global dominierende USA vorgeht.

Mit der Militarisierung der Gesellschaft werde die Demokratie zerstört, erklärte der Journalist Uli Gellermann in seinem Kongress-Beitrag am Samstag. Der Psychologe Christian Dewanger setzte sich mit der Rolle der Identität bei der Steuerung der Bevölkerung auseinander. Malte Griese, Historiker, analysierte zum Kongressende die Geschichte des „unprovozierten Angriffskriegs“ Russlands gegen die Ukraine, bevor er mit Annette Ruprecht den NGfP-Kongress-Schluss musikalisch gestaltete.

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