Innenpolitik

Merkel zu Afghanistan: Wir bleiben

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Von REDAKTION, 22. Juli 2010 –

Nachdem am vergangenen Dienstag auf der Afghanistan-Konferenz vereinbart wurde, bis zum Jahr 2014 die Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanischen Polizei und Armee zu übergeben, ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dies sei mit einem Abzug der westlichen Besatzungstruppen verbunden. Denn wenn die Afghanen selbst für Ruhe und Ordnung sorgen können, wozu bedarf es dann noch der Anwesenheit westlicher Armeekräfte?

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass eine habe mit dem anderen zu tun, korrigierten Regierungsvertreter eilig und stellten klar, die Vereinbarung sei nicht mit einem Abzug der westlichen Truppen verbunden. „Ja zu mehr Eigenverantwortung für die Afghanen, Nein zu einem schnellen Ende des Bundeswehr-Einsatzes: Die Bundesregierung will sich weiterhin nicht auf einen Abzugstermin festlegen“, teilte dpa heute mit. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnte, es wäre „verheerend und dumm“, ein Enddatum für die deutschen Truppen zu nennen.

Guttenberg sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, zunächst müsse es in Afghanistan „ein Mindestmaß an Stabilität“ geben. „Wenn das erreicht ist, kann man mit einem Abzug beginnen.“ Guttenberg räumte in dem Blatt Versäumnisse ein. „Alle Politiker – mich eingeschlossen – haben teilweise Bilder gezeichnet und Ziele formuliert, die sich inzwischen als Illusion erwiesen haben.“

Leider konkretisierte Guttenberg nicht, welche Ziele sich mittlerweile als illusorisch entpuppten. Begonnen hatte der Krieg als Jagd auf Osama Bin Laden, den man als Haupt-Schuldigen für die Anschläge des 11.September 2001 ausgemacht hatte. Auf Angebote der Taliban, Bin Laden zu übergeben, falls man Beweise für seine Täterschaft vorlegt, gingen die USA damals aber nicht ein.(1) Entweder hatten die USA keine Beweise, oder sie wollten Bin Ladens nicht habhaft werden, weil sie dann keine Rechtfertigung für einen Einmarsch gehabt hätten, der bereits vor dem 11.September 2001 geplant wurde. (2)

Wenn es heute um Afghanistan geht, dann ist von Bin Laden kaum noch die Rede. Auch hehre Ziele, wie Schulen für Kinder oder die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben, entpuppten sich in erster Linie als propagandistische Legitimation des Feldzugs – und das nicht erst seit Bekanntwerden der Strategiepapiere der CIA, wie mit solchen Argumentationslinien Einfluss auf die europäische Öffentlichkeit genommen werden soll.(3) Auch der zwischenzeitlich ins Spiel gebrachte Kampf gegen den Drogenhandel ist kaum in der Lage, die Anwesenheit westlicher Truppen zu legitimieren, ist er doch erst unter ihrer Anwesenheit richtig aufgeblüht.

Als illusorisch haben sich also die Kriegsziele erwiesen, die der Öffentlichkeit aufgetischt wurden. Als Ex-Bundespräsident Horst Köhler der Öffentlichkeit reinen Wein einschenkte und die wahren Kriegsziele nannte, welche in erster Linie wirtschaftlicher und geostrategischer Natur sind, war der mediale Aufschrei groß. Obwohl Köhler nur das aussprach, was etwa in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ – („ungehinderter Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“) – seit langer Zeit schriftlich fixiert ist. (4) Doch was in solchen Richtlinien steht, wird im Gegensatz zu den Aussagen eines Bundespräsidenten in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Offenbar sah Köhler sich nicht deswegen einer Welle der Kritik ausgesetzt, weil er etwas Unwahres und Falsches sagte, sondern weil er so dreist bzw. dumm war, etwas Wahres und Richtiges zu sagen, was allerdings nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt war.

Auch Bundeskanzlerin Merkel betonte am Mittwoch in Berlin, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen 2014 nichts mit einem Abzugstermin für die Bundeswehr zu tun habe. „Das sind zwei unterschiedliche Dinge“, sagte die Kanzlerin.

NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen warnte bei einem Besuch in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad vor einem übereilten Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan. Eine solche Entscheidung werde nicht „vom Kalender, sondern von den Verpflichtungen“ des Westens bestimmt, sagte er.

Was Rasmussen übersieht ist die Tatsache, dass das Jahr 2014 auf der bislang größten Afghanistan-Konferenz am vergangenen Dienstag beschlossen wurde. Es wird sicherlich nicht das Vertrauen der Afghanen in die westlichen Besatzer stärken, wenn jene getroffene Vereinbarungen bereits zwei Tage später wieder in Frage stellen.

Hinter der Formel „Rückzug: nein – Übertragung der Sicherheit: ja“ verbirgt sich die zynische Absicht, die verlustreichen Kämpfe gegen die Aufständischen der afghanischen Armee zu überlassen. Denn in Berlin und Washington hat man sehr wohl registriert, dass die öffentliche Kritik im Westen am Einsatz immer dann wächst, wenn eigene Soldaten fallen. Die „Drecksarbeit“ sollen die Afghanen künftig selber machen. Die weitere Anwesenheit der westlichen Truppen soll dabei garantieren, dass keine afghanische Regierung es wagt, eine dem Westen und seinen geostrategischen Interessen widersprechende Politik zu verfolgen.

Rasmussen wies auch auf die Bedeutung eines stabilen Nachbarn Pakistan hin. Die NATO werde „in Ihrer Nachbarschaft“ weder instabile Verhältnisse noch ein sicherheitspolitisches Vakuum hinterlassen. Diese Aussage lässt eher auf eine Verstärkung der westlichen Truppen schließen, und nicht auf deren Abzug. Rasmussen folgt damit der Strategie von US-Präsident Obama, das Schicksal Afghanistans mit dem Pakistans zu verknüpfen und den Krieg auf pakistanisches Territorium auszuweiten. Für dieses Bestreben wurde die öffentlichkeitswirksame Worthülse „AfPak“ kreiert, die kurz und knapp verdeutlicht, wie US-Strategen das Schicksal beider Staaten aneinander knüpfen wollen.

Der deutsche NATO-General Egon Ramms kritisierte generell die Debatte in Berlin über einen Abzugstermin: „Ich halte das Reden über Abzugsdaten für gefährlich“, sagte Ramms gegenüber der Welt. „Wir liefern den Aufständischen damit Informationen, wie es um den psychischen Zustand in unserer Bevölkerung bestellt ist.“

Mit dem „psychischen Zustand“ meint Ramms die Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik von Anfang an – egal wie sich die kriegführenden Regierungen aus der rot, grün, schwarz oder gelb gemixten neoliberalen Farbpalette zusammensetzten – den Afghanistankrieg ablehnte.



Vergleiche dazu die Hintergrund-Artikel

Afghanistan-Konferenz: Abzug der Besatzungstruppen bis 2014

Von Abzug keine Spur. Nato-Truppen sollen dauerhaft in Afghanistan bleiben


Anmerkungen

(1) Siehe dazu: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2001/0919/seite1/0067/index.html

(2) Siehe dazu: http://web.archive.org/web/20020321132423/http://www.indiareacts.com/archivefeatures/nat2.asp?recno=10&ctg
http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/1550366.stm
http://www.msnbc.msn.com/id/4587368

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(3) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/20100330789/globales/kriege/afghanistan-krieg-cia-plant-manipulation-der-europaeischen-meinung.html

(4) Siehe dazu: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22686/1.html

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