Krise der Bildung

Lehrer am Limit

Überlastung, Respektlosigkeit, Migrationsprobleme. War früher das Rauchen hinter der Sporthalle ein Aufreger, sind Lehrer heutzutage mit ganz anderen Konflikten konfrontiert. Ein Hintergrund-Ortstermin in Mecklenburg-Vorpommern.

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Die Verdichtung der Arbeit macht auch vor Lehrern nicht halt.
Foto: Max Fischer/Pexels, Mehr Infos

„49 Schüler und Lehrer nach Massenschlägerei an Schule verletzt“, titelte die Zeit am 12. Dezember 2023. Gleichzeitig fehlen immer mehr Lehrer und Stunden fallen aus. Die zunehmende Migration sorgt ebenfalls für Probleme im Schulsystem. Was ist los im Land der Dichter und Denker? Im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern habe ich mit Betroffenen gesprochen.

Für Frank Mahnke (Name geändert) von der Integrierten Gesamtschule Grünthal Stralsund ist Lehrer der Traumberuf: „Mein Antrieb ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, deren Kreativität und freies Denken schätze ich.“ Für Lehrer ist in den letzten Jahren allerdings vieles schwieriger geworden. Durch den Ausfall von Kollegen summieren sich Vertretungsstunden. „Wir müssen unbekannte Klassen unterrichten und Überstunden leisten“, sagt Frank Mahnke. „Quereinsteiger in den Lehrberuf zu bringen, ist keine Lösung.“ Diese können zwar neue Ansichten einbringen, aber nicht jeder ist für den Beruf geeignet. „Der Beruf muss wieder attraktiver werden.“ Frank Mahnke hat dafür konkrete Vorschläge: „Die Rechte der Lehrer sollten gestärkt werden. Und die Eltern mehr in die Pflicht genommen werden, gerade im Hinblick auf die Erziehung.“

Den Arbeitsaufwand der Lehrer können Außenstehende gar nicht einschätzen, so Mahnke. Statt sich auf das Unterrichten konzentrieren zu können, führen sie Tätigkeiten aus, für die sie nicht ausgebildet wurden. „Oft müssen wir Psychologen sein, besonders wenn Schüler Schwierigkeiten in den Familien haben oder im schlimmsten Fall Suizidgefahr besteht. Dazu kommen Gespräche mit Jugendämtern, der Polizei und jede Menge Bürokratie.“ In der Coronazeit musste Frank Mahnke Tests auswerten und entscheiden, ob ein Kind krank ist oder nicht. Nach dem Unterricht führt er Statistiken über geleistete Pflicht-, Ausfall- und Vertretungsstunden, über Krankheitstage von Schülern oder schreibt Kurslisten. Da kommen schnell deutlich mehr als 40 Stunden in der Woche zusammen. Jeder dritte Lehrer wird im Laufe seines Berufslebens dienstunfähig. Die Überbelastung, ständige Auseinandersetzungen mit Eltern und die hohe Konzentration im Unterricht enden oftmals im Burn-out.

Migration und Digitalisierung

Der Anteil ausländischer Schüler ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die IGS Stralsund liegt mit rund zehn Prozent im unteren Bereich. „Viele diese Schüler sind sehr bemüht“, sagt Frank Mahnke. „Wenn Kinder aber kein Wort Deutsch sprechen, ist das ein Problem.“ Die Schulen werden an dieser Stelle vom Bildungsministerium allein gelassen und versuchen, mit der Situation irgendwie klarzukommen. So gibt es an der IGS den Kurs „Deutsch als Zweitsprache“. Das reicht aber nicht, um einen normalen Unterricht in den anderen Fächern zu ermöglichen. „An den Schulen müssten Lehrer mit Fremdsprachenkenntnissen oder Dolmetscher arbeiten.“ Das zu organisieren, wäre Aufgabe des Bildungsministeriums.

Digitalisierung hat sich die Landesregierung stattdessen auf die Fahnen geschrieben. Dafür hat das Land von 2019 bis 2023 einen Betrag von 100 Millionen Euro bekommen. Frank Mahnke ist Informatiklehrer, mit der Digitalisierung kennt er sich aus. „Die Umsetzung an den Schulen läuft schlecht“, sagt er. Fällt der Server aus, was nicht selten vorkommt, funktionieren digitale Tafel, Drucker und Kopierer nicht. Echte Hilfe wären ein digitales Klassenbuch oder automatisch erstellte Briefe an die Eltern, falls ein Kind versetzungsgefährdet ist. „Ein Dokument einzuscannen, nur damit ich es bei Bedarf wieder ausdrucken muss, ist keine sinnvolle Digitalisierung.“

Gymnasium in Neubrandenburg mit gleichen Themen

Das Albert-Einstein-Gymnasium in Neubrandenburg wurde vor wenigen Jahren von Grund auf modernisiert und mit einem Anbau versehen. Die Räume sind hell und mit elektrischen Rollläden versehen. Petra Lingnau arbeitet gerne hier, liebt die Arbeit mit den Kindern. Seit 20 Jahren ist sie Lehrerin für Spanisch und Deutsch. „Ich hatte eine tolle Spanischlehrerin“, sagt sie. Einer der Gründe für ihre Berufswahl.

Im Eingang hängt der ausgedruckte Vertretungsplan in einem Schaukasten. Kurzfristige Änderungen wurden per Stift ergänzt. Lehrermangel ist am Gymnasium kein unbekanntes Problem. Petra Lingnau schlägt vor, die Pflichtstunden zu verkürzen – und mehr Personal einzustellen. 27 Wochenstunden müssen die Lehrer unterrichten. Dazu kommen die Unterrichtsvorbereitung, Korrekturen der Arbeiten, Bürokratie und Organisation – von Wandertagen oder Klassenfahrten. Ein Pensum, das viele nicht mehr stemmen können.

„Für Kinder mit Migrationshintergrund sollte ein spezieller Förderunterricht angeboten werden“, sagt Petra Lingnau. Sie bezieht oft auch die Sozialarbeiterin des Gymnasiums ein. Gewalt an der Schule hat sie bisher aber eher selten erlebt.

Frank Mahnke aus Stralsund sagt: „Gewalt fängt vor allem verbal an. Es gibt immer mehr Fälle, in denen Lehrer bedroht werden.“ Er wurde auch schon mehrfach beleidigt. Manchmal sind die Eltern bei Gesprächen selbst kein Vorbild. Da kommt es schon mal vor, dass Türen knallen. Einen Schulsozialarbeiter gibt es an der IGS in Stralsund nicht. Die Stelle ist seit Oktober 2023 nicht besetzt.

Ministerium sieht sich gut gerüstet

Mecklenburg-Vorpommern steht in der Schüler-Lehrer-Relation auf dem vorletzten Platz. Trotzdem sieht der Pressesprecher des Bildungsministeriums, Henning Lipski, das Land auf einem guten Weg. Er hebt die seit 2014 laufende Kampagne der Landesregierung „Lehrer-in-MV“ hervor. „Das Land hat viele Vorhaben auf den Weg gebracht, um Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, zu gewinnen und zu halten“, sagt Henning Lipski. Dazu sollen Maßnahmen beitragen wie beschleunigte Einstellungsverfahren, Zuschläge für bestimmte Lehrstellen im ländlichen Raum oder die seit 2014 mögliche Verbeamtung von Lehrkräften bis zu einem Alter von 40 Jahren. „Neu seit 2023 sind zum Beispiel die Jobbörsen an den Schulen, bei denen sich Interessierte über eine Tätigkeit als Lehrkraft, als Lehrkraft im Seiteneinstieg, als unterstützende pädagogische Fachkraft oder als Alltagshilfe informieren können.“

Für die Unterstützung der vorhandenen Lehrkräfte kann der Pressesprecher nur wenige Punkte aufzählen. Die Wertschätzungskampagne #DankeSagenRespektZeigen ist sicher gut gemeint, löst aber kein Problem. Immerhin müssen ältere Lehrkräfte bis zu vier Stunden monatlich weniger unterrichten. Klassenlehrer bekommen eine Stunde erlassen. Damit werden die Verwaltungsaufgaben der Lehrer allerdings nicht aufgewogen. Fast jede Schulleitung in Deutschland monierte in einer Umfrage diese zusätzlichen Tätigkeiten als starke Belastung. 95 Prozent finden, dass Politiker in ihren Entscheidungen den tatsächlichen Schulalltag nicht ausreichend beachten.

Das sehen auch Frank Mahnke und Petra Lingnau so. Beide sind sich einig, dass der Kontakt zur Basis – den Schulleitern und Lehrern – verbessert werden sollte. „Vorgaben des Ministeriums müssen sich besser an der Praxis orientieren“, so Petra Lingnau. Auch Frank Mahnke wünscht sich, dass „die Politik mehr mit Schulleitern und Lehrern ins Gespräch kommt“. Henning Lipski sieht hier keinen Handlungsbedarf und verweist auf die frühere Tätigkeit von Bildungsministerin Simone Oldenburg als Schulleiterin. Die Ministerin „besucht Schulen und führt Gespräche mit Schulleitungen und den Lehrerkollegien. Außerdem bietet sie Lehrersprechstunden an. Dabei können Lehrkräfte ihre persönlichen Anliegen mit ihr besprechen“.

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Das Bildungsniveau der Schüler in Deutschland ist in den letzten Jahren stark gesunken. Das ist zum einen ein gesellschaftliches Problem – der Umgang mit Handy und sozialen Medien lenken vom Schulalltag ab. Die Konzentration auf den Unterricht fällt den Kindern zunehmend schwerer. Dazu kommt: Regeln einzuhalten sind viele nicht mehr gewohnt. In der Familie wird das teilweise auch nicht mehr vorgelebt. Die soziale Hängematte als Alternative zum Beruf lässt die Leistungsbereitschaft sinken. Lehrer wie Petra Lingnau und Frank Mahnke geben unter diesen Umständen ihr Bestes. Es fehlt die Unterstützung, um die sozialen und strukturellen Probleme zu lösen. Da ist die Politik gefragt. Doch in den zuständigen Ministerien spielt man den Ball zurück und verweist auf bestehende Maßnahmen. Nötig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme mit den Betroffenen. Das könnte neue Ideen hervorbringen.

Dieser Text erschien zunächst bei der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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