Innenpolitik

Kundus-Bombardement: „Freispruch für ein Massaker“

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Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren gegen Oberst Klein eingestellt. Juristen halten die Behörde für eine unabhängige und unparteiische Untersuchung strafrechtlich relevanter Vorgänge im Bereich der Exekutive für nicht geeignet. –

Von THOMAS WAGNER, 21. April 2010 –

Die meisten Kommentatoren haben schon längst damit gerechnet: Oberst Georg Klein, der für den Tod von bis zu 142 Menschen am 4. September verantwortliche Bundeswehroffizier, wird aller Wahrscheinlichkeit nach einer strafrechtlichen Verurteilung entgehen. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat am Montag bekanntgegeben, dass sie das Verfahren gegen Klein und seinen Flugleitoffizier eingestellt hat. Das muss niemanden überraschen, denn die Kriterien für eine Verurteilung nach dem Kriegsvölkerrecht sind so hoch gesteckt, dass hier nur ganz besonders extreme Fälle von Massenmord in Gefahr geraten, tatsächlich verfolgt zu werden. „Der Befehl des Oberst Klein war mörderisch“, kommentierte Heribert Prantl am 20.04.2010 in der Süddeutschendp Zeitung, aber das Völkerstrafrecht bestrafe nur „das Böseste des Bösen“. (1)

Außerdem handelt es bei der Bundesstaatsanwaltschaft keineswegs um ein politisch unabhängiges Justizorgan. Ganz im Gegenteil. Der Generalbundesanwalt ist politischer Beamter und befindet „sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen grundlegenden kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung“. (2) Sollte er von diesen abweichen, kann er „jederzeit ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden“, heißt es auf der Homepage der Behörde.

Die Rechtsauffassung des Bundesverteidigungsministeriums hatte Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Vorfeld klar formuliert: Die Bombardierung der Tanklastzüge und der sie umgebenden Menschenmenge habe im Rahmen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts stattgefunden und Oberst Klein das aus seiner subjektiven Einschätzung der Lage Richtige getan, auch wenn es im Nachhinein aus objektiver Einschätzung der Lage als militärisch falsch gewertet werden müsse. Genau für solche Fälle aber sieht das Kriegsvölkerrecht von einer Verurteilung der Täter ab.

Die gleiche Bewertung nahm die Bundesstaatsanwaltschaft vor und Guttenberg zeigte sich vor den Fernsehkameras damit hochzufrieden. Ob die Einstellung des Verfahrens mit der militärischen Faktenlage des 4. Septembers 2009 in Kundus in Übereinstimmung gebracht werden kann, bleibt für die deutsche Öffentlichkeit unterdessen unüberprüfbar. Die Bundesstaatsanwaltschaft erklärte, dass das ihrer Entscheidung zu Grunde liegende „Tatsachenmaterial“ zum überwiegenden Teil als „geheime Verschlusssache“ eingestuft worden sei.
Ob Klein wegen des Verstoßes gegen ISAF-Einsatzregeln wenigstens disziplinarrechtlich belangt werden wird, ist zur Stunde noch offen, aber ebenfalls wenig wahrscheinlich. Im Verteidigungsministerium kann daran niemand ein Interesse haben. „Die Truppe würde das mit Stirnrunzeln zur Kenntnis nehmen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Wolfgang Schmelzer, laut dpa am Mittwoch.

Eine kleine Chance, dass Oberst Klein doch noch vor ein Gericht gestellt werden könnte, sieht der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Erst einmal will er Akteneinsicht erreichen, danach Beschwerde einlegen bzw. Argumente gegen die Einstellung einreichen. Am Ende könnte ein Klageerzwingungsverfahren gegen die Bundesstaatsanwaltschaft stehen, so Kaleck am Mittwoch gegenüber junge Welt. (3) Der Generalsekretär des „European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) vertritt gemeinsam mit seinen Bremer Kollegen Karim Popal und Bernhard Docke die Entschädigungsansprüche von 456 Familienangehörigen von 79 afghanischen Opfern des Kundus-Bombardements gegenüber der Bundesregierung.

Das ECCHR erklärte, nach einer rechtlichen Prüfung des Bescheids der Bundesstaatsanwaltschaft gemeinsam mit den drei rechtlichen Vertretern der Opfer dagegen vorgehen zu wollen. In seiner Presseerklärung heißt es: „Das ECCHR kritisiert seit Jahren die einseitige Anwendung des Völkerstrafrechtes in Deutschland und Europa. Westliche Staaten gehen nur zögerlich gegen mutmaßlich Verantwortliche für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor, die aus den eigenen Reihen stammen. Insofern versprach das von der Generalbundesanwältin in Karlsruhe eingeleitete Ermittlungsverfahren eine Ausnahme zu werden. Die vorschnelle Einstellung zeugt nun leider von derselben Mentalität, Menschenrechtsverletzungen immer nur bei anderen wahrzunehmen und zu kritisieren.“ (4) Kaleck ergänzte: „Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren ohne Zeitnot eingestellt, sie hat die vollständigen Ermittlungsergebnisse des Kundus-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages nicht abgewartet und uns Opferanwälten keine Gelegenheit gegeben, zu der ermittelten Faktenlage und ihrer rechtlichen Bewertung Stellung zu nehmen.“ (5)

Scharfe Kritik erfuhr die Einstellung des Verfahrens gegen Oberst Klein auch durch die Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW): „Das ist im Ergebnis der Freispruch für ein Massaker an unbewaffneten Zivilisten“, sagte Matthias Jochheim, der stellvertretende Vorsitzende der Friedensorganisation. (6)

Die deutsche Sektion der Organisation „Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen“ (IALANA) hält die Einschätzung und Wertung der Generalbundesanwaltschaft ebenfalls für nicht nachvollziehbar und kommt zu dem Schluss, dass „die Generalbundesanwaltschaft in ihrem jetzigen institutionellen Zuschnitt für eine unabhängige und unparteiische Untersuchung strafrechtlich relevanter Vorgänge im Bereich der politisch kontrollierten Exekutive strukturell nicht geeignet ist. An ihrer Spitze steht ein politischer Beamter oder eine Beamtin, der/die von der Exekutive (Bundesregierung) weisungsabhängig ist und bei Fehlen von hinreichendem „Vertrauen“ von dieser jederzeit von seinen/ihren Aufgaben entbunden und in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden kann. Das macht eine unabhängige und unparteiische Ermittlung und damit auch jede Einstellungsentscheidung strukturell defizitär.“ (7)

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Für eine Reihe von Abgeordneten der Unionsparteien war die Einstellung des Verfahrens gegen Oberst Klein dagegen eine Steilvorlage um ihren anscheinend schon lange insgeheim gehegten Wunsch wirklich werden zu lassen, nun auch dem lästigen Kundus-Untersuchungsausschuss ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Schließlich hat dieser das Potenzial, einige unangenehme Wahrheiten über die Vertuschungsbemühungen des Verteidigungsministeriums und des Kanzleramtes ans Licht der Öffentlichkeit zu befördern. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte, dass er keine Notwendigkeit sehe, den Untersuchungsausschuss weiter fortzusetzen. Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) sprach sich dafür aus, ihn nach der Aussage von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu beenden. Linksfraktions-Chef Gregor Gysi hielt dagegen: „Die Hoffnung der CDU und CSU, dass sie die Aufklärung verhindern können, nur weil ein Ermittlungsverfahren eingestellt ist, ist einfach albern und völlig daneben.“ Rainer Arnold (SPD) erklärte, die Bundesanwaltschaft habe eine juristische Bewertung vorgenommen. Der Ausschuss beschäftige sich aber mit der „politischen Desinformation“ rund um den Luftschlag.

(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/838/508976/text/
(2) http://www.generalbundesanwalt.de/de/stellung.php
(3) http://www.jungewelt.de/2010/04-21/053.php
(4) http://www.ecchr.de/der-fall-oberst-klein/articles/einstellung-des-verfahrens-im-fall-oberst-klein.html
(5) Ebd.
(6) http://www.ippnw.de/presse/presse-2010/artikel/ea85eff58c/freispruch-fuer-ein-massaker-an-zivi.html
(7) http://ialana.de/home/news-detail/article/111/tankwagen-ma/

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