Von EKKEHARD LIEBERAM

Kriegsvorbereitung, Faschismusgefahr und Demokratiefrage

Gut 90 Jahre nachdem das Großkapital in Deutschland der Nazipartei die Staatsmacht übertrug, ist das Faschismusthema ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Irritierend ist die Art und Weise: primär als Mobilisierung aller „Demokraten und Antifaschisten“ gegen die Gefahr, dass die AfD die Demokratie beseitigt.

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Am Rande einer Anti-AfD-Demonstration in Frankfurt im Januar.
Foto: conceptphoto.info, Lizenz: CC BY , Mehr Infos

Zwischen dem 27. Januar und dem 11. Februar 2024 gingen laut der FAZ vom 16. Februar mehr als 3,2 Millionen Menschen auf die Straße. Das im staatsnahen Sprachgebrauch bisher diskreditierte Wort Antifaschismus ist schicklich geworden. Die Losung von 1945 „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ wird verkürzt auf „Nie wieder Faschismus“. Dabei ist ein Faschismus überhaupt nicht in Sicht. Der Countdown zum Dritten Weltkrieg scheint unaufhaltsam, weil sich die Kriegspolitiker erfolgreich als Antifaschisten und Friedensfreunde tarnen können, weil die Proteste der Bauern, Lkw-Fahrer, Handwerker und anderer, die die Bewegung gegen die bellizistische und antisoziale Zeitenwende hatten zusammenfuhren können, vorerst aus der Öffentlichkeit verdrängt werden konnten.

Ohne eine neue große Friedensbewegung aber wird diese Entwicklung nicht zu stoppen sein. 1933 ging es dem „Nazifaschismus an der Macht“ um die bedrückende Realität einer beginnenden geschichtlichen Tragödie, um die Vernichtung der parlamentarischen Demokratie von Weimar, um die Beseitigung des Wahlrechts und der Grundrechte, um die Zerschlagung der Arbeiterbewegung – der revolutionären wie der reformistischen –, um den Start des deutschen Imperialismus hin zu einem großen Krieg, der dann einige Jahre später begann. Zu Beginn des Jahres 2024 wird von den Regierenden, den Leitmedien und Teilen der Linken der Eindruck erweckt, es drohe eine Wiederholung dieser Tragödie. Im Gange aber ist ein vielschichtiges und hochgefährliches Verwirrspiel, in dessen Schatten sich eine Kriegsvorbereitung ähnlich wie vor 1914 und nach 1933 wiederholt.

Erstens: Die Fixierung auf „Faschismusgefahren“ versperrt den Blick auf einen gefährlichen Politikwechsel der Regierenden nach rechts. Die Kriegsvorbereitung im Zeichen dieser Rechtswende erfolgt nicht durch eine neue Nazipartei, sondern im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems durch die Regierenden: mit einem Kurs der Kriegsertüchtigung, begleitet von Kurzungen der Sozialleistungen und einer Einengung des Meinungskorridors. Der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD zur ersten Adresse des politischen Protestes bei Wahlen und der Niedergang der Linkspartei als Friedenspartei sind Begleiterscheinungen dieser Rechtswende, ebenso der Höhenflug der Aktien von Rheinmetall seit Anfang 2022 auf das Vierfache.

Zweitens: Das Monopolkapital will heute die parlamentarische Demokratie als Staatsform nicht beseitigen. Warum sollte es auch? Insofern gibt es keine „Existenzkrise der Demokratie“. Indem die Regierenden den Ukraine-Krieg mittlerweile mit Waffen, Logistik und Propaganda in einen Weltordnungskrieg von USA und NATO gegen die Russische Föderation und die Volksrepublik China verändert haben, wachst ihr Interesse, Widerstand gegen diesen Krieg und seine Eskalation mit den Mechanismen „der Demokratie“ abzuschwächen. Die Herrschenden sind erfreut, dass auch Linke gemeinsam mit dem Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ und „allen demokratischen Parteien“ für den „Wertewesten“ auf die Straße gehen.

Drittens: In diesem Weltordnungskrieg kämpfen angeblich „Demokraten gegen Autokraten“. Der Imperialismus gibt sich demokratiefreundlich und antifaschistisch.

Hinweise auf faschistische Merkmale der Machtübernahme 2014 in der Ukraine sind lätig; die Kennzeichnung von Putin als Wiedergänger Hitlers und von Wagenknecht als „auf den Spuren Mussolinis“ wandelnd sind hochwillkommen. In der Innenpolitik wird Repression als „wehrhafte Demokratie“verklärt. Saskia Esken (SPD) und Daniel Gunther (CDU) fordern ein Verbot der AfD. Im Schatten einer dubiosen Faschismus- und Demokratiedebatte wachst die Kriegsgefahr.

Acht Thesen zur Faschismusdebatte lesen Sie im aktuellen Hintergrund-Heft. Es folgt in diesem Auszug die erste These:

These 1 Der Faschismus und das Streben des Großkapitals nach der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie prägten die geschichtliche Periode von 1922 an.

Der historische Faschismus war insbesondere der Versuch, in einer Situation drohender sozialistischer Revolutionen die Kapitalherrschaft zu stabilisieren und die Sowjetunion militärisch zu vernichten. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren bestimmten der Faschismus (plus die Errichtung von Militärdiktaturen) und der Kampf dagegen die Weltgeschichte. Der Faschismus kam 1922 unter Benito Mussolini in Italien und 1933 unter Adolf Hitler in Deutschland an die Macht. Eine Volksfront verhinderte 1936 seine Stärkung in Frankreich. In Großbritannien und den USA entstanden faschistische Bewegungen. Sie waren zu schwach, um an die Macht zu kommen.

Dem „Faschismus an der Macht“ ähnlich waren die in dieser Zeit entstehenden Militärdiktaturen. In beiden Varianten ging es um die Errichtung einer offenen Diktatur des Großkapitals. In Deutschland scheiterte 1920 nach vier Tagen die Errichtung einer Militärdiktatur unter Lüttwitz und Kapp. In Portugal siegte 1926 die Militärdiktatur unter Salazar. 1935 putschte General Franco in Spanien und stellte sich an die Spitze einer Militärdiktatur gegen die Republik. Ab 1935 errichteten in Japan Politiker und Militärs eine Militärdiktatur.

Im September 1940 schlossen die faschistischen Diktaturen in Deutschland und in Italien mit der Militärdiktatur in Japan den „Dreierpakt“. Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Mazedonien folgten. Als „Achsenmächte“ führten sie den Zweiten Weltkrieg als imperialistischen Krieg zur Vernichtung der Sowjetunion und zur imperialistischen Neuordnung der Welt im Zeichen ihrer Faschisierung. Der Sieg über Hitlerdeutschland 1945 beendete diese Gefahr, ohne Faschismus und Militärdiktaturen zu beseitigen. Fast überall setzte sich die parlamentarische Demokratie durch. Als neonazistisches Netzwerk existierte der Faschismus weiter, auch in Deutschland. Als Mischform von Militär- und Fascho-Diktatur spielte er in der Türkei, in Indonesien und in Lateinamerika eine Rolle. In der Ukraine gingen faschistische Elemente mit Strukturen der bürgerlichen Demokratie eine Verbindung ein.

Die weiteren Thesen finden Sie in Heft 7-8/2024.

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