Innenpolitik

Kampf um die Köpfe

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Von MICHAEL SCHULZE von GLAßER, 24. Februar 2011 –

Die Zustimmung zu Auslandseinsätzen bröckelt und neue Rekruten bleiben aus: die „Hearts & Minds“ der deutschen Bevölkerung müssen für neue Militärinterventionen gewonnen werden. Die Bundeswehr befindet sich in einem für sie beispiellosen Werbefeldzug an der Heimatfront.

„Gut ausgebildete, gleichermaßen leistungsfähige wie leistungswillige Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.“ (1) Im strategischen Konzept des Bundesministeriums der Verteidigung, dem „Weißbuch 2006 – zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, macht das Militär unmissverständlich deutlich, wie wichtig ihm die Personalgewinnung ist. Die nach Ende des Ost-West-Konfliktes begonnene Transformation der Bundeswehr hin zu einer weltweit einsetzbaren Armee hatte besonders auf die Personalstruktur Einfluss: der Personalumfang soll von knapp 500.000 Soldaten zur Hochzeit des Kalten Krieges auf 252.500 verringert werden – aktuelle Sparmaßnahmen könnten zu einem weiteren Personalabbau führen. Das Personalstrukturmodell 2010 (PSM 2010) der Bundeswehr sieht in Friedenszeiten (und daran hat auch der Afghanistan-Einsatz nichts geändert) einen Umfang von 195.000 Berufs- und Zeitsoldaten, 55.000 Grundwehrdienstleistenden und freiwillig länger Dienenden sowie 2.500 Reservisten vor. (2) Von 117.000 zivilen Arbeitsplätzen bei der Bundeswehr soll es 2010 nur noch 75.000 geben. (3) Trotz des vermeintlichen Personalabbaus – das Bild wird gerade im zivilen Bereich durch Outsourcing an private Dienstleister verzerrt – müssen jährlich rund 20.000 neue Rekruten für den Dienst an der Waffe geworben werden. Dies liegt besonders an der hohen Personalfluktuation innerhalb der Armee: 131.000 Soldaten auf Zeit (SaZ) dienen in der Truppe. Zwischen zwei und zwölf Jahren bleiben die Zeitsoldaten in der Bundeswehr, mehr als 20.000 Soldaten auf Zeit verlassen die Bundeswehr jährlich und gehen danach einem zivilen Beruf nach, andere verpflichten sich gänzlich als Berufssoldaten. „Überwiegend im Altersband zwischen 20 und 30 Jahren sind sie hochbelastbar, vielseitig verwendbar und bilden so das Rückgrat der deutschen Streitkräfte bei der Auftragserfüllung im In- und Ausland“, so der Deutsche Bundeswehrverband zu den Zeitsoldaten. (4) Das Loch von mehr als 20.000 Soldaten, die die Bundeswehr jährlich verlassen, muss gestopft werden – und das ist ein Problem. Im Jahr 2009 hätte die Bundeswehr 23.700 neue Soldatinnen und Soldaten einstellen müssen. (5) Mit 21.784 wurde diese angestrebte Zahl allerdings unterschritten – in den Vorjahren wurde sie jeweils eingehalten. 14.000 Stellen konnten 2009 mit externen Bewerbern besetzt und knapp 7.800 Soldaten durch Binnenwerbung gewonnen werden – beispielsweise aus dem Pool der Wehrdienstleistenden.

„Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr“, beschreibt die Militärsoziologin Nina Leonard das Problem der deutschen Armee. (6) Der Dienst an der Waffe und in der Bundeswehr ist unpopulär. Dies stellt auch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWI) in seiner Studie „Berufswahl Jugendlicher und Interesse an einer Berufstätigkeit bei der Bundeswehr“ aus dem Jahr 2007 fest: „Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, zumindest für eine gewisse Zeit bei der Bundeswehr als Soldat oder als ziviler Mitarbeiter berufstätig zu sein, antworten 25 Prozent der befragten Jungen und jungen Männer im Alter von 14 bis 23 Jahren mit ‚Ja‘, weitere 27 Prozent mit ‚Vielleicht, unter Umständen‘ und die übrigen 48 Prozent mit ‚Nein‘. Im Vergleich zur Vorjahresbefragung 2006 ist der Anteil der jungen Männer mit Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr um neun Prozentpunkte zurückgegangen.“ (7) Hauptursache für das Wegbleiben von Rekruten ist das – vor allem durch den Einsatz in Afghanistan geprägte – schlechte Image der Armee. Auch politisch eher uninteressierte Jugendliche bekommen die heutigen Gefahren des Soldaten-Berufs mit. Zudem fehlt der Bundeswehr für Einsätze wie am Hindukusch der Rückhalt in der Bevölkerung: „Gewiss, die Bundeswehr ist gesellschaftlich anerkannt. Aber was heißt das eigentlich genau? Die Deutschen vertrauen der Bundeswehr, mit Recht, aber ein wirkliches Interesse an ihr oder gar Stolz auf sie sind eher selten. Noch seltener sind anscheinend der Wunsch und das Bemühen, den außen- und sicherheitspolitischen Wandel zu verstehen und zu bewerten, der da auf die Bundeswehr einwirkt. Natürlich lassen sich für dieses freundliche Desinteresse Gründe angeben“, so der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) in einer viel zitierten Rede auf der „Kommandeurtagung der Bundeswehr“ in Bonn 2005. (8)

Köhler macht die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, eine zu laxe Wehrpflicht und ein fehlendes Bedrohungsgefühl für das „freundliche Desinteresse“ der Bevölkerung an der Armee ausfindig: „Früher drohte den Bürgern in Zivil und den Bürgern in Uniform dieselbe Kriegsgefahr, heute scheinen die Heimat friedlich und die Einsatzorte der Bundeswehr weit.“ (9) Die inszenierte Bedrohung durch Terroristen wirkt in der deutschen Bevölkerung scheinbar nicht. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Mai 2010 wird nicht nur eine massive Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes festgestellt. Für die Befürworter von Militärinterventionen kommt es weitaus schlimmer: lediglich 8 Prozent der Befragten meinten, dass sich Deutschland in Fällen geplanter internationaler Militäroperationen „ohne Wenn und Aber“ beteiligen sollte. (10) Neben der Nachwuchsgewinnung bemüht sich die Bundeswehr daher besonders um mehr Zustimmung in der Bevölkerung. So wollen die Militärs auch zukünftig weltweit in Einsätze geschickt werden.

Öffentliche Selbstinszenierung
Ein Überblick über die Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr

Eigene Veranstaltungen und Aktionen in Armee-Liegenschaften und vor allem im öffentlichen Raum sind für die Bundeswehr enorm wichtig. Die Armee kann sich auf ihren Veranstaltungen nach Belieben präsentieren: kein Aufwand scheint zu groß, keine Kosten zu hoch. So organisiert die Armee nicht nur Veranstaltungen in Fußgängerzonen, sondern auch Sportfeste, Konzerte und Messestände. Selbst in Schulen und Universitäten sind Bundeswehr-Werber aktiv.

Jugendoffiziere, junge Männer und Frauen mit langjähriger militärischer Erfahrung, bilden die Speerspitze der Nachwuchs- und Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Armee und sind weltweit einzigartig. Bereits 1958 – nur drei Jahre nach Gründung der Bundeswehr – wurde die Einheit ins Leben gerufen und hatte schon damals die Funktion, die Bevölkerung vom Sinn und Zweck der deutschen Armee zu überzeugen. Heute gibt es etwa 94 hauptamtliche und 300 nebenamtliche Jugendoffiziere, die an der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (AIK bzw. AkBwInfoKom; früher: Amt für psychologische Kriegsführung) in Strausberg nahe Berlin ausgebildet werden. 7.245 Veranstaltungen mit 182.522 Teilnehmern führten die Jugendoffiziere 2009 durch. (11) Einsatzgebiet der Soldaten sind vor allem Schulen: nahezu 160.000 Schülerinnen und Schüler erreichten die Jugendoffiziere im vergangenen Jahr. Oft referieren die Soldaten vor Schulklassen über Themen wie „Soldaten als Staatsbürger in Uniform“ oder „Auslandseinsätze der Bundeswehr“ oder spielen mit den jungen Leuten die mehrtätige Simulation POL&IS (Politik & internationale Sicherheit).

Seit 2008 gibt es mittlerweile in sechs Bundesländern Kooperationsabkommen zwischen dem jeweiligen Landesschulministerium und der Bundeswehr (Nordrhein-Westfalen, Oktober 2008; Saarland, März 2009; Baden-Württemberg, Dezember 2009; Rheinland-Pfalz, Februar 2010; Bayern, Juni 2010; Mecklenburg-Vorpommern, Juli 2010), die u.a. auch die Einbindung der Jugendoffiziere in die Lehrerausbildung vorsehen: wurden 2005 nur fünf Referendarsveranstaltungen mit 103 Teilnehmern durchgeführt, waren es 2009 bereits 27 Veranstaltungen mit 1.073 Nachwuchslehrkräften. (12) Zusätzlich haben sich über 3.200 Lehrkräfte durch Jugendoffiziere aus- und fortbilden lassen. Indem schon Referendare mit der Bundeswehr in Kontakt kommen, sollen langfristige Kontakte hergestellt werden, damit die zukünftigen Lehrer die Jugendoffiziere zu sich in den Unterricht einladen. Immer wieder betonen Jugendoffiziere keine Nachwuchswerber zu sein – sie würden nur über Sicherheitspolitik und die Bundeswehr informieren. Dies ist höchst fraglich. Oft ist die Bundeswehr aber auch direkt mit Wehrdienstberatern an Schulen im Einsatz: bei rund 12.600 Wehrdienstberatungs-Veranstaltungen wurden 2009 mehr als 280.000 Schülerinnen und Schüler erreicht. (13)

Wehrdienstberater und Jugendoffiziere sind aber auch außerhalb von Schulen aktiv: 2006 stellte die Armee auf Raten des SoWI das „Zentrale Messe- und Eventmarketing der Bundeswehr“ (ZeMEmBw) als neue Werbeeinheit auf. (14) Flaggschiff der Reklametruppe ist der aus drei großen Lastwagen bestehende sogenannte „KarriereTreff“. Die Lastwagen touren jedes Jahr durch rund 40 Städte und stehen dort für mehrere Tage auf zentralen Plätzen oder bei öffentlichen Veranstaltungen. (15) Neben einem begehbaren „KarriereTruck“, in dem Wehrdienstberatungen stattfinden, sollen vor allem junge Besucher durch einen „KinoTruck“ und ausgestellte Militärfahrzeuge zum Bundeswehr-Stand gelockt werden. Zweites Standbein des ZeMEmBw ist ein jedes Jahr etwa 50-mal zum Einsatz kommender großer Messestand. Mit dem Stand ist die Bundeswehr beispielsweise auf der „Games Convention“, einer der größten Computerspiele-Messen in Europa, vertreten, aber auch auf Ärztekongressen. (16) Besonders im medizinischen Bereich plagen die Bundeswehr massive Personalengpässe. (17) Darüber hinaus führt die Werbeeinheit die jährlich wechselnden Jugendsportevents „Bw-Olympix“ und „Bw-Beachen“ durch. (18) Über 1.000 Jugendliche können an den kostenlosen Sportevents teilnehmen – gespielt werden Fun-Sportarten wie Beach-Volleyball oder Streetball, den Sieger-Teams winken Ausflüge in Kasernen. Jedes Sportevent wird von einem bunten Musik- und Party-Programm eingerahmt. Dabei gilt für alle Jugendsportevents der Bundeswehr: Teilnahme ist nur mit deutscher Staatsbürgerschaft möglich. Denn nur Deutsche dürfen Soldaten bei der Bundeswehr werden. Damit dies auch geschieht, wird bei den Events ordentlich geworben: man kann militärisches Großgerät besichtigen oder sich gleich beim Wehrdienstberater über eine Armee-Laufbahn informieren.

Neben dem Zentralen Messe- und Eventmarketing verfügen alle vier Wehrbereichskommandos (NORD, OST, SÜD, WEST) über ein eigenes „Zentrum für Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr“ (ZNwgBw). Jede dieser Einheiten verfügt über zwei Messestände(19), die zwar kleiner, aber nicht weniger modern als die des Zentralen Messe- und Eventmarketings sind, und vier kleinere Werbelastwagen, in denen Beratungen stattfinden und Broschüren verteilt werden. Weit über 500 Einsätze fuhren die vier Zentren für Nachwuchsgewinnung 2009 – oft sind die Nachwuchswerber auf Schulhöfen und Jobmessen anzutreffen. (20) Dabei geht es nicht nur darum, unter den Schülern neuen Nachwuchs zu rekrutieren, sondern auch, frühzeitig ein positives Bild der Bundeswehr in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern. Dies geschieht neben den vorgestellten Veranstaltungen auch durch das Jugendmusikevent „Bw-Musix“, Tage der offenen Tür und Bundeswehr-Veranstaltungen beim jährlichen Mädchenzukunftstag „Girls’Day“ oder in Arbeitsagenturen.

Olivgrüne Werbemedien

Neben eigenen Veranstaltungen hat die Bundeswehr gleich mehrere eigens für die Rekrutierung junger Menschen entwickelte Medien. Diese Medien bilden das Rückgrat der Bundeswehr-Rekrutierungsmissionen, auf Internet-Websites werden weitreichende, aber unkritische Informationen geboten – selbst Online-Bewerbungen für einen Job bei der Armee sind möglich. Auch Print-Medien werden von der deutschen Armee für Jugendliche hergestellt. Die Bundeswehr ist im Zeitalter der Informationsgesellschaft auch im medialen Kampf um neue Rekruten und mehr Zustimmung präsent.

Seit 1977 erscheint das kostenlose Jugendmagazin der Bundeswehr, die infopost. Das Magazin hat vor allem das Ziel der Nachwuchsgewinnung und richtet sich daher an junge Menschen zwischen 14 und 20 Jahren: „Alles, was wir tun, gilt dem Ziel, die Anzahl von jungen Leuten, die wir pro Jahr brauchen, an die Bundeswehr mit werblichen Mitteln heranzuführen“, drückt es der leitende Redakteur Franz-Theo Reiß aus. (21) Dabei setzt die Bundeswehr auf Vollfarbdruck, ein Jugendliche ansprechendes Layout, ein Poster in der Mitte des Heftes und natürlich für junge Menschen aufbereitete Themen. Diese sind nach Auskunft des leitenden Redakteurs zum einen auf die Wünsche der jungen Leser, zum anderen auf den Bedarf der verschiedenen Armee-Gattungen an neuen Rekruten ausgerichtet. Verteilt wird die infopost auf Bundeswehr-Veranstaltungen aller Art – Messeständen, Wehrdienstberatungen, Bundeswehr-Konzerten usw. – wobei ein großer Teil der Auflage auch als Abonnement verschickt wird. Um die infopost kostenlos abonnieren zu können, darf man nicht älter als 20 Jahre alt sein und muss eine Bestellkarte ausfüllen. Neben Adresse und Unterschrift müssen die jungen Menschen auch „Angestrebter oder erreichter Schulabschluss“, das voraussichtliche Ende der Ausbildungszeit, „Staatsangehörigkeit“ und andere rekrutierungsrelevante Angaben machen. Außerdem erklären sie sich dazu bereit, mit Werbematerialien der Armee eingedeckt zu werden. Die Auflagenhöhe des Jugendmagazins liegt bei rund 190.000 Stück. (22)
Inhaltlich wird die militärische Tätigkeit der Bundeswehr nicht verschwiegen: der Afghanistan-Einsatz wird beispielsweise in einigen Heften thematisiert. In den schöngefärbten Artikeln gibt sich die Bundeswehr dabei aber friedlich-zivil. Im Artikel „LUZ, Eloka und Patrouille – Ein Tag in der afghanischen Provinz Kunduz“ aus dem Jahr 2008 wird kein Wort über getötete bzw. verwundete deutsche Soldaten verloren – geschweige denn über afghanische Opfer. (23) Ebenso wenig thematisiert wird der psychische Druck – einschließlich des Befehls, einen anderen Menschen töten zu müssen. Stattdessen präsentiert der Autor – ein Stabsfeldwebel – den scheinbaren Alltag eines Logistik-Soldaten, der Militärflugzeuge entlädt, einer jungen Militärpolizistin, die gleich sieben Sprachen sprechen kann und täglich um das Feldlager joggt, und eines Bundeswehr-Hundeführers samt Schäferhund „Nelson“. Von Gefahr keine Spur. Der Artikel ist beispielhaft für die Texte in dem Jugendmagazin.

Im Internet liegt die Zukunft. Außerdem sind immer mehr junge Leute online. Das weiß auch die Bundeswehr und hat gleich zwei Websites für junge Menschen entwickelt: unter www.treff.bundeswehr.de sollen sich Kinder und Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren über die Armee informieren. Monatlich verzeichnete die Rekrutierungs-Website gut 107.000 Besucher. (24) Dies liegt neben den gebotenen Informationen auch am Entertainment-Angebot auf der für Jugendliche ansprechend gestalteten Website: Online-Spiele, Handy-Logos, Bildschirm-Hintergründe. Zudem gibt es eine mittlerweile über 30.000 Mitglieder zählende Online-Community. (25) Die Mitglieder haben Zugang zu Internetforen, in denen über die Bundeswehr informiert wird, können sich Videos von Militärfahrzeugen ansehen und an Community-Treffen in Kasernen teilnehmen. Für junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren hat das Personalamt der Bundeswehr die Website www.bundeswehr-karriere.de ins Leben gerufen. 2009 verzeichnete die im Vergleich zur treff.bundeswehr-Seite weniger bunte Website monatlich 155.000 Zugriffe. (26) Dabei bietet die bundeswehr-karriere-Website viele Informationen zur Militärlaufbahn und kein Entertainment-Angebot. In Zukunft will die Armee verstärkt Social-Networks und andere Web-2.0-Funktionen zur Nachwuchsrekrutierung und Werbung nutzen. (27)

Militarisierte Medien

Neben Veranstaltungen und eigenen Armee-Medien gelangt die Bundeswehr heute vor allem durch Werbeanzeigen in Schüler- und Jugendzeitungen in die Klassenräume und Kinderzimmer der Republik, aber auch immer mehr in Wohnzimmer und den öffentlichen Raum. Die Kooperation zwischen Armee und Medien ist umfassend. Die aggressive Strategie der um Nachwuchs und Sympathie ringenden Bundeswehr scheint auch vor Minderjährigen nicht Halt zu machen. Egal, ob in Zeitungen, im Radio, im Fernsehen oder Kino – die Bundeswehr ist überall vertreten.

Für Werbung in Printmedien, Radio und Kino wendete die Bundeswehr von 2006 bis 2009 über 15 Millionen Euro auf. (28) So wirbt die Bundeswehr mit Print-Anzeigen beispielsweise regelmäßig in der mit einer Auflage von einer Million Exemplaren größten Schülerzeitung Deutschlands, dem SPIESSER. Mit dem Jugendmagazin BRAVO besteht sogar eine engere Kooperation: jährlich führen Armee und Magazin für rund dreißig Jugendliche die „Bw Adventure Games“ durch, bei denen die jungen Leute ein Wochenende lang eine Bundeswehr-Einheit besuchen. (29) Ebenfalls an Jugendliche richtet sich Radiowerbung des Militärs. In Radiospots auf Jugendsendern sucht die Bundeswehr nach neuen Piloten für ihre Hubschrauber und Kampfjets. Dies ist ebenfalls in den Kinospots der Armee der Fall. Den weitaus größten Werbecoup der Bundeswehr in den letzten Jahren konnte man im Frühjahr dieses Jahres im Fernsehen betrachten. In einem 20-sekündigen Spot warb die Armee für den Dienst an der Waffe: „Herausforderung meistern, Teamgeist beweisen, Technik beherrschen. Bundeswehr, Karriere mit Zukunft“, hieß es in der Werbung. (30)

Um das Image weiter zu verbessern, subventioniert die Bundeswehr immer mehr deutsche Filmproduktionen: 2005 waren es  11 Produktionen, 2006 nur 4, 2007 waren es 8, 2008 schon 12 und 2009 unterstützte die Bundeswehr sogar 22 Filmprojekte(31) – beispielsweise mit der Bereitstellung militärischen Großgerätes, Dreherlaubnissen oder auch finanziellen Mitteln. Unterstützt werden der Bundeswehr wohlgesinnte und von ihr als nützlich empfundene Kino- und Spielfilmproduktionen sowie TV-Serien und Dokumentationen. So unterstützte die Bundeswehr zum Beispiel den SWR-Spielfilm „Willkommen zuhause“, der am 2. Februar 2009 zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr in der ARD lief. Der Film thematisiert die bei deutschen Soldaten immer häufiger vorkommenden Posttraumatischen Belastungsstörungen. Ziel: die deutsche Bevölkerung soll Verständnis für die „kranken Helden“ zeigen und an den Umgang mit Kriegsversehrten gewöhnt werden. Verständnis in der Bevölkerung versuchte die Armee auch mit der Unterstützung des Filmprojektes „Operation Afghanistan – Die Bundeswehr im Einsatz“ zu erheischen – allerdings nicht für kranke Soldaten, sondern für den Einsatz am Hindukusch. Die 6-teilige Dokumentation im Auftrag des Männer-Fernsehsenders DMAX zeigt den Weg der Soldaten, vom Abschied in der Heimat bis hin zur gefährlichen Streife auf den Straßen Kabuls, und berichtet von den persönlichen Erfahrungen der Soldaten und ihrer Familien. (32) Außer in der ersten, noch in Deutschland gedrehten Folge kommt in jeder der gut 45 Minuten langen Doku-Folge mindestens ein Aufbau einer Schule in Afghanistan vor. Von Krieg keine Spur.

Im Kampf an der Heimatfront

In den letzten Jahren sind die Kosten für die Nachwuchswerbung massiv gestiegen. Gab die Regierung 1998 noch (umgerechnet) 9,2 Millionen Euro dafür aus, wuchs der im Haushaltsplan verzeichnete Posten zuerst kontinuierlich, dann dramatisch:  2008 waren 10,3 Millionen Euro, 2009 schon 12 Millionen veranschlagt und 2010 wurden die Finanzmittel zur Nachwuchsgewinnung schließlich mit 27 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. (33) Der Posten „Nachwuchswerbung“ in den Haushaltsplänen des Bundes erfasst jedoch lange nicht alle Mittel, die für die Anwerbung von Jugendlichen ausgegeben werden. Die Gehälter für Jugendoffiziere, ihre Reisekosten etc. sind beispielsweise in diesem Posten nicht enthalten. Auch alle anderen Ressourcen, die die Bundeswehr zwar zur Nachwuchswerbung nutzt, aber nicht explizit dafür im Einsatz hat, werden nicht berechnet: etwa Soldaten, die Artikel für die Bundeswehr-Jugendmedien schreiben, oder Panzer, die zu Werbeveranstaltungen transportiert und dort ausgestellt werden. Schon heute ist Bundeswehr-Werbung in der Lebenswelt Jugendlicher in den unterschiedlichsten Formen anzutreffen.

Es geht aber nicht immer nur um Nachwuchs, sondern auch um Zustimmung. Die Bundeswehr möchte ein weltweiter militärischer Akteur sein und versucht, dafür – im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung – die politische Basis zu schaffen. Zwar werden auch hierfür bevorzugt die leicht zu überzeugenden Wähler von morgen umworben, doch auch die Wähler von heute sind im Kampf um die „Hearts & Minds“ im Visier der Bundeswehr.

Der Artikel erschien zuerst bei Hintergrund  Heft 4 / 2010


Der Autor: Michael Schulze von Glaßer ist Beirat der Informationsstelle Militarsierung e.V. und Autor des in diesen Tagen erscheinenden Buches „An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr“ (200 Seiten, PapyRossa-Verlag, ISBN 978-3-89438-442-5).

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Anmerkungen – Quellen

(1) Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 – zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Seite 144, Berlin 2006.
(2) Jährlicher Austausch militärischer Informationen nach WD 99 – Verteidigungsplanung 2004, Seite 10.
(3) Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 – zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Seite 152, Berlin 2006.
(4) Kirsch, Ulrich: Attraktivität steigern – Motivation schaffen – Nachwuchs sichern. Forderungen an die 17. Legislaturperiode zur Sicherung der persönlichen Einsatzfähigkeit. Deutscher Bundeswehrverband, Juli 2009.
(5) Bundestags-Drucksache 17/900.
(6) Leonhard, Nina/Werkner, Ines-Jacqueline: Militärsoziologie – Eine Einführung, Seite 261, Wiesbaden 2005.
(7) Bulmahn, Thomas/Burmeister, Julia/Thümmel, Kathleen: Berufswahl Jugendlicher und Interesse an einer Berufstätigkeit bei der Bundeswehr – Ergebnisse der Jugendstudie 2007 des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr – Forschungsbericht 88, Strausberg, September 2009, Seite 8.
(8) Köhler, Horst: „Einsatz für Freiheit und Sicherheit“ – Rede von Bundespräsident Horst Köhler auf der Kommandeurtagung der Bundewehr, Bonn, 10. Oktober 2005.
(9) Ebenda.
(10) Petersen, Thomas: Allensbach-Umfrage – Wird Deutschland am Hindukusch verteidigt?, in: www.faz.net, 26. Mai 2010 – letzter Zugriff am 26. Mai 2010.
(11) Schnittker: Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2009, Berlin 2010, Seite 4.
(12) Bundestags-Drucksache 17/1511.
(13) Ebenda
(14) N. N.: KaririereTreff on Tour, in: aktuell – Zeitung für die Bundeswehr Nr. 35/2006.
(15) Schulze von Glaßer, Michael: Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront, in: IMI Studie 01/2009.
(16) Bundestags-Drucksache 17/715.
(17) Bundestags-Drucksache 16/12012.
(18) Schulze von Glaßer, Michael: Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront, in: IMI Studie 01/2009.
(19) Schuldt, Frank: Einmal Deutschland, in: Y – Magazin der Bundeswehr, November 2006, Seite 106.
(20) Bundestags-Drucksache 16/12038.
(21) Schulze von Glaßer, Michael: Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront, in: IMI Studie 01/2009.
(22) Bundestags-Drucksache 16/14094.
(23) Groeneveld, Gerhard: LUZ, Eloka und Patrouille – Ein Tag in der nordafghanischen Provinz Kunduz, in: infopost 3/2008, Seite 4/5.
(24) Bundestags-Drucksache 16/14094.
(25) Ebenda.
(26) Ebenda.
(27) Brunner, Frank: Embedded in Strausberg, in: jungeWelt, 3. Juli 2010.
(28) Bundestags-Drucksache 16/14094.
(29) Schulze von Glaßer, Michael: Armee umwirbt Kinder, in: www.telepolis.de, 10. Mai 2009 – letzter Zugriff am 31. Juli 2010.
(30) N. N.: Menschen, Technik, Chancen (Sprechertext), in: www.bundeswehr.de, 17. Februar 2010 – letzter Zugriff am 24. Februar 2010.
(31) Bundestags-Drucksache 16/14094.
(32) Bender, Günther: Operation Afghanistan – Sendetermine auf DMAX, in: www.deutschesheer.de, 05.12.2007 – letzter Zugriff am 8. April 2010.
(33) N. N.: IMI-Fact-Sheet: Bundeswehr und Schule, in: www.imi-online.de, Mai 2010 – letzter Zugriff am 2. Juni 2010.

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