Ihr Mann kann´s: Gisela Erler und die neoliberale Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg
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Von THOMAS WAGNER, 24. Oktober 2012 –
Nach dem Zoff um das Bahnprojekt Stuttgart 21 sollte im Schwabenländle alles anders werden. Die Meinung der Bürger sollte ein größeres Gewicht erhalten. Winfried Kretschmann gewann den Landtagswahlkampf mit diesem Versprechen. Ein Mann, ein Wort. Kaum im Amt, machte der erste Ministerpräsident mit grünem Parteibuch Nägel mit Köpfen. Er schuf für die Grünenpolitikerin Gisela Erler (geb. 1946) im Mai 2011 das Amt einer Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung. Was die darunter versteht, hat freilich mit den einst auch von ihr vertretenen Ideen der 1968er und „mit der Demokratie des wirklichen Gehörtwerdens wenig am Hut“. (1)
Der seit vielen Jahren in sozialen Bewegungen engagierte Politikwissenschaftler Peter Grottian meint jedenfalls, dass in der von Erler initiierten Allianz für Beteiligung das wirklich kritische Demokratiepotential nur in Spurenelementen vorkomme: „Gegner von Stuttgart 21, die Initiative zur Rheintal-Strecke, aufmüpfige lokale und regionale Initiativen. Die Allianz ist so staatsintegrierend von oben konzipiert, trotz aller Beteuerungen zu einem selbsttragenden Netzwerk. Zugespitzt: Die Demokratie des Gehörtwerdens ist ein diffuses Konzept von oben und keine Ermutigung von unten.“ (2)
Vielleicht liegt es daran, dass die Tochter des bekannten Sozialdemokraten Fritz Erler (1913-1967), die sich in der Vergangenheit eher auf dem Feld der Familienpolitik hervorgetan hat, in Sachen Bürgerbeteiligung auf ihren Ehemann Warnfried Dettling (CDU) hört. (3) Der ehemalige Erwin-Teufel-Berater (4) ist seit vielen Jahren darum bemüht, dem Unionslager eine zurechtgestutzte Form von „Basisdemokatie“ schmackhaft zu machen, die sich als Mittel zum neoliberalen Umbau der Gesellschaft eignet. So verlangte er in einem Aufsatz, den Sozialstaat künftig so „zu organisieren, dass er Teilhabe, Entfaltung und Beschäftigung nicht nur durch Transferzahlungen und Schutzrechte fördert, sondern genauso durch die Entwicklung und Stärkung von Märkten mit sozial besseren Ergebnissen“. (5) Empfänger von Sozialleistungen bezeichnet Dettling gerne als „Sozialstaatskunden“ oder als „Transfermultis, die verschiedene Berechtigungen mit sich herumtragen“. (6) Man fühlt sich an die Ausdrucksweise Thilo Sarrazins erinnert. Die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft ist für Dettling das bevorzugte Feld der Selbstorganisation der Bürger. Der Markt sei „der Ort der Selbstverwirklichung, der sozialen Integration in die Gesellschaft und der Anerkennung durch andere.“ (7)
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Für die Ansichten ihres Mannes kann Gisela Erler erst einmal nichts. Man muss auch nicht von ihr verlangen, dass sie sich öffentlich davon distanziert. Freilich verlangt aber auch niemand von ihr, dass sie sich mit dem eigenwilligen Engagement ihres Gatten in Sachen Bürgerbeteiligung in Interviews auch noch schmückt. Ein deutliches Indiz dafür, dass die beiden politisch nicht gar so weit auseinander liegen können, ist der Sachverhalt, dass Gisela Erler seit 2005 in der nach ihrem Mann benannten Politikberatungsfirma „Dr. Dettling Politikberatung GmbH“ mitwirkt. Es muss daher niemanden überraschen, dass die demonstrative Politik der Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg bisher kaum mehr als eine Luftnummer ist. Jedenfalls scheint die Regierung nicht die Absicht zu hegen, sich ernsthaft mit den ökonomisch Mächtigen anzulegen. In den Augen Erlers ist es schon bei der Schlichtung in Sachen Stuttgart 21 nicht nur um Partizipation, sondern auch um „Befriedung und Respekt voreinander“ (8) gegangen. Die unter Erlers Federführung im Herbst 2012 vom Kabinett beschlossenen Eckpunkte eines neuen Planungsleitfadens, mit dem sich das Land selbst dazu verpflichtet, bei eigenen Infrastrukturvorhaben wie dem Verkehrswegebau eine frühe Bürgerbeteiligung durchzuführen, ist erkennbar aus der Perspektive von oben konzipiert. Die Runde, von der die konkreten Empfehlungen entwickelt werden, setzt sich nämlich nicht aus engagierten Bürgern zusammen, sondern besteht aus den üblichen Experten aus der Verwaltung, aus Unternehmen, Kommunen, Wissenschaft sowie „erfahrenen Verbandsvertretern“, die sich schließlich mit den Mitarbeitern der Landesverwaltung zusammensetzen sollen. Von Baumschützern und anderen Radikaldemokraten keine Spur. Der Leitfaden, der unter anderem festlegt, welche Bürger wann und wie in die Verfahren einbezogen werden, soll im Herbst 2013 als Verwaltungsvorschrift für die Landesverwaltung erlassen werden.
(1) Grottian, Peter: König Winfried, der Zauderer, in: Kontext: Wochenzeitung, Donnerstag, 27. 09. 2012, http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/09/koenig-winfried-der-zauderer/
(2) Grottian, Peter: König Winfried, der Zauderer, in: Kontext: Wochenzeitung, Donnerstag, 27. 09. 2012, http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/09/koenig-winfried-der-zauderer/
(3) hier mit ihr zu sehen: http://www.gisela-erler.de/lebenslauf.htm
(4) vgl. http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/eine-frau-fuers-zuhoeren–59578592.html
(5) Dettling, Warnfried: „Sicherheit und Anerkennung – Der Sozialstaat an den Grenzen der Umverteilung“, in: Pfeiffer (Hg.): Eine neosoziale Zukunft. Wiesbaden 2010, S. 63
(6) ebd. S. 65
(7) ebd., S. 71
(8) http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/07/super-wenn-sie-losgelassen/