Hauptsache an die Macht
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In Thüringen soll heute der erste Linken-Ministerpräsident gewählt werden. Linke Positionen sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich –
Von SEBASTIAN RANGE, 5. Dezember 2014 –
Linke, SPD und Grüne in Thüringen haben am Donnerstag den Koalitionsvertrag für die bundesweit erste rot-rot-grüne Landesregierung unterzeichnet. Das Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre war zuvor von der Basis der Parteien mit großer Mehrheit gebilligt worden. Am heutigen Freitag steht die Wahl des Ministerpräsidenten an. Mit Bodo Ramelow könnte damit erstmals ein Vertreter der Linken Chef einer Landesregierung werden.
Die teilweise erregt geführte öffentliche Debatte darüber, dass nun, 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, die „SED-Nachfolgepartei“ mithilfe der SPD und Grünen erstmals die Macht in einem Bundesland übernimmt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein tief greifender Politikwechsel von dieser Linken-geführten Regierung nicht zu erwarten ist.
Ängsten vor einem radikalen Neuanfang wird bereits in der Präambel des Koalitionsvertrages entgegengewirkt. Er werde eine Landesregierung gebildet, die „auf dem Erreichten aufbaut, Bewährtes sichert und entschlossen neue Wege geht.“ Die Entwicklung des Freistaates, der seit seinem Bestehen von CDU-geführten Regierungen gelenkt wird, sei „beeindruckend“. (1) Bodo Ramelow sprach seiner christdemokratischen Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht seine „Hochachtung“ dafür aus, „was sie für Thüringen geleistet hat“. (2) Das klingt kaum nach Aufbruch.
Ramelow selbst sieht sich nicht als „Vertreter der Linken in der Staatskanzlei“, sondern als „Ministerpräsident einer Dreierkoalition“, erklärte er vor einer Woche gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). (3) Am Donnerstag betonte Ramelow erneut, er werde „nicht Ministerpräsident der Linken“ sein. (4) Dabei ist das Amt des Ministerpräsidenten ohnehin kein parteipolitisches – weshalb es auch so ungewöhnlich ist, dass ein Ministerpräsident zur Amtseinführung die Distanz zur eigenen Partei betont. „Nicht mal auf das Grundsatzprogramm seiner Partei“ lasse sich der „gnadenlose Pragmatiker“, „der Linke für die Mitte“, noch verpflichten, lässt die Süddeutsche Zeitung ihre Leser wissen. (5)
Von einer linken Aufbruchstimmung war auch in den Koalitionsverhandlungen wenig zu spüren. Um erstmals einen Ministerpräsidenten stellen zu können, sei die Linke ihren Koalitionspartnern „bis zur eigenen Unkenntlichkeit“ (FAZ) entgegengekommen.
Das drückt sich auch in der Ressortverteilung aus, die dem jeweiligen Stimmanteil der Parteien kaum gerecht wird. Obwohl sie bei der Wahl auf zwölf Prozent abgestürzt waren, erhielten die Sozialdemokraten die drei Schlüsselressorts Finanzen, Inneres sowie Wirtschaft und Forschung. Bei einer Fortführung der schwarz-roten Regierung – auch diese Variante hätte über eine Stimme Mehrheit verfügt – wäre die SPD kaum so fürstlich abgespeist worden.
Die Grünen, die mit 5,7 Prozent knapp den Einzug in den Erfurter Landtag schafften, erhalten das Justiz- und Umweltministerium. Die Linke, die mit 28 Prozent ihre beiden Juniorpartner deutlich überragt, begnügt sich mit den drei Fachressorts Infrastruktur, Bildung sowie Soziales und Arbeit, und stellt neben dem Ministerpräsidenten auch den Chef der Staatskanzlei.
Die starke Stellung der Linken im Parlament ist auch dem rot-rot-grünen Regierungsprogramm kaum anzusehen. „Das soll nun der große Sieg des Sozialismus sein?“, fragte sich MDR-Chefredakteur Stefan Raue in einem Kommentar für die Tagesthemen. „Ein beitragsfreies Jahr für die Kita, mehr Geld für die freien Schulen, mehr Windräder und weniger Landkreise?“. So ein Regierungsprogramm hätten „SPD und Grüne auch allein hinbekommen, ohne die Linke, vielleicht sogar mit der Union“. Die linke Verhandlungsdelegation habe „so ziemlich jede Kröte geschluckt“ um Ramelow ins Amt zu hieven.
Die Linke wird von SPD und Grünen „kontrolliert“, meint auch die Zeit angesichts des „stark sozialdemokratischen Koalitionsvertrags“. Schon dessen Motto – „Thüringen gemeinsam voranbringen – demokratisch, sozial, ökologisch“ – hätte „sich auch die CDU ausdenken können“, frotzelte der Spiegel.
Ihre Partei hätte ein Bündnis „mit zwei faktisch sozialdemokratischen Partnern“ geschlossen, gab die an den Koalitionsverhandlungen beteiligte Bundestags-Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, Aufschluss über das handzahme Gebaren der Linken. (6)
Die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Linke gleicht einem Pyrrhussieg. Doch die Parteibasis schreckte das nicht ab: Mit satten 94 Prozent stimmten die Mitglieder der Thüringer Linken am Dienstag für Rot-Rot-Grün.
Der großen Geschlossenheit vermochte auch der Wirbel um die Bewertung der DDR nichts anzuhaben. SPD und Grüne hatten sich damit durchgesetzt, in der Präambel des Koalitionsvertrages die Feststellung zu treffen, dass es sich bei der DDR, die für viele Anhänger der Linkspartei nach wie vor zum identitätsstiftenden politischen Erbe gehört, um eine „Diktatur“ und einen „Unrechtsstaat“ gehandelt hat.
Bei ihrem linken Koalitionspartner trafen sie dabei dennoch auf keinen größeren Widerstand. Ganz im Gegenteil. Mit dem Ministerium für Staatssicherheit („Stasi“) habe das sozialistische Land alle „Merkmale eines Unrechtsstaats praktiziert“, erklärte Bodo Ramelow. „Auf gut deutsch“, so Ramelow: „Jedes kleine oder größere Arschloch im DDR-Apparat konnte in das Leben der anderen eingreifen. Das war entsetzlich.“ (7) Kritik erntete er dafür von den Genossen der linken Parteiströmung „Kommunistische Plattform“, die Ramelows Umgang „mit unserer Geschichte und mit den vielen Genossinnen und Genossen, die für ihn Wahlkampf machten und denen er bescheinigt, Arschlöcher gewesen zu sein“, ebenso wie dessen Wortwahl für „entsetzlich“ hält. „Doch das muss wohl so sein, will man die Totaldistanzierung von jeglichen Machtstrukturen der DDR und damit von der DDR selbst. Da passen dann Verbalinjurien ebenso wie die Benennung von MfS und Gestapo in einem Atemzug.“ Die Linke dürfe, so die vergebliche Aufforderung der Kommunisten, „diesen Weg nicht mitgehen“. (8)
Der Vorsitzende der Deutschen Kommunistischen Partei, Patrik Köbele, warf den Thüringer Linken vor, im Zuge der Debatte um den Begriff „Unrechtsstaat“ den „Sozialismus als Gesellschaftssystem“ zu delegitimieren, und den „Kapitalismus als einzig legitimes Gesellschaftssystem“ anzuerkennen. (9)
Wähler, hört die Signale
Eine Hinwendung zum Sozialismus ist dem rot-rot-grünen Regierungsprogramm jedenfalls nicht zu entnehmen. So soll die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union noch reibungsloser gestaltet werden, die europäische Ebene gelte es „in allen Bereichen der Landespolitik mitzudenken und zu berücksichtigen“. In der Präambel des Leitantrags des Parteivorstandes, mit dem die Linke im Frühjahr in den Europawahlkampf ziehen wollte, wurde die EU noch als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ bezeichnet. Auch dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) will die Thüringer Koalition auf Bundesebene keine grundsätzliche Absage erteilen, sondern lediglich auf einzelne Verbesserungen hinwirken.
Ebenso soll mit der „Schuldenbremse“ ein wesentlicher Hebel zur Durchsetzung einer neoliberalen Sachzwang-Sparpolitik unangetastet bleiben. Die in der Landeshaushaltsordnung Thüringens verankerte Schuldenbremse sei „Maßstab für eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik“, heißt es in den Koalitionsverträgen.
Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow versprach, „solide“ zu wirtschaften. Es werde in den kommenden fünf Jahren kein Haushalt mit neuen Schulden verabschiedet. Zudem werde bis 2016 ein Personalentwicklungskonzept für die Verwaltung vorgelegt – was konkret nichts anderes als den forcierten Stellenabbau im öffentlichen Sektor bedeuten dürfte.
Mit Benjamin Hoff soll ein Ramelow-Vertrauter Staatskanzleichef werden, der bereits von 2006 bis 2011 als Staatssekretär im rot-roten Berliner Senat Erfahrungen sammeln konnte, wie sich „Sparzwänge“ mittels Privatisierungen und Stellenabbau umsetzen lassen. Der einstige Sprecher der rechten Parteiströmung „Forum Demokratischer Sozialismus“ bemühte sich, öffentliche Betriebe wettbewerbsfähig zu machen. „Die Strategie, Arbeitsplätze bei solchen Unternehmen durch einmalige Abfindungen dauerhaft zu vernichten“, schrieb damals die junge Welt, „bezeichnete er als ‘richtig’“. (10)
Eine wirtschafts- und sozialpolitische Wende in Thüringen ist unter solchen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Auch das demokratiepolitische Steckenpferd der Linken, die Reform des Verfassungsschutzes, muss sich in der Praxis noch als tauglich erweisen. Als Lehre aus dem NSU-Skandal trat die Linke ursprünglich für eine komplette Abschaltung aller V-Leute ab. Der Koalitionsvertrag sieht hingegen Ausnahmen „zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“ vor. Ironischerweise könnte somit gerade der NSU herangezogen werden, um den weiteren Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene als Maßnahme zur Terrorabwehr zu legitimieren.
Vorwürfe, dass es der Linken nicht gelungen sei, der von ihr geführten Koalition ihren inhaltlichen Stempel aufzudrücken, will man in der Erfurter Parteizentrale nicht gelten lassen. Demnach habe es während der Koalitionsverhandlungen im Grunde keine Zugeständnisse gegeben: „Es ist nicht so, dass wir etwas hergegeben hätten, was wir hätten behalten wollen“, erklärte Parteichefin Hennig-Wellsow. (11) Auf die Frage, welchen Preis seine Partei für das Amt des Ministerpräsidenten zahlen musste, antwortete Ramelow gegenüber der FAZ: „Es gab gar keinen“. Das Blatt erwiderte: „Wirklich? Wo im Koalitionsvertrag hat denn die Linkspartei Akzente gesetzt, die sich von denen der SPD und den Grünen unterscheiden?“. Die Antwort des ehemaligen hessischen Gewerkschaftsführers fällt bezeichnend aus: „Unser Wahlprogramm war zu achtzig Prozent deckungsgleich mit dem der SPD und Grünen.“ Man habe nach Punkten gesucht, „die gar nicht gehen“ – die waren aber so gut wie nicht vorhanden“. (12)
Wenn die Linke keine Akzente setzen kann, weil sie sich von den anderen Parteien nicht mehr unterscheidet, steht die Frage im Raum, wozu sie dann noch benötigt wird. Ramelows Einlassung ist im Grunde das Eingeständnis, dass seine Partei regieren will, um zu regieren, und nicht, um das umzusetzen, wofür sie doch eigentlich vom Wähler beauftragt wurde – die Umsetzung eines „stark sozialdemokratischen Koalitionsvertrages“ dürfte das kaum gewesen sein.
Anmerkungen
(4) http://www.bodo-ramelow.de/politik/aktuell/post/2014/12/04/volle-kraft-voraus-1/
(5) http://www.sueddeutsche.de/politik/rot-rot-gruen-in-thueringen-der-linke-fuer-die-mitte-1.2251969
(7) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-11/ramelow-linke-thueringen-gauck-merkel
(10) http://archiv.jungewelt.de/2005/03-31/017.php
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