Globalisierungskritiker streiten über Waffenexporte
Attac erkennt AG Globalisierung und Krieg aufgrund von Meinungsverschiedenheiten nicht mehr an und ignoriert Proteste aus der Friedensbewegung. Zuvor sind bereits weitere Gruppen von Attac geschlossen worden. Das Netzwerk hat massive Finanzprobleme.
Jetzt streitet sich Attac um Krieg und Frieden. Der Rat des globalisierungskritischen Netzwerks, das in Deutschland seine größte Wirkung im Umfeld der Finanzkrise 2008/2009 entfaltete, hat die AG Globalisierung und Krieg Anfang des Jahres die weitere Anerkennung als bundesweite Struktur verweigert. Die AG vertrete im Namen von Attac Positionen, die nicht solche von Attac sind, kritisiert ein Mitglied des Attac-Koordinierungskreises (Kokreis) auf Hintergrund-Anfrage. Im Kern geht es um Waffenlieferungen sowie die Bewertung der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen. Anfang des Jahres hatte sich Attac bereits aus dem Bündnis „Stoppt das Töten“ zurückgezogen, weil dort der „Stopp der Lieferung von Waffen, die den Krieg verlängern oder weiter eskalieren“, gefordert wurde.
Grund für den Rückzug war laut Attac, dass nur Positionen vertreten werden können, die Konsens bei Attac sind. Der Stopp von Waffenlieferungen gehöre nicht dazu, heißt es aus dem Kokreis. Der Umkehrschluss: Es gibt Globalisierungskritiker in dem einst einflussreichen Netzwerk, die Waffenlieferungen gutheißen. Für den Kokreis bedeutet das aber keineswegs ein Ende von Attac als Teil der Friedensbewegung. Diese sei sich in der Frage der Waffenlieferungen ebenfalls uneins, heißt es weiter in der Antwort auf die Anfrage. Die Nachfrage, welcher Teil der Friedensbewegung derzeit noch die Lieferung von Waffen befürworte, ließ der Attac-Kokreis unbeantwortet.
Mitstreiter der aufgelösten AG Globalisierung und Krieg kritisieren, dass das Vorgehen gegen ihre Arbeitsgruppe innerhalb Attacs handstreichartig abgelaufen sei. Und ein Umdenken fand nicht statt. Denn ein Antrag an den Ratschlag als höchstes Gremium des Netzwerks, die AG doch noch zu bestätigen, wurde Mitte April abgelehnt. Reinhard Frankl aus Aschaffenburg ist Teil der AG und hat sie beim Ratschlag vertreten. „Ich hatte nur zwei Minuten Zeit, das Anliegen zu vertreten und wurde mittendrin abgebrochen“, erinnert er sich. Von den 55 Anwesenden auf dem Ratschlag stimmten 36 gegen die Anerkennung der AG Globalisierung und Krieg.
Sie reiht sich nun ein in die verschiedenen Zusammenschlüsse innerhalb des Attac-Netzwerks, die in den vergangenen Jahren aufgelöst oder ausgeschlossen wurden. Der Wissenschaftliche Beirat, dem viele namhafte globalisierungskritische Professoren angehörten, löste sich im Streit um die Corona-Maßnahmen selbst auf. Zwei Regionalgruppen – Baden-Baden und Cottbus – wurden wegen des Kontakts mit vermeintlich rechten oder querdenkenden Gruppen vom Kokreis aufgelöst. Das Medium „Sand im Getriebe“ wiederum darf ebenfalls nicht mehr im Rahmen des globalisierungskritischen Netzwerks agieren, das sich, so sagen es Kritiker gegenüber Hintergrund, immer mehr der Politik der aktuellen Bundesregierung annähert und zahmer wird. Eine Folge der Aberkennung der Gemeinnützigkeit vor zehn Jahren, gegen die Attac mittlerweile vor dem Bundesverfassungsgericht klagt?
Matthias Jochheim, lange Jahre selbst Mitglied des Rates und kurze Zeit auch des Kokreises, hält das für den falschen Weg. Statt sich anzupassen müsse Attac eine schärfere Politik betreiben, schließlich sei der Name Teil des Programms oder sollte es zumindest sein. Vergangenes Jahr beendete Jochheim seine Tätigkeit im Rat, in den er als Mitglied der IPPNW, der „Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges e.V.“ gewählt worden war. Es gehört zum Prinzip des Netzwerks, dass einige Plätze in den Gremien für Mitgliedsorganisationen reserviert sind. Nachdem sich Jochheim für die IPPNW zurückgezogen hat, sitzt dort derzeit noch ein Mitglied eines Friedensverbands nämlich der DFG-VK im Kokreis. Der bayerische Landesverband der DFG-VK wiederum protestierte vor dem Frühjahrsratschlag im April gegen den Umgang mit der AG Globalisierung und Krieg. In einem Schreiben wird bezweifelt, dass es „im Interesse von Attac als globalisierungskritische und hoffentlich auch friedfertige Bewegung sein kann, eine gut funktionierende Arbeitsgruppen in Zeiten der Kriegsvorbereitung nicht mehr akzeptieren zu wollen“. Auch der IPPNW und pax christi protestieren gegen den Ausschluss der AG. Vergeblich. Matthias Jochheim von der IPPNW verließ vor einem Jahr die bundesweiten Strukturen unter anderem, weil er die Diskussionskultur nicht mehr ertragen wollte. In der AG Globalisierung und Krieg blieb er – als Einzelmitglied.
Der vielfältige Richtungsstreit ist Ausdruck einer Krise bei Attac. Ein weiteres sichtbares Zeichen: Der Organisation geht das Geld aus. Der Haushalt 2024 wurde mit einem Minus von 200.000 Euro geplant, beim Herbstratschlag 2023 wurde aufgrund der Finanzlage der Monatsbeitrag von fünf auf sechs Euro erhöht. Die Zahl der Mitglieder sinkt und damit auch die Beiträge. Peter Wahl, Mitbegründer von Attac Deutschland, verweist darauf, dass die Organisation überaltert ist. Auf Hintergrund-Nachfrage hieß es vergangenes Jahr aus der Attac-Zentrale in Frankfurt am Main: „Unsere fehlende Gemeinnützigkeit, die wir jetzt viele Jahre durch solidarisches Spender*innenverhalten der Menschen, die Attac bereits davor gespendet haben, ausgleichen konnten, macht sich nach und nach eben doch bemerkbar.“ Wer sich erstmals für eine Spende entscheide, der schaut auf die Gemeinnützigkeit, die Attac zurückgewinnen will. Und wenn jetzt die neue Kampagne zur Besteuerung von Reichtum läuft, dann soll neben den Unterschriftenlisten auch eine Liste mit Adressen ausgelegt werden. Reinhard Frankl, der auch Mitglied der Regionalgruppe Aschaffenburg ist, kritisiert: „Attac geht es wohl mehr um die Bettelbriefe als um die Sache.“
Aber nicht nur die schwindenden Finanzmittel machen Attac Probleme. Die Kritik an den Folgen der neoliberalen Globalisierung mobilisiert immer weniger Menschen. Das war einst anders. Im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 brachte Attac mit einem breiten Bündnis mehr als 55.000 Menschen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ auf die Straße. Damals lebte das Netzwerk, viele Regionalgruppen waren von Flensburg bis Lörrach, von Aachen bis Bautzen aktiv und die Treffen wie die halbjährlichen Ratschläge als oberstes Gremium von Attac waren gut besucht. Mittlerweile ist das nicht mehr der Fall. „Attac hat keine Wirkung mehr nach Außen und kann keine Kampagnen mehr starten, sie hängen sich an andere ran“, sagt Peter Wahl.
Wahl war Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, der Mitte 2021 aufgrund unterschiedlicher Bewertung der Corona-Maßnahmen und der Teilnahme einiger Mitglieder an kritischen Demonstrationen implodiert war. Auf dem Herbstratschlag 2021 setzte die Organisation noch einen drauf. Auf für Attac ungewöhnlichem Weg – über einen Mehrheitsentscheid statt im Konsensverfahren – wurde die Abgrenzung zu Gruppen wie ,Querdenken‘ oder der Partei ,dieBasis‘ beschlossen. Diese stünden außerhalb des Attac-Konsenses, wie die Grundlage der Zusammenarbeit im Netzwerk bezeichnet wird. Diese Gruppen seien wissenschaftsfeindlich, verbreiteten antisemitische Verschwörungserzählungen, arbeiteten in Teilen direkt mit der extremen Rechten zusammen oder duldeten diese in ihren Reihen. Der Konsens zur Kontaktschuld ohne Konsens – auf Nachfrage verwies Attac vergangenes Jahr auf die große Mehrheit auf dem Ratschlag – war in der Folge Grundlage für Ausschlüsse und Gruppenschließungen.
Als erstes traf es die Regionalgruppe Cottbus. Ihr wurde von der Attac-Zentrale unter anderem die Teilnahme an einem Festival vorgeworfen, das Personen aus dem Spektrum eine Bühne gebe, die im Beschluss des Herbstratschlags 2021 genannt wurden. Nachdem sie die Teilnahme nicht absagten, verhängte der Koordinierungskreis Ordnungsmaßnahmen und schloss letztlich die Regionalgruppe. „Wir waren immer davon ausgegangen, dass Attac basisdemokratisch organisiert sei“, sagt Ingo Kurras von der ehemaligen Regionalgruppe, die weiter gemeinsam Politik macht. Von oben, aus der Attac-Zentrale habe es geheißen, bei Attac gäbe es keine Basisdemokratie, so Kurras.
Auch Christine Lipps aus Baden-Baden ist bis heute verwundert über das von oben angeordnete Ende ihrer Regionalgruppe und ihren eigenen Ausschluss Anfang dieses Jahres. Der Vorwurf: Die Regionalgruppe habe mit einer Gruppierung zusammengearbeitet, die dem Spektrum der Querdenken-Bewegung nahesteht. Außerdem habe Lipps selbst bei einer Veranstaltung der Partei dieBasis gesprochen. „Mit uns hat nie ein Mensch gesprochen“, sagt sie im Gespräch mit Hintergrund. „Ich finde das total traurig, Attac war eine tolle Organisation.“ Die Regionalgruppe in Baden-Baden sei vor Ort gut angesehen, seit mehr als 20 Jahren arbeite sie zusammen und betreibe Bündnispolitik. So auch für einen Friedensmarsch im Oktober 2022, für den die Regionalgruppe einen Aufruf verfasste und dem sich letztlich allein die Gruppierung „aufRECHT:FREIdenken“ anschloss. Während die Regionalgruppe den Inhalt des Aufrufs sowie den Marsch bis heute verteidigt, weil er sich im Rahmen der Grundsätze von Attac bewege, schrieb der Kokreis in seinem Ausschlussantrag, der Hintergrund vorliegt, von einem Ansehensverlust von Attac Deutschland. Man verliere jegliche Glaubwürdigkeit, würde man nicht handeln.
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Die Ausschlüsse, aber auch der Beschluss auf dem Herbstratschlag 2021 haben, wie auch jetzt der Umgang mit der AG Globalisierung und Krieg, Kritik von vielen Seiten nach sich gezogen. Peter Wahl meint, dass die informelle Führungsgruppe der Organisation sich in einer Blase befinde. In dieser seien ursprünglich sinnvolle Begriffe zu Kampfbegriffen mutiert, um andere auszugrenzen. Attac erlebe die gleichen Spaltungsdiskussionen wie andere Organisationen der politischen Linken, beispielsweise in der Frage Krieg und Frieden oder Identitätspolitik. Die Redaktion von Sand im Getriebe, ein Medium, das seit 22 Jahren im Attac-Umfeld erscheint, konstatiert: „Es machen sich undemokratische Verhaltensweisen bei Attac Deutschland breit.“ Sand im Getriebe macht weiter – ohne Attac-Strukturen. Und die AG Globalisierung und Krieg hat jüngst wieder eine Stellungnahme zum sofortigen Waffenstillstand in Nahost veröffentlicht. Im Briefkopf der Pressemitteilung steht weiter das Logo von Attac. Das gefällt der Zentrale nicht, der Streit geht in die nächste Runde.
Dieser Beitrag ist die aktualisierte Fassung eines Textes, der im Hintergrund-Heft 9/10-2023 erschienen ist.