Innenpolitik

Gierdebatte: Gefährliches Gebräu

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Die „7 Thesen des Frankfurter Zukunftsrates zur Neuroökonomie“ Politikvorschläge, die auf krudem Biologismus beruhen –

von THOMAS WAGNER, 30. Juni 2009 –

Der Schlüssel zur Bewältigung der weltumspannenden Finanz- und Wirtschaftskrise liegt in den Händen der Gen- und der Hirnforschung. Das suggerieren jedenfalls eine ganze Reihe von Artikeln in auflagenstarken Zeitungen.
„Gier nach Geld auch genbedingt“ , heißt es etwa in der Berliner Zeitung (17.06.2009) und die Potsdamer Neueste Nachrichten (19.06.09) verkünden: „Gentest für Führungskräfte gefordert. Studien belegen: Gier ist angeboren“. (1) Die Quelle dieser Nachrichten sind 7 Thesen des Frankfurter Zukunftsrates zur Neuroökonomie. Der 2008 gegründete Think Tank mit Sitz in Frankfurt am Main ließ dieselben als Presseerklärung (17.06.09) (2) per dpa-Meldung und in Form eines Gastkommentars in Springers Tageszeitung Die Welt (3) verbreiten . (4)

Darin heißt es unter anderem: „Der Mensch reagiert auf kurzfristige Gewinne oder die Aussicht auf Geld wie Kokain“ (These 2) und „Das gierige Finanzverhalten herrscht bei vielen Menschen genbedingt unermüdlich und macht abhängig.“ (These 3) Sind Spitzenmanager als gengesteuerte Finanzjunkies also von jeder Verantwortung für ihr Tun entlastet?

Wolfgang Clement (Ex-SPD) und Friedrich Merz (CDU) sowie der bis zu diesem Zeitpunkt hoch angesehene Neurologe Christian Elger und seine Kollegen Oliver Brüstle (Neuropathologe) sowie Armin Falk (Experimentalökonom) scheinen das behaupten zu wollen. Sie alle sind Mitglieder des Frankfurter Zukunftsrats und haben das Thesenpapier am 3. Juni 2009 bei einem Treffen im Life & Brain Center des Universitätsklinikums Bonn gemeinsam vorbereitet. (5)

Hirnforscher Elger gilt als einer der führenden Köpfe seiner Zunft und zeigt keinerlei Berührungsängste zur Wirtschaft, wenn es um die Eintreibung von Drittmitteln geht.(6) Im Jahr 2000 hat er zusammen mit sieben Kollegen das „Jahrzehnt des menschlichen Gehirns“ ausgerufen, das deutsche Pendant zu der von Präsident George H. W. Bush 1990 per Presidential Proclamation 6158 für die USA verordneten Dekade des Gehirns. Wolfgang Clement, damaliger Wirtschaftsminister von NRW, übernahm gleich zu Beginn für die deutsche Initiative die Schirmherrschaft . (7)

In der Arbeitsgruppe „Wirtschaft & Politik“, das ist einer von mehreren sogenannten Zukunftskreisen des von Manfred Pohl gegründeten Think Tanks, (8) arbeiten Clement und Elger heute erneut zusammen. Diesmal geht es um vorgeblich wissenschaftlich fundierte Vorschläge zur Entwicklung des Landes, die danach in verständlicher Form an politische Entscheider weitergereicht werden sollen.

Die neoliberale Schlagseite (9) ist jedoch schon in der Zielformulierung des elitären Clubs nicht zu übersehen: Es geht um die „Anpassung der Politik an den globalen Wettbewerb“. (10)

Dabei helfen soll ein neuer Wissenschaftszweig: die Neuroökonomie. Das ist eine Verbindung von Betriebswirtschaft und Hirnforschung, die das Kaufverhalten von Konsumenten oder die Investitionsentscheidungen von Unternehmern vorherzusagen und zu beeinflussen versucht.

Clement, Merz & Co sind vom Erkenntniswert der ausgesprochen wirtschaftsnahen Disziplin so sehr überzeugt, dass sie empfehlen, künftig „Entscheidungsprozesse und Institutionen auch mit Hinblick auf die Neuroökonomie zu gestalten. Das gilt z.B. für die betriebliche Personalpolitik (Anreize) aber auch für die konkrete Gestaltung von Gesetzen und staatliches Handeln“.

Was das konkret heißen kann, deuten sie in These 7 zumindest an: „Leitungsgremien sollten ohne genbedingte „Finanzgier“ eingestellt werden.“

„Platte Biologismen, Hirnforschung und manipulative Verdummung gehen in der Krise eben Hand in Hand“, kommentiert Susanne Schultz vom Gen-Ethischen-Netzwerk mit Sitz in Berlin. (11)

Tatsächlich leistet das Thesenpapier des Frankfurter Zukunftsrates einem biologischen Reduktionismus Vorschub, der schon erkenntnistheoretisch nicht zulässig ist. Komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge werden auf eine molekularbiologische Mikroebene zurückführt, die vollkommen anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht als die Makroökonomie.

Menschliches Handeln erscheint genetisch determiniert. Banker und Investoren kommen als vernunftbegabte Kultur-Wesen gar nicht erst in Betracht. Sie agieren als bloße Sklaven ihrer vererbten Anlagen, die ihrer Gier nach immer mehr Profit nicht Herr werden können.

Die Gierdiskussion ist ein Manöver, mit dem seit Beginn der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise von ihren systemischen Ursachen und Lösungsmöglichkeiten abgelenkt wird. Als weltumspannende Überproduktionskrise ging sie aus den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Akkumulationsdynamik und deren Verwertungszwängen hervor. Trotz aller „Gier“ und verbrecherischer Energie. Spitzenmanager und Banker trifft daher nicht die Hauptverantwortung für das Platzen der Spekulationsblase. Auch sie handelten auf der Basis politisch gewollter Reduktion der Regulierung einer stets neue Ungleichheit erzeugenden Produktionsweise, deren Expansionsdynamik vom unstillbaren Drang nach immer mehr Profit angetrieben wird.

Um künftigen Krisen vorzubeugen, „muss das Einkommen der ärmeren Gesellschaftsschichten auf Kosten der Einkommenszuwächse bei den Reichen gestärkt werden, also eine seit Jahrzehnten ungleicher werdende Verteilung umgekehrt werden“,(12) umreißt Lucas Zeise, ein Kolumnist der Financial Times Deutschland, die Richtung des Lösungswegs. Appelle an die Vernunft der Manager oder eine bessere Auswahl des ökonomischen Spitzenpersonals werden der Komplexität des gesellschaftlichen Problems dagegen nicht gerecht – ob mit Gentests oder ohne.
Schon deshalb verdienen die biologistischen Thesen des Frankfurter Zukunftsrates energischen Widerspruch. Richtiggehend gefährlich werden sie aber spätestens dann, wenn man sie zur Diskriminierung von Menschen heranzieht, wie These 7 es fordert.

Würden Gentests tatsächlich zu einem legalen Einstellungskriterium in Unternehmen, Behörden und anderen Institutionen, wäre das ein elementarer Verstoß gegen die Menschenwürde. Unternehmen und Versicherungen versuchen seit Jahren weitreichende Einsicht in die Gendaten ihrer Kunden und Mitarbeiter zu erlangen. Das im April dieses Jahres von Union, SPD und FDP verabschiedete Gendiagnostikgesetz schränkt diese Nutzung deutlich ein. Die Forderung nach Gentests für Banker und Investoren mutet wie der plumpe Versuch an, das Thema durch die Hintertür der Finanzgierdebatte wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Aber auch um die wissenschaftliche Fundierung der Zukunftsratsthesen ist es schlecht bestellt. Camelia Kuhnen und Joan Chiao haben im Februar 2009 einen Aufsatz veröffentlicht, (13) auf den der Frankfurter Zukunftsrats seine Behauptungen über genetische Ursachen riskanten Finanzverhaltens nach eigenen Aussagen stützt.(14)
Doch statt den Beweis für ein „Gier-Gen“ anzutreten, resümieren die Autorinnen von Genetic Determinants of Financial Risk Taking eher vorsichtig: Ihnen sei es bisher nicht gelungen, jene Genvarianten zu identifizieren, die finanziellen Risikoentscheidungen zugrunde liegen. (15) „Obwohl die Auswirkungen, die wir hier dokumentieren, eine kausale Beziehung zwischen dem Genotyp und dem Risikoverhalten von Individuen andeuten, erlauben unsere Daten nicht, einen Kausalitätszusammenhang sicher nachzuweisen.” (16)

Wie kommt dann aber der Frankfurter Zukunftsrat zu seiner Behauptung, es gäbe eine „genbedingte „Finanzgier““?
Um diesen Widerspruch aufzuklären, befragte Hintergrund den Hirnforscher Christian Elger, der als Urheber der „7 Thesen zur Neuroökonomie“ gilt. Überraschend distanzierte dieser sich umgehend von der ihm vorgelesenen Zukunftsratsthese: „Leitungsgremien sollten ohne genbedingte „Finanzgier“ eingestellt werden.“ „Das ist völlig überzogen“, sagte er spontan, da habe die Presse übertrieben.

Wie kann das sein? Er habe die Zukunftsratsthesen nach Auskunft der Geschäftsstelle doch selbst formuliert, hakte Hintergrund nach. Elger bestätigt seine Autorenschaft. Er habe der Zukunftsratgeschäftsstelle seine Überlegungen eingereicht. Die Presseerklärung des Zukunftsrates dazu habe er allerdings noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Die zitierte Formulierung stamme jedenfalls nicht von ihm und sei total übertrieben. Möglicherweise seien durch die Geschäftsführerin Jane Uhlig noch Veränderungen an seinem Text vorgenommen worden, spekulierte der irritierte Hirnforscher.

In der Geschäftsstelle war man um Schadensbegrenzung bemüht. Jane Uhlig äußerte sich überschwänglich über den Rang der wissenschaftlichen Arbeit Elgers und zeigte sich überrascht davon, dass die Koryphäe sich anscheinend von ihren eigenen Thesen distanzierte. Man habe deren Inhalt gerade so belassen, wie ihn Elger eingereicht habe, erläuterte sie. Lediglich „Zwischenüberschriften“ seien in der Geschäftsstelle ergänzt worden, damit der ansonsten zu trockene Text für Zeitungsleser verständlicher würde. Im übrigen verstehe sie gar nicht, was an den Thesen verwerflich sein solle. Immerhin habe sie deren Aussagen bei einem Treffen mit 18 Journalisten der wichtigsten Medien bereits diskutiert und von denen sei nicht der geringste Einwand vorgebracht worden. (17)

Elger wiederum ist auf das Angebot, Hintergrund die ursprüngliche Fassung seiner Thesen zu schicken, bis heute nicht eingegangen. Damit hat der Hirnforscher eine Möglichkeit ausgeschlagen, sich als ernstzunehmender Wissenschaftler zu rehabilitieren.

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Quellen:

(1) http://www.pnn.de/weltspiegel/188698/
(2) http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/Presseservice/pdf/pressemeldung20090617.pdf
(3) Frankfurter Zukunftsrat: Sieben Thesen zur Neuroökonomie. Geldgier liegt in den Genen, in:
Die Welt (19. Juni 2009), http://www.welt.de/die-welt/article3953178/Geldgier-liegt-in-den-Genen.html
(4) Unkritische Multiplikatoren der Thesen sind Jens Jessen: „Gier ist unökonomisch“, in: Junge Freiheit,
Nr. 27, 2009, S. 11; http://www.focus.de/panorama/welt/gesellschaft-zukunftsrat-gier-nach-geld-auch-genbedingt_aid_408931.html; http://www.fr-online.de/_em_cms/_globals/print.php?em_ssc=MSwwLDEsMCwxLDAsMSww&em_cnt=1801037& em_loc=3555&em_ref=/in_und_ausland/wirtschaft/spezial_banken/spezial_banken/&em_ivw=fr_wirbanken; http://www.nz-online.de/artikel.asp?art=1036455&kat=64. Die ersten Meldungen, daß die Hirn- und Genforschung mittlerweile die „die Ursachen der Geldgier“ entschlüsselt (Welt-Online, 21.11.2008) und den Beweis erbracht, daß die „Bereitschaft zu riskanten Investitionen genetisch bedingt“ (Spiegel-Online,11.02.2009) ist, erreichten die Öffentlichkeit freilich schon ohne das Zutun des Frankfurter Zukunftsrates
(5) http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/
(6) http://www.judithrauch.de/Texte/elger.htm
(7) Auf die Frage, ob es eine personelle oder projektbezogene Kontinuität zwischen der amerikanischen und der deutschen Gehirnforschungsdekade gebe, antwortete Elger im Gespräch mit Hintergrund, dass sich die amerikanische Forschung damals vor allem mit dem Tierhirn, die deutsche dagegen mit dem menschlichen Gehirn befasse. Die Forschung sei in wenigen Jahren enorm fortgeschritten.
(8) Kuratoriumsvorsitzende ist die Gesellschafterin der Schaeffler KG, Maria-Elisabeth Schaeffler.
(9) „Die geistige Elite muss mehr politische Verantwortung übernehmen“, hatte der amtierende Vorsitzende Manfred Pohl das Selbstverständnis der Zukunftsratsmitglieder auf der Gründungspressekonferenz am 11. März 2008 erläutert und begann mit seinen elitären Mitstreitern einen Kampf gegen den Begriff der „Verteilungsgerechtigkeit“ und das „Recht auf Arbeit“ zu führen. http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/Anspruch/
(10) http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/Anspruch/. Zukunftsrat-Mitglied Friedrich Merz setzt noch mitten in der Wirtschaftskrise ungebrochen auf das freie Spiel der Marktkräfte und fordert in seinem neuen Buch: „Mehr Kapitalismus wagen“ (2008).
(11) http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/2009/aus-propagandakueche-0
(12) Jellen, Reinhard: „Inflationsanzeichen als Ende der Krise“, Interview mit Lucas Zeise (Financial Times Deutschland), in Telepolis 13.05.2009, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30289/1.html
(13) http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0004362
(14) Per email nach den wissenschaftlichen Grundlagen der Zukunftsratsthesen gefragt, hat Christian Elger Hintergrund.de diese Studie als pdf-Dokument am 22.06.09 mittels seines Kollegen Bernd Weber zuschicken lassen. Elger und seine Bonner Hirnforscherkollegen haben die Studie möglicherweise schon vor ihrer Veröffentlichung gekannt, da sie vom 25. bis 28. September 2008 an einer Konferenz in Park City (UT) teilnahmen, auf der Kuhnen/Chiao ihrer vorstellten (vgl. ww.neuroeconomics.org/conference/AbstractBook.pdf).
(15) „ However, identification of specific genes underlying financial risk preferences has remained elusive.” (Kuhnen/Chiao, 2009)
(16) Kuhnen/Chiao, 2009, Übersetzung, TW “While the effects that we document here are suggestive of a causal relationship between individuals’ genotype and risk preferences, our data do not allow for causality to be firmly established.”
(17) Tatsächlich fand am 17. Juni im Büro des Zukunftsratsvorsitzenden ein Pressefrühstück statt, bei dem Manfred Pohl und Jane Uhlig mit den eingeladenen Journalisten über „Möglichkeiten der Zusammenarbeit“ diskutierten, berichtet die Homepage des Think Tank. (http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/

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