Fußball im Abseits – Partynationalismus und Starkult kommen vor dem Spiel
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Von SEBASTIAN HORNUNG, 23. Juni 2010 –
Deutschland blüht wieder einmal im Glanze seines schwarz-rot-goldenen Glücks. „Wir“ sind wieder Deutschland und die ganze Nation scheint bemüht, die Nationalismusexzesse der WM 2006 noch zu überbieten. Die Nationen-Marketing-Maschine scheint täglich mehr Produkte in den Nationalfarben auf den Markt zu werfen und die Bürger scheinen sich gegenseitig in ihrem Partynationalismus überbieten zu wollen. Wenn sich dieser Tage die Eine oder der Andere kritisch zu diesen Tendenzen äußert, verhallen diese Anmerkungen nahezu unbemerkt und die Fragen danach, was den neuen Nationalismus befeuert, wer die Nutznießer sind und ob durch die vermeintlich harmlosen Fußball-Nationalisten Schaden entsteht, bleiben entsprechend unbeantwortet.
Während Fußball in der Nachkriegszeit ein Sport des Proletariats war, für den sich Politik und Wirtschaft kaum interessierten, ist er heute zum einen vollständig kommerzialisiert, zum anderen hat die Politik den Fußball für sich entdeckt. Beiden Gruppen liegt dabei daran, „die Nation“ als Bezugsrahmen zu nutzen. Um diesen Rahmen nutzen zu können, stellen die Akteure, also am Beispiel der Fußball-WM die FIFA, die Industrie und die Politik, ein Umfeld her, in dem ein Nationalgefühl betont werden kann.
Bei den aktuellen Fußball-Großereignissen tritt der Sport in den Hintergrund. Es ist vielmehr eine Gelegenheit, eine nationale Feier zu organisieren. |
Professor Freerk Huisken, der bis 2006 in Bremen die Professur für Politische Ökonomie im Ausbildungssektor innehatte, stellt dabei fest, dass bei den aktuellen Fußball-Großereignissen der Sport eigentlich in den Hintergrund trete. Das Entscheidende sei „die Gelegenheit, eine nationale Feier zu organisieren und deutschen Nationalismus ins Zentrum einer Feier zu stellen“. (1)
Die Wirtschaft nutzt den neu etablierten Nationalismus in erster Linie als erweiterten Absatzmarkt, als Werbekampange, auf die jeder aufspringen kann – sei es die Telekom 2006 mit der „größten Nationalmannschaft der Welt“, Mediamarkt als „Mein WM-Laden“ 2010 oder der Kleinunternehmer, der Deutschlandfahnen ins Schaufenster hängt, um seine Dazugehörigkeit zum „Wir“ zu signalisieren und somit seinen Umsatz zu steigern.
Die Politik wiederum zieht aus der Entstehung eines „Wir“-Gefühls ebenfalls ihren Nutzen. 2006 kündigte die damals noch recht neue Regierung Merkel die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent mitten während der Weltmeisterschaft an (2), als aktuelles Beispiel ließe sich das Sparpaket der Regierung anführen. Praktischerweise direkt vor der WM 2010 verabschiedet, ist die Existenz des Sparpakets in atemberaubender Geschwindigkeit aus den Medien und wohl auch aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden. Professor Huisken betont allerdings, dass bei Verschwörungstheorien, die hier einen Kausalzusammenhang konstruieren wollten, Vorsicht geboten sei – die Entscheidung zu dem aktuellen Sparpaket sei einem völlig eigenen, aus den „Sachzwängen“ bei der Bewältigung der Euro-Krise resultierenden Zeitplan gefolgt. Dass die „größte Steuererhöhung“ (3) und das „größte Sparpaket“ (4) in der Geschichte der Bundesrepublik jeweils in die Zeit der nationalen Fußballeuphorie fallen, ist aber mindestens bemerkenswert.
Politiker aller Couleur versuchen das Nationalgefühl auch über Großereignisse hinweg zu erhalten. Der ehemalige Bundespräsident Köhler sprach 2006 davon, „dass man jetzt unverkrampfter auf seine eigene Nationalflagge zeigt und sich mit ihr schmückt“ (5), und Claudia Roth freute sich: „Ganz Deutschland jubelt schwarz-rot-gold.“ (6)
Das Vorstandsmitglied des mit der Durchführung der „Land der Ideen“-Kampagne beauftragten PR-Unternehmens, Sebastian Turner, erklärte zu diesem Thema: „Für Fußball werden alle werben. Wir wollen für Deutschland werben. Standortwerbung muss auch nach der WM noch Wert haben.“ (7) Auch die „Du bist Deutschland“-Kampagne, die der Bertelsmann-Konzern Ende 2005 startete, war in Bezug auf ihre Langzeitwirkung ausgesprochen erfolgreich. So hat sich der Ausdruck „Du bist …“ – ob negativ oder positiv besetzt – doch als geflügeltes Wort etabliert. (8)
Doch was treibt diesen Nationalismus an? Menschen gehen nach Huisken von der Prämisse aus, dass die kapitalistische Demokratie für Menschen eingerichtet sei; realisierten sie nun im Alltag, dass dem nicht so ist, schlössen viele fälschlicherweise, dass sie diese Alltagsprobleme im Einverständnis mit der Politik lösen könnten. Dies sei der Übergang zu dem großen „Wir“. Dieses Phänomen bezeichnet Huisken als „Alltagsnationalismus“, der bei Großereignissen wie der Fußball-WM oder auch dem Eurovision Song Contest und dem Hype um „unsere Lena“ in einen „Sonntagsnationalismus“ überführt wird. „Sein einziger Inhalt ist die ganz inhaltslose Feier der Zugehörigkeit zu Deutschland“ (9), schreibt Huisken zu diesem Phänomen in seiner aktuellen GegenRede.
Was kann man nun Schlechtes daran finden, dass Menschen scheinbar völlig entpolitisiert feiern und ihr Leben genießen? Das Problem, meint Huisken weiter, sei, dass der Partynationalismus eben jenen schade, die ihn betreiben. Die Sonntagsnationalisten sähen in ihrem Handeln einen weiteren Beweis, dass sie es mit Deutschland doch gut getroffen hätten. Das ändere zwar nichts an ihren Alltagssorgen, aber die ließen sich im Bewusstsein, zu einer Siegernation zu gehören, vielleicht etwas besser aushalten. Und das politische Ergebnis ihres unpolitischen Nationalismus könnte dann darin bestehen, dass sie immer mehr Einschränkungen in Kauf nehmen. Der Fußballsoziologe Gerd Dombowski zitiert in diesem Kontext Alexandre Vaz: „Das verdinglichte Bewusstsein findet im Sport ein besonders günstiges Umfeld, weil das Vergnügen des Sportzuschauers nicht nur bedeutet, das Leiden zu vergessen, sondern es zu feiern“ (10).
Eine weitere Gefahr wird in der 5. Folge der Suhrkamp-Reihe Deutsche Zustände – der größten quantitativen Studie in Deutschland zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – von Wilhelm Heitmeyer ausgemacht. Er konstatiert: „Kampagnen, die darauf abzielen, nationalistische oder patriotische Einstellungen zu schüren, bergen die Gefahr, die Abwertung von anderen Gruppen zu fördern.“ (11) Auch Dombowski beschreibt diese Gefahr: „Nationalismus ohne Vergleiche, ohne Erhebung über andere Nationen funktioniert nicht – ein bisschen schwanger gibt es nicht.“ (12)
Stars als Vorbilder?
Doch Fußball ist natürlich auch dieser Tage nicht nur Nationalismus. Schließlich kickt „Unsere Elf“, also elf Stars, die während der WM nahezu ununterbrochen von Kameras begleitet werden. Wenn sich in diesen Wochen Millionen Fußballfans zum Fußballgucken versammeln, werden sie sicherlich auch wieder hundertfach Zeugen von unangemessenem Benehmen. Angefangen beim allgegenwärtigen Spucken, über Schwalben, das wilde Diskutieren mit dem Schiedsrichter über Entscheidungen, bis hin zu groben Fouls und Tätlichkeiten reichen die Handlungsweisen, die Fußballer präsentieren, wenn sie für die Ehre ihrer Nation kämpfen. Hierbei stellt sich die Frage nach der Vorbildfunktion der Stars und danach, inwieweit das gezeigte Verhalten von Kindern und Jugendlichen auch im Alltag wiederholt wird.
Eine Studie der Universität Augsburg, die schlechtes Benehmen bei verschiedenen Sportspielen miteinander verglich, stellte 2006 fest, dass sowohl von Fußballspielern als auch -trainern überdurchschnittlich unsportliches Verhalten an den Tag gelegt wird. In der Studie wurden Schiedsrichter verschiedener Sportarten dazu befragt, was ihnen an negativem Verhalten bei Spielen aufgefallen sei. Während die Fußball-Trainer vor allem durch das Beschimpfen von Gegnern und Schiedsrichtern negativ auffielen, gaben „55,0 Prozent der befragten Fußballschiedsrichter an, dass Kostproben der allseits bekannten Unflätigkeiten ‚in vielen Spielen’ bzw. ‚in jedem Spiel’ zu beobachten seien.“ (13) Sportpädagoge Prof. Dr. Helmut Altenberger, der die Studie mitbetreute, stellte als Fazit fest: „Nach dieser Studie kann Fußball nicht mehr uneingeschränkt als Schulsportart empfohlen werden. Sportlehrer sollten auf jeden Fall bei der Vermittlung von Fußball über Fairness und Verhalten reflektieren und im Schulsport eine Distanz zum vorg
elebten Erscheinungsbild der Sportart aufbauen.“ (14)
Auch die Medien spielen in diesem Zusammenhang eine eher unrühmliche Rolle: besonders brutale Fouls werden in Zeitlupe und Großaufnahme wiederholt und häufig auch bei kurzen Spielzusammenfassungen erneut gezeigt, beispielweise Kevin-Prince Boatengs Foul an Michael Ballack, dessen Verletzung daraufhin zum „Knöchel der Nation“ stilisiert wurde. (15) Darüber hinaus wird Spielern, die negativ aufgefallen sind, in den Medien eine Plattform geboten, um sich zu rechtfertigen und zu erklären. Als Beispiel sei hier nur der Kopfstoß von Zinédine Zidane im Endspiel der WM 2006 genannt. Die Berichterstattung darüber erstreckte sich vom Boulevard bis ins Feuilleton. (16) Die Töne, die dabei von vielen Medien angeschlagen wurden, waren keineswegs nur verurteilend, sondern in vielen Fällen auch rechtfertigend. So war beispielsweise auf Spiegel Online zu lesen: „Trotzdem hatte der Kopfstoß in seiner bizarren Ungezähmtheit und Rücksichtslosigkeit, auch gegen sich selbst, eine seltsame Größe.“ (17)
Laut Huisken ist die Art und Weise, wie Vorbilder im Fußball kreiert werden, eine Pervertierung eines eigentlich harmlosen Spiels, bei der es letztlich nur noch um Anerkennung und Wert der Person gehe und bei der die Übergänge zur Gewalt lediglich die radikalsten Erscheinungsformen davon seien. Dabei sei der Starkult um einzelne Personen „das mediale Schmiermittel der demokratischen Lüge Nummer eins, dass nämlich jeder hierzulande seines Glückes eigener Schmied ist“.
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Der Kreis, der mit der Fußball-WM als staatlich bereitgestellter nationaler Partydroge beginnt, schließt sich somit mit dem Vorbild des durchsetzungsfähigen Fußballmillionärs, dessen Erfolgen jeder in der kapitalistischen Demokratie nacheifern kann. Am Ende steht der Bürger, der sich seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit vor lauter Schwarz-Rot-Gold gar nicht recht bewusst wird.
(1) Soweit nicht anders vermerkt, beziehen sich die Zitate von Professor Huisken auf ein Interview, das am 18.6.10 vom Autor des Artikels geführt wurde.
(2) Vgl. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/mittelstand/0,2828,421767,00.html.
(3) Ebd.
(4) http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Deutschlands-groesstes-Sparpaket-trifft-vor-allem-die-Armen-432567918.
(5) http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,422011,00.html.
(6) Ebd.
(7) Lianos, M. / Hoppe, A.: Land der Querelen; in: politik&kommunikation 27, 2005, S. 14.
(8) Vgl: Cords / Hoffjann / Schüttler: „Du bist Deutschland“ – Vorbild für Regierungskommunikation?; in: Köhler, M. / Schuster, C. (Hrsg): Handbuch Regierungs-PR, 2006, S. 288.
(9) http://www.fhuisken.de/downloadable/Gegenrede9.PDF.
(10) Dombowski, G.: Wie weich ist Nationalismus im deutschen Fußball?; in: Projektgruppe Nationalismuskritik: Irrsinn der Normalität – Aspekte der Reartikulation des deutschen Nationalismus, 2009, S.186.
(11) Becker, J. / Wagner, U. / Christ, O.: Nationalismus und Patriotismus als Ursache von Fremdenfeindlichkeit; in: Heitmeyer, W.: Deutsche Zustände, Folge 5, 2007, S. 146.
(12) Dombowski, G.: Wie weich ist Nationalismus im deutschen Fußball?; in: Projektgruppe Nationalismuskritik: Irrsinn der Normalität – Aspekte der Reartikulation des deutschen Nationalismus, 2009, S.192.
(13) http://idw-online.de/pages/de/news160780.
(14) Ebd.
(15) http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,695037,00.html.
(16) Vgl.: http://www.perlentaucher.de/artikel/3218.html.
(17) http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,426051,00.html.