Innenpolitik

Freundschaftsdienst für Ankara

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Das Bundesinnenministerium verbietet die linke türkische Zeitschrift Yürüyüs. Das ist nicht der erste Angriff auf die türkische Opposition im Exil vor den anstehenden Wahlen in der Türkei –

Von THOMAS EIPELDAUER, 7. Mai 2015 – 

Am gestrigen Mittwoch stürmten rund 130 Beamte Wohnungen und Vereinsräumlichkeiten in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Baden-Württemberg. Grund des Großaufgebots war ein zuvor ergangenes Verbot der linken türkischen Zeitung Yürüyüs. Das seit 2005 bestehende wöchentlich erscheinende Magazin setzt sich aus Perspektive der marxistisch-leninistischen Opposition mit den Verhältnissen in der Türkei auseinander und bezieht zu diesen pointiert und eindeutig Stellung.

Das nun verhängte Verbot wurde von Bundesinnenminister Thomas de Maizière damit begründet, dass die Zeitschrift „Propaganda der linksterroristischen Gruppierung DHKP-C“ verbreite und man das nicht hinnehmen könne. Man dulde keine „Propaganda über die gewaltsame Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei“. Fraglich bleibt, auf welcher Grundlage die Einschätzung erfolgte, es handle sich bei Yürüyüs um ein Organ der in der Türkei und der Europäischen Union als „terroristische Vereinigung“ verfolgt wird und in Deutschland schon seit 1998 verboten ist. Trotz dieses bestehenden Verbots konnte Yürüyüs in den vergangenen Jahren in Deutschland vertrieben werden und erscheinen. Dass nun gerade jetzt das Verbot erfolgt, lässt die Vermutung zu, der Anstoß zu dem Repressionsschlag könnte aus Ankara  gekommen sein.

Dafür gibt es zwei starke Indizien: Zum einen intensiviert das AKP-Regime die Verfolgung der marxistisch-leninistischen Opposition seit einem Attentat in Istanbul am 31. April, bei dem zwei Aktivisten der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC) den Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz als Geisel nahmen, um die Herausgabe der Namen jener Polizisten zu erzwingen, die im Zuge der Gezi-Proteste den 14-jährigen Berkin Elvan mit einer Gasgranate getötet hatten. Die zwei Angreifer und der Staatsanwalt starben während des Polizeizugriffs. Seit diesem Angriff versucht das Regime unter Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu und Präsident Recep Tayyip Erdogan durch mehr oder minder willkürliche Festnahmen ein Zeichen der eigenen Stärke zu setzen.

Zum anderen steht in der Türkei ein wichtiger Urnengang bevor. Am 7. Juni 2015 sollen die 550 Abgeordneten der Großen Nationalversammlung gewählt werden. Die Wahl gilt als entscheidende Probe für die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP). Sollte die oppositionelle linkskurdische HDP an der Zehnprozenthurde scheitern, würden Erdogan und seine Clique nahezu uneingeschränkt regieren und die zunehmend autoritäre Herrschaft in der Türkei gefestigt. Erdogans erklärtes Ziel ist es, sollte seine Partei über eine ausreichende Mehrheit verfügen, die parlamentarische Demokratie in der Türkei abzuschaffen und ein Präsidialregime zu errichten. Nach den Wahlen könnte, so der Journalist Kadri Gursel „der letzte Stein in die Wand eines autoritären islamistischen Regimes, das sich in der Türkei im Bau befindet“, eingepasst werden. (1)

Die Absicherung dieses Vorhabens geht in der Türkei mit Razzien gegen die Oppositionspartei HDP, mit Verhaftungen populärer Musiker der Millionen Hörer zählenden linken Band Grup Yorum und zahlreicher Aktivisten einher sowie mit einer mittlerweile durchgesetzten vollständigen Aufhebung der Versammlungsfreiheit, wie am 1. Mai zu beobachten war.

Befreundete NATO-Staaten wie Deutschland helfen dem autoritären Regime in Ankara mit geheimdienstlichen und polizeilichen Mitteln aus. Schon vor dem jetzigen Schlag gegen Yürüyüs geriet eine andere Vereinigung, die Konföderation der Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) ins Visier der deutschen Behörden. Am 15. April waren in vier Bundesländern Deutschlands 7 Mitglieder durch das Bundeskriminalamt verhaftet worden. Vorgeworfen wurde auch ihnen die Nähe zu einer in der Türkei verbotenen Gruppierung, der maoistischen TKP/ML. In einer Stellungnahme beschuldigte der legal operierende Zusammenschluss ATIK die deutschen Behörden der „Komplizenschaft mit dem faschistischen Regime des türkischen Staates und ihrer AKP-Regierung in Ankara“. (2)

Dieser Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Gemeinsame wirtschaftliche wie militärische Interessen sorgen dafür, dass die deutsche Regierung keinen realistischen Blick auf die Verhältnisse in der Türkei hat. Es ist diese Kumpanei, die die Grundlage dafür abgibt, dass die BRD ohne jede kritische Distanz die Einschätzungen der türkischen Regierung übernimmt und auf deren Druck hin Oppositionsgruppen auch im Exil verfolgt. Wer einigermaßen aufmerksam die Vorgänge in Anatolien verfolgt, wird aber feststellen, dass es die mit Berlin befreundete Regierung in Ankara ist, die sich zahlloser Terrorakte schuldig gemacht hat. Das Repertoire reicht von der Vorbereitung eines Angriffskriegs (3), über illegale Waffenlieferungen an syrische Dschihadisten (4), massive Korruption und Unterschlagung (5), Tote durch systematische Polizeigewalt (6) bis hin zur Diskriminierung von Kurden, Aleviten und Armeniern.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.al-monitor.com/pulse/ru/contents/articles/originals/2015/01/turkey-elections-kurds-win-win.html
(2) http://www.atik-online.net/deutsch/2015/04/20/jetzt-sind-wir-alle-atik/
(3)  http://www.faz.net/aktuell/politik/youtube-mitschnitt-tonaufnahme-legt-tuerkische-angriffsplaene-auf-syrien-nahe-12868697.html
(4) http://www.hintergrund.de/201501153385/globales/kriege/erdogans-geheimer-krieg.html
(5) http://www.fr-online.de/tuerkei/tuerkei-korruptionsskandal-erdogan-neue-tonbandenthuellungen-in-der-tuerkei,23356680,26566292.html
(6) http://www.derwesten.de/politik/amnesty-international-kritisiert-anhaltende-polizeigewalt-in-der-tuerkei-id9449393.html
(7)

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