Innenpolitik

Eiskalter Technokrat

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Der neue Chef des Verfassungsschutzes strahlt nicht nur Kompetenz aus –

Ein Kommentar von SUSANN WITT-STAHL, 20. Juli 2012 –

Noch niemals in seiner 62-jährigen Geschichte steckte der Verfassungsschutz in so einer tiefen Krise. Heute wurde bekannt, dass einen Monat nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) auch Akten mit Informationen über die faschistische Terrororganisation in den Schredder des Verfassungsschutzes gewandert waren – der nächste Skandal in einer mittlerweile langen Reihe von Skandalen, die zu dem „größten Geheimdienstskandal der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte“ akkumuliert, wie Markus Bernhard, Autor von „Das braune Netz“ schreibt.  

Fahrlässige Aktenvernichtung, Ermittlungspannen, völlig falsche Schwerpunktsetzung (die – zeitweise völlige – Blindheit auf dem rechten Auge), lauten die moderaten Vorwürfe an den deutschen Inlandgeheimdienst. Vertuschung, Verharmlosung bis zu Förderung von Neonazi-Verbrechern, lauten die massiven Angriffe von Kritikern, die seine Abschaffung fordern, weil er sich als zusätzliche Gefahr für die Verfassung herausgestellt habe, nicht als ihr Schutz.

Ausgerechnet in dieser brenzligen Situation soll Hans-Georg Maaßen, ein Law-and-Order-Hardliner, das Ruder übernehmen, für den das Attribut „umstritten“ schon als Schmeichelei gilt – nicht zuletzt, weil er eine emotionale Indifferenz gegenüber menschlichem Leid ausstrahlt (und auch bewiesen hat), die der Philosoph Theodor W. Adorno einst mit dem Begriff „bürgerliche Kälte“ beschrieben hatte. (1)

Vor allem stehe Maaßen innerhalb der Sicherheitsbehörden für eine „technokratische Unkultur des Abwiegelns und der trotzigen Rechtfertigung des eigenen Handelns“, die „maßgeblich für die nunmehr aufgedeckten Versäumnisse und Skandale mitverantwortlich ist“, kritisiert Wolfgang Nešković, Vorstandsmitglied der Fraktion Die Linke und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, die Personalentscheidung.

Ein Mann aus der vierten Reihe der Ministerialbürokratie wird am 1. August neuer Chef des Bundesverfassungsschutzes und Krisenmanager, der der deutschen Öffentlichkeit bislang nahezu unbekannt ist.  Aber der 49-jährige Jurist ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: 2007 sagte er zweimal vor dem BND-Untersuchungsausschuss aus. Das Gremium hatte unter anderem zu klären, inwieweit die Bundesregierung mitverantwortlich dafür war, dass der in Deutschland geborene und in Bremen lebende Türke Murat Kurnaz jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo einsaß. Maaßen war damals Referatsleiter für Ausländerrecht und begründete völlig ungerührt, warum Kurnaz Freilassung von der Regierung fünf Jahre lang vereitelt und ihm die Wiedereinreise nach Deutschland verweigert wurde. Die Aufenthaltsgenehmigung von Kurnaz sei nun einmal „kraft Gesetzes erloschen“, weil er es versäumt hätte, eine Verlängerung zu beantragen und mehr als sechs Monate im Ausland geblieben sei, verniedlichte Maaßen die qualvolle Lagerhaft des Folteropfers zynisch.

Wolfgang Nešković bescheinigt Maaßen „eine haarsträubende und menschenfeindliche Rechtsauffassung“. Auch in anderen Zusammenhängen habe er sich als „empathieloser Technokrat“ erwiesen. Maaßen rechtfertige die Flughafenverfahren für Asylsuchende und „fantasierte bereits mehrfach über eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“, erinnert Nešković.

Seit vier Jahren ist Maaßen, der bereits 21 Jahre im Bundesinnenministerium arbeitet, Leiter der Unterabteilung für Terrorismusbekämpfung in der Abteilung Öffentliche Sicherheit. Im derzeitigen Untersuchungsausschuss zum NSU vertritt er die Bundesregierung. So hat er beispielsweise vor zwei Wochen die Einsicht in geheime Akten für die Obleute organisiert.

Der Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hält große Stücke auf Maaßen und lobt den Mönchengladbacher als Verwaltungsfachmann und brillanten Juristen. Als „sehr klug, sehr fleißig, sehr präzise und auch sehr hilfsbereit“, wird er vom Innenausschuss-Vorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) geschätzt.

Diese Vorschlusslorbeeren bewahren Maaßen keineswegs vor öffentlicher Ablehnung: Gestern wurde bekannt, dass die Freie Universität Berlin ihm eine Honorarprofessur verweigert. Er sei wegen seiner umstrittenen Rolle in der Kurnaz-Affäre bei einer Sitzung des Akademischen Rats (bestehend aus 13 Professoren und zwölf Vertretern der Studentenschaft, wissenschaftlichen und sonstigen Angestellten) durchgefallen, berichtet Spiegel-Online.

„Es ist mir schnurz, ob ich Honorarprofessor bin“, soll Maaßen in Gegenwart von Journalisten patzig auf die Abfuhr reagiert haben. Kein Zeichen der selbstkritischen Nachdenklichkeit, geschweige denn der Reue, ist von Maaßen für die von ihm verbrochene eiskalte Abwicklung des Falles Kurnaz zu vernehmen. Er verschanzt sich lieber hinter dem Argument der gewissenhaften Pflichtausübung, mit der deutsche Beamte sich seit jeher aus der Affäre zu ziehen wissen: Er habe in seinem Gutachten lediglich die rechtliche Regelung des Ausländerrechts beschrieben – von der rot-grünen Bundesregierung sei auch kein anderes Vorgehen politisch gewollt gewesen, paraphrasiert sueddeutsche.de eine Stellungnahme von Maaßen, die wenig Verantwortungsbewusstsein erkennen lässt, aber viel über sein Menschenbild verrät.


(mit dpa)

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(1) „Ich sagte, jene Menschen seien in einer besonderen Weise kalt. Wohl sind ein paar Worte über Kälte überhaupt erlaubt. Wäre sie nicht ein Grundzug der Anthropologie, also der Beschaffenheit der Menschen, wie sie in unserer Gesellschaft tatsächlich sind; wären sie also nicht zutiefst gleichgültig gegen das, was mit allen anderen geschieht außer den paar, mit denen sie eng und womöglich durch handgreifliche Interessen verbunden sind, so wäre Auschwitz nicht möglich gewesen, die Menschen hätten es dann nicht hingenommen. Die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt – und wohl seit Jahrtausenden – beruht nicht, wie seit Aristoteles ideologisch unterstellt wurde, auf Anziehung, auf Attraktion, sondern auf der Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller anderen. Das hat im Charakter der Menschen bis in ihr Innerstes hinein sich niedergeschlagen. Was dem widerspricht, der Herdentrieb der so genannten lonely crowd, der einsamen Menge, ist eine Reaktion darauf, ein Sich-Zusammenrotten von Erkalteten, die die eigene Kälte nicht ertragen, aber auch nicht sie ändern können. Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zuwenig geliebt, weil jeder zuwenig lieben kann. Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, dass so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können. Was man so ,Mitläufertum‘ nennt, war primär Geschäftsinteresse: dass man seinen eigenen Vorteil vor allem anderen und, um nur ja nicht sich zu gefährden, sich nicht den Mund verbrennt. Das ist ein allgemeines Gesetz des Bestehenden. Das Schweigen unter dem Terror war nur dessen Konsequenz. Die Kälte der gesellschaftlichen Monade, des isolierten Konkurrenten, war als Indifferenz gegen das Schicksal der anderen die Voraussetzung dafür, dass nur ganz wenige sich regten. Das wissen die Folterknechte; auch darauf machen sie stets erneut die Probe“.

Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, in: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959 – 1969, Hg. v. Gerd Kadelbach, Frankfurt am Main 1970, S. 105f.

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