Innenpolitik

Einfach mies

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Vor zwanzig Jahren wurde in Deutschland das Asylrecht faktisch abgeschafft –

Von THOMAS EIPELDAUER, 24. Mai 2013 –

Wer derzeit die Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg entlang flaniert, kann an zentraler Stelle ein Camp mit Zelten, Transparenten und einem Infopoint sehen, ein Camp, in dem sich Flüchtlinge selbstorganisiert, unterstützt von linken Aktivisten, für ihre Interessen einsetzen. Workshops werden organisiert, Demonstrationen, viel Kraft braucht es, den Alltag zu gestalten. Menschen unterschiedlicher Herkunft haben sich dort zusammengefunden, um gegen die Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland zu protestieren. Gründe haben sie genug: die Unterbringung in Lagern, in denen ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist; die Residenzpflicht, die Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt; rassistische Diskriminierung im Alltag und durch deutsche Behörden.

Dass Flüchtlinge in Deutschland einer derart üblen Behandlung ausgesetzt sind, hat viel mit einem Ereignis, das sich nun zum 20. Mal jährt, zu tun: Dem sogenannten „Asylkompromiss“. Der Jurist und Journalist Heribert Prantl fasst im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur zusammen: „Die Situation im deutschen Asylrecht ist eigentlich besorgniserregend. Sie ist diskriminierend, sie ist menschenunwürdig – das nicht erst seit einem Jahr oder seit zwei Jahren, sondern seit 20 Jahren, seit dem neuen Asylrecht, seit der Abschaffung des alten Asylgrundrechts, des Artikel 16 Absatz 2 Grundgesetz. Dieser Abschaffung des alten Asylgrundrechts ging ja eine große Kampagne gegen die Flüchtlinge voraus, und seitdem werden Flüchtlinge, um es ganz volkstümlich und umgangssprachlich zu sagen, in Deutschland mies behandelt.“ (1)

Von den Brand-Sätzen …

Ende der 1980er Jahre begann in der an Zeiten mieser Behandlung von Ausländern so reichen Geschichte der Bundesrepublik eine besonders miese: Die der „Asyldebatte“. Politiker unterschiedlicher Provenienz, am engagiertesten jene aus christlichsozialem Haus, hatten – sekundiert von diversen Massenmedien – das Thema Flüchtlingspolitik für sich entdeckt. Waren schon in den 1980ern für viele Flüchtlinge Abschiebung, Sammellager und Ausgrenzung bittere Realität, begann nun eine koordinierte Kampagne, die bis Anfang der 1990er Jahre eine Stimmung schuf, die nur als offen rassistisch und fremdenfeindlich bezeichnet werden kann.

Die Grundlage für das Aufkommen der flüchtlings- und allgemein fremdenfeindlichen Stimmung bildete dabei weniger die tatsächlich Anfang der 1990er Jahre steigende Zahl von Asylanträgen, sondern zum einen die durch Unterbringung und Arbeitsverbot verursachte Isolation der Refugees, zum anderen die bewusste politische und mediale Stimmungsmache gegen alles „Fremde“. Durch die „spezifischen Unterbringungs- und Arbeitsverbotsbestimmungen (war) eine Integration, auch nur eine Annäherung zwischen den Asylbewerbern und den Einheimischen unmöglich gemacht. Durch das erzwungene Nichtstun in Sammellagern erschienen deren Bewohner vielen Deutschen wie der Inbegriff der faulen Fremden, die es sich auf Kosten der Deutschen bequem machen wollten“, schreibt der Historiker Ulrich Herbert in seiner „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland“. (2) Die vorhandenen Ressentiments wollten politisch genutzt sein: „Die Unionsparteien versuchten nun, die durch dieses Thema aufgerührten Emotionen politisch an sich zu binden, indem sie sich zum Vorreiter einer gegen die ‚Asylbetrüger’ gerichteten Kampagne machten.“ (3)

Der Narrativ dieser Kampagne, wie sie allen voran von Unionsparteien und Springermedien geführt wurde, ist so simpel wie perfide: Flüchtlinge – von denen immer mehr, eine „Flut“, ein „Strom“ ins Land zu drängen drohen – sind nicht nur eine Bedrohung für deutschen Wohlstand und Kultur, sie sind auch „Betrüger“, denn sie nutzen die liberale Gesetzgebung der Bundesrepublik aus, um unter dem Vorwand politischer Verfolgung den deutschen Sozialstaat auszunehmen; zudem sind sie kriminell und faul. „Scheinasylant“ war das Wort der Stunde.

„Insgesamt kosten die als Asylbewerber ‚verkleideten’ Wirtschaftsflüchtlinge die Steuerzahler jedes Jahr weit über 3 Milliarden Mark”, rechnete Bild am Sonntag vom 21.10.1990 vor. „Bei 90 Prozent Schwindlern kann sich das zur existenziellen Bedrohung unseres Sozialwesens auswachsen”, kommentierte Die Welt (vom 26.7.1990). Bild vom 6.11.1990: „Mit orientalischer Leidenschaft breiten Ausländer weitschweifige Lügenmärchen von angeblicher Verfolgung aus. Wer sich darüber empört, wird schnell als Rassist oder Faschist abgestempelt – und schweigt künftig. (…) Je länger das Verfahren dauert, umso genauer wissen sie, wie man sich zum politischen Märtyrer hochfrisiert. Aber kein Ausländer muß sofort Asyl beantragen. Er kann warten bis man ihn erwischt. Als Schwarzarbeiter. Als Dieb. Als Drogenhändler.“ (4)

… zu den Brandsätzen

Kaum war das Feindbild scharf umrissen, folgten Taten. Der CSU-Politiker Edmund Stoiber prophezeite schon im November 1990 im Gespräch mit dem Spiegel: „Das Grundgesetz wird anscheinend dann erst geändert, wenn den Altvorderen in Bonn, die bar jeglicher praktischen Erfahrung sind, einmal das Feuer unterm Hintern von ihren eigenen Leuten angezündet wird.“ (5)

Stoibers „eigene Leute“ verschonten die „Altvorderen in Bonn“ und suchten sich schwächere Opfer zum Anzünden. Im September 1991 griffen Rechtsextreme in Hoyerswerda tagelang ein Wohnheim von Asylbewerbern und Vertragsarbeitern an, wenige Wochen später verübten Jugendliche einen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Hünxe, kurz darauf wurde Greifswald zum Schauplatz rassistischer Gewalt – um nur einige wenige der Hunderte rassistisch motivierten Straftaten dieser Jahre zu nennen. Totschlag, Brandstiftung, Mord gehörten zum Repertoire derer, die sich dank Springerpresse und CDU/CSU-Kampagne als legitime Vollstrecker des deutschen Volkszorns sahen.

Wie eng das informelle Bündnis von Springerstiefel und Nadelstreif war, lässt sich am Rostock-Lichtenhagener Pogrom vom August 1992 ersehen, als ein ausländerfeindlicher Mob mehrere Tage die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und ein Wohnhaus, in dem vietnamesische Familien lebten, belagerte, deren Wohnungen in Brand setzte – unter dem Beifall Tausender, die „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ riefen. Nicht nur das Verhalten der zuständigen politischen und polizeilichen Stellen lässt vermuten, dass das hier Geschehene als willkommener Katalysator des politischen Projekts der Abschaffung des Asylrechts gesehen wurde (6). Auch die Kommentierung des Vorfalls durch Politiker und Medien wies in diese Richtung: „Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird“, bedankte sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) bei der „Bevölkerung“ für die Bestätigung der Linie seiner Partei in der Asylrechtsfrage.

Die Asyldebatte zeigte, so Ulrich Herbert, „dass unter der mittlerweile für tragend gehaltenen Eisdecke von Zivilisation und Liberalisierung nach wie vor ein Sumpf von Xenophobie und Gewaltbereitschaft existierte und dass es bei entsprechenden Anlässen und bei Unterstützung von oben leicht möglich war, diese Eisdecke zu sprengen.“ (7)


„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – aber nicht bei uns

Wenige Monate nach Rostock-Lichtenhagen, 26. Mai 1993: Im Bonner Regierungsviertel herrschte Ausnahmezustand, mehr als zehntausend Demonstranten standen einem Großaufgebot der Polizei gegenüber und versuchten, die anstehende Abstimmung zum Asylrecht, die erste Abänderung eines Grundrechtes in der Geschichte der Bundesrepublik, zu verhindern, indem sie den Abgeordneten den Zugang zum Bundestag verwehrten. Der Versuch scheiterte, die Parlamentarier erreichen ihr Ziel und vollenden das, was CDU/CSU, Bild und die Rostocker „Bevölkerung“ begonnen hatten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es im Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) geheißen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Dass es eine solche Formulierung im Grundgesetz gab, und dass sie lange auch über Parteigrenzen hinweg Akzeptanz genossen hatte, lag an ihrer historischen Herkunft: Die Erfahrung von Flucht und Vertreibung war auch jenen, die nach dem Ende des Hitler-Faschismus aus dem Exil nach Deutschland zurückgekommen waren, nicht fremd. Während der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat 1949 formulierte der SPD-Abgeordnete Friedrich Wilhelm Wagner, sich gegen eine restriktivere Fassung des Asylparagraphen wendend, eindrucksvoll: „Entweder wir gewähren Asylrecht, ein Recht, das, glaube ich, rechtshistorisch betrachtet, uralt ist, oder aber wir schaffen es ab. (…) Betrachten Sie zum Beispiel Frankreich, das große Land, das Menschen aller Richtungen aufgenommen hat, sowohl uns deutsche Antifaschisten als auch früher die Zaristen. (…) Wir waren sehr glücklich, dass wir draußen unterkamen und dass wir dadurch Hitler und seinen Henkersknechten entkommen konnten. (…) Ich glaube, man sollte vorsichtig sein mit dem Versuch, dieses Asylrecht einzuschränken (…).“ (8)

Vorsichtig waren CDU/CSU, FDP und die oppositionellen Sozialdemokraten, deren Stimmen für die Grundgesetzänderung notwendig waren, an jenem 26. Mai 1993 längst nicht mehr. Waren schon zuvor die Bedingungen für Refugees in Deutschland alles andere als rosig – man denke an Kemal Altun, der sich 1981 das Leben nahm –, war nun der Schritt zur De-facto-Abschaffung des Asylrechts getan.

Der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ wurde nun im Artikel 16a Absatz 1 GG beibehalten, doch man entschloss sich ein „nicht bei uns“ hinzuzufügen. Wer aus „sicheren“ Herkunftsstaaten kommt, hat keinen Anspruch auf Asyl, und auch für alle anderen ist es so gut wie unmöglich. Denn: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“

Weil alle Länder rund um Deutschland als „sicher“ gelten, wurde damit gewährleistet, dass politisches Asyl nur noch bekommen kann, wer mit dem Flugzeug nach Deutschland kommt. „Um auch dieses Loch zu stopfen, wurde innerhalb des Frankfurter Flughafens ein extraterritoriales Gelände geschaffen, in dem Asylbewerber bis zur Entscheidung über ihren Antrag zu bleiben hatten.“ (9)

Keiner ist zuständig – die Dublin-II-Verordnung   

Das Asylproblem wurde so den Nachbarstaaten zur weiteren Bearbeitung übergeben. „Die Änderungen in der deutschen Asylpolitik, die einen Asylantrag dann ausschlossen, wenn die Asylsuchenden sich bereits in einem sicheren Drittland aufgehalten hatten, hatte signifikante Konsequenzen für die mitteleuropäischen Länder, die jetzt gedrängt wurden, die westeuropäischen Einreisebeschränkungen für die Massen der Flüchtlinge und Asylbewerber zu unterstützen“, schreibt die Soziologin Saskia Sassen (10).

Im Zuge der „Harmonisierung“ der europäischen Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde die Abschaffung des Asylrechts durch die vor zehn Jahren eingeführte Dublin-II-Verordnung auf die europäische Ebene übertragen. Asylsuchende können seitdem nur in dem Land der Europäischen Union einen Antrag stellen, in das sie zuerst eingereist sind. „Für Deutschland bietet diese Regelung die Möglichkeit, zahlreiche Asylanträge wegen Nichtzuständigkeit ohne weitere Prüfung abzulehnen und die Betroffenen in andere EU-Länder auszuweisen“, schreibt Lena Müller in der Wochenzeitung Jungle World. (11)  

Diese für Länder ohne EU-Außengrenzen komfortable Regelung führt in anderen Staaten der Europäischen Union – wie Italien oder Griechenland – zu einer für Flüchtlinge und Asylsuchende unerträglichen Situation: In heillos überfüllte, dreckige Sammellager eingepfercht, ohne die Möglichkeit ihre Rechte wahrzunehmen, oft rassistischen Anfeindungen der lokalen Bevölkerung ausgesetzt, leben sie wie Gefangene.

Dass in einigen europäischen Ländern keineswegs von einer den Menschenrechten entsprechenden Unterbringung und Behandlung von Asylsuchenden die Rede sein kann, bestätigen mittlerweile auch immer mehr Gerichtsurteile. So entschied Ende 2012 das Stuttgarter Verwaltungsgericht, dass eine syrische Familie nicht nach Italien „rückgeführt“ werden darf, wegen „systemischer Mängel“ des dortigen Asylverfahrens und der Gefahr einer „unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“. Ähnliche Urteile, so berichtet der Spiegel (12), habe es in den vergangenen Monaten auch in Lüneburg, Freiburg, Karlsruhe, Düsseldorf, Augsburg, Gelsenkirchen und Magdeburg gegeben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ficht das kaum an. Es handle sich um eine Entscheidung in einem Einzelfall, so ein Sprecher gegenüber Spiegel online. Das BAMF ist der Ansicht, „dass Italien trotz vorhandener Mängel und einzelner Missstände über ein funktionierendes Asylverfahren gemäß den Standards der Europäischen Union verfügt“.  

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Anmerkungen
(1) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/2026315/
(2) Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, München 2001, S. 271
(3) ebd.
(4) Alles zitiert in: Esra Kücük, SingleCaseStudy on Germany’s decision making concerning the transfer of competencies to the European level in the area of asylum and refugee policy, Berlin 2009
(5) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13500760.html
(6) Jochen Schmidt, Politische Brandstiftung. Warum 1992 in Rostock das Ausländerwohnheim in Flammen aufging, Berlin 2002, 185 ff.
(7) http://herbert.geschichte.uni-freiburg.de/herbert/beitraege/2009/Im_Rauch_der_Brandsaetze.pdf
(8) http://www.zeit.de/1989/08/politisch-verfolgte-geniessen-asylrecht/seite-2
(9) Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, München 2001, S. 319
(10) Saskia Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa, Frankfurt am Main 2000, 123
(11) http://jungle-world.com/artikel/2013/11/47326.html
(12) http://www.uni-leipzig.de/pdf/pm2013-rechtsextremismus.pdf
(13) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/urteil-fluechtlinge-duerfen-nicht-nach-italien-zurueckgefuehrt-werden-a-844105.html

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