Innenpolitik

Eine Schande für die Demokratie

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Die „Volksvertreter“ stimmten mehrheitlich für den Kriegseinsatz in Afghanistan –

Von REGINE NAECKEL, 17. Oktober 2008:

Es war nicht anders zu erwarten. Mit einer deutlichen Mehrheit von 442 Stimmen passierte gestern der Regierungsbeschluss zur Verlängerung des ISAF- und Tornado-Einsatzes in Afghanistan den deutschen Bundestag. Mit nur 96 klaren Gegenstimmen – die Linke stimmte geschlossen mit Nein – und 32 Enthaltungen 1 stellt dieses Ergebnis ein Armutszeugnis für die Demokratie in Deutschland und einen Schlag ins Gesicht des Wählers dar.

Für vierzehn statt der sonst üblichen zwölf Monate gilt diesmal das Mandat und es beinhaltet zusätzlich die Aufstockung des Kontingents von 3500 auf 4500 Soldaten. Es war ein geschickter Schachzug der Großen Koalition, sich ein parlamentarisches Plazet bis zum Dezember 2009 geben zu lassen. So soll der deutsche Kriegseinsatz nicht zum Wahlkampfthema bei der im nächsten Jahr anstehenden Bundestagswahl werden. Das nämlich könnte dem Regierungsbündnis erhebliche Stimmeneinbußen bringen. Und das weiß man.

Seit Jahren gibt es in der Bevölkerung keine Mehrheit für diesen Krieg. In Umfragen lehnen je nach Fragestellung bis zu zwei Drittel sowohl den ISAF- als auch den Tornado- Einsatz ab. 2 Zu offensichtlich ist die Tatsache, dass die USA und ihre Verbündeten am Hindukusch das Ziel verfolgen, die Region zu einer regionalen Ausgangsbasis für Operationen im rohstoffreichen Zentralasien zu machen. Gerade die Eskalation der Kämpfe in diesem Jahr zeigt unmissverständlich, dass die Bundeswehr nicht am humanitären Wiederaufbau oder einer Befriedungsaktion beteiligt ist, sondern in Kampfhandlungen involviert ist und diese mit initiiert. Der angebliche „Kampf gegen die Taliban“ kostet vor allem unter der Zivilbevölkerung von Jahr zu Jahr mehr Menschenleben, allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres kamen ungefähr eintausend Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, zu Tode.

Das schrecklichste Verbrechen aber ist die Anwendung von Uranwaffen (Depleted Uranium), vor allem durch die USA. Der Nachweis, dass diese Munition genetische Defekte bei der kontaminierten Bevölkerung und schwere Schäden bei Neugeborenen auslöst, ist in mehreren Studien erbracht worden. Ganze Landstriche – auch in Afghanistan – sind mittlerweile stark belastet.

Als Rechtfertigung für die Gräueltaten versucht die Bundesregierung ohne Ende, gebetsmühlenartig das Mantra des 11. September 2001 zu bemühen. 3 So erklärte der (vertretende) Regierungspressesprecher Thomas Steg am 7. Oktober: „Aus Afghanistan heraus sind die schrecklichen terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 geplant worden. Es hat hier in Deutschland und auch international Konsens gegeben, dass die Staatengemeinschaft in der Verpflichtung steht, zu verhindern, dass Afghanistan wieder zu einer Heimstatt von Terrorristen, zu einem Rückzugsgebiet für Terrorristen wird. An dieser Aufgabe halten wir fest. Diese Aufgabe sehen wir weiterhin als Verpflichtung an. Insofern sind diese Debatten über mögliche Mandatsenden fahrlässig.“ 4 Tatsache dagegen ist, dass – unabhängig von den offiziellen Lügen zum 11. September – nicht einmal das US-amerikanische FBI nach dem Phantom und angeblichen Al-Qaida Mastermind Osama bin Laden im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September fahndet. 5 Auch sonst findet sich in der Liste unter den zehn Meistgesuchten keiner, der im Zusammenhang mit dem 11. September steht. 6 Schon gar nicht wird einer der Täter in Afghanistan vermutet.

ISAF – die Lüge von der Freiheitsmission

War ursprünglich die ISAF (International Security Assistance Force) – im Gegensatz zur OEF (Operation Enduring Freedom) – laut Mandat zur Sicherung Kabuls und damit zum „Schutz der Regierung Karsai“ eingesetzt, gibt es heute diese anfängliche institutionelle und räumliche Abgrenzung nicht mehr. Seit 2003 steht die ISAF unter Führung der NATO und seit Oktober 2006 erstreckt sich das Einsatzgebiet von ISAF auf das gesamte Land. Faktisch sind OEF und ISAF verschmolzen. Ein Teil der US-Truppen (12.000 Soldaten), die im Rahmen von OEF Krieg gegen die Taliban geführt haben, wurde bei der ISAF integriert. 7 Im Konzept der NATO für den ISAF-Einsatz wird die Ausweitung von ISAF auf den Osten Afghanistans als ein “Auswechseln der Wimpel der OEF-Truppen” beschrieben. 8

Mittlerweile wirft sogar der Bundeswehrverband – der dem Einsatz grundsätzlich positiv gegenüber steht – der Bundesregierung vor, mit „gestelzten Wendungen“ den Afghanistaneinsatz zu verharmlosen. 9 „Wir befinden uns im Krieg“, erklärte der Verbandsvorsitzende Bernhard Gertz mit einer deutlichen Kritik in Richtung des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung. 10

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Der deutsche Parlamentarismus kennt kein imperatives Mandat, wie es zum Beispiel charakteristisch für eine Räterepublik ist. „Imperativ“ bedeutet, dass ein Abgeordneter kein eigenes Entscheidungsrecht in politischen Abstimmungen besitzt, sondern eine vorausgegangene Entscheidung in die Abstimmung einbringt. 11 In Deutschland gilt das „freie Mandat“. Es ist für die Mitglieder des Bundestages in Art. 38 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes verankert. Danach ist ein Abgeordneter frei von jeglicher Bindung an den Parteiwillen oder eine andere Gruppe, zum Beispiel seinen Wahlkreis. Er ist einzig seinem Gewissen verpflichtet. Beides hat sicher sein Für und Wider.

Dass diese Verfassungsregelung jedoch durch einen de facto Fraktionszwang (der dann als Parteidisziplin tituliert wird), durch das Interesse an eigenen Pfründen und vielem mehr immer wieder an absurdum geführt wird, wissen enttäuschte Wähler längst. Vermutet man hinter dem gestrigen Abstimmungsergebnis hingegen doch einmal den grundgesetzlich garantierten freien Willen, kann man sich nur mehr mit Grausen von diesen Parlamentariern abwenden. Stellt man hingegen ihre „Parteidisziplin“ in Rechnung, so wird diese Form der Demokratie nicht im geringsten dem Sinn des Grundgesetzes gerecht. Es gibt keine Entschuldigung für die Ja-Stimmen – man kann drehen und wenden wie man will.

1 http://www.bundestag.de/parlament/plenargeschehen/abstimmung/20081016_afghanistan.pdf
2 http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/gruene4.pdf
3 http://blog.hintergrund.de/2008/10/07/die-bundeswehr-im-inneren-und-deutschland-weiter-im-krieg/
4 Protokoll der Bundespressekonferenz vom 7. Oktober 2008
5 http://www.fbi.gov/wanted/topten/fugitives/laden.htm
6 http://www.fbi.gov/wanted/topten/fugitives/fugitives.htm
7 http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/gruene4.pdf
8 http://www.folketinget.dk/samling/20051/Beslutningsforslag/B64/pm/8/svar/endeligt/20060123/240488.PDF
9 http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/1588812_Wir-befinden-uns-nicht-im-Krieg.html
10 http://wsws.org/de/2008/sep2008/bund-s05_prn.html
11 http://de.wikipedia.org/wiki/Imperatives_Mandat

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