Innenpolitik

„Ein schwarzer Tag für Deutschland.“ Die Regierung Merkel knickt vor Atomlobby ein

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Von REDAKTION, 6. September 2010 –

Nicht der Willen der Bevölkerung oder das Interesse an einer sicheren Energieversorgung spiegelt sich in der  Einigung der schwarz-gelben Koalition auf zwölf Jahre längere Atomlaufzeiten wieder, sondern einzig und allein die  Profitinteressen der Energiekonzerne. Deshalb stößt der Beschluss in der Bevölkerung, bei Oppositionsparteien und Verbänden auf massiven Widerspruch.

Linke-Chefin Gesine Lötzsch kritisierte: „Der schwarz-gelbe Atomdeal trägt die Handschrift der Atomkonzerne. Die Stromlobby hat sich in entscheidenden Fragen durchgesetzt.“(1) Die Atomkonzerne könnten nun mit abgeschriebenen Meilern billig Strom produzieren, ihn teuer verkaufen und die Gewinne einstecken. Außerdem fehle dem Deal jede soziale Komponente. Nicht einmal eine gesetzliche Verpflichtung zu Stromsozialtarifen habe Merkel den Konzernbossen als Gegenleistung abzuringen vermocht. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sprach von einer  „Beschädigung der Demokratie“. (2)

„Der Atombeschluss der Koalition ist kein Kompromiss, sondern ein Milliarden-Geschenk für RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall“, sagte auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin am Montag in Berlin.  Die Laufzeitverlängerung gehe weit über das hinaus, was die Atomkonzerne seinerzeit bei den Verhandlungen über den Atomausstieg selbst gefordert hatten. „Damals wären sie mit 40 Jahren Laufzeit zufrieden gewesen.“

Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ sagte in einer Presseerklärung:

„Die Absprachen der letzten Nacht werden der Regierung um die Ohren fliegen. Das wird keinen Bestand haben, weil der gesellschaftliche Gegenwind zu groß sein wird.“ Die entscheidende Frage, welche Sicherheitskriterien für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke festgelegt werden, sei weiterhin offen. Je nachdem, worauf sich Schwarz-Gelb hier festlege, müssten unterschiedlich viele AKW bereits jetzt vom Netz.

Der Naturschutzbund NABU warf der Koalition am Montag vor, sie bremse die erneuerbaren Energien aus und sorge für einen wachsenden Atommüllberg. „Kanzlerin Merkel knickt vor der Atomlobby ein und zieht den Ausstieg aus dem Atomausstieg durch, ohne sich um wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Meinung der Bevölkerung zu scheren“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Greenpeace sprach von einem „schwarzen Tag für Deutschland“.

Die Oppositionsparteien kündigten Widerstandsaktionen an. Grünen-Chefin Claudia Roth sprach am Sonntag von einem  „heißen Herbst“ und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, seine Partei werde klagen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) äußerte im ZDF dagegen die Ansicht, dass die Regelung bei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werde.

Nach rund zwölfstündigen Verhandlungen hatte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend mit ihren Fachministern und den Spitzen der Koalition auf eine Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Atommeiler um durchschnittlich 12 Jahre geeinigt. Die sieben bis 1980 ans Netz gegangenen Meiler erhalten 8 Jahre zusätzlich, die jüngeren Kraftwerke 14 Jahre. Dies würde nach heutigem Stand Laufzeiten bis etwa 2040 bedeuten.

Da aber bereits stillgelegte Meiler wie Mülheim-Kärlich noch erhebliche Reststrommengen haben und diese auf jüngere Anlagen übertragen werden können, dürfte es auch über 2040 hinaus deutschen Atomstrom geben. „Auch unsere Kinder und Enkel hätten dann noch mit dieser gefährlichen Technologie zu tun“, sagte Trittin der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ am Montag.

Bisher gilt nach dem von der SPD-Grünen-Koalition beschlossenen Atomausstieg eine Laufzeit von 32 Jahren. Danach hätte der letzte Atommeiler etwa 2025 vom Netz gehen müssen. Die Regellaufzeit für Atomkraftwerke erhöht sich nun auf 40 beziehungsweise 46 Jahre. Atomstrom hat derzeit einen Anteil von knapp 25 Prozent an der deutschen Stromversorgung.

Im Gegenzug für die Laufzeitverlängerung, die den Konzernen etliche Milliarden in die Kassen spülen wird, sollen sie an den Kosten für den Ausbau von Ökostrom beteiligt werden. Dieser Sonderbeitrag beträgt jeweils 300 Millionen Euro in den Jahren 2011 und 2012. Von 2013 bis 2016 liegt er bei je 200 Millionen Euro. Außerdem sollen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall ab 2011 zunächst eine auf sechs Jahre befristete Atomsteuer in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zahlen, mit deren Hilfe der Bund bei den Sanierungskosten für das Atommülllager Asse entlastet werden soll.  Anschließend soll der Sonderbeitrag an die Stelle der Atomsteuer treten und so Milliarden für den Ökoenergieausbau bringen.

Die Kernkraftgegner an der Basis wollen sich durch solche Ablasszahlungen nicht abspeisen lassen und mobilisieren gegen die Atombeschlüsse der Regierung auf Hochtouren. Für Samstag, den 18. September, ist eine Demonstration von zehntausenden Atomkraftgegnern in Berlin angekündigt, bei der das Regierungsviertel „umzingelt“ werden soll.  Für Oktober sind zwei Großdemonstrationen in München und Stuttgart geplant und für Anfang November wird massenhafter Widerstand gegen den Castor-Transport nach Gorleben angekündigt.

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(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/reaktionen-auf-atomkompromiss-ein-neuer-gesellschaftlicher-grosskonflikt-1.996219

(2) Ebd.

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