Innenpolitik

Ein eigentümlicher „Liberaler“. Frank Schäffler und die Abschaffung der Demokratie

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Von THOMAS WAGNER, 21. April 2012 –

Die Freiheit, die Schäffler augenscheinlich am Herzen liegt, ist weniger die gleiche Freiheit der Demokraten, als vielmehr die ungleiche Freiheit der Eigentümer in einem von staatlicher Regulierung entfesselten Kapitalismus.

Seit seiner Initiative zu dem nur knapp gescheiterten Mitgliederentscheid gegen den Euro-Rettungsschirm ESM gilt der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler manch einem als Rebell, der darum kämpft, die Interessen der Basis gegen die Mauscheleien der Parteioberen durchzusetzen. Die um ihn gruppierte innerparteiliche Plattform „Liberaler Aufbruch“ will laut Pressemeldungen erreichen, dass ein Passus in das Grundsatzprogramm der FDP aufgenommen wird, nachdem Volksentscheide in Verfassungsfragen zur Pflicht gemacht werden sollen. Auch Schäfflers Haltung zu dem von Union, FDP und SPD im Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags empfohlenen Redeeinschränkungen für abweichende Fraktionsangehörige ließ ihn als Musterparlamentarier erscheinen. Empfohlen worden war, dass künftig nur jene Parlamentarier im Plenum das Wort erhalten sollen, die von den Fraktionen dazu bestimmt wurden. Abweichler solle der Bundestagspräsident dann nur noch ausnahmsweise und maximal drei Minuten lang reden lassen – und auch dies nur nach Rücksprache mit den Fraktionen. Im Interview mit der Neuen Westfälischen sagte Schäffler dazu: „Es kann ja nicht sein, dass in der Bevölkerung heftig debattiert wird, nur im Bundestag nicht. Wenn man das so durchzieht, schadet man unserer parlamentarischen Demokratie. (1) Notfalls, kündigte der Abgeordnete an, wolle er bis nach Karlsruhe gehen. „Sollte es bei den Plänen bleiben, behalten wir uns den Weg der Verfassungsbeschwerde vor“, sagte er den Dortmunder Ruhr Nachrichten. Die Pläne zur Einschränkung des Rederechts seien „offenbar der Versuch, kritische Abgeordnete zu disziplinieren“. In der Debatte über den Euro-Rettungsschirm hatte Schäffler von Bundestagspräsident Lammert gegen den Willen seiner Fraktion zusätzliche Redezeit erhalten. Auf den ersten Blick erscheint der 1968 in Schwäbisch Gmünd geborene Politiker also als ein lupenreiner Demokrat.

Freiheit der Eigentümer

Doch der Schein trügt, denn nicht der Einsatz für die Demokratie ist es, die ihn antreibt, sondern ein borniertes Verständnis von Freiheit, dass viel mit dem Recht auf staatlich geschütztes Privateigentum, wenig jedoch mit Solidarität und gleicher solidarischer Teilhabe am kollektiv erarbeiteten Reichtum und den politischen Entscheidungen zu tun hat.„Er verehrt Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises, österreichische Wissenschaftler, die sich der reinen Lehre des Marktes verpflichtet fühlten. Ein pragmatischer Weg wird für Schäffler schnell zum sozialistischen Experiment oder, wie der Euro, zur Planwirtschaft“, schreibt die Stuttgarter Zeitung am 2. Dezember 2011. (2)

Tatsächlich vertrat schon der Ökonom Hayek in seiner „Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen“ unter dem Deckmantel des Antitotalitarismus ein politisches Modell, dass kaum als demokratisch bezeichnet werden kann. Bei dem von ihm vorgesehenen „Rat der Weisen“ handelt es sich um eine politische Entscheidungsinstanz mit weitreichenden Vollmachten, „die weder demokratisch gewählt ist noch kontrolliert werden kann.“ (3) Nach Ansicht des Ideologietheoretikers Jan Rehmann ist Hayeks Unterstützung des staatsterroristischen Neoliberalismus der Pinochet-Diktatur „mit der Anlage seines Verfassungsmodells durchaus vereinbar.“ (4)

Die Freiheit, die Hayek wie Schäffler augenscheinlich am Herzen liegt, ist weniger die gleiche Freiheit der Demokraten, als vielmehr die ungleiche Freiheit der Eigentümer in einem von staatlicher Regulierung entfesselten Kapitalismus. Es muss daher auch nicht verwundern, dass Schäfflers Gesinnungskumpane vom „Liberalen Aufbruch“ in einem an den FDP-Bundesvorstand verschickten Positionspapier auf das Attribut „sozial“ vor dem Begriff „Marktwirtschaft“ verzichtet, wie das Magazin Focus am Karfreitag 2012 berichtete. Armut sei „nicht Folge von Marktwirtschaft, sondern der Abwesenheit von Marktwirtschaft“, heißt es dem Papier, dass der demokratischen Forderung vom Primat der Politik gegenüber der Ökonomie eine entschiedene Absage erteilt. (5)

Abgesang auf die Demokratie

Die Begeisterung für Friedrich August von Hayek teilt Schäffler mit den Redakteuren und vielen Autoren des Magazins eigentümlich frei, für das er regelmäßig Kolumnen schreibt. Den Bundestagsabgeordneten scheint dabei überhaupt nicht zu stören, dass das Blatt auf Kriegsfuß mit der Demokratie steht. Der Themenschwerpunkt der Aprilausgabe 2012 stimmt ganz unverhohlen sogar den Abgesang auf die ungeliebte Regierungsform an. Diese sei, posaunt schon der Titel des Hochglanzblattes heraus, ein „Irrtum“, ein „gescheitertes System“. Stattdessen fordert Herausgeber und Chefredakteur André F. Lichtschlag in seinem Editorial: „Eigentum statt Mitbestimmung. Freiheit statt Demokratie.“ (ef, April 2012, S. 3) Das sei ein langer Weg. „Der sich aber lohnen könnte“, schreibt der marktradikale Verleger, der 2009 den von der Wochenzeitung Junge Freiheit, der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung und Ingeborg Löwenthal gestifteten Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten erhielt und sich der Neuen Rechten im Kampf gegen eine sogenannte Political Correctness und alles Linke verbunden fühlt. (6)

Aber es kommt noch dicker. Während Schäffler in seiner Kolumne „Aus dem Bundestag“ die Forderung nach einem „Konto für jedermann“ als ersten Schritt auf den Weg in den Sozialismus verdammt, preist der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Hermann Hoppe im Schwerpunktteil des Heftes die ökonomischen Vorzüge der Monarchie gegenüber der Demokratie: „Unter monarchischen Bedingungen gibt es eine klar erkennbare Trennung zwischen den Herrschern und den Beherrschten. Jede ‚normale’ Person weiß, dass sie niemals König werden wird. Nur die Nachkommen des jetzigen Königs können zukünftige Könige werden. Gerade deshalb jedoch wird jeder Normalbürger den König und sämtliche seiner Handlungen mit großem Argwohn betrachten und jedem Versuch, die Steuern zu erhöhen oder sonstwie in bestehende Eigentumsverhältnisse einzugreifen, entsprechend Widerstand entgegensetzen. Unter demokratischen Bedingungen dagegen verschwimmt die Unterscheidung von Herrschern und Beherrschten. Die Illusion entsteht, dass, ‚wir uns alle selbst regieren’. Und damit wird der Widerstand gegenüber staatlichen Übergriffen auf das Privateigentum entsprechend vermindert.“ (ef, April 2012, S. 33)

Den keineswegs satirisch gemeinten Text schmückt eine fotografische Abbildung eines Porträts von Franz Joseph I. (1830-1916), Kaiser von Österreich und König von Ungarn, unterlegt mit dem ihm zugeschriebenen Zitat: „Meine Aufgabe als Kaiser ist es, meine Völker vor ihren gewählten Politikern zu schützen.“ (ef, April 2012, S. 32)

Im Rezensionsteil des Magazins begegnet uns Hoppe dann noch einmal. In der Besprechung seines aktuellen Buchs Der Wettbewerb der Gauner: Über das Unwesen der Demokratie und den Ausweg in die Privatrechtsgesellschaft wird gelobt, dass Hoppe darin die von der Demokratie angeblich bewirkten „Wohlstandsverluste“ und die mit ihr verbundene „Entzivilisierung“ auf den Punkt bringe. Hoppe, der als Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn/Alabama (7) und als Gründer der Property and Freedom Society (8) vor allem in den USA sein anarchokapitalistisches und antidemokratisches Unwesen treibt, ist in Deutschland übrigens gern gesehener Gast der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. (9)

Totalitärer Parlamentarismus?

Wer glaubt, damit sei der Höhepunkt der Demokratieverachtung erreicht, sieht sich getäuscht. Es geht durchaus noch schlimmer. Den Beweis treten zwei Autoren aus den Niederlanden an. Denn der Leiter der niederländischen Stiftung für mehr Freiheit, Frank Karsten, (10) und der Journalist Karel Beckman warten in einem weiteren Beitrag mit einer ganz speziellen Variante der Totalitarismustheorie auf. Während sich diese in den üblichen Varianten vornehmlich antikommunistisch gebärdet, geben sie ihr zusätzlich eine offen antidemokratische Stoßrichtung, wenn sie schreiben: „Tatsächlich ist Demokratie im Wesentlichen eine totalitäre Ideologie, wenn auch nicht so extrem wie Nazismus, Faschismus oder Kommunismus.“ (ef, April 2012, S. 26)

In ihren Augen hat die parlamentarische Demokratie deutlich mehr Nachteile als Vorteile: „Parlamentarische Demokratie, behaupten wir, ist ungerecht, führt zu Bürokratie und Stillstand, untergräbt Freiheit, Unabhängigkeit und Unternehmensgeist und führt unweigerlich zu Zwietracht, Übergriffen, Trägheit und Verschwendung. Und zwar nicht, weil bestimmte Politiker in ihrem Beruf versagen oder weil die falsche Partei an der Macht ist, sondern weil so das System funktioniert.“ (ef, April 2012, S. 22) Weil ihnen die Demokratie ein „kollektivistisches System“ sei, dass den ihnen verhassten „Sozialismus durch die Hintertür“ einzuführen drohe (ef, April 2012, S. 22), schlagen sie vor, sie gleich ganz abzuschaffen: „Demokratie ist ein System, das vor ungefähr 150 Jahren in den meisten westlichen Ländern aus verschiedenen Gründen eingeführt wurde, unter anderem, um sozialistische Ideen in liberalen Ländern durchzusetzen. Was immer die Gründe zu dieser Zeit gewesen sein mögen, heute gibt es keine guten Gründe, die nationale Parlamentarische Demokratie beizubehalten. Sie funktioniert nicht mehr.“ (ef, April 2012, S. 23) (11)

Eigentümlich frei
ist also ein Publikationsorgan, in dem sich Redaktion und eine Reihe von Autoren unverblümt für die Beseitigung der Demokratie stark machen. Das ist die publizistische Umgebung, in der sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler offensichtlich ebenso wohlzufühlen scheint wie der Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und der rechts gesinnte Focus-Redakteur Michael Klonovsky. Alle drei sind fleißige Kolumnisten des radikalen Blatts. Schäffler berichtet aus dem Bundestag, Henkel schreibt über Jazz, Klonovsky über klassische Musik und Opern.


(1) http://www.frank-schaeffler.de/aktuell

(2) http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.fdp-mann-frank-schaeffler-der-politische-arm-der-freien-radikalen-page1.4474527f-e553-42fc-af4c-5967ab763876.html

(3) Jan Rehmann: Einführung in die Ideologietheorie. Hamburg 2008, S.185

(4) Ebd.

(5) http://liberaler-aufbruch.net/blog/category/aktuelles/

(6) http://www.fkbf.de/unsere-projekte/gerhard-loewenthal-preis/die-preistraeger.html

(7) http://mises.org/

(8) http://propertyandfreedom.org/

(9) http://www.freiheit.org/Aktuelles-Inland/616c8069i1p/index.html

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(10) http://www.meervrijheid.nl/?pagina=8&AuthorID=7

(11) Bei den zitierten Passagen handelt es sich um Auszüge aus einem gemeinsamen Buch der beiden Autoren, das unter dem Titel Beyond democracy bislang nur in englischer Sprache erhältlich ist.

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