Ehrenhain der Bundeswehr in Potsdam – konsequent pervers
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Von VOLKER BRÄUTIGAM, 11. Februar 2013 –
Das Gebot „Du sollst nicht töten“ (1. Mose 9, 5-6) ist bereits im Alten Testament mehrmals formuliert, in den Büchern Mose und in den Psalmen. Im Neuen Testament gehört es als Jesus-Wort zum theologischen Kern: „Wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen.“ (Matthäus 26, 52 und zahlreiche weitere NT-Fundstellen: in der Apostelgeschichte, bei Jakobus, in der Offenbarung). Wie christliche Militär-„Seelsorger“ ihren Beruf ausüben können, ohne ihrer uniformierten Gemeinde das menschlichste aller biblischen Gebote permanent vorzuhalten, bleibt ihr pfäffisches Geheimnis. Ihre Hohen Priester, der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann und sein katholischer Kollege Franz-Josef Overbeck, haben der christlichen Perversion jüngst die Krone aufgesetzt. Sie schlugen dem Bundeskriegsminister Thomas de Maizière (CDU) vor, in Potsdam einen Ehrenhain für die in Afghanistan ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten zu errichten.
Nach dem Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch im nächsten Jahr sollen die Denkmäler im zentralen „Camp Marmal“ in Masar-i-Scharif, im Feldlager Kundus sowie im Außenposten „Observation Point North“ bei Baghlan abgebaut werden. Ein viertes Ehrenmal aus dem einstigen Lager Faisabad, das die Bundeswehr im Oktober geräumt hat, ist bereits in einen Container verpackt, bestätigte das Einsatzführungskommando in Potsdam. Da soll nun würdigerer Umgang her. „Potsdam ist der zentrale Ort, von dem aus alle Auslandsmissionen der Bundeswehr gesteuert werden“, begründete Oberchrist Dutzmann laut der Tageszeitung Märkische Allgemeine seinen geschichtsvergessenen Vorschlag. Das Kriegsministerium prüft den zur Zeit.
Wir haben – Karl Theodor zu Guttenbergs Erbe – eine Berufsarmee. Zum Berufsbild des Söldners gehört, zu töten und zu vermeiden, selbst getötet zu werden. In Afghanistan haben, seit Gerhard Schröder sich zum Komplizen des US-Massenmörders George W. Bush machte, 52 BW-ler diesem Berufsbild nicht voll entsprochen. Sie kehrten in Leichensäcken vom Hindukusch zurück. Laut ministerieller Statistik starben 34 von ihnen „durch Fremdeinwirkung“ und 18 aufgrund „sonstiger Umstände“, z.B. bei Hubschrauberabstürzen, beim unsachgemäßen Umgang mit Waffen sowie – in drei Fällen – von eigener Hand.
Diese Toten zu beweinen ist den hinterbliebenen Angehörigen vorbehalten. Das förmliche Trauern hingegen gehört zu den selbst auferlegten repräsentativen Aufgaben unserer parlamentarischen Heuchler. Deren propagandistischen Zwecken und emotionalem Bedürfnis nach öffentlicher Exkulpation sollen die Tafeln mit den Namen und Daten der „Gefallenen“ sowie das davor jeweils organisierte Zeremoniell dienen.
Diese Politiker sind zu verachten. Die Hinterbliebenen sind zu bedauern. Mitleid mit ihren Toten jedoch kann ich nicht empfinden. Es verbittert nur, dass unsere Berufsarmee zunehmend und zynischerweise aus sonst beruflich weitgehend chancenlosen jungen Leuten gebildet wird, darunter überproportional viele aus den wirtschaftlich benachteiligten östlichen Bundesländern. Im Auslandseinsatz und für hohe Soldzulagen werden sie zu abhängigen Killermaschinen verkrüppelt – letzten Endes ebenfalls Opfer deutschen imperialistischen Wahns. Warum wohl haben sich seit 1998, praktisch dem Beginn der Auslands-Kampfeinsätze – Gerhard Schröders und Joseph Fischers Erbe! – zwanzig deutsche Soldaten selbst das Leben genommen?
Kommt ein Berufssoldat im Dienst zu Tode, so handelt es sich objektiv um einen Arbeitsunfall. Unter diesem Stichwort verzeichnet das Statistische Bundesamt in Wiesbaden im ersten Halbjahr 2012 – neuere Daten liegen noch nicht vor – bundesweit 226 „zivile“ Tote. Das sind 25 mehr als im Vergleichszeitraum 2011, eine Steigerung von mehr als zwölf Prozent. Laut Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) kamen anno 2011 weitere 389 tödlichen Unfälle auf dem Weg zur Arbeit und nach Hause hinzu. Auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bestätigt den Trend zu mehr tödlichen Arbeitsunfällen in der zivilen Arbeitswelt. Ergänzung: In dem offiziellen Zahlenwerk sind die 2.509 im Jahr 2011 an Berufskrankheiten Gestorbenen (laut Berufsgenossenschaften) noch gar nicht enthalten.
Für all diese wahren Helden, zehntausende seit 1945, gefallen auf dem Feld der Erwerbsarbeit und nicht auf dem der „Ehre“, gestorben im Existenzkampf für sich und ihre Familien, gibt es nicht ein einziges Denkmal in der Bundesrepublik. Nirgendwo hängen Tafeln mit ihren Namen, vor denen öffentlich oder privat getrauert werden könnte. Aber für die 52 Söldner des internationalen Imperialismus, die in zwölf Kriegsjahren in Afghanistan starben, gibt es gleich vier Ehrenmale. Nicht mitgezählt den monströsen Memorialklotz für allfälligen staatstragenden Mummenschanz am Bendlerblock in Berlin.
Die Totentafeln aus Afghanistan sollen nun in einem zentralen Ehrenhain in Potsdam vereint werden. Der Gedanke passt in eine Zeit, da der Bundespräsident den imperialistischen Krieg als Freiheitsverteidigung verherrlicht („Verlogenheit ist deutsche Staatsräson,“ Ossietzky 2/2013) und unserer Soldateska schmeichelt, und in der ein Ex-Kanzler und die Kanzlerin objektiv Verfassungsbruch übten und üben. Sie sind Sinnstifter und Vorleute einer kriegsgeilen überparteilichen Volksvertreterfraktion, in der Thomas de Maizière, Norbert Lammert, Franz-Josef Jung, Guido Westerwelle, Elke Hoff, Rainer Arnold, Frank-Walter Steinmeier, Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt & Co herausragen; nebenher trottet der Grüne Christian Ströbele, drapiert sich albern mit rotem Schal, schwenkt den Olivenzweig und klemmt den Schwanz ein, sobald es im Reichstag zum bellizistischen Schwur kommt. „Durch die deutsche Politik zieht eine breite Blutspur“, zürnte kürzlich Oskar Lafontaine. Werde konkret, „Lafo“: Die breite Blutspur zieht sich ins Parlament. In die Regierung. In Deutschlands Waffenschmieden. Und in die Redaktionen der Leitmedien. Dort sitzen sie, die moralischen Versager.
Das einzig Vorteilhafte am Konzept des Potsdamer Ehrenmals: Es spart Reisekosten für Flüge der Schönredner zu weiteren Heuchel-Terminen am Hindukusch. Und es charakterisiert punktgenau unsere Knallchargen ohne Unrechtsbewusstsein in Berlin, die in Potsdam nun auch noch eine Sondergerichtsbarkeit einrichten wollen, ausschließlich zuständig für deutsche Soldaten, die sich im Ausland strafbar machten. Sind zivile Richter zu blöde, um ausreichende Urteilskraft für soldatische Verbrechen und uniformierte Verbrecher zu entwickeln? Nicht ausreichend motiviert für die gewünschte juristische Kumpanei mit dem Militär? Pervers, das Ganze. Aber konsequent.
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Werte regierende Friedensverräter, ich hätte da einen Gegenvorschlag zur Potsdamer Ehrenhain-Nummer. Lasst doch ein aufblasbares Kriegerdenkmal herstellen, preiswert und transportabel. Das könntet ihr ortsunabhängig verwenden, denn ständiger BW-Einsatz im Ausland ist ja mittlerweile die grundgesetzwidrige Doktrin. Auch bei sonstigem militaristischen Täterä unseliger Herkunft wie den ekelhaften Truppenvereidigungsfeiern, Zapfenstreichen und derlei Brimborium könnte es euch von Nutzen sein.
Mit freundlicher Genehmigung von Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft.