Echte Demokratie zum 1. Mai: Wiesbadener Appell fordert den politischen Streik
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Von THOMAS WAGNER, 27. April 2012 –
Je lauter der Ruf nach mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung erschallt, desto deutlicher zeichnet sich ab, wie zahm noch die radikalsten Forderungen der Empörten, Piraten und Anhänger der Occupy-Aktivisten in der Regel sind. Denn zumeist macht ihr Verlangen nach mehr Beteiligung vor den Toren der Betriebe halt. Obwohl die Menschen an ihren Arbeitsplätzen zumeist am deutlichsten spüren, wie sehr sie in Herrschaftsverhältnisse eingebunden sind, obwohl sie hier zugleich die Kompetenzen entwickeln, um qualifiziert mitbestimmen zu können, bleibt die Sphäre der Wirtschaft als Kampffeld für eine echte Bürgerbeteiligung im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland weitgehend tabuisiert. Das ist umso bedauerlicher, als auch die demokratiepolitisch wichtigen Fragen im ökonomischen Machtzentrum der bürgerlichen Gesellschaft geklärt werden: Wer entscheidet darüber, was, wie viel, unter welchen Bedingungen produziert wird und wie der kollektiv erwirtschaftete Reichtum dann verteilt wird? Wer hat das Sagen? Wer ist abhängig? Welche Freiheitsspielräume und Mitbestimmungsmöglichkeiten sind für die Bürger vorhanden?
Oskar Lafontaine war es, der in seiner Rede auf dem Bundestagswahlparteitag der Linken von 2009 zurecht daran erinnerte, dass eine wirklich „demokratische Erneuerungsbewegung“ (1) in Richtung einer „Wirtschaft der freien Menschen“ (2) ohne eine echte Demokratisierung der Eigentums- und Wirtschaftsordnung nicht zu haben ist. „Erst wenn die Beschäftigten selbst Anteilseigner ihrer Betriebe sind und wenn sie in Betrieben und Verwaltungen mitbestimmen können, stoßen wir das Tor zu einer wirklich freien und sozialen Marktwirtschaft auf.“ (3)
Konsequenterweise führt der Linken-Politiker die Reihe jener 79 Demokraten aus allen fortschrittlichen Strömungen der Gesellschaft an, die im Vorfeld des ersten Mai 2012 als Erstunterzeichner des Wiesbadener Appells (4) die Forderung nach der Legalisierung des politischen Streiks auf die politische Agenda der Republik zu setzen versuchen. In den meisten Ländern, die sich selbst als zivilisiert begreifen, gehört er zu den selbstverständlichen demokratischen Rechten. Hierzulande muss daran erinnert werden, dass der von den neuen partizipativen Bewegungen ausgerufene Kampf für mehr Demokratie nur gemeinsam mit den Organisationen der abhängig Beschäftigten gewonnen werden kann. Umso erfreulicher und für künftige soziale Kämpfe vorbildlich ist, dass prominente Liedermacher, anarchistische Wissenschaftler, Marxisten, Basis-Gewerkschafter, Sozialdemokraten sowie Intellektuelle aus Ost und West in dieser Sache an einem Strang ziehen. Ausgegangen war die Initiative von unabhängigen Gewerkschaftern. (5)
Ihr gemeinsamer Appell vom 1. März dieses Jahres wurde mittlerweile von über 3.700 Personen unterschrieben. Er erinnert daran, dass von den 27 Staaten der Europäischen Union der politische Streik nur in England, Österreich und Deutschland als rechtswidrig behandelt wird. Die Illegalisierungen von Beamtenstreiks, wilden Streiks, Blockaden, Boykotts, das Streikverbot durch die christlichen Kirchen sowie die Einengung von Streikmöglichkeiten nur auf tarifvertraglich regelbare Ziele werden als Defizite der Demokratie in Deutschland bezeichnet, die im krassen Widerspruch zu den Menschenrechten stehen. Die Unterzeichner kritisieren, dass die Kapitalseite, wesentliche Teile der Politik und der Massenmedien versuchen, die wenigen Streikrechte immer weiter einzuschränken und die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland zu geringe Anstrengungen unternommen haben, das Streikrecht auszuweiten oder zu verbessern. Sie fordern, die noch bremsenden Strukturen innerhalb der Gewerkschaften durch basisgestützte Selbstorganisation, Bildungsarbeit und durch das Entfachen einer gesellschaftspolitischen Debatte zu überwinden.
Der Appell schließt mit den Worten: „Die Tarifpolitik allein kann eine verfehlte und neoliberale Politik nicht ausgleichen. Dadurch haben es die Gewerkschaften immer schwerer den politisch verursachten Verschlechterungen, die auf die Arbeitnehmer, die Erwerbslosen und weitere große Teile der Bevölkerung Auswirkung haben, zu entgegnen. Die Schärfung und die Ausweitung von umfassenden (Arbeits-) Kampfmitteln der (organisierten) Arbeitnehmer führt Stück für Stück zu größeren Erfolgen der Gewerkschaften vor allem auch im politischen Raum. Die Mitgliedergewinnung und die Haltearbeit der Gewerkschaften könnte nachhaltig verbessert werden. (Streik-) Recht ist immer Ausdruck von wirtschaftlicher und politischer Macht. Streikrechte sind elementare und soziale Menschenrechte, die erkämpft werden müssen.“ (5)
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Wenn echte demokratische Mitbestimmung künftig eine Perspektive nicht nur für wenige, sondern für alle Bürger sein soll, muss es darum gehen, die Ökonomie in den Bereich demokratischer Entscheidungen zurückzuführen. Der Kampf für den politischen Streik ist ein unverzichtbarer Schritt auf den Weg dahin.
(1) http://www.die-linke.de/index.php?id=4926
(2) ebd.
(3) ebd.
(4) http://politischer-streik.de/
(5) http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/63051/wiesbadener-appell-fuer-ein-recht-auf-politischen-streik-auch-in-deutschland/
(5) http://politischer-streik.de/