Dr. copy&paste: Guttenberg von Plagiatsforschern des Betrugs überführt
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Von REDAKTION, 22. Februar 2011 –
Auch nach seinem Verzicht auf den Doktortitel hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg weiterhin die volle Rückendeckung der Union. CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich am Dienstag hinter die Entscheidung. Die Unionsfraktion sicherte dem angeschlagenen Politstar trotz der massiven Plagiatsvorwürfe ihre „uneingeschränkte Unterstützung“ zu. Die Universität Bayreuth prüft Guttenbergs Dissertation weiter.
Der CSU-Politiker hatte am vergangenen Freitag zunächst erklärt, er wolle nur bis zur Aufklärung der Vorwürfe gegen ihn auf den Doktortitel verzichten. Am gestrigen Montagabend vollzog er auf einer CDU-Veranstaltung im hessischen Kelkheim die Kehrtwende. Er habe sich die Arbeit am Wochenende noch einmal angeschaut und dabei „gravierende Fehler“ entdeckt, erklärte der Minister den Meinungswandel. Dazu zählten „besonders peinliche Beispiele“ wie der aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgeschriebene Beginn seiner Einleitung.
Noch zu Beginn der Affäre hatte Guttenberg die Vorwürfe gegen ihn als „abstrus“ bezeichnet. Auch sein Doktorvater, Prof. Peter Häberle, hatte Guttenberg vor Plagiatsvorwürfen in Schutz genommen. „Der Vorwurf ist absurd, die Arbeit ist kein Plagiat“, sagte Häberle der Bild vergangene Woche. „Sie wurde von mir in zahlreichen Beratungsgesprächen eingehend kontrolliert.“
Zu der Frage, wie solch „gravierende Pannen“ trotz „eingehender Kontrolle“ passieren können, sagte der Minister, er habe „an der einen oder anderen Stelle den Überblick über die Quellen verloren“. Er habe aber „nicht bewusst oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht“, beteuerte er.
Eine wenig glaubwürdige Erklärung, schließlich kann von der „einen oder anderen Stelle“ nicht die Rede sein. Mittlerweile wurden auf über 70 Prozent der 400-seitigen Schrift nicht als solche gekennzeichnete Abschriften anderer Arbeiten entdeckt. (1) Bei Guttenbergs Dissertation handelte es sich schlichtweg um den Versuch, sich den Doktortitel mittels betrügerischer Methoden zu erschleichen.
Guttenberg, der gerne Werte wie Anstand und Ehrlichkeit anmahnt, legte in der Vergangenheit einen äußerst flexiblen Umgang mit der Wahrheit an den Tag, wenn es um die eigene Karriere geht. So gibt er in seinem tabellarischen Lebenslauf auf seiner Homepage absolvierte Praktika als „berufliche Stationen“ aus. Zudem gab er an, als freier Journalist bei der Tageszeitung Die Welt gearbeitet zu haben. Tatsächlich hat er auch dort nur ein Praktikum absolviert. Auch seine Tätigkeit als Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG, die als Beleg des vormaligen Wirtschaftsministers für seine Qualifikation in wirtschaftlichen Belangen angeführt wurde, bestand laut der FAZ wohl nur auf dem Papier. (2)
Guttenberg wollte mit seinem Schritt einem Urteil der Universität Bayreuth über seine Dissertation zuvorkommen. Die Hochschule hatte ihn um eine Stellungnahme bis zum 6. März gebeten. Das laufende Prüfungsverfahren wird sie unabhängig von Guttenbergs Erklärungen fortsetzen, so Uni-Präsident Prof. Rüdiger Bormann. Eine „Rückgabe des Titels“ gibt es nicht. Nur die Universität kann einen akademischen Grad verleihen und ihn gegebenenfalls entziehen. Dem Promovierten obliegt es lediglich, den Titel zu führen oder es sein zu lassen,
Nun steht auch der Ruf der Universität auf dem Spiel. Studenten forderten eine angemessene Aufklärung der Vorwürfe. Nur so könne ein Abschluss an der Universität Bayreuth auch in Zukunft seinen guten Ruf behaupten und Akzeptanz innerhalb der Hochschullandschaft finden. Es sei nicht hinnehmbar, dass wissenschaftliche Leistungen in Misskredit geraten, betonte der Vorsitzende des Studierendenparlaments, Benjamin Horn.
Strafrechtliche Konsequenzen muss Guttenberg allerdings nicht fürchten. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten, wo Doktoranden bei der Abgabe ihrer Dissertation an Eides statt versichern müssen, dass sie ihre Studie „ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt“ haben, reicht bei der Bayreuther Universität eine „ehrenwörtliche Erklärung“ aus. Auf Falschangaben im Falle einer eidesstattlichen Erklärung hätten ihm bis zu ein Jahr Gefängnis gedroht. Allerdings stehen Urheberrechtsklagen gegen Guttenberg an.
Betrug wird von der Union schöngeredet
Obwohl sich die Rede von einem Versehen und ungenauer Wissenschaftlichkeit nicht mehr aufrecht erhalten lässt, genießt Guttenberg weiterhin das volle Vertrauen der Union. Statt von Betrug wird von “kleinen Fehlern bei einer wissenschaftlichen Arbeit” gesprochen.
Bundeskanzlerin Merkel bekräftigte die volle Rückendeckung für ihren Minister. „Die Bundeskanzlerin findet die Entscheidung Karl-Theodor zu Guttenbergs, auf den Doktortitel zu verzichten, richtig“, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert der Nachrichtenagentur dpa.
Die Kanzlerin hatte bereits am Montag noch vor Guttenbergs Rede signalisiert, ihn wegen der Plagiatsvorwürfe nicht einfach fallen lassen zu wollen. Sie habe Guttenberg nicht als wissenschaftlichen Assistenten oder Doktoranden ins Kabinett geholt. „Mir geht es um die Arbeit als Bundesverteidigungsminister. Die erfüllt er hervorragend, und das ist das, was für mich zählt“, hatte die Kanzlerin gesagt.
Eine haarsträubende Argumentation, denn es geht angesichts des nun erwiesenen Betrugsversuches um die Frage, ob Guttenberg überhaupt über die charakterlichen Eigenschaften verfügt, gewissenhaft die Verantwortung für knapp eine Viertelmillion deutscher Soldaten zu tragen. Doch das Motto, „wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, scheint in den Reihen der Union unbekannt zu sein. Die von Merkel vorgegebene Argumentationskette zur Rettung ihres Verteidigungsministers wird nun auch von anderen führenden Unionspolitikern angewendet.
So plädierte auch CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier dafür, zwischen den „wissenschaftlichen Fehlern“ und der politischen Arbeit Guttenbergs zu trennen. Seine Fraktion stehe „in großer Geschlossenheit hinter der politischen Leistung des Ministers in diesen beiden Jahren“, betonte er. „Deshalb sage ich, und zwar in aller Deutlichkeit, dass es nach wie vor eine uneingeschränkte Unterstützung für die politische Arbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt. Punkt.“
CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich ließ von seinem Sprecher erklären: „Guttenberg weiß, dass die Soldaten und die Bevölkerung ihm vertrauen und er dafür auch keine akademischen Titel benötigt.“ Im Zusammenhang mit der Kritik aus den Reihen der Opposition sprach er von „billiger Polemik“ und „Hetze“. Guttenberg nehme dagegen seine Pflicht und Verantwortung als Verteidigungsminister wahr.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) befand, „dass Karl-Theodor zu Guttenberg die Sache in geeigneter Weise gelöst hat“. Im Hamburger Abendblatt sagte Mappus weiter: „Wir haben in diesem Land – und in Afghanistan – wahrlich andere Sorgen als die Frage, ob die Fußnoten einer Doktorarbeit richtig gesetzt sind.“ Guttenberg werde eine wichtige Rolle im Landtagswahlkampf der baden-württembergischen CDU spielen.
Rücktrittsforderungen
Aus den Reihen der Opposition werden die Forderungen nach Rücktritt nach dem nun bekannt gewordenen Ausmaß der Schwindelei bei der Anfertigung der Dissertation lauter.
„Der Verteidigungsminister leidet unter einem Realitätsverlust, der kurz vor dem Rücktritt kommt”, so der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, gegenüber Spiegel Online. Oppermann warf dem Minister ein katastrophales Krisenmanagement vor. Nach einer „aggressiven Vorwärtsverteidigung“ habe sich Guttenberg zu einer „panikartigen Flucht“ entschieden. „Diesmal ist der Doktortitel das Bauernopfer von Guttenberg“, sagte Oppermann in Anspielung auf Guttenbergs Entlassung des Kapitäns der Gorch Fock, die auch in konservativen Kreisen auf Unverständnis stieß.
Auch von den Grünen kommt scharfe Kritik. „Das war ein dreister Auftritt mit populistischen Mitteln“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth zu Guttenbergs Verzichterklärung auf seinen Doktortitel. Der Minister versuche, „mit Demutsgefasel etwas als Kavaliersdelikt darzustellen“.
An der Basis der Oppositionsparteien sieht die Stimmung aber anders aus. Dort ist Guttenberg nach wie vor beliebt. So seien laut einer ARD-Umfrage 71 Prozent der SPD- und 61 Prozent der Grünen-Anhänger mit der Arbeit des Verteidigungsministers zufrieden. Zum Vergleich: 73 Prozent der Befragten insgesamt seien mit der politischen Arbeit Guttenbergs zufrieden und nur 21 Prozent unzufrieden.
Öffenlichkeit goutiert Lügen und Betrügereien des „Freiherrn“
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die Bild am Sonntag sehen nur 28 Prozent in Guttenberg einen Schwindler. Das erklärt auch, warum es in der Union keinerlei Anzeichen dafür gibt, Guttenberg als Verteidigungsminister aufzugeben. Wessen Beliebtheit trotz eines überführten Betrugsversuches ungebrochen ist, der scheint bestens geeignet, so manche unliebsame Maßnahme der Bevölkerung in Zukunft schmackhaft machen zu können. Man denke nur an die in der Vergangenheit immer wieder von der Union unternommenen Versuche, die Bundeswehr im Innern einzusetzen.
Erschreckend an der Affäre um Guttenbergs Dissertation ist nicht, dass sich hier jemand zu Karrierezwecken unlauterer, betrügerischer Methoden bedient hat. Das wäre noch zu profan, als dass es außer den politisch Naivsten jemanden aufschrecken könnte. Erschreckend ist auch nicht, dass die Union weiterhin an einem Mann festhalten will, der nach wie vor als beliebtester Politiker Deutschlands gilt. Erschreckend ist vielmehr, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Weigerung vorherrscht, einen Betrugsversuch auch als solchen zu benennen. Aus Gründen subjektiver, nicht zuletzt von den Medien erzeugter Sympathie wird jede objektive Betrachtungsweise verworfen. Es herrscht eine unübersehbare Doppelmoral: Was bei jedem Normalsterblichen als Kündigungsgrund akzeptiert werden würde, soll im Falle Guttenbergs nicht gelten. Im Gegenteil wird Guttenberg von vielen sogar zum Opfer einer hinterhältigen Kampagne stilisiert, der Solidarität verdient habe.
Eine Bevölkerung, die kein Problem damit hat, die Macht in einem elementaren Bereich wie dem Militär in den Händen eines „karrierebewussten“, selbstdarstellerischen Schönredners mit Hang zur Wahrheitsverbiegung zu wissen, sendet ein eindeutiges Signal an die politische Elite in diesem Land: Ehrlichkeit und Anstand sind Tugenden, die uns nicht kümmern, solange ihr es schafft, uns im Brot-und-Spiele-Kasperletheater Figuren medial so zu präsentieren, dass wir uns mit ihnen identifizieren können. Spätrömische Dekadenz einmal anders.
Anmerkungen
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(1) http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/GuttenPlag_Wiki