Die Langeweile der Postdemokratie
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Krieg, Abschreckung von Flüchtlingen, TTIP: SPD und CDU zelebrierten ihre Parteitage
Eine Woche der Selbstbeweihräucherung, der großen Floskeln und Phrasen, des besinnungslosen Spektakels neigt sich dem Ende zu. Zuerst war Deutschlands Sozialdemokratie drei Tage lang zusammengekommen, um der Welt die „schlichte Wahrheit“ (Sigmar Gabriel) zu offenbaren, dass ohne die SPD dieses Land „in großen Schwierigkeiten“ wäre. Kaum war das sozialdemokratische Eigenlob verstummt, versammelten sich auch schon Christdemokraten, um nun ihrerseits zu postulieren: „Immer, wenn es schwierig wurde in der Geschichte der Bundesrepublik, dann waren wir da.“
Wer auf die Suche ging, um unter all der wohlfeilen Rhetorik dieser Parteitage politische Inhalte zu entdecken, musste sich durch Formulierungen quälen, bei denen Fremdscham noch die angenehmste Emotion ist, die man verspüren konnte. Wer dann die Kernaussagen fand, begraben irgendwo unter schalen Versprechungen und gravierenden Fehleinschätzungen, musste feststellen: Einen prinzipiellen Unterschied zwischen jenen Parteien, die sich einst als wirkliche Kontrahenten sahen, gibt es in vielen entscheidenden Fragen nicht mehr.
Mehr Krieg
Beginnen wir bei einer der entscheidenden Fragen unserer Gegenwart, der nach Krieg und Frieden. Die Bundesregierung hat sich vor Kurzem entschlossen, der immer länger werdenden Reihe deutscher Militäreinsätze im Ausland einen weiteren hinzuzufügen, nunmehr einen, der sich nicht irgendwo an der Peripherie, sondern im Zentrum der weltweiten Geopolitik abspielt. Die Bundeswehr geht gen Syrien, sicher mit eingeschränktem Mandat, aber doch direkt zur Unterstützung von Bombardements, von denen jeder denkende Mensch weiß, dass sie weder den Islamischen Staat schwächen, noch Zivilisten schützen.
Von jeglichem strategischen Verstand entbunden, behauptet die CDU dennoch in ihrem Beschluss zu „Terror und Sicherheit, Flucht und Integration“, der Einsatz „dient der Bekämpfung und Zerstörung des sogenannten Islamischen Staates (IS) und seiner terroristischen Handlungsmöglichkeiten in Syrien, in der Nachbarregion und in Europa.“
Nahezu gleichlautend der gleiche Blödsinn bei der SPD, hier vorgetragen von Frank-Walter Steinmeier und mit mehr Verweisen auf die „responsibility to protect“: „Als ich in Erbil landete, sah ich den Strom verzweifelter und erschöpfter Menschen, die sich aus dem Sindschar-Gebirge in die Stadt gerettet hatten: ältere Frauen, vor deren Augen die Männer und Söhne vom IS geköpft worden sind, deren Töchter von den Horden der IS vergewaltigt worden sind.“ Dass Sindschar von der kurdischen PKK befreit wurde, die von der Bundesregierung als „terroristisch“ verfolgt wird, wen kümmern solche Details.
Der Unterschied zwischen CDU und SPD in der Kriegsfrage ist minimal. Beide sind für „mehr internationale Verantwortung“, die Chiffre für mehr Militäreinsätze, und beide für den Syrien-Einsatz. Die einzige Differenz besteht darin, dass die sozialdemokratischen Führer ihrer Basis in jeder Rede zehn Mal versichern müssen, dass sie „Achtung vor den Argumenten der Kriegsgegner“ haben.
Weniger Flüchtlinge
Ähnlich verhält es sich in den Erklärungen zur sogenannten Flüchtlingskrise. Sicher, die beiden Parteien, die in diesem Jahr mehrfach Asylrechtsverschärfungen durchgesetzt haben, überbieten einander in der Disziplin „Willkommensrhetorik“, bei der CDU allerdings hin und wieder unterbrochen durch den Versuch, Stimmen von der AfD durch markige Sprüche zurückzugewinnen.
Unter dem Gelaber findet sich das gemeinsame Interesse: Beide wollen weniger Flüchtlinge. „Wir haben dazu eine gute Diskussion geführt und einen guten Plan beschlossen, haben klar gesagt, was wir wollen: ordnen, steuern und die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, reduzieren.“ (Peter Tauber, CDU) Die SPD kontert scharf und will „Zuwanderung über Kontingente“, um besser „ordnen und steuern zu können“.
Das Grundinteresse ist das Gleiche: Beide Parteien sind Parteien des „Standorts Deutschland“ und der hiesigen Banken und Konzerne. Deren Position ist: Es soll kommen, wer verwertbar ist. Wer in den „Arbeitsmarkt“ als Niedriglohnkraft eingegliedert werden kann, soll rein. Für alles darüber hinaus gibt es die „Festung Europa“, an der die Nicht-Verwertbaren ruhig mal zerschellen können, das tut der Willkommensrhetorik keinen Abbruch.
SPD und CDU beschlossen in diesem Jahr gemeinsam eine Reihe von Abschreckungsmaßnahmen, die nächste, nunmehr dritte Asylrechtsverschärfung im Zeitraum von zwölf Monaten, soll bereits Anfang kommenden Jahres durchgesetzt werden. In der konkreten Ausgestaltung, wie die Selektion umzusetzen sei und in der rhetorischen Ausgestaltung selbiger, gibt es Unterschiede. Das hat einen einfachen Grund: Die SPD will „linke“ Wählerstimmen an sich binden, deshalb darf Sigmar Gabriel am Rande des Parteitags einbestellte Flüchtlingskinder streicheln. Und die CDU will die Abwanderung nach rechts stoppen, deshalb darf auch mal ein wenig Stammtischwürze zwischen die Zeilen. Showbusiness as usual. Im Prinzipiellen sucht man auch hier konträre Standpunkte vergebens.
Für TTIP
TTIP, das transatlantische Freihandelsabkommen, kann nicht beanspruchen, allzu beliebt zu sein. Im Oktober 2015 hielten nur 34 Prozent der Befragten einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid TTIP für eine „gute Sache“, 46 Prozent sprachen sich dagegen aus. Anders als im Volk sieht es in den sogenannten Volksparteien aus.
„Die CDU begrüßt die Verhandlungen der EU-Kommission zum Abschluss eines EU-USA-Freihandelsabkommens ggf. als sogenanntes gemischtes Abkommen“, heißt es bei den Christdemokraten kurz und knapp. Ausführlicher der Beschluss bei der SPD, die einen Großteil der eigenen Basis erst noch davon überzeugen muss, dass das intransparente Abkommen, das aller Voraussicht nach zur Zerstörung arbeitsrechtlicher, demokratischer und ökologischer Standards führen wird, zu befürworten ist.
Dem Beschluss zu TTIP haben die sozialdemokratischen Witzemacher den ironischen Titel „SPD für soziale Standards im Welthandel“ gegeben und er lautet paraphrasiert ungefähr so: Klar, TTIP hat seine Probleme, aber wir Sozialdemokraten werden es in sein Gegenteil umverhandeln. Den Gegnern des Abkommens wird unterstellt, sie seien für eine Art Isolationismus. „Europa ist keine Insel, wir können keine Mauern um uns bauen“, mahnte der stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Stegner an. Zur Beruhigung der Gegner hielt man dann „rote Linien“ fest, die in den Verhandlungen nicht überschritten werden dürfen – ganz so, als ob die SPD – siehe Asylrechtsverschärfung und Vorratsdatenspeicherung – sich im Ernstfall an so etwas halten würde.
Kompatible Kontrahenten
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Der Gleichklang zwischen der vermeintlichen „rechten“ und der angeblichen „linken“ Mitte setzt sich in anderen Themenfeldern fort: Russland ist böse und hat „Großmachtansprüche“, sozial geht’s allen in Deutschland dank der Segnungen von wahlweise SPD oder CDU ziemlich dufte und Deutschland hat eine „besondere Verantwortung“ für Israels Sicherheit, die transatlantische „Partnerschaft“ muss ausgebaut werden und wir brauchen mehr Überwachung.
Jenseits aller rhetorischen Kniffe und tatsächlichen Differenzen in der Ausgestaltung des gemeinsamen Ansatzes erweisen sich die Volksparteien als erstaunlich kompatibel. Das seit vielen Jahren zu beobachtende Desinteresse für die Wahlshows des Parlamentarismus erweist sich so möglicherweise als Ausdruck der zumindest instinktiven Einsicht, dass es um eine „Demokratie“ eher schlecht bestellt ist, in der die beiden größten Alternativen, die man hat, gar keine sind.