„Die alliierten Interessen sind längst in deutschem Recht verankert“
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Über die NSA-Affäre, die Reaktion der Bundesregierung und die Frage staatlicher Souveränität –
Interview mit JOSEF FOSCHEPOTH, 25. Oktober 2013 –
Prof. Dr. Josef Foschepoth ist Zeithistoriker an der Universität Freiburg und Autor des viel beachteten Buches: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 3. Auflage 2013. Darin weist er nach, dass auf Geheiß der Westalliierten und unter Mithilfe der Bundesregierung eine „systematisch betriebene Post- und Telefonüberwachung von immensem Ausmaß“ stattfand, die über Jahrzehnte unter Missachtung des Grundgesetzes ausgeübt wurde. Hintergrund fragte ihn zu seiner Einschätzung des NSA-Skandals und wie es in diesem Zusammenhang um die Souveränität der Bundesrepublik bestellt ist.
Kanzleramtschef Ronald Pofalla erklärte die NSA-Affäre Mitte August für beendet. Ist sie das?
Diese Auffassung teile ich überhaupt nicht. Wir haben zwar in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder ähnliche Affären gehabt, aber Art und Ausmaß der NSA-Affäre sind doch so eminent, dass die Zivilgesellschaft ein großes Interesse daran haben muss, die Dinge aufzuklären und dauerhaft zu verändern.
Die Bundesregierung zeigt aber wenig Interesse und verlässt sich ganz auf die Zusicherung der NSA, sich in Deutschland an Recht und Gesetz zu halten. Ist das mangelnder Aufklärungswille, oder bleibt der Bundesregierung angesichts der realen Machtverhältnisse gar nichts anderes übrig, als sich auf das Wort der Amerikaner zu verlassen?
Was wir zurzeit erleben, passt sehr genau zu den Erkenntnissen, die ich bei meiner intensiven Erforschung der Geschichte der Überwachung in der Bundesrepublik gewonnen habe. Sämtliche Bundesregierungen haben den Überwachungsanspruch der Alliierten, insbesondere der Amerikaner, in der jeweiligen Epoche unserer Geschichte immer wieder akzeptiert. Mit dem Ende des Besatzungsstatuts im Jahre 1955 wurden die alliierten Überwachungsrechte dauerhaft in deutschem Recht verankert. Zunächst als weiter geltendes Vorbehaltsrecht der Besatzungsmächte und ab 1968 im sogenannten G10-Gesetz, dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, und in der dazu notwendigen Änderung des Grundgesetzes. Die drei Mächte haben, bei welchen Vereinbarungen auch immer, stets darauf bestanden, dass die Möglichkeiten zur Überwachung Deutschlands weder quantitativ noch qualitativ eingeschränkt werden durften. So ist ein dichtes Geflecht von völkerrechtlichen Vereinbarungen und gesetzlichen Regelungen entstanden, die dem machtpolitischen Anspruch der Westmächte, insbesondere der Amerikaner, immer wieder Genüge getan haben. Ohne eine heftige machtpolitische Auseinandersetzung mit den USA zu riskieren, kann die Bundesregierung daran kaum etwas ändern.
Gregor Gysi sprach davon, Deutschland sei nach wie vor ein besetztes Land. Er bezog sich dabei auf das NATO-Truppenstatut, das es den Alliierten erlaube, auf deutschem Boden eigenständig zum Schutz ihrer Truppen geheimdienstlich tätig zu werden. Die Bundesregierung behauptet jedoch, das Truppenstatut setze deutsches Recht nicht außer Kraft. Was stimmt denn nun?
Wenn die Bundeskanzlerin sagt, auf deutschem Boden gelte deutsches Recht, dann klingt das so, als würde deutsches Recht die Deutschen vor alliierter Überwachung schützen. Das ist aber nicht der Fall. Die alliierten Interessen sind längst in deutschem Recht verankert. Das haben alle Bundesregierungen bisher akzeptiert. Die vor der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarungen gelten bis heute. Grundlage für die Stationierung von NATO-Truppen war und ist der Aufenthaltsvertrag von 1954. Seit dem Eintritt in die NATO gelten zusätzlich der NATO-Vertrag von 1951 und seit 1959 bzw. 1963 das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. In all diesen Vereinbarungen verpflichten sich beide Seiten zu engster Zusammenarbeit auf geheimdienstlichem Gebiet, zum Austausch aller Informationen und Erkenntnisse und zu strikter Geheimhaltung. Einzelheiten wurden stets in geheimen Abkommen vereinbart, wie auch das „Memorandum of Agreement“ vom 28. April 2002 zeigt, das die Zusammenarbeit von BND und NSA in Bad Aibling regelt.
Wenn in derartigen Abkommen vom „Schutz der Sicherheit der alliierten Truppen“ die Rede ist, empfindet niemand Böses dabei. Aufgrund meiner Forschungen wissen wir jedoch, dass mit einer solchen Formulierung stets die geheimdienstliche Tätigkeit der Alliierten gemeint ist, die auf dem Boden der Bundesrepublik ihre Truppen stationiert haben. Anders formuliert: Solange es amerikanische Truppen oder militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik gibt, wird es auch amerikanische Überwachungsmaßnahmen zum „Schutz der amerikanischen Truppen“ geben. Und niemand kann und will kontrollieren, wie das geschieht.
Laut Bundesregierung genießt Deutschland seit dem Zwei-plus-vier-Vertrag „volle Souveränität“ …
Die alte Bundesrepublik ist nie ein wirklich souveräner Staat gewesen. Die Besatzungsmächte behielten sich bis 1990 bestimmte Rechte vor. Dies betraf nicht nur die Berlin- und Deutschland-Frage, sondern auch die Frage der Truppenstationierung. Und – wie ich erstmals herausgefunden habe – es kamen noch drei weitere Vorbehaltsrechte, der Notstands-, Überwachungs- und Geheimdienstvorbehalt, hinzu. Mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag verloren lediglich die vorbehaltenen Rechte „in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes ihre Bedeutung“. Sonderrechte, die hinsichtlich der Truppenstationierung, des Überwachungs- und Geheimdienstvorbehalts längst in deutschen Gesetzen verankert waren, blieben erhalten. Während solche Sonderrechte mit der Sowjetunion in einem Separatvertrag ausdrücklich geregelt und abgelöst wurden, blieben sie gegenüber dem Westen unangetastet. So gingen diese alliierten Rechte als Erbmasse in die Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein. Dies erklärt, warum heute nicht Russland etwa in der Nähe von Leipzig, sondern die USA in Wiesbaden ein großes Überwachungs- und Spionagezentrum – mit Einwilligung der Bundesregierung oder vielleicht auch ohne – errichten darf.
Wenn das alles die Frage der Souveränität der Bundesrepublik nicht berühren würde, müsste auch die Bundesrepublik in der Lage sein, in den USA ähnliche Überwachungs- und Spionagezentren einzurichten. Darüber hat Edward Snowden bislang noch nichts berichtet. Wenn die neue Bundesrepublik tatsächlich ein nach innen und außen souveräner Staat wäre, dann würde bzw. könnte sie zumindest gegen die Überwachung ihrer Bürger durch eine fremde Macht massiv einschreiten. Stattdessen liefern unsere Geheimdienste, BND und Verfassungsschutz, auch heute noch massenweise Daten an die Geheimdienste der USA und des Vereinigten Königreichs, wie das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut es vorsieht, in Übereinstimmung mit deutschem Recht und Gesetz. Alliiertes Recht ist also längst deutsches Recht geworden. So ist ein großer geheimdienstlicher Komplex entstanden, der an staatlichen Grenzen auch „befreundeter“ Staaten keinen Halt macht. Regierungen und Minister kommen und gehen, die Verpflichtung zu engster Zusammenarbeit der deutschen mit den alliierten Geheimdiensten und zur Weitergabe aller nachrichtendienstlichen Informationen bis hin zu personenbezogenen Daten bleibt aufgrund völkerrechtlicher Verträge und deutschen Rechts bestehen.
Anlässlich der Verleihung des Whistleblower-Preises an Edward Snowden sagten Sie, der NSA-Skandal sei „lediglich ein weiterer Höhepunkt einer über sechzigjährigen Geschichte der Überwachung in Deutschland“. Stellt er dennoch eine neue Qualität dar?
Man kann den NSA-Skandal in Deutschland nur verstehen, wenn man weiß, wie sich über sechzig Jahre ein im Geheimen operierender deutsch-alliierter nachrichtendienstlicher Komplex entwickelt hat, der machtvoller ist als die jeweilige Exekutive und erst recht als die Legislative und Judikative. Die Exekutive ist mehr oder weniger zu einer Verschworenen der Geheimdienste geworden. Das Interesse an einer wirksamen Kontrolle tendiert fast gegen null. Nur in Zeiten öffentlicher Erregung ändert sich das ein wenig. Die Legislative wurde auf eine vierköpfige G10-Kommission bzw. eine elfköpfige Parlamentarische Kontrollkommission reduziert. Parlamentarier sprechen gern von einer „Märchenstunde“, wenn dort vorgetragen wird. Auch die Legislative ist in ihrer Kontrollfunktion stark beeinträchtigt und beschädigt worden. Zudem wurde die Kontrollfunktion der Gerichte völlig gekappt. Wir haben es also mit einer schweren und nachhaltigen Beschädigung des Rechtsstaates zu tun. Die Besonderheit der NSA-Affäre liegt darin, dass die Allgemeinheit begriffen hat, hier handelt es sich nicht um eine kleine Geschichte, um einen Ausrutscher oder eine einmalige Kompetenzüberschreitung. Durch die Enthüllungen von Snowden wissen wir jetzt detailliert, wo wir mit unserer rechtsstaatlichen Kontrolle der Geheimdienste stehen, nämlich fast am Nullpunkt. Das ist die Bedeutung der NSA-Affäre. Meine historischen Forschungen ergänzen die gegenwärtige Affäre mit dem Blick in die Vergangenheit, der unterstreicht, dass es sich nicht um einen außergewöhnlichen Einzelfall handelt, sondern um einen weiteren Höhepunkt einer sechzigjährigen Entwicklung.
Welche Konsequenzen sollten aus dem NSA-Skandal gezogen werden, vor allem hinsichtlich der Frage der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Kontrolle der Geheimdienste?
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Wenn wir etwas aus der aktuellen Affäre lernen wollen, dann kann es nur eine Konsequenz geben: Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass alles aus den Gesetzen gestrichen wird, was unter alliiertem Druck hineingeschrieben wurde. Als Erstes müsste Artikel 10 Absatz 2 des Grundgesetzes revidiert und gleichzeitig das G10-Gesetz neu geregelt werden, das immer noch die Rechte der Alliierten gesetzlich verankert. Des Weiteren müssten die betreffenden Artikel des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut gekündigt und ersatzlos gestrichen werden. Entsprechendes gilt für alle geheim gehaltenen deutsch-alliierten Vereinbarungen in Sachen Überwachung und Geheimdienste. Schließlich müssen die deutschen Geheimdienste endlich einer wirksamen rechtsstaatlichen Kontrolle seitens der Exekutive, der Legislative und vor allem der Judikative unterworfen werden. Nur so kann das Grundrecht auf Unversehrtheit des Post- und Fernmeldegeheimnisses, das es faktisch nicht mehr gibt, wiederhergestellt werden.
# Interview: Sebastian Range (Das Interview erschien zuerst in Hintergrund, Heft 4,2013)