Gesundheitspolitik

Der Karlatan – Folge 2

Erfahrener Arzt, international renommierter Wissenschaftler – so stellt sich Karl Lauterbach gerne vor einem Laienpublikum dar. Innerhalb der Fachwelt kann er mit dieser Inszenierungsstrategie nicht punkten. Zu fadenscheinig ist seine tatsächliche Qualifikation.

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Ein Arzt ohne Patienten, ein Wissenschaftler ohne Forschungsergebnisse? Lauterbachs Fassade bröckelt.
Foto: Raimond Spekking, Lizenz: CC BY 4.0, Mehr Infos

Der Karlatan – eine Hintergrund-Serie von Thomas Kubo

Übersicht und Links sämtlicher Folgen 1 bis 5

Während im ersten Teil Lauterbachs ärztliche Ausbildung und Erfahrung Thema waren, geht es in diesem Teil um seinen Berufsweg als Akademiker.

Wissenschaftlicher Tiefflieger

Möchte man Lauterbachs wissenschaftlichen Werdegang anhand seiner Veröffentlichungen nachvollziehen, wird man aus der Publikationsliste auf seiner Homepage, die das BMG als Antwort auf eine Presseanfrage angab, nicht schlau.1 Dort listet Lauterbach lediglich einige Veröffentlichungen zum Thema „Bürgerversicherung“ und „Gesundheit, Familie und Bildung“ auf. Es sind dreißig an der Zahl. Ferner ist seit dem Jahr 2015 seine Dissertation von der Harvard School of Public Health in der Rubrik „Publikationen“ genannt.2

Lauterbachs “Publikationsliste” kommt daher wie ein Onlineshop populärer Sachbücher – nicht wie die eines ernst zu nehmenden Professors.
Snapshot 8. Dezember 2015 WaybackMachine, Mehr Infos

Ein Abgleich mit den Publikationsdatenbanken erweckt jedoch einen diffusen Eindruck. Researchgate nennt 79 Publikationen,3 sein Profil an der T.H.Chan-School of Public Health 14,4 das für die medizinische Wissenschaft einschlägige PubMed hingegen 93. Mit einer Variation der Namenwahl kann man diese Zahl immerhin auf 109 erhöhen.5

In keinem einzigen der Harvard-Titel ist Lauterbach Erstautor. Bei den PubMed-Titeln ist er es in zehn Fällen; hier sind sechs Alleinautorschaften dabei. Bei genauerer Betrachtung: Ein Text ist ein Editorial. Ein Text ist ein Nachdruck aus der Zeitschrift „Führen und Wirtschaften“. Ein Text trägt den Titel „Auswirkungen von DRG’s auf die Krankenhausfinanzierung“ und sieht wie eine Erstautorschaft aus, trägt aber im Original Markus Lüngen als Co-Autor. Ein weiterer ist ein einseitiger Meinungsbeitrag mit dem Titel „Keine Angst ums ärztliche Honorar“.

Lediglich zwei Artikel könnten als Aufsätze mit Alleinautorschaft bewertet werden. Gesamtumfang: 12 Seiten. Nimmt man die Erstautorschaften hinzu, erhöht sich der Gesamtumfang um 26 Seiten auf 38.

Der eigenständige wissenschaftliche Ertrag schrumpft bei dieser Bilanz schnell zusammen. Wenn es um Stellenzuweisungen und Geldmittel oder die Zurückstellung vom Wehr- oder Zivildienst wegen herausragender Forschungsleistungen geht, setzt ein rationaler Bewertungsmaßstab jedoch eine plausibel nachvollziehbare Messung einer Einzelleistung fest.

Was für den weiteren Verlauf entscheidend ist:

Vor 1997 gibt es mit Ausnahme der beiden Dissertationen im Hinblick auf die Publikationen nichts, was in irgendeiner Form Lauterbachs wissenschaftliche Einzelleistung begründen könnte.

Behalten wir dieses Zwischenfazit in Erinnerung.

Das Schriftenverzeichnis

Eine archivierte Seite des Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie versammelt tatsächlich über 400 Texte, an denen Lauterbach zumindest namentlich beteiligt war.6 Die Zahl allein täuscht jedoch im Hinblick auf originäre Urheberschaft, das Genre und auch die Qualität. Aus diesen Listen lässt sich eine Gesamtliste kompilieren – vermutlich das erste einigermaßen vollständige Schriftenverzeichnis von Karl Lauterbach. Das Verzeichnis ist diesem Artikel als Anhang beigefügt.* Das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie stellt die Daten heute zurückhaltender dar – nämlich erst ab dem Jahre 2003.7 Warum wohl? Klarheit erhalten wir hier nicht: Eine Anfrage an Prof. Dr. Stephanie Stock, die kommissarische Leiterin des Instituts, blieb unbeantwortet.8 Gehen wir auch diese Liste durch:

Von den ca. 400 Texten sind etliche keine wissenschaftlichen Aufsätze. Nicht jeder Aufsatz ist wissenschaftlich. Damit ein Aufsatz dieses Prädikat erhält, muss er einen eigenständigen wissenschaftlichen Ertrag haben, in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht worden sein und in der Regel vorher ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben. Dies ist nur für einen Bruchteil der Texte der Fall. Es finden sich in der Liste aber dafür Leserbriefe, Interviews, Übersichtsarbeiten, Perspektiv-Artikel und Beiträge, die zu einer Reform aufrufen, ferner auch Dubletten (Mehrfachveröffentlichungen, Übersetzungen). Die Befundlage ist dieselbe wie bei der Betrachtung der wissenschaftlichen Aufsätze: Lauterbach ist nur in ganz wenigen Fällen Erst- oder Alleinautor. Welchen konkreten Anteil hat Lauterbach bei diesen Artikeln nun gehabt?

Exkurs: Sibutramin

Bei seinen häufigen Besprechungen von Studienergebnissen auf Twitter sprechen ihm Fachleute die Kompetenz ab, den Inhalt der Studien korrekt wiederzugeben.9 Man könnte auch andersherum fragen: Hat Lauterbach selbst in seinen Leben einmal eine randomisierte Doppelblind-Studie publiziert, den Goldstandard der evidenzbasierten Medizin? In der Liste seiner Publikationen gibt es eine einzige mit ihm als Co-Autor.10 Diese hat ausgerechnet das Medikament „Sibutramin“ zum Thema, das später wegen schwerwiegender Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde. Die Rolle von Lauterbach und seinem Institut in der Förderung dieses Medikaments zur Gewichtsreduktion ist zwar dokumentiert, aber noch längst nicht aufgearbeitet worden.11

Studiengänge und Abschlussjahre

Werfen wir zum Schluss dieses Teils einen Blick auf seine Harvard-Abschlüsse. Wenn Lauterbach von seiner „Zeit in Harvard“ spricht, bezieht er sich zwar auf einen zusammengehörenden Universitätskomplex, der ist aber kein monolithisches Gebilde. Genauer: Lauterbach studiert an der Harvard School of Public Health, die im Jahre 2014 dann in T.H.Chan School of Public Health umgetauft worden ist, nachdem der Namensgeber eine großzügige Spende in Höhe von 350 Mio. US-Dollar hinterlassen hatte.12 Dieser Institution bleibt Lauterbach bis heute verbunden.13 Selbst die dort erlangten Abschlüsse werfen Fragen auf. Die Pressesprecherin der T.H. Chan School antwortete in einem AFP-Faktencheck14 auf die Nachfrage nach den korrekten Namen seiner Abschlüsse so:

Der Registrar der Harvard T.H. Chan School of Public Health bestätigte Dr. Lauterbach folgende Abschlüsse: Master of Public Health (1990 erhalten), Master Science mit Schwerpunkt Health Policy und Management (1991) und einen Doktortitel (1995).

Sein zweiter Master-Abschluss wird in Lauterbachs Lebenslauf allerdings auf das Jahr 1992 platziert. Es soll Eheleute geben, die mal den Hochzeitstag vergessen; aber kann ein Gesundheitsminister, dessen wissenschaftlicher Werdegang heute Teil seines Politikstils ist, nicht das korrekte Jahr seines Abschlusses angeben? Lauterbachs Zusatzangabe in seinem Lebenslauf „mit Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy and Management“ bei seinem ersten Master findet sich in der Antwort des Registrars ebenfalls nicht.

Vieles bleibt nebulös.

Im nächsten Teil geht es um die Frage, wie Lauterbach seinen Professorentitel erlangt hat.

 

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Anmerkung Redaktion: Die Rechercheergebnisse des Autors sowie dieser und die folgenden Artikel wurden von unabhängigen Experten, darunter Hochschullehrer und promovierte Mediziner, überprüft. Die Namen sind der Redaktion bekannt. Sämtliche Stufen der Karriereleiter wurden minutiös mit Quellen belegt. Allerdings hält der Bundesminister sich selbst bedeckt. Das erst machte die vorliegende Arbeit nötig. Sollte es dennoch zu Ungenauigkeiten oder sogar Fehlern in der Berufsbiografie gekommen sein, bitten wir um eine Nachricht an redaktion@hintergrund.de

 

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* Anhang:

Ergänzung 25.3.2023 – bitte beachten: Durch neue Recherchen im Rahmen der Folge 5 dieser Serie sowie des weiterführenden Artikels vom 21.3.2023 – Sein größter Bewerbungs-Coup – haben sich Erweiterungen und Korrekturen der Publikationsliste ergeben. Sie lesen dazu Details in Folge 5 sowie in dem o. g. verlinkten Artikel.

Quellen

2 Vgl. auch Thomas Trappe: Karl Lauterbach. Der Karrierewissenschaftler, Tagesspiegel Background (18. Mai 2022, aktualisiert 31. August 2022). Online: https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/der-karrierewissenschaftler. Hier irrt Thomas Trappe allerdings in einem Punkt. Die Doktorarbeit lässt sich noch früher als 2020 zurückverfolgen, nämlich bis zum Dezember 2015: https://web.archive.org/web/20151208054255/http://karllauterbach.de/person/publikationen.html

8 Anfrage per Mail vom 12. September 2022.

9 Vgl. hierzu exemplarisch Christian Schöps: Zwischenruf: Wenn der Gesundheitsminister (der Herzen) über wissenschaftliche Literatur twittert (6. Dezember 2021). Online: https://brainpainblog.org/2021/12/06/zwischenruf-wenn-der-gesundheitsminister-der-herzen-uber-wissenschaftliche-literatur-twittert/.

10 Hauner et al: Weight reduction by sibutramine in obese subjects in primary care medicine: the SAT Study. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2004 Apr;112(4):201-7. doi:10.1055/s-2004-817934.

11 Für eine Zusammenfassung vgl. die Quellen bei Werner Rügemer: Der Harvard-Influencer, in Thomas Kubo: ApoKarlypse. Kernschmelze im Panik-Reaktor, Münster (2022: S. 5), sowie Achgut.Pogo: Durchsicht: Das Gedächtnis des Dr. Lauterbach. Online: https://www.youtube.com/watch?v=KJg9WPnQE58.

12 Vgl. Harvard Public Health: A gift unsolicited, unrestricted, and unexpected. Online: https://www.hsph.harvard.edu/magazine/magazine_article/a-gift-unsolicited-unrestricted-and-unexpected/

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14 Jan Russezki: Karl Lauterbach hat an der Universität Harvard studiert, AFP-Faktencheck (15. September 2022). Online: https://faktencheck.afp.com/doc.afp.com.32JC9CR.

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