Innenpolitik

Der Erfurter Untersuchungsausschuss stochert im Nebel

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von Aufklärung weit entfernt: Morgen, am 17. Juli, will man in Erfurt weiter das Versagen der  Behörden im Fall der rechten Terrorzelle NSU aufklären. Bisher haben die Verantwortlichen wenig Einblicke gewährt. –

Von ROLF NETZMANN, 16. Juli 2012 –

Ein Behördenchef, der auf dem Flur Fahrrad fährt oder in seinem Dienstzimmer bei Käse und Wein mit sechs Damen zusammensitzt und seinen Abteilungsleiter auffordert, ihm in deren Anwesenheit geheime Dinge zu erzählen.

Wer dabei an Helmut Roewer, den Ex-Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, denkt, liegt richtig. Diese und andere Fakten hat Katharina König öffentlich auf ihrer Homepage veröffentlicht. König sitzt für die Linkspartei im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages. Wobei dieser Untersuchungsausschuss in den letzten Tagen eher wie eine Bühne für Komödianten als ein seriöser Parlamentsausschuss wirkte. Die Darsteller waren jedoch keine Comedians, sondern der promovierte Jurist Helmut Roewer, sein Referatsleiter Rechtsextremismus, Karl-Friedrich Schrader, der ehemalige Innenminister Franz Schuster und der V-Mann-Führer Norbert Wießner, um nur einige zu nennen.

Anders als der scheidende Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, der vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages Fehler zugab, wirkte Helmut Roewer nur knurrig. Es schien ihm sichtlich nicht zu passen, dass er vor das Gremium zitiert wurde.

„Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23.00 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungsurkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.“ So antwortete Helmut Roewer auf die Frage seiner Ernennung. Und er setzte noch einen drauf. „Nach meiner Information hatte nicht eine der Personen im Thüringer Landesamt die entsprechende Ausbildung. Außer mir“. (1)

Harm Winkler war Roewers Vorgänger und sagte vor dem Ausschuss: „Roewer erschien in meinem Dienstzimmer und erklärte mir, er sei der neue Leiter des Landesamtes. Auf meine Frage, ob er Interesse am Aufbaustand habe, sagte er mir, dass er kein Interesse habe“. (2)

Und der Ex-Staatssekretär Michael Lippert erklärte: „Ich habe keine Erinnerung, wie man auf Herrn Roewer kam. Ich habe keine Schreiben verteilt und auch nicht in die Jacken gesteckt und auch keine Ausstandsparties besucht“. (3)

Deutlicher wurde Franz Schuster, der als Innenminister (1992 bis 1994) für die Bestallung Roewers verantwortlich war: „Später hat sich dann bei mir ein Herr Roewer gemeldet, den ich nicht kannte und den ich nicht eingeladen hatte. Er hat mir mitgeteilt, dass er für die fragliche Stelle interessiert sei. (…) Ich habe mich über Roewer beim Bayerischen Innenministerium erkundigt. Warum? Weil Bayern einen Innenminister hatte, der sich besonders gut auskannte.“ Und weiter: „Ich hatte mich mit Herrn Beckstein über Herrn Roewer unterhalten, er war ihm aber nicht bekannt.“ (4)

Wie chaotisch es im Thüringer LfV zuging, verdeutlichte der V- Mann-Führer Norbert Wießner: „Über unsere V-Mann-Quellen wurde im Verfassungsschutz beim Kaffee im Flur geplaudert, es gab keinen Quellenschutz im Amt.“ Und noch etwas verriet der Ex-Beamte: „Der Roewer sollte mal aus dem Amt gedrängt werden, dafür wurde ein Dossier angefordert, dazu kam es aber nicht, die Person ist kurzfristig nach einem Urlaub verstorben.“ (5)

All dies sind Originalzitate aus den Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages vom 9.und 10. Juli 2012. Sie verdeutlichen den inneren Zustand einer Behörde, in der einander misstraut wurde und Intrigen zum Alltag gehörten. Helmut Roewer, in dessen Amtszeit die Anfänge der NSU fallen, führte das Amt autokratisch. Referate wurden aufgelöst, wenn er mit deren Leitern Ärger hatte und wer seine eigene Quelle „Günther“ war, weiß bis heute nur er. Dem Referatsleiter Rechtsextremismus, Karl-Friedrich Schrader, erteilte er 1999 Hausverbot. Bis 2005 bekam dieser seine vollen Bezüge, obwohl er nur zu Hause saß.

Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer leitete im Auftrag des Thüringer Innenministeriums eine im November 2011 eingesetzte Kommission, die die internen Abläufe im LfV untersuchte. Sein vernichtendes Fazit: Der Geheimdienst habe „durch sein Verhalten die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt“.

Bereits im Jahr 2000 waren die eklatanten Mängel des Amtes Thema eines Berichtes, den der Rechtsanwalt und spätere Innenminister Karl Heinz Gasser erstellte. Er kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Behörde sich „in einem labilen Zustand“ befinde. Es seien „gravierende Fehler des Behördenleiters festzustellen, die dazu geführt haben, dass die nachrichtendienstliche Funktionsfähigkeit des Amtes beeinträchtigt war“, heißt es weiter. Vor einigen Tagen wurde der Gasser-Bericht von Unbekannten im Netz veröffentlicht. (6)

Noch deutlicher formulierte es der vom hessischen Verfassungsschutz gekommene V-Mann-Führer Norbert Wießner, ein nüchterner Beamter. „Das war kein Nachrichtendienst mehr.“ (7)

Im Juni 2000 wurde Helmut Roewer von seinem Amt als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes suspendiert. Erst im Jahr 2010 wurde gegen Zahlung von 3000 Euro ein Untreueverfahren gegen ihn eingestellt. Er hatte unter dem Namen Stephan Seeberg den Heron Verlag als Tarnunternehmen des LfV geführt. Ein Behördenchef, der selbst ein Tarnunternehmen führt, ein V-Mann Führer, der Handys, Faxgeräte, Computer und einen Zuschuss zum neuen Auto vergibt, all dies war Normalität in Thüringen.

Unter Roewers Führung schöpften die Verfassungsschützer das Landeskriminalamt und die Polizei ab, ohne selbst relevante Informationen zu liefern. Im Vorfeld einer Fahndung warnte das Amt einen eigenen V-Mann, so dass dieser die Beamten lachend empfing, die Festplatte seines PC schon ausgebaut hatte und verschwinden lassen konnte. Tino Brandt, V-Mann des Verfassungsschutzes, gewaltbereiter Neonazi und NPD-Politiker, war sogar über Zielfahndungsmaßnahmen des LKA immer rechtzeitig informiert. Auch als gegen ihn ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Organisation (§ 129 StGB) lief, wurde er von Norbert Wießner weiter gegenüber Polizei und Justiz gedeckt. Polizeibeamte hatten vor dem Ausschuss immer wieder den VS verdächtigt, Neonazis vor Razzien gewarnt zu haben.

Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer macht den Thüringer Geheimdienst maßgeblich dafür verantwortlich, das Entstehen der Zwickauer Terrorzelle nicht erkannt zu haben. Und er benennt als möglichen Grund dafür auch „Querelen mit dem Präsidenten“. Helmut Roewer unterstand als Präsident nicht – wie sonst üblich – der Fachaufsicht des Innenministeriums, zumindest nicht während der Jahre 1994 bis 1999, der Amtzeit des damaligen Ministers Richard Dewes’.

Im Gasser-Bericht heißt es dazu, dass die „Fachaufsicht, die dem Innenministerium oblag, praktisch über Jahre ausgeschaltet“ war. Denn Roewer habe darauf bestanden, ausschließlich Dewes zu berichten. So ist laut MDR, dem der Bericht vorliegt, auf Seite 11 zu lesen, Roewer sei bei Dewes „ein- und ausgegangen, ohne dass das zuständige Aufsichtsreferat über den Inhalt der Gespräche informiert wurde“. Auch der Versuch des damaligen Staatssekretärs Peter Krämer, diesen Zustand zu ändern, scheiterte offenbar. Gasser notiert, „Krämer habe mit Herrn Dr. Roewer einen Gesprächstermin vereinbaren lassen, jedoch habe Herr Minister Dr. Dewes das Gespräch eine Stunde vor dessen Beginn durch Anordnung unterbunden.“ (8)

Und der damalige Referatsleiter Karl-Friedrich Schrader, der vor seiner Geheimdienstzeit Polizist war, berichtete vor den Abgeordneten: „Roewer und die Leiterin vom Referat Ausländerkriminalität, Frau Timpel, haben selber Quellen geführt und sich eines Tages in Weimar bei einer Buchpräsentation mit Klarnamen in einem Zeitungsartikel porträtieren lassen. Eines Tages schmiss eine V-Person, geführt von der Frau, einen Stein an ihre Privatwohnung. Sie durfte auf Kosten des Freistaates direkt nach Erfurt umziehen – aus Sicherheitsgründen. Und, wie sich dann herausstellte, war sie Roewers Geliebte und später seine Frau.“ (9)

Nun stellt sich die Frage, wie der ehemalige Panzeroffizier, Jurist und Beamte beim Bundesinnenministerium, Helmut Roewer, Chef des Thüringer LfV werden konnte? Roewer selbst sagt dazu nur: „Es gab viele im Amt die nichts konnten, und nur wenige die fortgebildet werden konnten. Ich galt als Spitzenkraft auf dem Gebiet Verfassungsschutz.“ (10)

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Roewer das politische Chaos – unerfahrene Politiker in verantwortlichen Positionen – vier Jahre nach der Gründung des Freistaates Thüringen eiskalt für sich ausgenutzt hat. Und dass er sich selbst maßlos überschätzte, was seine Fähigkeiten zur Leitung eines effektiv und geräuschlos arbeitenden Geheimdienstes betrifft.

Im Gasser-Bericht findet sich dazu ein weiteres Beispiel. Die Einstellung von jungen Hochschulabsolventen, die dann sofort in Führungspositionen kamen, sei eine eklatante Fehlentscheidung gewesen. Dadurch sei es zu einem ständigen Streit zwischen altgedienten Geheimdienstlern und ihren neuen Vorgesetzten gekommen. Gasser schilderte den Fall eines Beamten, der eine Entscheidung seines Chefs als unsinnig kritisierte. Kurz darauf sei er von Roewer angerufen und beauftragt worden „stündlich“ einen schriftlichen Bericht über seine Arbeit abzugeben. Gasser kommt zu dem Schluss, dass „die Neuausrichtung des Landesamtes für Verfassungsschutz in den Jahren 1994 bis 1999 misslungen“ sei. Bei „Personalwahl, -struktur und -führung (…) sind gravierende Fehler festzustellen“. (11)

Vor den Abgeordneten liegen noch Wochen langwieriger Ermittlungen. Doch schon heute wird deutlich, dass unter der Führung von Helmut Roewer der Thüringer VS weder effektiv arbeitete noch kooperativ gegenüber anderen Ermittlungsbehörden war. Roewers ehemalige Mitarbeiter offenbarten enorme Erinnerungslücken, wenn sie konkrete Fragen beantworten sollten. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass hier noch weitere „Leichen im Keller liegen“.

Und nicht nur dort. Vergangene Woche ist eine weitere Akten-Vernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt geworden. Wie das ARD-Magazin Monitor berichtete, wurden nicht nur – wie zuvor  bekannt geworden war – am 11. November 2011, unmittelbar nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle,  Akten vernichtet. Dabei handelte es sich um sieben Aktenordner zur „Operation Rennsteig“, bei der zwischen 1997 und 2003 V-Leute des Verfassungsschutzes in der Thüringer Neonazi-Szene im Einsatz waren.

Tage später sei noch einmal ein Aktenordner geschreddert worden. Das Bundesamt bestätigte inzwischen die Darstellung der Monitor-Sendung, betonte aber, es habe sich dabei um ein und denselben Vorgang und allesamt um Akten zur „Operation Rennsteig“ gehandelt. Die Vernichtung der entsprechenden Akten sei lediglich in zwei Schritten erfolgt.

In den vergangenen Tage wurde auch über eine mögliche Aktenvernichtung beim sächsischen Verfassungsschutz spekuliert. Die Behörde bestritt am Samstag allerdings Zeitungsberichte, wonach Akten zum Fall des NSU betroffen seien.

Unterdessen tauchten andere Akten im Zusammenhang mit dem NSU wieder auf, dieses Mal in Thüringen. In Archiven der Kriminalpolizei seien dort Tausende Dokumente gefunden worden, die zwanzig Ordner füllten, meldete MDR-Thüringen am Sonntag in Erfurt.

Die neuen Papiere in Thüringen enthalten laut dem Fernsehsender Einzelheiten zu Ermittlungen gegen die rechtsextreme Vereinigung „Thüringer Heimatschutz“, in der Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglieder waren. Die Unterlagen aus den Staatsschutzkommissariaten hätten in diesem Umfang bisher weder den Ermittlern beim Bundeskriminalamt, noch den Untersuchungsausschüssen von Bund und Land oder der Schäfer-Kommission vorgelegen, die mit den Thüringer Ermittlungspannen befasst ist.

Die Vorsitzende des Thüringer Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD), nannte es am Montag einen Skandal, dass die Unterlagen aus den Archiven der Kriminalpolizei erst jetzt auftauchen. „Die politische Verantwortung dafür liegt beim Innenministerium, offensichtlich ist der Wille zur Aufklärung immer noch nicht so stark ausgeprägt.“

Wie es um den Aufklärungswillen des ehemaligen Leiters des thüringischen Verfassungsschutzes bestellt ist, lässt seine Antwort auf die fünfmal im Untersuchungsausschuss wiederholte Frage erahnen, ob er die Entwicklung der rechtsextremen Szene in seiner Amtszeit kurz skizzieren könne. Roewers immer gleichlautende Antwort: „Gucken Sie in die Verfassungsschutzberichte aus dieser Zeit.“

Morgen, am 17. Juli, tritt der Ausschuss erneut zusammen. Vorgeladen ist unter anderem Peter Nocken, der eine steile Karriere vom V-Mann und Beschaffungsleiter zum Vizepräsidenten des Amtes für Verfassungsschutz hinlegte und dessen Name in einer ganzen Palette von Verfassungsschutzskandalen auftaucht.


(1) http://haskala.de/2012/07/09/top-aussagen-im-untersuchungsausschuss/

(2) http://haskala.de/2012/07/10/eindrucke-vom-untersuchungsausschuss-am-10-7-2012/

(3) http://haskala.de/2012/07/10/eindrucke-vom-untersuchungsausschuss-am-10-7-2012/

(4) http://haskala.de/2012/07/10/eindrucke-vom-untersuchungsausschuss-am-10-7-2012/

(5) http://haskala.de/2012/07/09/top-aussagen-im-untersuchungsausschuss/

(6) http://dl.dropbox.com/u/90473049/Untersuchungsbericht_Th%C3%BCringen_LfV_23082000.pdf

(7) http://www.taz.de/Thueringer-Ausschuss-zum-Terrortrio/!96996/

(8) http://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Gasser-Bericht-Roewer-ging-bei-Dewes-ein-und-aus-1367678962

(9) http://haskala.de/2012/07/09/top-aussagen-im-untersuchungsausschuss/

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(10) http://haskala.de/2012/07/09/top-aussagen-im-untersuchungsausschuss/

(11) http://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Gasser-Bericht-Roewer-ging-bei-Dewes-ein-und-aus-1367678962

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