Das Whataboutism-Syndrom
Wer auf Widersprüche hinweist, gilt als Verräter. Aber es geht doch um die Opfer von Corona!, hieß es zwei Jahre lang. Jetzt geht es um die Opfer des Krieges. Wer auf dessen Ursachen hinweist, wird mit dem Vorwurf des Whataboutism konfrontiert. Das ist nicht anders als in den vergangenen Jahren und mit Corona. Unser Autor sieht viele Parallelen.
Was hat der „Krieg gegen das Virus“ mit dem Krieg in der Ukraine zu tun? Gibt es Mechanismen, die wir zu Corona-Zeiten eingeübt haben und nun nur noch fortführen? Ich sehe einen ganz bestimmten Mechanismus weiter wirken: Der Whataboutism. Damit wird laut Wikipedia abwertend ein Verfahren bezeichnet, „bei dem eine kritische Frage oder ein kritisches Argument nicht beantwortet oder erörtert, sondern mit einer kritischen Gegenfrage erwidert wird.“ Aber so einfach ist es nicht. Denn es handelt sich dabei um einen Mechanismus, der bei Corona wie beim Krieg die Opfer in den Vordergrund stellt und dahinter alles abschneidet. Er stellt die Opfer also frei. Bei Corona fragte man nicht, warum die Krankenhäuser überfüllt sind und beim Ukraine-Krieg fragt man nicht, ob es nicht genug Belege dafür gibt, dass er von denen gewollt war, die jetzt die Opfer beklagen.
Zentral für den Whataboutism ist, weder nach der Genese, noch nach den Bedingungen zu fragen, die eine Situation geschaffen haben (oder gar gewollt haben), aus der uns jene ‚befreien‘ wollen, die sie mit zu verantworten haben. Zu diesem Whataboutism-Trick gehört auch das absolute Gebot der Solidarität mit den Corona-Opfern und der alles überblendenden Solidarität mit den Opfern in der Ukraine. Alles andere ist damit vom Tisch und zugleich verdächtig, nicht opfernah zu sein.
Das Whataboutism-Syndrom könnte man mit Blick auf den Ukraine-Krieg frei so übersetzen: Ja, natürlich kenne ich die Vorgeschichte. Aber was soll das jetzt? Jetzt geht es um die Opfer im Krieg! Ja, das weiß ich doch, dass Regierungen nicht Werte beschützen, sondern wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Aber was hat das jetzt mit dem Krieg zu tun? Und natürlich ist es ein alter Hut, wenn man sagt, dass das Recht des Stärkeren an jeder Ecke der Welt gilt und am allerwenigsten das Recht von Gleichen für Gleiche, in diesem Fall das Völkerrecht. All das wissen die Whataboutism-Organismen aus dem Effeff und/oder wischen es ganz schnell vom Tisch. Denn jetzt spielt bei ihnen all das keine Rolle mehr – auf eine geradezu esoterische Weise. Denn alles, was man bisher wusste, wird von der Frage zugedeckt und erstickt: What about the victims des Krieges? Willst du diese kleinreden oder gar leugnen? Deine Kritik relativiert, was nicht zu relativieren ist!
Diesem Whataboutism-Syndrom bin ich ganz oft in den Corona-Jahren begegnet. Und das bei ganz vielen, zumindest bei viel zu vielen Linken, die das, was ihnen mal wichtig war, nun nicht mehr wichtig fanden.
Wer in Corona-Zeiten einwarf, dass es diesen Regierungen noch nie um unsere Gesundheit ging und schon gar nicht um ein solidarisches Miteinander, der erntete ein müdes Lächeln. Wer dazu aufrief, Wissenschaftskritik, Herrschaftskritik, Staatskritik zu üben, die vor Corona als eine linke Selbstverständlichkeit gepflegt wurde, der ging ihnen auf den Nerv.
Für mich persönlich war dieser Whataboutism in der Linken und unter meinen Freunden viel schmerzhafter als die erwartbare und doch sehr konsistente Regierungspolitik, die diesen Whataboutism perfekt bespielte und bereitwillig so tat, als ob Regierung und (Rest-)Linke ein und das selbe Instrument spielen: Das der Solidarität … mit den Schwächsten.
Die Befürchtung, dass diese Corona-Einübungen mit sinkenden Fallzahlen und sonstigen Markern nicht wegfallen, sondern eine Gesellschaft neu formatieren werden, lag – mit Blick auf vergleichbare historischen Ereignisse – nahe. Dass der Corona-Ausnahmezustand nahtlos in einen (Vor-)Kriegszustand übergeht, wäre für mich keine glaubhafte Entwicklungstendenz gewesen, eher etwas für jene, die tatsächlich mit Verschwörungsideologien arbeiten.
Nun haben wir diesen Zustand, aber nicht als ideologische Entfremdung wirklicher Prozesse, sondern als Kriegszustand – bis an die „dritte Front“. So bezeichnet die britische Kulturministerin Nadine Dorries die Gebiete, die nicht unter letalem, sondern unter formativem Beschuss liegen. Die Mobilmachung der Gesellschaft, ihre innere und äußere Militarisierung … die Binarität von komplexen Verhältnissen. Also die Zuspitzung dessen, was schon in Corona-Zeiten vorgeübt wurde: Im diesem herrschaftsförmigen Diskurs gab es nur „Corona-Leugner“ und das regierungstaugliche Ensemble der „Solidarischen“. Wer ganz und gar nicht in dieser Binarität aufgehen wollte und will, hat/te wenig Freu/n/de und ganz viele Feinde.
Umso mehr freut man sich, wenn von unerwarteter Seite etwas kommt, was sich diesen geistigen Schutzräumen entzieht. Es war ein Beitrag in der linken Tageszeitung „Junge Welt“ (jW). Ich hatte meinen freien Mitarbeiterstatus vor Jahren eingestellt. Damals hatte ein Freund Stasi-Tätigkeiten völlig berechtigt infrage gestellt – die Zeitung hingegen sah darin „gelebten Antifaschismus“ und hat meinen Freund als „freien Zuträger“ gestrichen. Dieser Umgang war und ist für mich inakzeptabel: Wenn wir Konflikte und notwendige Meinungsverschiedenheiten per (Produktions-)Macht entscheiden, hört eine Linke – von sich aus – auf zu existieren.
Aber auch das gehört zu einem Grundverständnis einer Linken, die man am Umgang mit Widersprüchen erkennen und schätzen lernen kann. Man kann trotzdem Beiträge schätzen, die für eine bitter nötige gemeinsame Debatte hilfreich und fruchtbar sind. Dazu gehört der Beitrag von Felix Bartels mit dem Titel: „Daheim ist, wo der Hauptfeind steht“. Er setzt sich mit der Linken an der „dritten Front“ auseinander. Dort wird der sehr passende Begriff vom Whataboutism im Kontext des Krieges in der Ukraine eingeführt und begründet:
„Wer dieser Tage ein Gedächtnis hat, braucht für Anfeindungen nicht zu sorgen. Man räumt schon irgendwie ein, dass der Ukraine-Krieg eine Vorgeschichte habe, die NATO seit 1991 Expansion gen Osten betreibe und ihrerseits auf eine stattliche Geschichte militärischer Aggression zurückblicken könne. Doch findet man, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, all das zu erwähnen. Vermutlich, weil in der Geopolitik nichts mit irgendwas zusammenhängt.“[1]
Dieses Whataboutism-Trick findet internationale Anwendung. Auch die australische Journalistin Caitlin Johnstone spricht darüber, wenn sie die völkerrechtswidrigen Kriege der USA und Großbritanniens benennt:
„Wenn man auf diesen offensichtlichen logischen Bruch in Diskussionen über die Legalität von Wladimir Putins Invasion hinweist, wird einem oft „Whataboutism“ vorgeworfen – das bringen Anhänger des Imperiums gerne lautstark vor, wenn man gerade auf erdrückende Beweise dafür hingewiesen hat, dass das Verhalten ihrer Regierung ihren Standpunkt zum Thema klar widerlegt.“ [2]
Und ein weiterer Punkt überrascht mich in dem Beitrag von Felix Bartels. Er geht sehr klar der Verlockung aus dem Weg, Russland von der Verantwortung frei zu sprechen , weil der Westen sich spätestens 2014 auf die Seite der Ukraine gestellt hat. Dass Bartels nicht in diese Falle gegangen ist, gehört zu einem sehr wichtigen Lernprozess eines Antiimperialismus, der eben nicht der Logik gehorcht: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Nein, das ist eben Russland, also die russische Regierung ganz und gar nicht. Und so fällt die Einordnung so aus:
„Den Bürgerkrieg in einem benachbarten Land zum Vorwand nehmen, dessen Souveränität zu verletzten, es anzugreifen und den von der unterdrückten Minderheit bewohnten Teil mit Gewalt aus ihm herauszulösen, um diesen militärischen Akt dann nachträglich durch ein auf diesen Teil des Landes beschränktes Referendum zu legitimieren – in dieser Beschreibung lässt sich, solange man keine Namen nennt, sowohl der Krieg in der Ukraine als auch der im Kosovo wiedererkennen. Russland vollzieht heute Schritte, die die NATO seit Jahrzehnten vortanzt.“
Am Ende seines Beitrages steht eine Selbstverortung, die ebenfalls viele geschichtliche Erfahrungen berücksichtigt. Wir können den Kriegsnebel an irgendeinem Ende der Welt nicht wegblasen. Wir können aber recht genau und mit sehr viel Erfahrung sagen, warum diese Bundesregierung Partei für die Ukraine ergreift. Das hat mit Solidarität nichts zu tun, liegt vor dem Krieg und zum guten Teil nicht im gegenwärtigen Kriegsgebiet. Gemeint ist u.a. die Rolle der NATO, der US-Regierung und der deutschen Bundesregierung. Dementsprechend naheliegend (und heimatverbunden) ist seine Konsequenz: „Deutsche Linke verteidigen ihre Ehre nicht am Don, sie verteidigen sie an der Spree.“
Die Friedenstaube mit Long Covid Symptomen
Wenn die Zusammenhänge von der Genese eines Konfliktes verdunkelt bis geschwärzt werden, führt das zu sehr bizarren Konsequenzen. Das ist nicht nur eine Sicht auf die (in der Tat) komplexen Bedingungen. In Frankfurt wie in vier weiteren Städten wurde zu Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine am 13.3.2022 aufgerufen. Nach Veranstalterangaben beteiligten sich daran etwa 120.000 Menschen:
„Stoppt den Krieg! Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine – unter diesem Motto ruft ein breites Bündnis aus mehr als 50 Organisationen für Sonntag zu Großdemonstrationen in fünf deutschen Städten auf. Frankfurt ist mit dabei. Tausende Menschen werden in der Mainstadt ein Zeichen gegen den völker- und menschenrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands setzen und für ein Europa des Friedens, der Solidarität und der Abrüstung auf die Straße gehen. ‚Solidarität mit den Ukrainer*innen ist das Gebot der Stunde‘. (…) Unser Ziel sind Friedensverhandlungen, die in einem atomwaffenfreien Europa gemeinsamer Sicherheit, des Friedens und der Abrüstung unter Einschluss von Ukraine und Russland münden. (…) Wir bekennen uns zum Ziel gemeinsamer Sicherheit und fordern eine aktive Friedenspolitik.“ [3]
Es hat einen Grund, dass schwammig und gewollt unkonkret über „gemeinsame Sicherheit“ und „Friedensverhandlungen“ geredet wird. Man will nicht im Geringsten über all die (Friedens-)Verhandlungen reden, die bereits stattgefunden haben und die man bewusst und vorsätzlich gegen die Wand hat fahren lassen. Das würde das Bild des kriegslüsternen „Putin“ nur stören.
Das wiederum ist ganz und gar nicht gedankenlos. Denn die Rednerliste für die Friedensdemonstration in Frankfurt hat es in sich. Ganz oben auf der Liste stand Peter Feldmann von der SPD und Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Zudem sollten Repräsentantinnen und Repräsentanten von Attac bis Friday for Future zu Wort kommen.
Peter Feldmann hat also auf einer Friedensdemonstration geredet. Er gehört der Partei an, die faktisch und ganz materiell aufseiten der Ukraine kämpft. Die SPD unterstützt nicht nur politisch sondern auch massiv mit Waffenlieferung die Ukraine. Und der Oberbürgermeister gehört der Partei an, die 100 Milliarden Euro für noch mehr Krieg aus dem Nichts heraus bereitstellt.
Gerade ein Repräsentant der SPD wie Peter Feldmann weiß um die Genese eines Konfliktes, der nicht über Nacht, sondern geradezu gewollt zu einem Krieg führte. Denn die Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen, bevor er zu einem Krieg führt, lagen nicht nur auf dem Tisch. Gerade auch die deutsche Seite spielte bei der absoluten Weigerung, auf die Forderung der russischen Regierung einzugehen, eine maßgebliche Rolle.
Es ist eben kein Konflikt, der mit der Annexion der Krim 2014 begann, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt Ausdruck einer strikten Weigerung war, die Vereinbarungen und Zusagen einzuhalten, die im Rahmen der 2 plus 4 Verhandlungen gemacht wurden: Keine Osterweiterung der NATO. Da diese Zusagen ohne vertragliche Fixierung gemacht wurden, gibt es jetzt auch gewollte Uneinigkeit über den Inhalt der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen. Die aller meisten schweigen dazu, ein paar Wenige aus der Kriegsallianz wissen nichts von diesen Vereinbarungen – wie der Nato-Chef Stoltenberg, der etwas davon versteht, wie man Kriege führt bzw. sie unausweichlich macht. Er sagte im Dezember 2021: „Die NATO setzt den Prozess der Erweiterung fort. Wir haben bereits Montenegro und Nordmazedonien übernommen, ungeachtet der Proteste Russlands.“ [4]
Andreas Zumach ist Journalist und Publizist. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz – und UN -Korrespondent für die tageszeitung (taz). Er ist wahrlich kein „Putinversteher“, aber weigert sich der politischen Amnesie anheimzufallen. Am 6. Dezember 2021, dem Tag vor der Videokonferenz zwischen den Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Joe Biden, hatte Andreas Zumach in einem Kommentar in der „tageszeitung“ (taz) unter der Überschrift „Beide Seiten müssen deeskalieren“ geschrieben:
„Die […] Forderung, nur Putin müsse einen Schritt machen und die in der Tat besorgniserregende Konzentration von Truppen und schweren Waffen im Grenzgebiet zur Ukraine beenden, wird scheitern. Denn diese einseitige Forderung folgt dem im Westen weitverbreiteten Narrativ, die Konfrontation in den Beziehungen mit Moskau habe erst mit Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim im März 2014 und der seitdem anhaltenden Unterstützung der Sezessionisten im Donbas begonnen. Dieses Narrativ ist falsch. Die Verschlechterung der Beziehungen begann bereits mit der NATO-Osterweiterung, die ab 1996 vollzogen wurde. Es wurde das Versprechen gebrochen, das US-Außenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow Anfang Februar 1990 nachweislich gegeben hatten. Die Osterweiterung war ein schwerer historischer Fehler der Nato..“ [5]
Das deckt sehr genau mit dem, was Außenminister Genscher am 31. Januar 1990 in einem Vortrag vor der Evangelischen Akademie Tutzing gesagt hatte:
„Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“ [6]
Und ganz sicher wird gerade auch Helmut Schmidt vom Frankfurter Oberbürgermeister geschätzt. Er gehört zu den Granden in der SPD und ist ganz sicher kein „Putinversteher“ oder „Friedensträumer“. Helmut Schmidt, ehemaliger SPD-Kanzler in den 1970er Jahren steht für vieles, aber ganz sicher nicht für Pazifismus. Seine Partei hat dem Nato-Doppelbeschluss zugestimmt, ihn befürwortet und mit aller Gewalt umgesetzt. Damals, in den 1980er Jahren, ging es darum, den sozialistischen Ostblock „totzurüsten“. Der Westen wusste und kalkulierte damit, dass die Sowjetunion das Wettrüsten nicht durchhalten werde bzw. nur auf Kosten massiver sozialer Verwerfungen. Das Ziel war, die Systemkonkurrenz zu beseitigen – ohne Einsatz von Atomwaffen. Das gelang. Eigentlich hätten die Sieger zufrieden sein können. Der Ostblock zerfiel, der kapitalistische Westen bediente sich im Osten wie bei einem Ausverkauf. Mit diesem Sieg im Rücken war das Versprechen zu verkraften, dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnen werde, denn sie hätte sich ja nur gegen sich „verteidigen“ können. Ganz im Sinne eines Machiavellisten äußerte sich Helmut Schmidt in einem Interview aus dem Jahr 2014. Er wirft der EU-Kommission vor, „die Ukraine anzugliedern“. „Falsch sei auch, Georgien an sich zu ziehen. ‚Das ist Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen‘. (…) Weiter sagte Schmidt:
„Ich halte nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nicht von Forderungen nach mehr Geld für Rüstung der Nato. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag.“ [7]
Sage also niemand, die systematische Eskalation in und um die Ukraine sei nicht gewollt gewesen – genau mit dem Ziel, „die Ukraine anzugliedern“ und damit auch militärisch an die Grenze zu Russland vorzurücken.
Warum tut gerade die SPD (aber natürlich auch die CDU) nicht alles, um dieses (Partei-)Wissen aufzurufen, die Vereinbarungen offen zu legen, die mit der Wiedervereinigung einhergingen? Warum öffnet man nicht die Staatsarchive und sichtet die Dokumente und Protokolle, die angefertigt wurden?
Denn diese gibt es, nur nicht hier in Deutschland, das in der Ukraine auch für die Meinungsfreiheit kämpft. Um herauszubekommen, was man in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen verhandelt hatte, muss man ins britische Nationalarchiv gehen. Dort findet sich eine Aktennotiz des deutschen Vertreters Jürgen Chrobog zu einem Treffen der politischen Direktoren der Außenministerien der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in Bonn am 6. März 1991:
„Chrobog äußerte dem Vermerk zufolge:‚Wir haben in den Zwei-plus-vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe hinaus ausdehnen! Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten!‘“ [8]
Wenn also Peter Feldmann auf einer „Friedensdemonstration“ reden kann und darf, dann wäre es doch nur konsequent, wenn auch Rheinmetall, Heckler & Koch und die Bundeswehr Rederecht bekämen. Schließlich ist gerade letztere geradezu prädestiniert für Friedensarbeiten, schon sehr lange. Erinnert sei an den Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), der bei vollem Verstand 2004 ganz ungeniert feststellte: „Diese Bundeswehr ist die größte Friedensbewegung Deutschlands!“.[9]
Endnoten
[1] Daheim ist, wo der Hauptfeind steht, Felix Bartels, jW vom 12.3.2022: https://www.jungewelt.de/artikel/422482.krieg-in-der-ukraine-daheim-ist-wo-der-hauptfeind-steht.html
[2] Das Völkerrecht ist ein bedeutungsloses Konzept, wenn es nur für US-Gegner gilt, Caitlin Johnstone, NDS vom 21.3.2022: https://www.nachdenkseiten.de/?p=82117
[3] https://www.frankfurt-live.com/sonntag-gro-szligdemo-in-frankfurt-stoppt-den-krieg-141023.html
[4] Die Passage aus dem Artikel von RT DE zitieren die Nachdenkseiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=79128#h14
[5] https://taz.de/Ukraine-Krise/!5817255/
[6] Hans-Dieter Heumann: Hans-Dietrich Genscher. Die Biografie. Schöningh, Paderborn 2012, S. 280
[7] https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-krise-helmut-schmidt-wirft-eu-groessenwahn-vor-a-969773.html
[8] Der Spiegel, Heft 8/2022
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[9] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Bundeswehr/struck6.html
Der Autor
Wolf Wetzel war Autor der ehemaligen autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe und von 2011 bis 2015 Vorstandsmitglied von Business Crime Control Frankfurt. Er war in einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiv. Wetzel veröffentlichte u.a. 2015 das Buch “Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?” sowie “Der Rechtsstaat im Untergrund – Big Brother, der NSU-Komplex und notwendige Illoyalität”. Website: https://wolfwetzel.de/