BND-Affäre: Druck auf Bundesregierung wächst
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Von SEBASTIAN RANGE, 5. Mai 2015 –
Nachdem Kanzlerin Angela Merkel die von Edward Snowden ausgelöste Affäre über die ungehemmte Überwachungspraxis US-amerikanischer und britischer Geheimdienste vornehmlich mit Schweigen goutierte, empörte sie sich im Herbst 2013 erstmals öffentlich mit einem in den letzten Tagen von den Medien vielzitierten Ausspruch, an dem sie sich nun wird messen lassen müssen: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“. Anlass für das klare Statement war jedoch nicht das millionenfache Bespitzeln unbescholtene Bürger durch NSA und Co. Merkel hatte kurz zuvor erfahren, dass auch ihr eigenes Handy betroffen war – und „das geht gar nicht“.
Vollmundig versprach die Bundeskanzlerin daraufhin Aufklärung. Doch geschehen ist kaum etwas. Wenn etwas aufgeklärt wurde, dann zumeist gegen die Bundesregierung, und nicht durch diese selbst. So verhält es sich auch in der jüngsten BND-Affäre, bei der täglich neue Details ans Licht kommen, die Berlin in immer größere Erklärungsnot bringen. Wie bekannt wurde, spähte der Bundesnachrichtendienst im Auftrag der USA auch EU-Partner aus. Besonderes Augenmerk galt dabei offenbar Frankreich, Berlins traditionell engstem EU-Verbündeten. Mittels der BND-Abhörstation im bayerischen Bad Aibling wurden das französische Außenministerium und der Präsidentenpalastes in Paris ausgespäht. Auch die EU-Kommission in Brüssel wurde ausgehorcht, ebenso Behörden, Diplomaten und Regierungsstellen in anderen europäischen Ländern, etwa in Österreich.
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, gehe es dabei „im Kern um politische Ausspähung von europäischen Nachbarn und von EU-Institutionen“. Deutsche Politiker seien nicht unter den Spähzielen, deutsche Firmen sollen ebenfalls kaum betroffen sein. Zu den Zielen aus der Wirtschaft soll der frühere EADS-Konzern – heute Airbus – gehören. Das Unternehmen verlangte von der Bundesregierung eine Stellungnahme und kündigte an, wegen des Verdachts der Industriespionage Anzeige zu erstatten, wie ein Sprecher mitteilte. Wie die Bild-Zeitung am Samstag unter Berufung auf Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses berichtete, habe der deutsche Auslandsnachrichtendienst es nicht dabei belassen, die von der NSA angeforderten Daten zu beschaffen. Der BND soll demnach die Daten jahrelang selbst ausgewertet und in eigenen Berichten verwendet haben. Bei dem beschafften Material handele es sich nicht nur um sogenannte Meta-Daten, sondern auch um vollständige Aufzeichnungen von Telefongesprächen, E-Mails, Ton- und Textdateien. Die Hilfsleistungen für den US-Partnerdienst bezeichnete Linken-Fraktionschef Gregor Gysi als „Landesverrat“. Es sei „ein Skandal, dass der BND für die USA bis in die höchsten Spitzen und in Unternehmen in ganz Europa spioniert hat“, sagte er dem Mannheimer Morgen. Das sei „politische Spionage und Wirtschaftsspionage und als Landesverrat strafbar.“ Ohne weitere Begründung nannte BND-Präsident Gerhard Schindler den Vorwurf des Landesverrats „schlicht und einfach abwegig“.
Unterdessen verlangt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von der Bundesregierung Aufklärung. Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), sprach gegenüber der Passauer Neuen Presse von einem „gravierenden Vorgang“, sollte sich der Verdacht bewahrheiten. Während sich die französische Regierung bedeckt hält, sprechen manche französische Medien bereits von einem Staatsskandal. „Sollte sich herausstellen, dass der deutsche Geheimdienst mit Einverständnis der Regierung in Berlin – anders kann es nicht sein – als Unterhändler für die Amerikaner gehandelt und in den Fluren des Élysée-Palastes spioniert hat, so wäre das ein beispielloser Staatsskandal“, kommentierte am Samstag die in Straßburg erscheinende Regionalzeitung Dernières Nouvelles d’Alsace.
Konsultationsverfahren statt rascher Aufklärung
Im Zentrum der Geheimdienstaffäre steht der einst von der NSA gegründete und im Jahr 2004 an den BND übergebene Horchposten Bad Aibling bei Rosenheim in Bayern. Laut Snowden-Unterlagen unterhalten Abhörspezialisten der NSA dort jedoch nach wie vor eine eigene Kommunikationszentrale mit direkter Verbindung zum Datennetz ihres Arbeitgebers. Millionenfach übergab dort die NSA sogenannte Selektoren, also Suchmerkmale wie Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern, an die deutschen Kollegen, die anhand dieser Selektoren die abgehörten Kommunikationsströme filterten. Nach eigenen Angaben sortierte der BND vierzigtausend der Selektoren vorab aus, weil er sie für rechtswidrig hielt.
Der NSA-Untersuchungsausschuss will nun die Listen mit den unzulässigen Suchmerkmalen einsehen. Die Bundesregierung will aber zunächst Washington um Erlaubnis fragen, ob es die Informationen dazu offenlegen darf – ein entsprechendes „Konsultationsverfahren“ läuft noch. Das Vorgehen ist nicht nur Ausdruck der gewohnt unterwürfigen Haltung Berlins gegenüber der US-Regierung. Vielmehr will sich die Merkel-Regierung damit selbst aus der Schusslinie nehmen, da sie damit rechnen kann, dass das Weiße Haus einer Offenlegung der Listen nicht zustimmen wird – denn welches Interesse sollten die Vereinigten Staaten schon daran haben, die Zielpersonen ihrer Spionageaktivitäten preiszugeben?
Der SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, Christian Flisek, mahnte, das Konsultationsverfahren mit den USA dürfe nicht dazu eingesetzt werden, um Zeit zu schinden. „Das Kanzleramt muss eine eigene souveräne Entscheidung treffen. Man kann nicht von Aufklärung reden und das Schlüsselelement dazu nicht vorlegen“, rügte er. „Da ist mir herzlich egal, wie die Amerikaner das sehen.“ Das Parlament werde sich die Listen nicht vorenthalten lassen. „Das letzte Druckmittel wäre eine gerichtliche Klärung“, drohte Flisek. Auch der oberste Geheimdienstkontrolleur im Parlament, André Hahn (Linke), fordert die Herausgabe der Listen. „Wir können den ganzen Schaden erst bewerten, wenn wir diese Listen kennen.“ Berlin dürfe sich nicht hinter dem Konsultationsverfahren mit den USA verstecken. „Wo kommen wir denn da hin, wenn die Amerikaner über die Herausgabe der Listen entscheiden?“ Han wirft Berlin mangelnden Aufklärungswillen vor. „Die Regierung gibt immer nur das zu, was sie nicht mehr leugnen kann“. „Es geht nicht mehr, das Parlament mit Halb-Informationen abspeisen zu wollen. Das ist kein Umgang mit den gewählten Volksvertretern.“ Die Regierung würde nur „häppchenweise“ bestätigen, „was die Medien ohnehin schon herausgefunden haben“, kritisierte er.
Vorwürfe, wonach der BND der NSA über Jahre half, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen, waren vor einer Woche erstmals öffentlich bekannt geworden. Die Bundesregierung selbst will von dieser „das-geht-gar-nicht“-Praxis erst im März dieses Jahres erfahren haben. In dem Bestreben, die Angelegenheit auf den BND abzuwälzen, erklärte sie vergangene Woche, sie habe bei dem Geheimdienst technische und organisatorische Defizite festgestellt und „unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben“.
Damit ging das Bundeskanzleramt, das die Aufsicht über die deutschen Geheimdienste innehat, auf Distanz zum BND. Der frühere Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Bernd Schmidbauer (CDU), bezeichnete dieses Vorgehen als „Schande“. BND-Chef Schindler sei „von diesen Herren im Kanzleramt“ im Stich gelassen worden. „Dabei wäre es die vornehmste Aufgabe, Schindler in dieser Zeit den Rücken zu stärken.“
Die Retourkutsche des Auslandsgeheimdienstes erfolgte Tage später. Gegenüber Medien ließ der BND durchsickern, dass er dem Kanzleramt bereits vor Jahren von unzulässigen US-Spähzielen berichtet hatte. Kanzleramt und BND schöben sich gegenseitig die Verantwortung hin und her, meint die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner. Dabei werde nun viel über die Medien gespielt. Auch der Grünen-Obmann Konstantin von Notz sagt: „Man hat den Eindruck, dass das ‚blame game‘ oder Schwarzer-Peter-Spiel in vollem Gang ist und beide Seiten versuchen, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Aber es wird nicht nur einen Schuldigen geben können. So billig wird man nicht davonkommen.“ Schließlich habe das Kanzleramt die Aufsicht über den BND. Außerdem hätten einige Verantwortliche über die Jahre zwischen beiden Seiten gewechselt und mal einen Job im Geheimdienst-, mal im Regierungsapparat gehabt, erklärt Notz.
Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen in der Bundesregierung seit Jahren über die Praxis im Bilde sind und diese gedeckt haben. Im Sinne einer außergewöhnlichen Grenzüberschreitung ist das im Grunde kein Skandal, sondern entspricht der üblichen Vorgehensweise der Merkel-Regierung, Recht und Gesetz der „transatlantischen Partnerschaft“ unterzuordnen, wenn dies vonnöten erscheint. (1)
Anmerkungen
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mit dpa
(1) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201504243516/politik/inland/der-bundesnachrichtendienst-ist-eine-kriminelle-vereinigung.html