Innenpolitik

Blockupy: Exzessive Polizeigewalt sorgt weiter für Empörung

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 5. Juni 2013 –

Die unter fadenscheinigen Begründungen erfolgte brutale Auflösung der Blockupy-Großdemonstration durch Kampfeinheiten der Polizei in Frankfurt am Main am letzten Samstag sorgt weiter für politischen Wirbel. (1)

Über dreihundert Menschen waren dabei durch den Einsatz von Pfeffergas und Schlagstöcken verletzt worden, nachdem sie zuvor stundenlang von der Polizei eingekesselt worden waren.

„Wer friedlich demonstrieren will, kommt nicht vermummt“, O-Ton Innenminister Boris Rhein                                  Foto: Philip Eichler

Aus den Reihen von SPD, Grünen und Die Linke hagelte es schwere Vorwürfe gegenüber den politisch Verantwortlichen. Während Die Linke Hessens Innenminister Boris Rhein zum Rücktritt auffordert, hält die SPD auch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses „angesichts der Größe des Skandals“ für angemessen. SPD-Chef Mike Josef sprach von „sehr friedlichen“ und „sehr bunten“ Protesten. Es habe „kein wirkliches Gefahrenpotential“ gegeben. Die Eskalation sollte der hessischen CDU in die Hände spielen, vermutet Josef. (2)

Auch Grünen-Innenpolitiker Jürgen Frömmrich äußerte den Verdacht, der Polizeieinsatz sei für eine „politische Inszenierung missbraucht“ worden. Die Polizei habe einen Angriff auf Grundrechte geführt, erklärte Manuel Stock, Fraktionschef der Grünen im Frankfurter Römer. (3)

Vor allem müsse die Frage geklärt werden, ob die Einkesselung von beinahe eintausend Demonstranten zuvor geplant gewesen sei. Als „völlig aus der Luft gegriffen“ bezeichnete Polizeipräsident Achim Thiel den Verdacht eines geplanten Vorgehens. Auch Innenminister Rhein nannte den Verdacht „abwegig“:  „Hier schießen Spekulationen und Verschwörungstheorien ins Kraut.“ (4)

Doch die Hinweise verdichten sich, dass die „Verschwörungstheoretiker“ recht haben und der Polizeipräsident und der Innenminister schlichtweg die Öffentlichkeit belügen. Denn beide wissen, was auf dem Spiel steht: Sollte sich der Verdacht des geplanten Überfalls auf die Demonstration bewahrheiten, würden sich wahrscheinlich auch SPD und Grüne den Forderungen der Linken nach personellen Konsequenzen anschließen.

Wie Bild am Montag berichtete, hätten Polizisten gegenüber dem Springer-Blatt bestätigt, dass die Einkesselung nicht spontan erfolgt sei, sondern von langer Hand geplant war. (5)

Mund halten: Demonstrant wird weggetragen – Foto: Philip Eichler

Chris Heimpel, offizieller Demonstrationsbeobachter der Stadt Frankfurt und SPD-Stadtverordneter, schilderte, wie ihm Polizisten gesagt hätten, dass die Blockade der Demonstration an jenem Ort Teil der Einsatzplanung gewesen sei. (6) In einem offenen Brief an Frankfurts Polizeipräsidenten Achim Thiel berichtete der Frankfurter Arzt Joachim Dlugosch, der mit seiner Familie an dem Protestzug teilgenommen hatte, von einer Begegnung mit einem Polizisten, der ihn zuvor gewarnt habe, das „gleich etwas passieren“ würde. (7)

Für einen gezielt geplanten organisierten Rechtsbruch seitens der Exekutive sprechen auch die Aussagen von Beobachtern, denen zufolge die Polizei bereits zuvor an der Stelle des Kessels massiv Kräfte konzentriert hatte, während auffallend wenig Polizisten entlang der nachfolgenden Route postiert waren. Teile der gerichtlich genehmigten Route sollen sogar mit Stacheldraht abgesperrt worden sein.

„Ich prügle dir die Birne zu Matsch“

Immer mehr erschütternde Details des Ausmaßes der Polizeibrutalität sind dank der Erfahrungsberichte von Augenzeugen in den vergangenen Tagen bekannt geworden.

Rücksichtlos hätten sich die Beamten durch die Menge geprügelt, so Demonstrationsbeobachter Heimpel. Menschen, die blutend am Boden lagen, wurden einfach weggeschleift. Die Polizei habe ihr Vorgehen auch dann nicht gemäßigt, nachdem die Demonstranten alle Gegenstände abgelegt hatten, die laut den Gesetzesvertretern gegen das Vermummungsverbot verstießen. (8) Die taz sprach von „etlichen Schwerverletzten“. „Ein Demonstrant lag regungslos am Boden, zwei Polizisten schleiften ihn mehrere Meter hinter sich her, bis Pressevertreter Sanitäter riefen. Der Kommentar eines Polizisten: ‚Der tut doch nur so‘“, schildert die Tageszeitung die Polizeigewalt. (9)

Straftäter? Brillen und Regenschirme fielen laut Polizei unter das Vermummungsverbot – Foto: Philip Eichler

Die Neue Rheinische Zeitung veröffentlichte einen Erlebnisbericht des 64-jährigen Ökonomen Axel Köhler-Schnura. (10) Über Stunden hätten Beamte „geprügelt und Unmengen von Kampfgas“ versprüht.

Die „Flut der Verletzten“ sei nicht abgerissen. „Nichts konnte die Einsatzkräfte stoppen. Nicht die im Kessel befindlichen Bundestagsabgeordneten, nicht die eingekesselten Kinder. Einzeln wurden nacheinander über die vielen Stunden hinweg unter brutaler Gewaltanwendung Hunderte von DemonstrantInnen im Kessel festgenommen.“

Ein Polizist im „Adrenalin-Rausch“ habe mit gezücktem Knüppel vor ihm gestanden und gesagt: „Ich prügle dir die Birne zu Matsch“.

Der Ökonom berichtet aber auch von Polizisten, die sich von der Brutalität ihrer Kollegen schockiert zeigten. „Ein junger Polizist brach unter seinem Visier in Tränen aus – er stammelte: ‚Das geht doch nicht, das sind doch alte Menschen‘.“ Ein anderer junger Polizist habe die Ehefrau des 64-jährigen  vor dem „Gewaltrausch“ seiner Kollegen geschützt.

Auch unter den Beamten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Frankfurter Polizei herrsche „massiver Frust über den Einsatz“, berichtet die Frankfurter Rundschau. Scharf kritisierten sie das „unprofessionelle Vorgehen“ ihrer Kollegen: „Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“ Dabei sei es „vollkommen klar gewesen, dass die allermeisten der eingekesselten Demonstranten keine Gewalttäter waren“, so die Beamten. Man rechne daher mit zahlreichen Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung. (11)

Tumultartige Szenen

Eine am Montag abgehaltene Pressekonferenz von Vertretern des Innenministeriums und der Polizeiführung trug kaum zur Beruhigung der Gemüter bei. Stattdessen gerieten die Rechtfertigungsversuche der Verantwortlichen zu einem PR-Desaster.  Die Frankfurter Polizeiführung habe sich von ihrer „arroganten Seite“ gezeigt, kommentierte die Frankfurter Rundschau: „Kein Wort des Bedauerns. Kein Satz der Polizeiführung dazu, dass mehrere hundert Menschen durch Schlagstöcke und Pfefferspray verletzt wurden. (…) Nur immer wieder die Rechtfertigung für das eigene Tun. Alles war gut, wir würden wieder so handeln“. (12)

Auch vor parlamentarischen Beobachtern machte die Polizeiwillkür nicht Halt – Foto: Philip Eichler

Wie gering das Interesse an einer auch nur annähernd objektiven Darstellung der Ereignisse ist, zeigte sich bereits in den Stunden nach der Demonstration, als die Polizei gegenüber den Medien bekanntgab, es habe 21 verletzte Beamte gegeben, aber nur einen Verletzten auf Seiten der Demonstrationsteilnehmer – trotz Hunderter dokumentierter Fälle verletzter Protestler. Hinzu kommt, dass die Verletzungen der Beamten wahrscheinlich zum Großteil auf das eigene Konto gehen: Die Pfeffergasschwaden machen schließlich nicht vor Polizisten halt.

Die Darstellung der Ereignisse durch die Staatvertreter und deren Ankündigung zukünftiger Rechtsbrüche löste tumultartige Szenen aus und stieß auf heftiges Unverständnis der anwesenden Journalisten. Darunter nicht wenige, die selbst Opfer der Polizeiwillkür geworden waren. Medienvertreter warfen den Behördenvertretern eine massive Behinderung ihrer Arbeit vor. Journalisten bezeichneten den Einsatz als „Gewaltorgie“ und berichteten, wie sie von vermummten Einsatzkräften beleidigt, bedroht und auch verprügelt wurden. „Schande“-Rufe ertönten aus den Reihen der Pressevertreter.

„Ich frage mich, ob wir auf derselben Veranstaltung waren“, sagte eine Journalistin zum Einsatzleiter der Frankfurter Polizei. „Haben Sie eigentlich schon was in der freien Wirtschaft in Aussicht?“ war die bissige Frage eines ihrer Kollegen, gerichtet an Innenminister Boris Rhein. (13)

Auch die Präsentation der sichergestellten Gegenstände war nicht geeignet, die Darstellung der Polizeiführung zu untermauern, wonach ein gewaltbereiter Mob vermummter Chaoten gerade noch davon abgebracht werden konnte, die Stadt zu verwüsten.

„Die Polizei hat alles ausgebreitet, was sie an Waffen im Kessel finden konnte: Fünf hölzerne Fahnenstöcke und zehn mit Farbe gefüllte Glasflaschen“, so die Frankfurter Rundschau. (14)

Spätestens mit der Präsentation der „Beweise“ für die angebliche Gewaltbereitschaft der Demonstranten machte sich die Polizeiführung lächerlich. Auf jedem Karnevalsumzug lassen sich mehr „Waffen“ beschlagnahmen, als am Samstag dem  „Schwarzen Block“ abgenommen wurden.

Selbst Pappschilder mit politischen Parolen mussten als Beleg für die von der Demonstration ausgehende Gefahr herhalten. „Damit kann ich jemandem in zwei Sekunden die Kehle durchschneiden“, mit diesen Worten rechtfertigte ein Polizist gegenüber dem Demo-Anmelder Werner Rätz die Beschlagnahmung von Papp- und Styroporschildern. Rätz wies gegenüber Hintergrund darauf hin, dass die Polizei nach Räumung des Kessels nicht einen einzigen Pflasterstein finden konnte.

„Wer Schirme, Sonnenbrillen und kleine Transparente zu ‚passiven Bewaffnungen‘ erklären muss, um eine friedlichen Protestzug zu stoppen, der kann sich nicht darauf berufen, irgendeine öffentliche Ordnung gewährleistet zu haben”, kommentierte die linke Tageszeitung Neues Deutschland. (15)

Angriff auf Grundrecht

Auch in der bürgerlichen Presse fielen die Kommentare ähnlich kritisch aus. „Es handelt sich bei der Demonstrationsfreiheit nicht um eine Geste, die der Staat nach Gutdünken gewährt. Er hat sie zu gewährleisten. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass Hessens christdemokratisch geführtes Innenministerium im Landtagswahlkampf ein Zeichen unbedingter Law-and-order-Politik setzen wollte“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Der Polizeiführung fehle die Achtung vor Grundrechten. (16)

Am Boden: Das Recht auf Versammlungsfreiheit – auch für diese junge Frau gilt es nicht – Foto: Philip Eichler

„Seht her, in Deutschland gilt Demonstrationsfreiheit nur, wenn sie den Herrschenden genehm ist“, beschreibt die taz das Signal, das von dem Polizeieinsatz ausgegangen sei. „Die Polizei suchte förmlich die Nadel im Heuhaufen. Wegen ein paar in die Luft geschossener Leuchtraketen prügelte sie auf friedliche Kapitalismuskritiker ein, löste faktisch eine überregional bedeutende und gerichtlich erlaubte Demonstration auf und hebelte das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus.“ (17)

Von den politischen Parteien haben einzig die Vertreter der CDU kein Problem mit dem organisierten Verfassungsbruch. Die Polizei habe „besonnen reagiert“ und die Stadt „vor größeren Verwüstungen geschützt“, so Ulf Hohmeyer, Kreisvorsitzender der Jungen Union Frankfurt. (18)

„Stehen SPD und Grüne im schwarzen Block der Demokratiefeinde oder mit uns auf der Seite des Rechtsstaates?“, entgegnete der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Holger Bellino, auf die Vorwürfe. Den Grünen warf er zudem vor, „in der Tradition von Steinewerfern“ zu stehen. (19)

Will man den CDU-Politikern nicht akuten Realitätsverlust unterstellen, so bleibt nichts anderes übrig, als ihnen eine bewusste Verdrehung der Tatsachen zu konstatieren. Bei über dreihundert verletzten Demonstranten kann von einem „besonnenen Verhalten“ seitens der Polizei, die nicht einen einzigen Steinwurf dokumentieren konnte,  keine Rede sein.

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Während Vertreter der Union die faktische Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit in Deutschland rechtfertigen, „mahnt“ die Bundesregierung die Türkei „zu Besonnenheit“. „Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind Grundrechte, Staat muss verhältnismäßig reagieren“, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert. (20)


Anmerkungen
(1) Siehe: http://www.hintergrund.de/201306032599/soziales/sozialabbau/blockupy-polizeipruegelorgie-gegen-grossdemonstration.html
(2) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt–war-der-polizei-kessel-geplant-,15402798,23109234.html
(3) ebd.
(4) http://www.welt.de/regionales/frankfurt/article116783807/Waren-wir-auf-der-selben-Veranstaltung.html
(5) http://www.bild.de/regional/frankfurt/polizei/geht-gegen-blockupy-vor-30660420.bild.html
(6) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt–blockupy—zwei-seiten-der-polizei,15402798,23109240.html
(7) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-demonstration-polizisten-kritisieren-kollegen,15402798,23119030.html
(8) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt–blockupy—zwei-seiten-der-polizei,15402798,23109240.html
(9) http://www.taz.de/Rbiter-Polizeieinstz-in-FrnkfurtMin/!117268/
(10) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19115
(11) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-demonstration-polizisten-kritisieren-kollegen,15402798,23119030.html
(12) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/kommentar-zu-blockupy-frankfurt–schuld-sind-immer-die-anderen,15402798,23110788.html
(13) http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/polizeieinsatz-bei-blockupy-protesten-eine-schande-fuer-frankfurt-1.1687570
(14) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-ende-einer-demonstration,15402798,23093936.html
(15) http://www.neues-deutschland.de/artikel/823172.ende-der-demokratie-nach-ein-paar-hundert-metern.html
(16) http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/polizeieinsatz-bei-blockupy-hessische-law-and-order-politik-1.1686610
(17) http://www.taz.de/Kommentar-Blockupy/!117281/
(18) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt–war-der-polizei-kessel-geplant-,15402798,23109234.html
(19) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-demonstration-frankfurt-gruene-sehen-rechtsbruch,15402798,23124974.html
(20) https://twitter.com/RegSprecher

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